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Die Guillon-Cotterds im Dienst des Waadtländer Weins

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Propos de clavende

Propos de clavende

Text: Claude-Alain Mayor & Claude Piubellini Fotos: Edouard Curchod

Das Waadtländer Dialektwort Cotterd steht für eine Zusammenkunft von Personen, die miteinander reden wollen. Es gibt dafür übrigens mehrere Schreibweisen. Der Guillon benennt so seine ausserkantonalen Botschaften, gegenwärtig sind es deren zehn.

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Trotz ihres unlöschbaren Durstes war es den Waadtländern nicht möglich, ihre gesamte kantonale Weinproduktion durch ihre Kehlen zu schleusen. Es galt deshalb, sie in erster Linie in den Nachbarkantonen und in der Deutschschweiz anzubieten. Eine erste Botschaft wurde bereits 1956 auf Freiburger Boden eingerichtet, aber sie war nicht von Dauer. Im darauffolgenden Jahr nahmen die Räte die Angelegenheit wieder auf und definierten einen klareren Rahmen und stellten einen Préfet an die Spitze – der bis 1974 warten musste, um auch den Titel eines Conseillers führen zu dürfen.

Die ersten Jahre waren exploratorisch. Mit den Ressats extra-muros wollte man Persönlichkeiten ansprechen, die interessiert sein konnten, den Guillon in ihren Kantonen zu vertreten. Luzern, Lenzburg, Basel, Gstaad, Arbon, Zürich, Genf, Bern oder Greyerz waren Ziele dieser üppigen Expeditionen, wo feines Essen und Waadtländer Weine unseren Ruf zwischen 1961 und 1970 festigten. Im 1970 wurde dann der erste offizielle Cotterd in Luzern gegründet. Einige Monate später folgte jener in Basel. 1971 war die Reihe an Zürich, dem ein Jahr später jener in Freiburg folgte. Voller Energie setzte die Confrérie ihr Bemühungen fort: 1973 wurden der Cotterd in St. Gallen und 1975 jener in Bern aus der Taufe gehoben. Da war die Zeit gekommen, diese Cotterds zu integrieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich während fast dreissig Jahren in diesem Rahmen zu entwickeln. Zu diesem Zweck wurde ihnen mit einem besonderen Conseiller ein Schirmherr zur Seite gestellt, der Légat. Er unterstützte, lenkte und koordinierte wenn nötig die ausserkantonalen Aktivitäten. Dieser unermüdlich reisende Botschafter trägt die Verantwortung dafür, dass die positive Ausstrahlung der Confrérie in jeder dieser Präfekturen sichergestellt wird.

Unter der Leitung von Gouverneur Philippe Gex kam wieder Bewegung in das Botschaftswesen und 2004 wurde ein Cotterd im Jura und im 2007 je einer in den Kantonen Aargau und Tessin gegründet, bevor schliesslich im 2012 noch Savoyen dazustiess. Die Aktivitäten der Cotterds wurden harmonisiert: Das Herz jedes jährlichen Anlasses besteht in einem Guillonneur, einem Wettbewerb, bei dem es entweder Chasselas aus den fünf Weinbauregionen des Kantons Waadt zu erkennen gilt oder aber fünf Jahrgänge eines gleichen Weins oder auch fünf unterschiedliche Rebsorten beim Blindausschank einer zuvor kommen-

Die Degustation stellt bei den Luzernern Gewissheiten in Frage

Die Schleife des Préfet

Links Der Luzerner Préfet Eric Nicole empfängt seine Gäste

Rechts Die Resultate werden von Pascal Forrer, dem Zürcher Préfet, verkündet

Unten Guillonneur im Keller einer Fasnachts-Clique in Basel tierten Degustation. Jeder Cotterd kann aber selbstverständlich andere, eigenständige Aktivitäten hinzufügen, die dazu dienen, die Liebhaber von Waadtländer Weinen bei der Stange zu halten oder neue dazu zu gewinnen.

Luzern: Folk meets classic

Der Guillonneur in Luzern hält alle Traditionen der Confrérie aufrecht und krönt sein Jahr mit einem gastronomisch-freundschaftlichen Anlass. Das ist aber nur ein Teil der Aktivität in diesem Cotterd. Sein Préfet Eric Nicole versammelt seine Schar auch sonst gelegentlich für diverse Anlässe rund um den Waadtländer Wein, in der Stadt oder in der Umgebung.

