13 minute read

50 Apéro-Nuancen

Lie, Marc, Grappa, Wermut – all diese Getränke haben eines gemeinsam: Sie werden aus Trauben hergestellt. Im Wunsch, ihr Angebot zu diversifizieren, verwenden einige Waadtländer Winzer einen Teil ihrer Ernte für die Produktion von originellen Aperitifs und Digestifs.

Alain Bettems erinnert daran, dass «Lie und Marc einst derart gängige Produkte waren, dass alle Winzer sie herstellten. Heute werden diese Produkte, eine Weile völlig aus der Mode geraten, langsam wieder entdeckt.» Für den Besitzer der Cave de la Crausaz in Féchy ist der Hefe- oder Drusenbrand (alias Lie) «der beste Digestif der Welt, das sage ich ohne jede Überheblichkeit.» Doch was ist mit dem Image der Lie, mit der man gemäss traditioneller Arzneimittellehre Mensch und Tier massiert? «Als ich zwanzig Jahre alt war, ging die Hälfte des auf dem Gut produzierten Hefebrands an Leute, die ihn bei Verstauchungen und Zerrungen verwendeten. Mittlerweile macht diese Kundschaft nur noch wenige Prozent der Verkäufe aus.» Alain Bettems, bekannt für die Qualität seiner Chasselas (Sieger der Lauriers de Platine 2016) und seiner Whiskys (sein «Allan’s Gold» erreichte die höchste Punktzahl beim Swiss Spirits Awards 2019), räumt ein, dass «die Lie einen schlechten Ruf hat. Seinerzeit hatte man die Vinifikation weniger gut im Griff als heute. Oft wiesen die Hefebrände einen leichten Bock auf (Vinifikationsfehler, der zu Noten von faulen Eiern führt, Anm. d. Red.). Klar: Wenn das Ausgangsmaterial, das in die Brennhäfen kommt, nicht gut ist, dann kann nichts Interessantes herauskommen.» Das Umgekehrte gilt auch: Das beweist der dritte Platz bei den Swiss Spirits Awards 2020 für Alain Bettems Lie de Féchy! Wenn das Basisprodukt von hoher Qualität ist, dann wird es auch der Edelbrand sein. Der Spirituosenliebhaber, der seinen Crausiac (Eau-de-vie aus Chasselas und Pinot gris, destilliert und vier Jahre in Barriques ausgebaut) beim nationalen Concours in der Kategorie «Weinbrände» im dritten Rang platzieren konnte, bestätigt, dass die Mengen stark gesunken sind: «Vor vierzig Jahren produzierte unser Gut 3000 bis 4000 Liter pro Jahr. Heute sind es noch 800 5-dl-Flaschen pro Jahr.»

Advertisement

Die Kunst der Metamorphose vervollkommnen

Auf der Domaine des Rueyres in Chexbres sind Lie, Marc, Eau-de-vie de Vin und Grappa im Angebot, aber auch Produkte auf der Basis von Früchten, die auf dem Gut produziert werden, etwa Trauben «à la lie» oder ein Likör aus Weinbergpfirsichen. «Unser neustes Produkt ist ein Fleur de Sel à la Mondeuse Noire», erzählt Laurent Cossy. Er bestätigt, der Verkauf von traditionellen Schnäpsen sei relativ begrenzt. «Mein Vater und mein Grossvater füllten fast 1000 Liter Marc und Eau-de-vie de Vin ab. Wir verkaufen sie noch immer, jetzt, nachdem sie schon fast zwanzig Jahre in der Flasche sind. Es gibt aber eine grössere Nachfrage nach Grappa aus Mondeuse Noire.» Laurent Cossy produziert auch einen Honigwein und ein handwerklich hergestelltes Bier. «Bier hat weniger Alkohol als Wein und ist deshalb anfälliger auf bakteriologische Probleme. Der Met hingegen wird auf der Basis von Honig produziert, einem Produkt, das nur Zucker enthält. Wir

Heute werden diese Produkte, eine Weile völlig aus der Mode geraten, langsam wieder entdeckt.

Alain Bettems, Cave de la Crausaz, Féchy

Unser neustes Produkt ist ein Fleur de Sel à la Mondeuse Noire.

Laurent Cossy, Domaine des Rueyres, Chexbres

müssen ihm Säure und Tannine beifügen, um ein interessantes Resultat zu erhalten. Aus professioneller Sicht», präzisiert der Produzent aus dem Lavaux, «ist die Herstellung beider Getränke sehr interessant, erlaubt sie doch, die Finessen der Gärung besser zu verstehen.»

