2 minute read

Alles Einbildung?

Text Katharina Rilling

krank. Wie kann das sein?

Die Grossmutter klebt ein Pflaster auf die Wunde der Enkelin oder pustet den Schmerz einfach weg – und schon tut es nicht mehr weh. Im Alltag haben wir alle schon die erstaunliche Macht der Gedanken erlebt. Bekannt ist das Placeboeffekt genannte Phänomen insbesondere aus der Medizin. Ursprünglich wurden Placebos, also Medikamente ohne Wirkstoffe, in klinischen Studien eingesetzt. Sie sollten echte therapeutische Prozeduren und Scheinbehandlungen vergleichbar machen. Das überraschende Resultat: Die Beschwerden der Placebogruppe besserten sich oft ebenfalls. Schätzungen gehen sogar davon aus, dass bei jeder und jedem Dritten Placebos in irgendeiner Form Einfluss auf die Genesung haben. Denn der Kopf – also die Einstellung von Patientinnen und Patienten zu Pillen, Salben & Co. – ist ebenso wichtig wie deren Inhaltsstoffe. Dies hat mit Erwartungshaltung zu tun: Der Glaube an die Wirksamkeit der Therapie aktiviert Mechanismen in

Körper und Gehirn – darunter die Freisetzung von körpereigenen schmerzlindernden Botenstoffen wie Endorphin oder Dopamin –, die den Erfolg verstärken.

Wieso komplementäre Medizin die klassische optimal ergänzt: sanitas.com/ option

Nocebo: Angst und negative Erwartungen Allerdings kann das auch ins Gegenteil kippen: Der Noceboeffekt bezeichnet negative gesundheitliche Folgen, die kaum mit der Behandlung zusammenhängen können. Sie werden etwa durch das Lesen der möglichen Nebenwirkungen oder die Angst vor dem Zahnarzt ausgelöst. Auch hier spielt die Erwartungshaltung die Hauptrolle, allerdings in negativer Form, die sich wie in einer selbsterfüllenden Prophezeiung bewahrheitet. Ob Placebo- oder Noceboeffekt: In beiden Fällen ist die Kommunikation zwischen Medizinern und Patienten relevant, denn Ärztinnen und Ärzte können positive Erwartungen und Zuversicht fördern. Wer seiner Behandlung vertraut und sieht, wie sie bei anderen wirkt, wird eine Verbesserung bei sich selbst erwarten und entsprechend stärker von ihr profitieren. Daneben ist auch die Vorerfahrung mit echten Wirkstoffen hilfreich. Wer das Prickeln und den Geschmack einer Schmerztablette im Wasserglas im Gehirn mit Schmerzlinderung verknüpft hat, dem kann plötzlich auch eine einfache Brausetablette helfen. Allein durch die Sinneseindrücke.

Mit Placebo leichter durch den Alltag

Was in der Medizin funktioniert, lässt sich auch auf andere Bereiche übertragen, etwa aufs Lernen oder Arbeiten. Dabei kann alles als Placebo dienen: Wer die schöne Erfahrung gemacht hat, dass eine Joggingrunde vor einer Prüfung oder beruflichen Herausforderung beruhigt, weiss das nächste Mal, was er zu tun hat. Auch Musik oder Meditation können helfen. Denn ritualisiert lässt sich diese Wirkung noch verstärken. Der Placeboeffekt dient dann als «mentaler Anker», als Sicherheit. Auch Vertrauen spielt eine wichtige Rolle – ob zur Ärztin, zur Lehrperson oder zum Vorgesetzten. Um aufs Beispiel Lernen zurückzukommen: Wer bestärkt wird, sich auch selbst helfen oder schwierige Aufgaben lösen zu können, lernt besser. Menschen dagegen, die ständig kritisiert werden, trauen sich weniger zu –mit negativem Effekt auf ihre Leistungen. Dass Mädchen beispielsweise oft in Mathe schlechter abschneiden als Buben, wird auf diesen Noceboeffekt zurückgeführt. Sich dieser Mechanismen bewusst zu werden, kann sie abschwächen. Lieber mit positiven Worten optimistische Bilder vom Gelingen des Vorhabens zeichnen.

Die Macht der Gedanken kann sogar sehr weit reichen. Forscherinnen an der Stanford-Universität haben herausgefunden: Wer denkt, er sei überdurchschnittlich fit, lebt im Schnitt wahrscheinlich schon allein deshalb länger.

Die vierte Ausgabe des Sanitas Health Forecast befasst sich mit Themen wie unserer Lebenskraft, Sinneswahrnehmungen und enthält eine exklusive Studie zur Schweizer Schmerzlandschaft. sanitas.com/ edition-2023

This article is from: