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Väterkram: Gegenrede

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Gegenrede

Ich bin das, was man gemeinhin einen Schwätzer nennt. Gut, man könnte sicherlich auch weniger tendenziell abwertende Begriffe dafür finden wie Sprecher, Redner oder sogar aufwertende wie Verbalakrobat. Aber damit würde die Tatsache verdeckt, dass ich auch dann noch rede, wenn es unangebracht ist oder es eigentlich nichts mehr zu sagen gibt. Schwätzer ist also in Ordnung, denn genau darum soll es hier gehen: Ich bin ein mehr oder weniger geläuterter Erziehungsschwätzer. Als Erziehungsschwätzer glaube ich an die Macht des Wortes. An verbale Auseinandersetzungen, an den zwanglosen Zwang des besseren Arguments, an immer noch einen besseren Vergleich, der meinen Punkt veranschaulicht. Das liegt nicht zuletzt in meiner eigenen Biografie begründet, in der Sprache und Schreiben immer der Teil meiner Identität gewesen sind, den man mir am wenigsten wegnehmen konnte. Als Erziehungsschwätzer neige ich zum monologisieren. Ich erkläre meinen Kindern die Welt, ich setze mich mit ihnen wortreich über Probleme auseinander, ich fange immer nochmal und nochmal mit irgendeinem Thema an, weil ich glaube, dass wir damit irgendwie noch nicht fertig sind.

Als Erziehungsschwätzer versuche ich scheinbar unerträgliche Konflikte in den Bereich des Erträglichen zu quatschen und auf eine Ebene zu ziehen, die mir vertraut ist: Argument und Gegenargument, öffentlicher Vortrag, kleine oder größere Spitzen, Punchlines und Verbalrammen. Schließlich besteht ja auch ein großer Teil meiner Arbeit genau daraus: Leuten so lange was vom Pferd zu erzählen, bis sie bereit sind, es zu satteln, und mich fragen, wohin es geht. Meine Kinder haben sehr schnell gemerkt, dass ich ein Erziehungsschwätzer bin und dieses Wissen für ihre Zwecke eingesetzt. Wenn ihnen langweilig war, haben sie Mittel und Wege gefunden, mich zum Reden zu animieren, weil das immer noch interessanter ist als den ganzen Sonntagnachmittag einfach nichts zu tun. Und wenn sie Dinge richtig verbockt haben, wollten sie „gerne nochmal drüber reden“. Nicht obwohl, sondern weil ihnen vollkommen klar war, dass sie damit eine ausufernde Diskussion vom Zaun brechen, die nirgendwo hinführt – außer dahin, dass sie für die Beschäftigung damit, wie nachdrücklich sie sich daneben benommen haben, einen Aufschub bekommen. Sie sind die Gegenstücke zu ihrem Erziehungsschwätzervater. Im Ernstfall diskutieren die jedem und jeder den Stuhl unter dem Hintern weg. Sie sind aber auch der Grund, warum ich heute, wie bereits erwähnt, in meinem Erziehungsschwätzertum geläuterter auftrete als noch vor einigen Jahren. Meine älteste Tochter wird diesen Sommer 14. Was glauben Sie wie viele Gelegenheiten ich mittlerweile hatte, um zur Erkenntnis zu gelangen, dass alles Reden nichts nützt? Dass man sich den Mund fusselig reden kann, warnt, ermahnt, hinweist, erklärt – mit dem Ergebnis, dass die kleinen Monster am Ende das tun, was sie für richtig halten? Unzählige Male. Nicht, dass wir uns missverstehen: Ich rede immer noch gerne und die vermutlich unumgänglichen Pubertätsdebatten, die in naher Zukunft anstehen, schrecken mich überhaupt nicht. Aber so ganz allmählich setzt sich die Erkenntnis durch, dass meine Kinder wissen, was richtig und was falsch ist. Klar, ich hab es ihnen ja auch andauernd erklärt. Und nicht nur ich. Wenn ihre schulischen Leistungen nachlassen, dann brauchen sie keine 100 Punkte umfassende Erklärung, warum Schule wichtig ist. Das wissen sie längst alles. Sie entscheiden sich nur dagegen oder es ist ihnen halt egal. Stattdessen habe ich diese Erklärung gebraucht, um mich nicht ohnmächtig zu fühlen und so etwas wie Handlungsfähigkeit herbeizulabern. Vier Stunden rumsülzen gleich drei Stunden mehr lernen die Woche gleich zwei Notenstufen besser. Oder so ähnlich. Aber letztlich werden Ansprachen über etwas immer durch Vorleben von etwas getoppt. Auch bei einem beinahe unverbesserlichen Erziehungsschwätzer wie mir. Und am Ende machen Kinder sowieso, was sie wollen. Hoffentlich.

Nils Pickert ist vierfacher Vater, Journalist und Feminist. Jeden Monat lässt er uns an seiner Gedankenwelt teilhaben.

Berufsbegleitende wissenschaftlich-praxisorientierte Weiterbildung

6. September 2019 bis 30. Juli 2021

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NaturSpielpädagogik ist ein nachhaltiges Bildungsangebot für PädagogInnen und NaturwissenschaftlerInnen in pädagogischen Arbeitsfeldern. Ziel der Weiterbildung ist es, die Natur als unerschöpfliche Quelle für Erlebnisse, Spielideen und Kunstwerke schätzen zu lernen, um wieder mit den Wurzeln menschlichen Seins vertraut zu werden. Information unter Tel. 0431/711446, 0157/72901550 oder 0179/2132375 Anmeldung zum Auswahlseminar 6.- 8. September 2019 unter www.fh-kiel.de/naturspielpaedagogik

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