Eine Alternative zum Apéro anbieten

Die Deutschschweiz ist nicht nur der Hauptexportmarkt der Waadtländer Winzer, sondern auch ein Reservoir an guten Ideen. «Immer, wenn wir in einem Chalet in den Alpen sind oder in der Deutschschweiz wandern gehen, bietet man uns Cidre an», erzählt Christophe Bertholet. «Meine Frau und ich haben überlegt, wie wir ein Getränk auf Weinbasis kreieren könnten, das sich in derselben Kategorie klassiert.» Ende 2020 füllte das Paar fast 2000 33-cl-Flaschen La Vigneuvoise ab. Letztere gibt es in einer alkoholfreien Version (Traubensaft mit kohlesäurehaltigem Wasser) und mit Alkohol (Chasselas und Traubensaft mit Kohlensäure), ein Aperitif also mit 7,3%vol. Alkohol. «Wir wollten mit diesem erfrischenden, individuellen und leicht zu konsumierenden Getränk vor allem ein eher junges Publikum ansprechen», präzisiert der Selbstkelterer aus Villeneuve, der diese Neuheit in Restaurants und bei Anlässen absetzen wollte. «Mit der Pandemie hat dieser Teil unseres Plans nicht so funktioniert wie erhofft», grinst Christophe Bertholet, «doch die Reaktionen sind sehr positiv und der kommerzielle Erfolg bei der Privatkund-

Fifty Shades of Aperitifs

The Lie (distilled on grape lees), Marc and Grappa brandies, as well as vermouth, are all made from grapes. A number of Vaud winemakers have decided to diversify their offer and allocate part of their yield to the production of original aperitifs and digestifs.

Alain Bettems recalls that “producing Lie and Marc brandies used to be so obvious that all winemakers just did it, but then these products went out of fashion. Today, we’re seeing a comeback.” The owner of Cave de la Crausaz in Féchy, renowned for the quality of his Chasselas (he won the Lauriers de Platine award in 2016) and for his whiskies (his Allan’s Gold obtained most points at the Swiss Spirits Awards 2019), admits that Lie brandies have a bad reputation. In the past, winemaking was not as developed as it is today.” But the fact that he won third place for his Lie de Féchy at the Swiss Spirits Awards 2020 proves that with a first-class quality base product, the brandy will also be first class.

Advances in the art of metamorphosis

The Domaine des Rueyres in Chexbres sells Lie and Marc brandies, wine spirits and Grappa, as well as grape lees and vine peach liqueur. Laurent Cosy explains that their most recent product is a Mondeuse Noire sea salt; sales of traditional spirits are fairly limited. “But our Mondeuse Noire Grappa

© Philippe Dutoit © Sandra Culand

Der ’Peccable? Das ist wie Cidre, aber es ist kein Cidre.

Tanguy Rolaz, Domaine Chamvalon, Gilly

schaft vorhanden. Das ist ermutigend für die Zukunft!»

Der von Tanguy Rolaz bei der Ernte 2020 kreierte ’Peccable hat ebenfalls den Cidre als Vorbild. Die Etikette gibt an: «Das ist wie Cidre, aber es ist kein Cidre.» Der junge Winzer der Domaine Chamvalon in Gilly bestätigt, der Begriff «Cidre» sei reserviert für Produkte auf der Basis von Äpfeln oder Birnen. Die Geheimnisse der Herstellung gibt der junge La Côte-Produzent zwar nicht preis, aber er wolle «ein Getränk auf Traubenbasis produzieren, das aus der 33-cl-Flasche getrunken werden kann und keine Verbindung zum Wein hat.» Und damit ein junges Publikum erreichen, das eher Bier oder Apérogetränke aller Art trinkt, aber kaum Weisswein. Auch hier sollten Anlässe und Bistros die wichtigsten Vektoren für die Neuheit sein, die das anvisierte Publikum zu überzeugen scheint, aber auch ältere Konsumenten, die darin «eine fruchtige lokale Alternative zum Bier» sehen. Der erste Versuch wurde mit Chasselasmost produziert, doch Tanguy Rolaz plant, seinen ’Peccable bei der nächsten Ernte in anderen Farben zu deklinieren.

Der erste Jahrgang des STIM

Morges, 1860: Die Gambonis, italienischsprachige Bündner, und die Salinas, ursprünglich aus dem Piemont, schliessen sich zusammen und gründen eine Distillerie. Vierzig Jahre später übernimmt Henri

Meine Frau und ich haben überlegt, wie wir ein Getränk – La Vigneuvoise – auf Weinbasis kreieren könnten, das sich in derselben Kategorie klassiert wie der Cidre. Christophe Bertholet, Domaine Bertholet, Villeneuve

is doing well”. Cosy also produces mead and a craft beer. “Beer has a lower alcohol content than wine and is therefore more prone to bacteriological problems. As for mead, it’s made with honey, it’s full of sugar. To make it really good, we need to add acid and tannins”.