Im Sommer 2017 gelang ihm ein kleines Meisterstück, inspiriert durch die Anwesenheit einer Persönlichkeit der Folklore in seiner Runde, von Sepp Trütsch, und eines Klaviervirtuosen, Stefan Dettwiler. Unter dem zugkräftigen Titel «Folk meets classic» (wie zwischen Deutsch- und Welschschweizern verlangt die Spezialität der Innerschweizer Dialekte das Englische als gemeinsame Sprache) entstand so ein musikalisches Abendprogramm, eine erinnerungswürdige Symbiose von Volksliedern und klassischem Klavier. Nach dem Konzert konnten die beglückten Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihrem Geschmacks- und Geruchssinn anlässlich des Apéro riche frönen, bei dem die feinen Waadtländer Weine ohne das geringste B-Moll die musikalischen Harmonien weiterführten.

Basel und Masken oder weg mit den Masken?

Angeführt von seinem Préfet trifft sich der Cotterd von Basel seit zehn Jahren im Keller einer Clique der berühmten Fasnacht gleichen Namens. Da erfreut man sich der traditionellen Mehlsuppe, eines Papet Vaudois mit Kohlwurst und Saucisson und einer prächtigen Käseplatte, die grosszügig mit den Weinen eines Waadtländer Winzers begossen werden, der bei dieser Gelegenheit anwesend ist. Erst kürzlich aber hat der Préfet Ivo Corvini sein Amt an den designierten Nachfolger Philipp Simonius übergeben, der jetzt die erfolgreiche Formel neu erfinden, aber vor allem einen Keller ausfindig machen muss, der ausreichend gross ist, um die immer grössere Schar von Basler Liebhabern der Waadtländer Weine zu beherbergen.

Wird das Thema der Fasnacht, die in diesem Jahr abgesagt werden musste, wieder aufgenommen oder nicht? Das ist die Fragen, die man sich im westschweizerischsten der Deutschschweizer Cotterds für die Fasnacht 2021 gegenwärtig stellt.

In Zürich gibt es nicht nur den Paradeplatz!

In der Stadt des Banken-Monopoly galt es, einen attraktiven Ort zu finden. Wir haben ihn nicht am Paradeplatz gefunden, sondern an der Seestrasse, die wie es der Name vermuten lässt von Gebäuden gesäumt ist, die freien Blick auf den Zürichsee bieten. Préfet Pascal Forrer hatte sein Augenmerk auf das Haus von Alfred Escher geworfen, der nicht nur die Credit Suisse gegründet hatte, sondern auch die ETH Zürich, und der den Auftrag zum Bau des Gotthard-Tunnels erteilt hatte. Die Tatsachen, dass das Haus Belvoir inzwischen zum Restaurant umgebaut war und in unmittelbarer Nachbarschaft die Hotelfachschule einquartiert ist, sind zweifellos kein Zufall.

Die Fussböden knarren ein wenig, gerade richtig, um die Authentizität und ihre besondere Bedeutung zu unterstreichen. Man fühlt sich, für einen Abend, als König der Schweiz (dies einer der Übernamen von Alfred Escher).

Freiburg: man kennt die Musik

Freiburg unterhält mit dem Kanton Waadt eine Wahlverwandtschaft in Verbindung mit der geografischen Nähe, der gleichen Lebenskunst und ganz besonders dem Wein: Geteilte AOC Vully, Kantons- und Gemeindegüter und die Freiburger Burgerweine im Lavaux. Da kann man nur sagen, dass der Freiburger Guillonneur, der traditionell an einem Donnerstag organisiert wird, und zwar abwechslungsweise in einem anderen Bezirk, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen Jean-Louis anbietet, der praktisch als Insider-Geschäft bezeichnet werden kann, weil die Waadtländer Weine hier bereits sehr verbreitet sind.

Man könnte davon ausgehen, dass sich die Konkurrenten auf ihren Lorbeeren ausruhen, bevor sie sich auf die geschmacklichen Entdeckungen einlassen, die in den behäbigen Landgasthöfen und gastronomischen Aushängeschildern angeboten werden. Aber die Freiburger frönen traditionell auch dem Gehörsinn: In diesem Kanton ist die Musik eine zweite Natur und bei festlichen Anlässen wird oft eine gesungene oder gespielte Überraschung geboten, von der Hymne des Karnevals in Quebec über die Blasmusik von Neyruz, die Gesänge der Armaillis de la Gruyère bis zum Orgelkonzert in der Kathedrale St. Nicolas.

