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Sommerloch
ÜBERALL WASSER
Der Autor erlebte den verregneten Sommer auf ganz spezielle Weise: Als Augenzeuge der gewaltigen Überschwemmungen in Deutschland anlässlich einer Velotour entlang der Flüsse Rhein und Mosel.
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Mario Wittenwiler | SAS Genève
In einer der vergangenen Ausgaben der SAS News berichtete Roli Eggspühler, mein Vorgänger als Chefredaktor der SAS News, unter der Prämisse „Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt“ von den Aufräumarbeiten seines überschwemmten Kellers. Auf meiner Velotour entlang der Flüsse Rhein und Mosel machte ich im Sommer diesen Jahres eine verwandte Erfahrung: Nämlich wie vernichtend die Gewalt von Wassermassen sein kann. Am Ende standen in Deutschland fast 200 Tote und dutzendfach vernichtete Existenzen durch Schäden in Milliardenhöhe.
Davon ahnte ich noch nichts, als ich an einem Montagmorgen im Juli mit dem Velo in den Zug Richtung Mannheim stieg. Die erste Etappe auf dem europäischen Rhein-Radweg wollte ich mir aus Zeitgründen sparen. In Mannheim wurde übrigens das Fahrrad erfunden: Ein guter Start für eine Radtour, wie ich fand – erfand hier doch Karl Drais vor über 200 Jahren mit der Draisine das allererste (Lauf-)Rad.
In der Arbeiterstadt angekommen imponierte mir zuerst einmal die Grösse der ansässigen Industrie – vor allem auch im direkt auf der gegenüberliegenden Rheinseite gelegenen Ludwigshafen: Auf einer Fläche halb so gross wie die gesamte Stadt Basel befindet sich hier einer der grössten zusammenhängenden Chemieparks der Welt. Die Weltfirma BASF beschäftigt alleine an diesem Standort 30'000 Mitarbeiterin*innen. Weitere wichtige Erkenntnis: Mannheim hat einer der höchsten Migrationsanteile in ganz Deutschland – was das stundenlange Gehupe nach dem EM-Sieg unserer italienischen Freunde deutlich unterstrich…
Gespenstische Atmosphäre
Auf meiner ersten Etappe über die Luther-Stadt Worms bis Mainz war der bereits jetzt sehr hohe Wasserstand des Rheins zwar eindrücklich – aber noch nicht beunruhigend. Am darauffolgenden Tag entlang dem UNESCO-Weltkulturerbe „Mittleres Rheintal“ mit seinen Burgen und Weinhängen musste ich den offiziellen Radweg entlang dem Fluss dann bereits mehrere Male wegen Überschwemmungen umfahren. Nach dem berühmten LoreleyFelsen und der Stadt Koblenz setzte dann der verheerende Starkregen ein. Am nächsten Tag schaffte ich es nur noch bis ins wunderschöne
Örtchen Cochem an der Mosel. In einer leicht gespenstischen Atmosphäre trafen die Bewohner bereits Vorkehrungen gegen das Wasser: Keller wurden ausgeräumt, Sandsäcke bereitgelegt. Man munkelte bereits von einem meterhohen Wasserstand im weiter südlich gelegenen Trier.
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Feuerwehr und Polizeisirenen
Über Nacht war der Flusspegel der Mosel gut sichtbar um mehr als einen Meter gestiegen. Trotzdem wollte ich weiterhin südwärts – im absoluten Notfall könnte ich mich vor dem Wasser immer noch in die Rebhänge retten. Den Radweg muss ich nun aber fast im Kilometertakt verlassen und zum Teil auf ziemlich befahrene Nebenstrassen ausweichen. Bei mehr als 30 Zentimeter Wasser nützt es auch nichts mehr, die Schuhe auszuziehen und Tragtaschen an den Lenker zu hängen. Immer wieder brausen Feuerwehrwagen oder Polizeiautos unter Sirenengeheul an mir vorbei. Wie von Geisterhand zieht es mich immer weiter – dem Wasserhöchststand
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1 Bis zu 9 Meter Wasserstand an der Mosel.
2 Teilweise meterweit unter Wasser: Der Mosel-Radweg.
3 Ins Trockene gerettet: TicketKasse für Flussschifffahrt.
4 Start am Rhein bei Mannheim/ Ludwigshafen.
entgegen. Nicht aus Schaulust – an vielen Orten beobachten Dorfbewohner das steigende Wasser von einer Brücke aus – eher aus dem Trieb, die Szenerie möglichst bald hinter mir zu lassen. Abends um 21 Uhr erreiche ich Trier – nach einer für mich beachtlichen Tagesdistanz von mehr als 160 Kilometern. Im Stadtzentrum etwas abseits des reissenden Flusses sind die eindrücklichen Szenen vom Tag plötzlich wieder weit weg.
Alles relativ
Die tatsächlichen Ausmasse der Zerstörung erfahre ich erst am nächsten Tag über Nachrichten auf meinem Handy. Persönlich bin ich glücklich, meine Tour wie geplant nach rund 520 Kilometern innerhalb von 5 Tagen im französischen Metz ohne Unfall beenden zu können. Auffallend, wie die Franzosen die Covid-Schutzvorschriften extrem viel lockerer angingen als die Deutschen. Trotz dieser Vorsicht konnten sie sich vor einer anderen Gewalt nicht gut genug schützen – dem Hochwasser. In diesem Sinne nahm ich mir vor, mich über Tatsachen wie den verregneten heurigen Sommer nicht allzu sehr aufzuregen. Meinerseits entgingen mir dadurch lediglich ein paar Tage in der Badi. Woanders vernichteten die Regenmassen Existenzen und Leben. Trost spendet die gelebte Solidarität, welche die Geschädigten durch aktive private Unterstützung aus der Nachbarschaft oder anderen Orten erhielten.
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