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Rückbildung: Am wichtigsten ist es, die eigenen Körpersignale wahrzunehmen

Am wichtigsten ist es, die eigenen Körpersignale wahrzunehmen!

Julia Bousboa sprach mit der Prä- und Postnataltrainerin Britt Wandschneider über den optimalen Zeitpunkt für Rückbildungsgymnastik und einen „körpermittefreundlichen“ Alltag

Wann sollte man nach der Geburt mit Rückbildungsgymnastik beginnen? Optimalerweise starten wir mit einem Rückbildungstraining nach einer unkomplizierten vaginalen Geburt zwischen der 6. bis 8. Woche nach Geburtstermin, wenn auch der gynäkologische Abschlusstermin ohne medizinische Einschränkungen verlief. Nach einem Kaiserschnitt beginnen wir ab der 12. Woche nach der Geburt, je nach Wundheilungsverlauf und NarbenEntwicklung. Grünes Licht der betreuenden Nachsorge-Hebamme halte ich zudem für absolut wichtig, da sie uns Mütter, unsere Babys und unsere Familien-Situation nach der Geburt hinsichtlich der Steigerung unserer körperlichen Aktivität am besten beurteilen kann. Ansteuerungsübungen, Atemtechniken, Venengymnastik und guten Haltungsaufbau zum Schutz des weichen, instabilen Körpermitte-Systems können wir schon in der Zeit des Wochenbettes beginnen, wenn wir sanft unseren neuen Mama-Körper kennenlernen, ohne Belastung des Bauchraums oder Beckenbodens. Warum ist Rückbildungsgymnastik so wichtig? Bei der hierzulande anhaltend hohen Kaiserschnittrate und bei weiteren 60 % geburtsverletzten Müttern nach vaginalen Geburten liegt schon auf der Hand, dass wir eine besondere Versorgung in den anderthalb Jahren Rückbildungszeit benötigen, um eine langfristige Mütter-Gesundheit und Lebensqualität bis ins hohe Alter erreichen zu können! Wir brauchen gute Aufklärung über Zusammenhänge zwischen Narben, dem Einsatz medizinischer Geräte wie Saugglocke oder -zange und deren Auswirkungen auf den gesamten mütterlichen Körper. Und natürlich insgesamt ein KörpermitteVerständnis, das uns Müttern hilft, unsere individuelle körperliche Situation und Belastbarkeit einschätzen und überprüfen zu können. Die weite Verbreitung von Beckenbodenschwäche, Inkontinenzen, wirksamen Rectus Diastasen, Schmerzen in Gelenken oder Rücken und postnatalen Verstimmungen zeigen deutlich, dass Mütter nach Schwangerschaft und Geburt ihrer Babys mit verschiedensten Baustellen zu tun haben. Diese können nicht nur die Zeit mit Säugling im Wochenbett trüben, sondern auf dem langen Weg der Rehabilitation und Rückbildung anhaltend Kummer und sogar Langzeitschädigungen bereiten. Rückbildungskurse sind eine Riesen-Chance für Mütter, hier an individuell bedeutsame Informationen, Maßnahmen zur Selbstversorgung und Therapie-Anlaufstellen und vor allem zu tiefem Körperverständnis zu gelangen. Hier können wir Mütter mit gesundheitsförderlichen, effektiven, alltagstauglichen Trainingskonzepten und Übungen versorgen und die Risiken von unphysiologischen Bewegungsmustern oder kontraproduktiven, belastenden Sportprogrammen erklären. Dafür braucht es bestens und vor allem speziell ausgebildete Fachleute, denn keine Hebamme, Physiotherapeutin, Ärztin oder Sporttrainerin lernt diesen lebenslang wichtigen Bereich der Frauengesundheit während ihrer Grundausbildung. Nach dem ersten Kind kann man den Rückbildungskurs noch gut in sein Leben integrieren, mit mehreren Kindern wird es schon schwieriger – hast du Tipps? Je flexibler ein Kursangebot aussieht, desto besser: Wenn Angebote ohne Baby, mit Baby und sogar mit Baby und Geschwisterkindern zur Verfügung stehen, ist für jede Mutter die Möglichkeit eines Kursbesuchs gegeben. Hier mehr auf die mütterliche Situation zugeschnittene Kursmodelle zu installieren ist angesichts der Wichtigkeit der Rückbildung für die lebenslange Körpermitte-Gesundheit in meinen Augen absolut notwendig. Ich bin froh, dass ich Versorgungslücken auch über Online-Kursangebote auffangen kann. Jeden Tag auf gute Körperhaltung, körpermittegerechtes Stehen, Bewegen, Heben, Tragen und aus dem Liegen oder vom Boden aufstehen zu achten ist schon mal eine einfache, Mütter-alltagstaugliche Rückbildungs-Strategie. Der Kurs erinnert uns, dass wir nach Kurs-Ende keinen Abschluss-Stempel „ab jetzt und auf ewig rückgebildet“ erhalten, sondern, dass wir auf die verschiedensten Anforderungen des Familienlebens frauengesundheitlich reagieren können. Auch und gerade, wenn mehrere Kinder da sind! Denn nicht nur die Liebe wird mehr mit jedem Kind, auch die Aufgaben und Anforderungen der Mütter wachsen! Und wenn man nun keinen Rückbildungskurs gemacht hat, ist es dann für immer zu spät? Zu spät ist es nie! Der Gesundheit dienlicher ist es natürlich, rechtzeitig damit zu beginnen, in seine eigene persönliche neue Mitte nach Schwangerschaft und Geburt zu finden. Vor allem dann, wenn die Geschwisterkinder schnell nachrücken, denn dann haben wir erneut die Veränderungen von Schwangerschaft und Still- und Tragezeit zu durchlaufen. Das Allerwichtigste ist aus meiner Sicht, dass wir unsere Körpersignale wahrnehmen und achten, selbst beurteilen können, ob wir wieder einen körpermittefreundlicheren Alltag gestalten, wieder gezielter die Funktionseinheit des coreSystems trainieren und entspannen könnten oder lieber auch professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Wenn durch Selbstfürsorge und gesundes Körpermittetraining keine Verbesserungen bei Beckenbodenproblemen oder Rückenbeschwerden zu erreichen sind, sind therapeutische Behandlungen aus Physiotherapie, Osteopathie oder Urotherapie dringend angezeigt. Bitte nicht verschleppen oder Mama-typisch eigene Symptome hinten anstellen oder sogar ignorieren! Es gibt immer Ansatzpunkte, die persönliche Situation mit ihren konkreten Rückbildungs-Baustellen positiv zu beeinflussen.