St. Gallen, die OLMA-Stadt

Das Idyll zwischen dem Guillon und St. Gallen scheut keinen Widerspruch: Das Eldorado des Schützengartenbiers gegen das Chasselas-Paradies, der Schüblig gegen den Boutefas. Und trotzdem stimmt es zwischen den beiden so sehr, dass viele Conseillers nicht zögern, 300 Kilometer zurückzulegen, um am Guillonneur der Sticker teilzunehmen, dem einzigen, der zur Mittagszeit stattfindet, um den Teilnehmenden aus entlegenen Regionen entgegenzukommen.

Die grossen Feierlichkeiten zwischen der Confrérie und dem am weitesten entfernten Cotterd werden an den OLMA-Umzügen zelebriert: 2008 war der Kanton Waadt Eh-

Links Der Freiburger Préfet Jacques Piller füllt die Gläser

Rechts Eine St. Galler Delegation angeführt von Préfet Patrick Rütsche auf Schloss Chillon

2.

BESTER CHASSELAS DER WELT

Logo Badoux Noir 100% rengast und im 2018 erhielt das Winzerfest die Ehre. Zu letzterem Anlass füllten die Compagnons und Robenträger den Zuschauern unzählige Gläser mit Waadtländer Weisswein. 80 gekühlte Flaschen wurden auf einen Leiterwagen geladen. Und das Publikum liess sich nicht bitten, so dass der Vorrat vor dem Ziel des Umzugs aufgebraucht war. Der Chasselas zeigte sich übrigens neben dem Schüblig von der besten Seite… vielleicht weil dieser ohne Senf genossen wird!

Bern: trotz 1798 eine Art Familienfest

Gelinde gesagt wissen wir, dass sich die Berner im Waadtland wie zuhause fühlen… obschon wir sie mit der Hilfe der Franzosen im 1798 freundlich ausquartiert hatten. Zahlreiche Güter erinnern aber an ihre Anwesenheit und die alte Oberherrschaft hat sich in herzliche Freundschaft verwandelt, insbesondere jene der Berner für unsere Waadtländer Weine.

Ein Guillonneur auf Berner Boden ist somit fast ein Familienfest, das es jedes Mal erlaubt, eine andere Ecke in diesem vielfältigen Kanton mit seiner berührenden Architektur zu entdecken. Aber es gibt einen anderen traditionellen Anlass, an dem sich einmal im Jahr die Compagnons dieses Cotterd versammeln: der Zibelemärit am vierten Montag im November inmitten der Bundesstadt. Man trifft sich im Café Einstein, wo der berühmte Wissenschaftler zwischen 1903 und 1905 wohnte, zu Zwiebel- und Käsekuchen bei einem Glas guten Waadtländer Weins, der von einem Winzer stammt, der die Produkte aus seinem Keller auch persönlich vorstellt.

Links In Bern sorgt Préfet Hansueli Haldimann für eine gute Stimmung

Rechts Die Jurassier degustieren entspannt oder konzentriert

Unten Der Aargauer Préfet Albi von Felten sammelt die Formulare ein

Im Jura sind die Jungen aktiv

Als privates Schutzgebiet eines in den Jura ausgewanderten Waadtländer Préfets ist das zweifellos der jüngste unserer Cotterds, zumindest was das Durchschnittsalter betrifft. Auch mit Sicherheit der lockerste, denn die Krawatte ist ein seltenes Zubehör. Neben den bodenständigen lokalen Spezialitäten gibt es aber eine qualitativ hochstehende Küche, bevor die Festlichkeiten mit reichlichem Damassine-Genuss abgerundet werden. Wir sind hier schliesslich in der Hochburg des Sankt-Martin-Festes. Aber die feinen Tropfen aus der Waadt profitieren vom grossen Vorteil, den Durst zu stillen, ohne ihn zu löschen…

Einige Anpassungen durch den Préfet verhindern jedoch, dass der Abend in einer Marché-Concours-Stimmung endet. Wir hoffen einfach, dass diese Jugend eines Tages den Weg nach Schloss Chillon findet, um die Reichhaltigkeit unserer herbstlichen Feierlichkeiten zu entdecken, denn regelmässig macht sich eine Delegation von Conseillers in die Gegenrichtung auf, um Mitte November den Schlachttermin der Schweine in der Ajoie zu feiern.