Alternative aperitifs

Christophe Bertholet, a Villeneuve winemaker, explains that he and his wife had given a lot of thought to creating a drink which would be based on wine and classed in the same category as cider. At the end of 2020, they filled almost two thousand 33cl-bottles of La Vigneuvoise. It comes in an alcohol-free version, grape juice with carbonated water, or with a light, 7.3% alcohol content, and is made with Chasselas and carbonated grape juice. “With this easy-to-drink product, we’re hoping to reach mainly young consumers.” He had hoped to target restaurants and events, but with the pandemic this fell through. He has, however, achieved good sales to private customers.

Created by Tanguy Rolaz at the time of the 2020 harvest, ’Peccable is modelled on cider. It says so on the label: “It’s like cider but it isn’t cider”. This young winemaker from Domaine Chamvalon in Gilly points out that the term ‘cider’ designates products made from pears and apples. Without disclosing his production secrets, he explains that he wanted to create “a drink based on grapes but with no connection to wine”, in order to reach young consumers who are more interested in beer and aperitifs than white wine. Although this first attempt was made from Chasselas must, Tanguy Rolaz is already thinking about producing other variations of ’Peccable at the next harvest.

© Bertrand Rey

Wir machten mehrere Versuche mit aromatischen weissen Rebsorten, doch zum Schluss wählten wir einen Chasselas, der mit Gamay und Gamaret gemischt wird.

Raoul Cruchon (rechts), zusammen mit seinen Mitstreitern beim Abenteuer STIM’, Martin Wagner und Carine Bosson

Salina, der Rückkehrer aus Argentinien, den Familienbetrieb. Er modernisiert das Rezept des traditionellen Quinquina (80% Wein und eine geheime Zubereitung, in der Chinarinde, Früchte, Pflanzen und Wurzeln mazeriert werden) und gibt ihm den Namen Stimulant. «Der Erfolg war beeindruckend», begeistert sich Raoul Cruchon. «Das Unternehmen produzierte in gewissen Jahren bis zu 400 000 Liter dieses Aperitifs, der exklusiv zwischen Lausanne und Genf verkauft wurde. Wir haben Dokumente gefunden, die zeigen, dass das Bahnhofbüffet von Genf jeden Montag 600 Liter davon bestellte.» Als der Konsum dieser Bitter-Getränke einbrach, war unser Winzer aus Echichens noch zu jung, um sie zu trinken. «Meine erste wirkliche Begegnung mit dem Stimulant fand vor etwas mehr als zwei Jahren bei einem Freund statt. Nach dem Essen öffnete dieser eine Flasche, die er im Keller seiner Mutter gefunden hatte. Die Nase war von Wurzelaromen geprägt, aber mit einer gewissen Komplexität. Wir fanden auch Aromen von eingemachten Früchten, der Gaumen war ausgewogen und zeigte eine interessante Bitterkeit im Finale. Nicht schlecht, für einen Aperitif, der seit dreissig Jahren geöffnet war.» Wieder zu Hause, stellt Raoul Cruchon die Flasche auf das Regal, auf dem die Flaschen thronen, die ihn geprägt haben. Er kontaktiert die Familie Salina. Diese hat die Originalrezepte aufbewahrt und steht einer Wiederauferstehung des Erbes positiv gegenüber. Zwei Partner, Carine Bosson und Martin Wagner, stossen zum Projekt. «Wir hatten das Rezept für den Bitter-Aperitif», präzisiert Raoul Cruchon, «doch nun mussten wir den idealen Wein für die Mariage finden. Das Originalrezept gab einen Rotwein an, aber die Farbe war zu dunkel für den Konsumenten von heute. Wir machten mehrere Versuche mit aromatischen weissen Rebsorten, doch zum Schluss wählten wir einen Chasselas, der mit Gamay und Gamaret gemischt wird. Die Weine sind von AOC-Qualität, ein Teil hat das Label Vinatura, ein Teil ist Bio, sie machen aber keinen biologischen Säureabbau, um ihre Säure zu bewahren.» Alles war bereit, als das Trio die schlechte Nachricht erhielt: Das eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum untersagte die Verwendung der Marke Le Stimulant, weil kein Alkohol Anrecht auf einen Namen habe, der einen positiven Gesundheitseffekt suggeriere. In diesem Augenblick war der Stimulant tot und beerdigt. Und Le STIM’ wurde geboren!

Retro-Look und neuer Geschmack für den Apéro im Lavaux

Jean-Charles Estoppey hat eben erst die Präsidentschaft von Terres de Lavaux in Lutry abgegeben, jetzt ist er ein vielbeschäftigter Rentner. «Auf die Idee kam ich bei einem Gespräch mit Helen Calle-Lin,

Le STIM’s first vintage

Morges, 1860: the Gamboni family, originally from Grisons, and the Salina family, from Piedmont, joined forces to create a distillery. On his return from Argentina, forty years on, Henri Salina took over the reins of the family business. He updated the traditional quinquina recipe, a drink composed 80% of wine and macerated quinine bark, fruit, plants and roots and gave it the name Le Stimulant. It was an impressive success story. The company produced up to 400,000 litres a year of this aperitif that was sold exclusively in the region stretching from Lausanne to Geneva.