Britt Wandschneider ist Diplompädagogin, Sportlehrerin und Schleswig-Holsteins erste Prä- und Postnataltrainerin. Seit rund 10 Jahren betreut sie Mütter im Schwangerensport und in der Rückbildungsphase in speziellen Mütterfitnesskursformaten und Workshops (www. babs-kiel.de). Sie ist Kongress-Veranstalterin des ersten Online-Kongresses zur postnatalen Phase und Mütter-Gesundheit RückbildungRoyale (www.rueckbildungroyale.de) und leitet seit März 2019 eine OnlinePraxis für Körpermitte-Kompetenz und core-gerechtes Bewegungstraining (www.corepus.com), wo sie ortsunabhängige Livekurse und Beratung für Schwangere und Mütter in der Rückbildungsphase anbietet.

Britts Tipps für Rückbildung im Alltag

Das Schöne am postnatalen Training ist, dass man die allermeisten Alltagsbewegungen körpermittesportlich gestalten und nebenbei Bauch und Beckenboden fitter machen kann! Man braucht dafür weder extra Material, noch spezielle Kleidung oder massig Zeit.

1Ballen-Hüftkreisel

Beim Zähneputzen: Mit lang aufgerichteter Wirbelsäule auf beide Ballen hochschieben, in der Luft schwebend beide Fersen kraftvoll zusammendrücken und in dieser wackeligen Position Hüftkreisen, abwechselnd in beide Richtungen. Zum Intensivieren: Die Knie mehr dabei beugen. Dann im Einbeinstand ein langes Bein seitlich hochführen, Fußaußenkante ist anführend, Bein senken und heben. Dann im Einbeinstand eine Hüftseite hochschieben und wieder absenken.

3Seitstütz

Beim Spielen mit mehreren Geschwisterkindern: Im Seitstütz das Becken, Taille, Flanke anheben und absenken, wiederholen. Zum Intensivieren: Das obere Bein zusätzlich parallel zum Boden ausklappen.

4Schulterbrücke o. Abb. Beim Tummeln mit Baby am Boden: Über die

Seite auf den Rücken rollen, Baby bei Bedarf auf den Bauch legen für mehr Nähe, Füße heranziehen, Fersen in den Boden schieben,

Becken anheben in die Schulterbrücke, Gesäß senken und heben, Hüfte bleibt dabei waagerecht.

Zum Intensivieren: Die Bewegung einbeinig durchführen.

2Beckenkipper

Beim Zähneputzen: Ein Bein auf den Badewannenrand abstellen. Arme seitlich abstützen. Standbein beugen und wieder strecken, so dass die Hüfte seitlich kippt. Der Oberkörper bleibt aufrecht, die Schultern waagerecht. Umdrehen und die Übung mit dem anderen Bein auf dem Badewannenrand wiederholen.

5Spaß

Kleine Spaß-Wettkämpfe als Familien-Event draus machen: Wer schafft wie viele Wiederholungen? Wer kann wie lange oben halten? Wer hält die Höhe ohne Berühren der Bauklotztürme?

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