Meisterhafte Lektion im Aargau

Grenzüberschreitend – man trinkt in Solothurn und schläft im Aargau – empfängt der Hirschen in Obererlinsbach seit mehr als zehn Jahren die Guillonneurs aus der Region. Der Gastgeber und Préfet des Aargauer Cotterds, Albi von Felten, ist eine charismatische Persönlichkeit. Als talentierter Küchenchef herrscht er auch über einen fantastischen Keller, in dem die sprachlosen Compagnons in engen Rängen die besten Flaschen der Welt entdecken und wo die besten Bordeaux-Jahrgänge neben den besten Waadtländer-Jahrgängen lagern.

Von Feltens Weinkenntnis und seine ausgewählten gastronomischen Kombinationen zeigen sich immer wieder beim JeanLouis, denn seine pädagogische Ader lässt es nicht zu, dass eine andere Person – auch nicht der Légat – die Wettbewerbsweine kommentiert. Dabei gibt er auch immer Vorschläge zu den besten Harmonien. Einziger kleiner Nachteil: Es nehmen nur wenige Personen an diesen Anlässen teil. Das ist umso bedauernswerter, als man im Hirschen nicht

Links Der erste Tessiner Préfet, Pierre Schulthess

Rechts Der Savoyer Cotterd geniesst den Garten

Unten Bernard Vioud, unser jovialer Savoyer Préfet nur in den Genuss einer raffinierten Küche kommt, die so ausgewählt ist, dass sie den Waadtländer Weinen schmeichelt, sondern man die Feinschmeckerkunst auch grosszügig teilt.

La Dolce Vita im Südkanton

Der unumgängliche Cotterd eines unserer sieben Bundesräte – sein südlicher Name ist der Redaktion bekannt – verspricht mehr Tapetenwechsel als jeder andere. Im Tessin herrscht beständige Ferienstimmung, meist scheint die Sonne und der Akzent tönt sehr südländisch. Südschweizerisch natürlich, denn die Italianità in diesem Kanton harmoniert mit helvetischer Seriosität. Der allmächtige Merlot ist eine echte Herausforderung, aber elegant überlässt er dem Waadtländer Chasselas einen Ehrenplatz. Auch hier ist kürzlich ein neuer Préfet eingesetzt worden. Wenn Ihnen sein Name zu deutschschweizerisch vorkommt, so ist Metteo Huber, ursprünglich Architekt, ein leidenschaftlicher Weinliebhaber und selbst zum Winzer geworden. Und seine Kenntnisse vermittelt er in perfektem Tessinerdialekt.

Für seinen Cotterd hat Huber übrigens einen kleinen «Blitz» für das Ziehen am Guillon bestellt und mit dem Wappen seines Kantons verziert.

Eine grosse «Pfütze» trennt von Savoyen

Was für eine Herausforderung! Der jüngste Cotterd ist geografisch auch der dem Waadtland nächste. Und doch liegt er schon im Ausland. Getrennt durch das Wasser sind die Savoyer sehr nah, aber auch wieder weit entfernt. Auch auf ihrem Boden wachsen Reben und sie produzieren ebenfalls Chasselas. Die früheren Bewohner von Schloss Chillon sind dem Anstoss ihres Préfet Bernard Vioud gefolgt und kehren seit ein paar Jahren zu ihren Quellen zurück. Angelockt von den grossen Waadtländer Weinen folgen sich sogar ganze Scharen an unseren Ressats. Immer mehr werden Compagnons unserer Confrérie, so dass man fast schon von einer Masseneinwanderung sprechen kann.

Vereinend rund um den blauen Genfersee ist aber eine Wein-Freundschaft, die wir schon sehr lange teilen. Wenn das Wasser trennt, so vereint der Wein! Übrigens ist das Savoyer Wappen auf der Fassade von Schloss Chillon immer noch gut sichtbar, genau so wie jenes von Bern, unseres früheren Verbündeten, den wir ebenfalls nach einer langen Herrschaft vertrieben haben.

Die Cotterds: Eine Chance für die Confrérie

Eine selbst vergnügliche Aufzählung unserer Cotterds entbindet uns nicht von einer Überlegung über ihre Rolle und ihre Zukunft. Vorausgeschickt werden muss die Tatsache, dass im 2019 eine grössere strukturelle Verändung für die Cotterds stattgefunden hat. Sie sind künftig in einem eigenständigen Verein zusammengefasst und verfügen über viel Autonomie. Mit dieser Neuorganisation bezwecken wir u.a. die Förderung origineller Initiativen, die lokalen Eigenheiten besser Rechnung tragen.

Die Übersicht auf den vorangehenden Seiten deutet auf eine klar positive Bilanz hin. Die Cotterds leben und bieten attraktive Anlässe an, wo die herzliche Atmo-

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