When demand for these bitters slumped, the winemaker from Echichens, Raoul Cruchon, was too young to have known them. So, his first encounter with Le Stimulant was two years ago when he contacted the representatives of the Salina family who held the original recipes. They were favourable to the idea of bringing the legacy back to life. Two partners, Carine Bosson and Martin Wagner, joined the project. “We had the recipe for the stimuline, but we needed to find the right wine to go with it. The recipe mentioned red wine, but the colour would have been too dark for today’s consumers. So it was decided to mix Chasselas with Gamay and Gamaret. Everything was ready when some very bad news arrived: the Federal Intellectual Property Institute could not protect the Le Stimulant brand because no alcoholic drink can claim the use of a name that suggests a beneficial effect on health. Le Stimulant was dead and buried, but Le STIM’ was born!

welche die Weinbar im New Yorker Stil entworfen hat, die ich für Terres de Lavaux zusammen mit der Domaine Chaudet geschaffen habe. Sie bemerkte, es gebe im Lavaux weder weissen noch roten Wermut, obwohl dieses Produkt doch zu 90% aus Wein bestehe. Wir haben mit einem Mikro-Destillateur in Chandolin, im Wallis, zusammengearbeitet. Er hat zahlreiche Versuche für uns gemacht», erklärt der frisch pensionierte Arzt. Zwei Aperitifs sind aus dieser Zusammenarbeit hervorgegangen, ein weisser auf der Basis von Chasselas sowie ein roter (beide 100% AOC Lavaux). «Für den roten verwenden wir als Basiswein unsere Assemblage Plan-Joyeux, eine Mariage aus Gamaret, Garanoir, Pinot Noir und Gamay. Er bietet die perfekte Kombination von Tanninen und Frucht für unseren 1890 Lavaux», fährt Jean-Charles Estoppey fort. Das Rezept bleibt geheim. «Es gibt ein Rezept, aufs Gramm genau, für beide Produkte. Darin findet man Absinth – das braucht es, wenn man die Appellation Wermut verwenden will – und ein Dutzend andere natürliche Komponenten. Diese Inhaltsstoffe ziehen für eine präzise Zeitdauer in einem besonderen Alkohol, der ebenfalls ein bedeutender Bestandteil dieses Geheimrezepts ist. Filtriert und mit dem Wein vermischt, wird unser Wermut von Hand in Flaschen abgefüllt.» JeanCharles Estoppey gibt zu, selbst vom Erfolg überrascht worden zu sein: «Die erste Abfüllung ergab je 300 Flaschen in Weiss und in Rot. Sehr schnell mussten wir ein zweites und ein drittes Mal abfüllen, diesmal deutlich mehr. Diese Diversifizierung erlaubt es Terres de Lavaux, einige Tausend Liter Wein zu einem sehr guten Preis zu verkaufen (die Wermut-Flasche kostet pro Liter 38 Franken). Das hat die geschlossenen Restaurants nicht wettgemacht, aber es ist ein willkommener Zustupf. Wir freuen uns darauf, mit dem gleichen Schwung weiterzumachen, diesmal mit einem Rosé, der im April auf den Markt kommt!»

Man findet Absinth darin – das braucht es, wenn man die Appellation Wermut verwenden will – und ein Dutzend andere natürliche Komponenten.

Jean-Charles Estoppey, der Erschaffer des 1890 Lavaux, und Cindy Freudenthaler, die ihn im Präsidium von Terres de Lavaux in Cully abgelöst hat

A retro look and a new taste for a Lavaux aperitif

Despite retiring from the presidency of Terres de Lavaux, JeanCharles Estoppey is still a very busy man. “The idea came during a discussion I had with Helen Calle-Lin, the designer of the New-York wine bar that I created for Terres de Lavaux together with Domaine Chaudet. She brought up the fact that in Lavaux no one produced vermouth, neither white nor red, even though it was a product composed 90% of wine. We worked on a project with a micro-distiller from Chandolin in Valais.” The collaboration gave rise to two aperitifs, a white one based on Chasselas and a red one. The recipe for 1890 Lavaux must remain secret. “Let’s just say there’s a finely detailed recipe for both products. They contain some absinthe, which is imperative if you want to call it vermouth, and a dozen or so other natural components. The ingredients are infused, for very precise periods, in a particular alcohol which is also an essential component of the secret recipe. Once it has been filtered and mixed with the wine, our vermouth is bottled by hand.”

This article is from: