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Die süsse Erinnerung an die Inthronisationen

Erinnern Sie sich? Es ist noch gar nicht so lange her, 2019, gestern also! Und doch scheint es uns, als hätten die letzten Ressats du Palais et des Rois vor einer Ewigkeit stattgefunden. 18 Monate lang hat das Château de Chillon seine Pforten nicht mehr geöffnet, weder für Damen in Abendkleider noch für Herren in dunklen Anzügen oder Conseillers in schweren Roben. 18 Monate, in denen sich die beiden «Guillons», in die Kellerfässer gesteckt, keinen Millimeter bewegt haben, um neue Compagnons auf die Probe zu stellen. Wer dereinst als erster dran ist mit dem «tirer au guillon», mag sich vorsehen – das Holz dürfte trocken sein!

Die Ressats du Palais, Inthronisationen im Frühling 2019.

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Die Wehmut lässt dieses Zeremoniell noch schöner erscheinen – wenn das überhaupt möglich ist –, diesen Aperitif, der die Inthronisationen begleitet, dieses Festessen und diese erstklassigen Reden. In jener Zeit, Sie erinnern sich, teilte man ein Glas, um den göttlichen Nektar zu kosten, was bedeutete, dass man der Confrérie beitrat, «um diesen Wein zu trinken und so gut zu sein wie er». Man drückte der neuen Dame Compagnon, dem neuen Compagnon, dem neuen Conseiller die Hand. Unvorsichtig, wie wir waren, erschaudert der grosse Alain, der es gerne sähe, wenn all diese Gesten einer brutalen Geselligkeit definitiv der Vergangenheit angehören würden. 2019 sind 172 Anwärter zum Heiligen Gral vorgedrungen, haben den von den Göttern gesegneten Chasselas gekostet und die Insignien der weinseligsten und fröhlichsten aller Bruderschaften des Kantons erhalten. Unmöglich, sie hier alle aufzuführen, Junge und nicht mehr ganz Junge, Frauen und Männer, angesehene Persönlichkeiten und Unbekannte. Sie alle teilen die Passion für Waadtländer Wein und gutes Essen.

Ein wundervoller Brief an die Confrérie du Guillon, verfasst von Khany Hamdaoui.

Mit neun von ihnen haben wir gesprochen; sie erzählen uns von ihren Emotionen, ihrem Vergnügen, ihrer Überzeugung. Sie freuen sich schon jetzt auf die herbstlichen Ressats des Durs à Cuire. Darauf, diese besondere Ambiance wieder zu erleben, in Rede und Geselligkeit, bei der schöne Weine und gute Speisen im Zentrum einer Soirée stehen. Möge ihr Wunsch, schnell nach Chillon zurückzukehren, erhört werden!

Die Kunst des Repräsentierens

Die Direktorin des Théâtre Montreux Riviera hat die Confrérie du Guillon spät entdeckt. «Ich war zu einem Ressat eingeladen und bin daraus wie aus einem Traum erwacht. Ich sagte meinem Mann, dass ich zurückkehren möchte und seither lassen wir uns das nicht mehr entgehen. Wir haben sogar unseren Hochzeitstag dort gefeiert.» Die frühere Moderatorin bei RTS liebt gutes Essen und gute Weine, sie hat also auf dem Schloss das gefunden, was sie motiviert, «verbunden mit Texten von Qualität». 2019 inthronisiert, freut sie sich aufs Wiederkommen. «Ich habe nichts zu kritisieren, ich liebe alles. Die Texte und den Humor. Die Chansons der Gais Compagnons oder die Jagdhörner. Ich liebe auch dieses Ritual, sich vorzubereiten und schön anzuziehen, da ist man schon im voraus ein wenig aufgeregt.» Sie, die noch nie bei den Quatre Heures war, findet, man könnte mehr Leute daran teilhaben und vielleicht die Lieder begleiten lassen. «Und ich fände es genial, wenn Frauen in den Conseils Einsitz nehmen würden. Als erste Frau im Rotary Club von Echallens kenne ich die Rolle der Pionierinnen.» Khany Hamdaoui bleibt also eine enthusiastische Ambassadorin: «Der Guillon bedeutet mir wirklich etwas, das trage ich auch nach aussen. Sagen Sie, wann geht es wieder los?»

«Lieber Gouverneur, lieber Chancelier, liebe Compagnons, Was war das für eine Freude, als ich in meinem Briefkasten Post mit den unverkennbaren Insignien der Confrérie entdeckte! Ob wohl endlich der Moment des Halalis auf diese Situation gekommen war? Das Vorzeichen der baldigen Rückkehr des Schlemmens in guter Gesellschaft? Hatte Dionysos auf die mit Inbrunst vorgetragenen orphischen Hymnen reagiert? Oder wurden meine zahlreichen vinösen Anti-Covid-Tests ohne mein Wissen als von öffentlichem Interesse anerkannt? Mit klopfendem Herzen und zitternden Händen (mangels Wein?) öffne ich also dieses Schreiben mit dem köstlichen Duft der Ressats… Ahhh… Was sehe ich? Was lese ich? Schwinden mir die Sinne? Werden meine kühnsten Hoffnungen erfüllt? Ja? Nein! Vielleicht… Wie Robinson hoffe ich, der Guillon möge den Weg zu meiner Insel des unfreiwilligen Exils finden, zur Verschollenen, von hochfliegenden Spässen Abgeschnittenen, zur unschuldigen Strafgefangenen. Bei jedem Anzeichen glaube ich daran. Atemlos vor lauter Hoffnung, die Augen verschleiert von bittersüssen Tränen, beweine ich unsere FrühlingsRessats, das Fest der Quatre Heures du Vigneron (des unermüdlichen Helden unserer Begegnungen), grüsse eifrig die harten Kerle – die, daran zweifle ich nicht, im Moment des Wiedersehens weich wie Butter sein werden – und stelle mir diesen ersehnten Augenblick vor, untermalt vom Klang der Jagdhörner! (…)»

Khany Hamdaoui an den Ressats des Rois, Herbst 2019.

Christian Oppliger an den Ressats des Rois, Herbst 2019.

Der Pilot hebt ab vor lauter Glück

Für einen Typen, der dafür bezahlt wird, in die Luft zu gehen, ist es ein Vergnügen, eine willkommene Entspannung, sich ins Château de Chillon zu setzen. Christian Oppliger ist Versuchspilot in der Schweizer Armee, zwischen Bern und Payerne, und ein passionierter Skifahrer. Der Vater von drei Kindern hat die Confrérie durch seinen Schwiegervater Franco Pasquali entdeckt, der ihn vor einigen Jahren eingeladen hatte; an dem Tisch mit vielen Freunden sass auch Daniel Borel.

«Das war eine Entdeckung! Die Weine, die Küche, das idyllische Dekor, die fabelhafte Ambiance.» Als «Patenkind» von Daniel Borel und Philippe Gex hat er bei Letzterem mit dem Guillon geübt, bevor er im Herbst 2019 inthronisiert wurde, «ein sehr guter Moment», unterstreicht der Weinliebhaber, der gerne Winzer besucht. «Wenn man mit dem Produzenten diskutiert und seine Arbeit sieht, bekommt der Wein einen anderen Geschmack.» Sein Keller ist schweizlastig, aber auch ein wenig italienisch und französisch.

Der Pilot findet die Ressats weder zu lang noch zu kurz. «Und die Auftritte der Conseillers sind beeindruckend, diese Redegewandtheit, dieser Humor, das ist sehr stark!» Da er regelmässig in Bern wohnt, hat er entdeckt, dass es hier einen Cotterd gibt. «Sobald uns Corona in Frieden lässt, könnte ich hingehen. Und wieder einmal an einem Ressat teilnehmen.»

Das Interesse der Jungen gewinnen

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Wenn man einen derart versierten Papa in Sachen Wein hat wie Daniel Dufaux, kann man gar nicht anders als in diese Welt einzutauchen. Deborah Dufaux studiert an der Hotelfachschule von Lausanne und macht einen Stage in Zürich. Erraten Sie, wo? In der Casa del Vino! Sie hat bereits im Vinorama in Rivaz gearbeitet, ihren Vater zu Degustationen auf der ganzen Welt begleitet. Und ab 16 an ihren ersten Ressats teilgenommen. Sie, die Gamaret, Garanoir oder Petit Verdot liebt, schätzt auch trockene Weissweine. Und Chasselas, selbstverständlich.

Nicht erstaunlich, dass sie der Confrérie beitreten wollte, um hier den Platz der Jungen zu verteidigen: «Ich bade im Universum des Weins, ich wäre gerne das Bindeglied, um das Interesse der Jungen zu wecken.» Sie liebt das Zeremoniell auf Chillon und schätzt die «superinteressanten» Präsentationen, auch wenn sie einräumt, nicht immer alle Anspielungen zu verstehen.

«Der Guillon sollte den Jungen andere Aktivitäten anbieten, damit diese mehr Gelegenheit haben, sich für Wein zu interessieren. Warum nicht Degustationen bei den Produzenten? Denn auf Chillon kann man nur mit den Tischnachbarn kommunizieren.»

Deborah Dufaux an den Ressats des Rois, Herbst 2019.

Frédérique Riesen und ihr Bruder Nicolas an den Ressats du Palais, Frühling 2019.

