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Den Schmerz der Kinder ertragen
from Kinderkram 210
by Rönne Verlag
Besorgt beobachten die Eltern, wie ihr Sprössling auf dem Spielplatz auf einen dort liegenden Baumstamm klettert und seine Balancierkünste zeigt. Je mehr der Junior sich traut, um so höher wandern die Augenbrauen der Eltern und bringen damit ihre wachsende Besorgnis zum Ausdruck. Dieses Gefühl kennt wohl jeder, der mit Kindern zu tun hat: Vor unserem inneren Auge spielen sich dramatische Szenen ab, was da alles passieren könnte. Spätestens, wenn der Sprung auf einem Bein über das Astloch droht, schreiten wir doch lieber ein und beenden das Kunststück. Uff – wieder mal das Kind vor Schmerz, Schrammen und Beulen gerettet. Bleibt nur die Frage, was wir dem Kind damit genommen und welche Lernmöglichkeiten wir damit verhindert haben. Kindheit besteht aus Lernen, und gerade im Bereich Motorik und Gefahreneinschätzung lernen Kinder durch Erfahrungen. Das ist schon von Anfang an nicht nur für die körperliche, sondern auch die geistige Entwicklung wichtig. Ein gutes Körperbewusstsein stärkt das Selbstbewusstsein. Kinder wollen und müssen ihre eigenen Fähigkeiten kennenlernen, ausprobieren und erweitern, sie wollen Erfolgserlebnisse haben und stolz auf sich sein. „Guck mal, was ich kann!“ ist ein Ausdruck des Kindes für sein elementares Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Anerkennung – und die kann es nur bekommen, wenn es seine Fähigkeiten demonstrieren kann. Dem Kind zu vertrauen und zu zeigen, dass man stolz auf es ist, macht es mutig. Und das wünschen sich wohl alle Eltern für ihre Kinder. Das bedeutet jedoch auch, sie ihren eigenen Weg gehen zu lassen und nicht immer an der Hand zu halten, sondern loszulassen – sowohl im eigentlichen als auch im übertragenen Sinn. Keine Angst vor Schrammen, die sind meist schnell wieder vergessen. Je mehr Kinder ausprobieren und je mehr Erfahrungen gerade Kleinkinder beim Klettern und Balancieren sammeln können, umso geschickter werden sie und fallen viel seltener als allzu behütete Kinder. Dazu gehört auch, dass sie unbeaufsichtigt spielen können und dabei die Risiken selbst einzuschätzen lernen. Ständig beschützte Kinder haben keine Möglichkeit, wichtige Instinkte und Reflexe selbst zu entwickeln, wenn sie immer rechtzeitig gewarnt werden. Hinzu kommt, dass Situationen ohne eigene Erfahrungen schwerer einzuschätzen sind, was zu Unsicherheit und weniger Selbstvertrauen führt. Es ist sicher nicht einfach, sich zu überwinden und das Kind ein Risiko eingehen zu lassen. Aber wie gefährlich ist die Situation denn tatsächlich? Was kann wirklich passieren – und was nur in unserer Vorstellung? Natürlich gibt es Situationen, zum Beispiel im Straßenverkehr, wo Ausprobieren keine Option ist. Kratzer und Beulen gehören zur Entwicklung eines Kindes, nur so kann es lernen, im Leben damit umzugehen, wieder aufzustehen und weiterzumachen. Erklärungen und Ermahnungen bringen meist nicht den gewünschten Erfolg, denn Kinder wollen sich und ihre Umwelt spüren, also anfassen, fühlen und ausprobieren. Wenn die Situation, in die sich die Kinder begeben, tatsächlich riskant scheint, kann das Motto „Hilf mir, es selbst zu tun“ von Maria Montessori dem gestressten Elternteil oder Erzieher weiterhelfen. Also im Notfall da zu sein, aber nicht gegen den Willen des Kindes zu unterstützen oder es gar zu hindern. Wem das schwerfällt, der kann es üben, indem er sich dicht bei dem balancierenden oder kletternden Kind aufhält und ihm die Hand zur Unterstützung nur entgegenstreckt. Der Abstand wird dann langsam vergrößert. Statt die Lütten verbal ausbremsen („Das kannst du sowieso nicht, du tust dir nur weh, wenn du runterfällst!“), hilft es, Vertrauen zu zeigen und das Kind von seinen Fähigkeiten, nicht von seiner Unfähigkeit zu überzeugen. Wenn denn doch einmal etwas passiert, wird eben getröstet, der Schmerz weggepustet, gelobt und auf den Erfolg aufmerksam gemacht („Du bist ja schon ganz schön weit gekommen!“), nicht auf den Misserfolg. Auch seelischer Schmerz führt immer wieder zu Tränen. Zu einem Kind, das aus Enttäuschung weint, nicht hinzugehen um es zu trösten, ist eine echte Herausforderung. Kommt es zum Erwachsenen, um sich Trost abzuholen, ist das ein aktiver und daher positiver Umgang mit der Frustration. Aber auch hier ist es wichtig, rechtzeitig zu lernen, damit umzugehen. Das hilft dem Kind nicht nur jetzt, sondern auch in der Jugend und als Erwachsener.
Klaus Mende
Praxis für Autismusspektrumsstörung
Beratung – Unterstützung – Begleitung – Förderung Info-Veranstaltungen für KiTa-Teams – Elternberatung
Teamfortbildungen und Ausbildung von Schulbegleitern Anke Bethge
Autismustherapeutin – Ausbildung in TEACCH 0171 120 7932