Ein Plädoyer für die Geselligkeit

Schuld ist ihr Vater, Compagnon der Confrérie seit 1982. «Er erzählte meinem Bruder und mir immer voller Wärme davon. Er sagte: Ihr müsst beitreten und hat uns vorgeschlagen», erzählt Frédérique Riesen. Die Anwältin – ihre Mutter stammt aus Gruyère, ihr Vater aus Villeneuve – hat vor vier Jahren in Bulle eine Kanzlei eröffnet, vor einem Jahr eine zweite in Vevey.

Nachdem Marcel Riesen und unser Chancelier die Patenschaft für die Geschwister übernommen hatten, doch vor ihrer Inthronisierung verstarb ihr Vater leider. «Bevor ich das erste Mal dabei war, hatte ich keine genauen Vorstellungen, da ich keiner anderen Bruderschaft angehöre. Ich wusste nur, dass man gut isst und trinkt.» Der jungen Frau hat es gefallen: das Essen, die Gesellschaft, die Präsentationen. «Auch wenn ich als Frau bei gewissen Scherzen die Stirn runzle…»

Bei ihrer Inthronisierung im Frühling 2019, die zu den Cent pour Cent der letzten Fête des Vignerons gehörte, hatte sie das Vergnügen, mit dem Regisseur zu diskutieren. Daniele Finzi Pasca wurde nämlich am selben Abend geehrt. Und sie freut sich auf die nächsten Ressats: «Ich habe vor, Freunde mitzubringen.»

Aus dem Nähkästchen plaudern

Die Conseillers du Guillon kennt sie gut. Sie defilieren alle vor ihr, um sich ihre Roben anfertigen zu lassen. Mit Gisèle Chevillard verliert man nie den Faden, denn die Lausannerin ist aus dem Stoff von Heldinnen gemacht. Zwischen Massnehmen, Anproben, Änderungen spricht unsere Näherin positiv, trotz all der Revers, deren Kehrseite sie schon gesehen hat. «Das ist schon speziell, Männer, die sich Roben schneidern lassen», lacht sie. «Aber dadurch habe ich eine Familie kennengelernt, die zusammenhält, die eine echte Brüderlichkeit verbindet.»

Gisèle trinkt keinen Wein, nicht einmal einen Fingerhut voll. Aber sie hat vor einigen Jahren ihr erstes Ressat besucht. «Das

Gisèle Chevillard an den Ressats du Palais, Frühling 2019.

Loïc Brawand an den Ressats des Rois, Herbst 2019.

ist wunderbar zeremoniell, in diesem aussergewöhnlichen Rahmen. Es ist ausserhalb der Zeit, man erlebt dort ein paar Stunden lang etwas Tiefgründiges. Man wird sich bewusst, dass es nicht bedeutungslos ist, da zu sein.» Unsere Näherin hat sich keine Sekunde gelangweilt, sie, deren «Sinn für Humor mich immer gerettet hat».

Im Frühling 2019, als sie eingeladen wurde, um inthronisiert und geehrt zu werden, wollte sie zuerst ablehnen. «Ich stehe nicht gerne im Mittelpunkt.» Ihr Sohn drängte sie zuzusagen, und sie hat es nicht bereut. «Diese Ressats sind wie ein Theaterstück, ich finde das wunderschön. Ich freue mich, wenn sie wieder stattfinden.»

Sanitär statt Winzer

Der 31-jährige Veveysan schlägt nicht aus der Art: Sein Onkel ist kein anderer als Raymond Favez, König der Fête des Vignerons 1999. Als er jünger war, hat Loïc Brawand ihn oft in die Reben begleitet, bis er seine Lehre als Sanitärinstallateur begann. «Mein Onkel schlug mir vor, Winzer zu werden. Ich bin seinem Rat nicht gefolgt, aber ich erinnere mich noch an den Geruch der Reben beim Schneiden oder Auslauben.»

Bei der letzten Fête des Vignerons ist der Direktor einer Gesellschaft mit 60 Mitarbeitenden fleissig defiliert, als einer der 100 Suisses. Die Gelegenheit für den Wasserspezialisten, Chasselas zu trinken, den er liebt. Und die Geselligkeit einer Truppe zu entdecken, die ihn dazu gedrängt hat, Compagnon der Confrérie du Guillon zu werden, auf Anregung von seinem Onkel und von Alain Barraud.

«Bei meinem ersten Ressat fand ich die Ambiance sehr sympathisch, das Essen exzellent und die Weine natürlich Spitze. Ich liebe die Traditionen, und ich liebe es, wenn alle sich schön anziehen für diese Soirée.» Der FDP-ler wurde bei den Stadtratswahlen von Vevey nicht gewählt, erreichte aber ein ehrenvolles Resultat. Er wartet ungeduldig auf die Wiederaufnahme der Ressats, auf die Warmherzigkeit dieser Abende auf Chillon. Noch ungeduldiger allerdings wartet er auf die Geburt seines zweiten Kindes.

Eine zauberhafte Jugend

Laeticia Dutoit hatte bereits zweimal an einem Ressat teilgenommen, bevor sie im Herbst 2019 inthronisiert wurde. «Wenn ich diese Reden höre, diesen Witz und die Phantasie der Conseillers, finde ich das unglaublich.» Dabei kennt sich die ehemalige Vizepräsidentin der Fédération Vaudoise des Jeunesses Campagnardes mit Monsterempfängen und Humor bestens aus. «Doch uns gelingt es nicht, die Leute den ganzen Abend über am Tisch zu halten», lacht sie.

Die Biotechnologin ist auf dem Land grossgeworden, in Chavannes-sur-Moudon, wo sie ein Haus gebaut hat. «Ich interessiere mich sehr für das Tagesgeschehen, und ich liebe die Anspielungen darauf, die während der Ressats gemacht werden. Es stört mich nicht, dieses exzellente Essen und diese Weine mit Leuten zu geniessen, die älter sind als ich. Und ich habe auch kein Problem als Frau…» Sie hat sich schon für den Herbst angemeldet, um den Guillon ihrem Papa und einigen Freunden vorzustellen.

Sie hat in ihrem Keller auch Walliser Crus, ihre Mutter stammt ja aus dem Vieux Pays, und weisse Elsässer, weil sie die liebt. «Wir haben eine önotouristische Charta ausgearbeitet für die Landjugend, um die Waadtländer Weine in den grossen Festzelten zu fördern.»

Laeticia Dutoit an den Ressats des Rois, Herbst 2019.

Die Konstruktion des Vergnügens

Er verbringt zwar seine Tage damit, in seinem Atelier in Lausanne Häuser zu entwerfen, doch in seiner Freizeit hat Raphaël Dessimoz andere Pläne. Seit er in den Reben seiner Grosseltern im Zentralwallis stand, hat er den Wein geliebt. Doch die Offenbarung kam, als er bei der letzten Fête des Vignerons bei den 100 Suisses mitmachte. «Ich habe vor, während und nach der Fête regelmässig viele Winzer besucht. Einer meiner Freunde, der im Conseil der Confrérie von Vevey ist, hat mich ermutigt, mich für dieses kulturelle Erbe zu engagieren.» Er bedauert, dass Schweizer Rebbau und Wein europaweit kaum bekannt sind.

Im Frühling 2019 inthronisiert, war er schon im Herbst wieder auf Chillon dabei. «Ich mag den Kontrast zwischen dem strengen Zeremoniell und dem Humor der Präsentationen. Das erste Mal habe ich nicht alle Anspielungen verstanden, weil ich nicht in der Region geboren bin. Aber ich liebe diesen satirischen Charakter.»

Was ihm am Schlossleben ebenfalls gefallen hat, ist der schnelle Service, die Qualität der Speisen. Doch das hindert ihn nicht daran, davon zu träumen, die Confrérie würde ihre alten Steinmauern hin und wieder verlassen. «Nur weil etwas perfekt funktioniert, heisst das nicht, dass man es nicht weiter entwickeln könnte.»

Ein genussvoller Mondial

Wir erreichen Thomas Costenoble in Belgien, sprühend vor Energie und trotz Corona mitten in der Organisation des Mondial de Bruxelles, des grössten Weinconcours, der dieses Jahr in kleinem Rahmen in Luxemburg stattfinden wird. Als der Wettbewerb 2019 in Aigle Halt machte, packte die Confrérie du Guillon die Gelegenheit beim Schopf und inthronisierte den Generaldirektor des Mondial.

«Ohne Schmeichelei: Das war die schönste Inthronisation, die ich je erlebt habe. Und glauben Sie mir, ich habe viele erlebt! Es gibt so viele verstaubte, ältliche, die an die erste Etappe in Richtung Friedhof erinnern. Die Organisation beim Guillon ist unglaublich, mit viel Kreativität und grossem Vergnügen, das spürt man.» Doch damit nicht genug der Lobpreisungen! «Der Rahmen ist einzigartig. Die Soirée strahlend, höchst amüsant. Nur eines ist zu bedauern: dass um Mitternacht Schluss ist. Nur schon wenn ich mit Ihnen darüber rede, erschauere ich vor Glück und bekomme Gänsehaut. Ändern Sie ja nichts!»

Der Önologe hat den Chasselas dank Nicolas Joss entdeckt. Und ist sein bester Botschafter in Belgien geworden. «Das ist der perfekte Wein für Geselligkeit und Austausch. Eine Flasche allein ist nie genug!»

Raphaël Dessimoz und Antoine Vauthey an den Ressats du Palais, Frühling 2019.

Thomas Costenoble an den Ressats du Palais, Frühling 2019.

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