EPICULTURA L E B E N S E N T W Ü R F E
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»Epicultura« ist ein Buchprojekt über Menschen, die nicht unterschiedlicher sein könnten und doch einiges gemeinsam haben. Jeder von Ihnen ist „anders“, „etwas seltsam“ oder entspricht einfach nicht der Norm. Diese Sammlung von Fotos und Interviews entstand als Abschlussarbeit im Kommunikationsdesignstudium an der Design Factory International GmbH, unter der Betreuung von Michael Kress. Konzept, Design, Text und Fotos © Sylvia Motyl Druck und Papier Aktuell Copy & Print GmbH
INHAL T S V E R Z E I C H N I S S
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KÖRPER TRIFFT GEIST MAN K A N N V O N M E N S C H E N L E R N E N , W E N N M A N S I E B E O B A C H T E T
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Gedankenaustausch mit einem Gothic
DER K A M P F M I T S I C H S E L B E R , I S T D E R S C H W E R S T E Was die Iron Sisters anspornt
FÜR A N D E R E B I N I C H E R S T M A L E I N P A R A D O X O N Wenn man vergisst, dass man nicht normal ist
ICH W I L L N I C H T I M M E R S O S T R A N G E U N D K O N T R O L L I E R T S E I N Er und Sie und Emelie
DAS K Ö R P E R G E F Ü H L I S T E I N A N D E R E S Nixen brauchen keine Haare
FLUCHT- UND WAHLHEIMAT WENN V O R U R T E I L E S I C H B E S T Ä T I G E N U N D W A S D A R A N G U T I S T Besuch im Asylbewerberheim
VOM R A B E N V A T E R U N D S E I N E R H E I L I G E N S C H A R Ein Leben unter Vögeln
S 107
KÖRPER TRIFFT GEIST
„MAN KANN VON MENSCHEN LERNEN, WENN MAN SIE BEOBACHTET“
INTERVIEW > KITTY KAHLOHR
KITTY K. HAT BEREITS FRÜH GEMERKT, DASS SIE ANDERS IST ALS IHRE MITSCHÜLER. ALS DIE DAS DANN AUCH MERKTEN, KONNTE SIE SICH VOR MOBBING-ATTACKEN KAUM RETTEN UND BRACH DIE SCHULE AB. NACHDEM SIE NUN IHREN ABSCHLUSS NACHGEHOLT HAT, IST SIE WIEDER RICHTIG STOLZ AUF SICH UND DRÜCKT IHRE GEFÜHLE IN FOTOS UND KURZGESCHICHTEN AUS. OB DIESE EIN GUTES ENDE NEHMEN? WOHL KAUM.
KITTY KAHLOHR Künstlerin
Wer steckt hinter dem Namen `Kitty Kahlohr´? Ich bin Angelina, 18 Jahre alt, nenne mich aber Kitty, weil Kitty ist halt so ein Spitzname. Den habe ich mit 13 bekommen. Gründe dafür gab es nicht so viele, Katzenliebhaberin halt.
viele Schicksalsschläge kamen, ergibt sich das halt, dass mein Inneres so Schwarz und Pessimistisch ist. Irgendwie muss ich das ja nach außen tragen. Ich war schon immer ein Mensch der seine Gefühle gezeigt hat und warum dann nicht durch Kleidung.
Seit wann trägst Du ´schwarz´ und wie hat sich das entwickelt? Mit 14 hat sich das dann heraus kristallisiert, dass ich Schwarzträgerin bin, weil ich da Marilon Manson Fan geworden bin, der ja auch so ein bisschen den Stil verkörpert. Ich hab mich schon immer dunkel angezogen, weil schwarz eine sehr einfache und natürliche Farbe ist, das fand ich schon immer toll. Also andere Farben gibts gar nicht bei mir im Kleiderschrank. Höchstens mal weiß oder ganz, ganz, ganz selten wirklich grau oder so. Meistens immer nur kalte und dunkle Farben, da fällt man nicht so mit auf.
Was sind die stärksten Vorurteile, mit denen Du zu kämpfen hast? Der ausschlaggebende Grund ist wohl, dass viele denken, ich trage schwarz, umgedrehte Kreuze und Nietenhalsbänder, deswegen bin ich auch gleich böse, gehe Nachts auf Friedhöfe und grabe da, keine Ahnung den Friedhof um oder so. Dem ist natürlich nicht so. Ich bin ein ganz normaler Mensch. Ich steh morgens früh auf und geh Abends spät ins Bett oder so. Ich Esse, ich trinke und hab ganz normale Hobbys wie andere auch. Ich scheue nicht das Licht, auch wenn ich den Sommer nicht sonderlich mag. Das liegt aber nur daran, dass ich die Wärme nicht so mag. Die dunkleren Jahreszeiten gefallen mir auch besser, weil das auch ein Ding der äußeren Erscheinung ist. Das passt einfach besser zu mir.
Was war für Dich das Beeindruckendste daran? Das war die Vielfältigkeit, weil es im Gothic-Stil ja nicht nur den ganz normalen Goth gibt, sondern auch den Stil des Romantik-Gothic, das sind halt die die Rüschen tragen und Langärmeliges, meistens bis oben zugeschnürt mit den ganzen Korsetts. Dann gibts den Cyber-Gothic. Das ist ja auch mit schwarz verbunden aber trotzdem bunt, schrill und futuristisch. Den Vampir Look gibt es auch noch, der ist ein bisschen so (...) aus den alten Zeiten her und natürlich den Gothic-Metal, der auch noch heraussticht, aufgrund von Extreme und so was halt. Welchen Stil bevorzugst Du? Mein Favorit ist so ein Mischmasch aus Extrem- und Altgothic, also Romantik-Gothic, weil sich das am besten kombinieren lässt. Halt von den Korsetts her und mit den Netzoberteilen. Fällt es Dir schwer, Dich der Gesellschaft anzupassen? Also schwierig ist es nicht unbedingt. Man stößt halt viel auf Unverständnis, weil viele nicht verstehen, warum trägt man ein Korsett, wenn wir doch nicht mehr im 18. Jahrhundert sind. Durchgehend gibt es eher positive Resonanzen, aber wirklich auch beleidigende, die dann wirklich sagen: „Oh Nein! Warum trägt sie denn sowas?“. Und das man gar nicht auffallen will, dass sehen die meisten gar nicht. Es geht ja eigentlich nur darum, sein Inneres nach Außen zu tragen. Aber siehst Du denn auch immer alles so schwarz? Also dadurch das aus meiner Vergangenheit ziemlich EPICULTURA #2013
Wann ist für Dich die beste Zeit des Tages? Das ist für mich die Nacht. Ich arbeite nachts unheimlich gerne, gerade an Geschichten, Bildbearbeitung oder halt auch an Videos, die ich selber gestalte. Die Nacht strahlt eine unheimliche Ruhe aus, besonders wenn Vollmond ist. Wenn andere schlafen, kann ich mich sehr gut konzentrieren, weil mich keine Außeneinflüsse ablenken. Keine Autos oder Kindergeschrei, sondern alles liegt ruhig. Am liebsten arbeite ich dann am offenen Fenster, weil ich die Ruhe, die die Nacht umgibt, sehr inspirierend finde. Du hast doch sicher Vorbilder. Mit wem würdest Du Dich am ehesten vergleichen? Ich vergleiche mich am ehesten mit Marilon Manson. Das liegt daran, dass ich schon lange Fan von ihm bin, auch schon bevor das mit dem Gothic-Stil angefangen hat. Ich finde, wir sind uns in Form unserer Weltanschauung und künstlerischen Freiheit schon sehr ähnlich. Marilon Manson ist ein Typ, der auch sein Inneres nach Außen trägt, aber im Hintergrund, wenn er nicht in der Öffentlichkeit steht, eigentlich ein ganz normaler Mensch ist. Der sicher auch Fehler hat aber bestimmt auch sehr gute Seiten. Wenn Du die Chance hättest einen Blick in die Zukunft zu werfen, würde es Dich interessieren, wo Du in 10 Jahren stehst? Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich das schon
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INTERVIEW > KITTY KAHLOHR
machen. Einfach aus dem Grund, dass ich ein ziemlich neugieriger Mensch bin. Auf der anderen Seite denke ich mir aber auch, dass es nicht so gut wäre. Man lebt ja heute und im Jetzt und nicht irgendwann in 10 Jahren und was dann halt in 10 Jahren ist, sollte einen gerade jungen Menschen nicht so wirklich interessieren.Wenn ich an die Zukunft denke, habe ich aber keinen richtigen Wunsch oder so. Ich würde mich gerne noch künstlerischer ausleben, irgendwie und auch irgendwann davon leben können. Ich denke, dass ist so das Wichtigste. Ich muss mir nicht viel leisten können, vielleicht mal neue Klamotten oder ein paar Grundbedürfnisse, damit ich mal weggehen kann, aber in Urlaub oder so, dass muss ich nicht. Fällt es Dir einfacher etwas anzufangen oder zu beenden? Für mich ist es schwieriger etwas anzufangen, weil ich immer ganz, ganz viele Ideen habe, aber bei dem ganzen Gedankenfluss nicht hinterher komme alle umzusetzen. Manchmal finde ich nicht den richtigen Antrieb und dann wird gern mal wieder was verworfen. Wann bist Du am kreativsten? Ich bin eigentlich vom Charakter her ein sehr ruhiger Mensch und ich finde, wenn es ruhig ist, in meinem Leben und meiner Gesamtsituation, kann ich viel besser Arbeiten. Das heißt Fotografieren oder fotografiert werden oder auch Geschichten schreiben. Ich finde, da kann ich immer ein bisschen besser Arbeiten. Habe ich gerade Krisen im Leben, sowie zur Zeit mit meiner Arbeitslosigkeit, dann ist das halt so, dass ich da nicht so kreativ bin und auch nicht die Ruhe finde, mich hinzusetzen zu schreiben, obwohl ich ja schon Zeit habe. Der Kopf ist nicht frei für Phantasie, finde ich. Wovon handeln Deine Geschichten? Die Kurzgeschichten, die ich schreibe handeln überwiegend von Verlust und unerkannter Liebe oder manchmal auch vom Tod. Ich lasse oft auch persönliche Dinge mit einfließen, weil ich finde, dass gerade bei Geschichten oder auch bei Bildern, das persönliche Eigenbild erkennbar sein sollte. Genauso ist es mit dem Schreibstil, der auch hervorstechen sollte. Worin liegen Deine Schwächen? Meine Schwächen liegen garantiert darin, dass ich zu hilfsbereit bin. Besonders bei Menschen, die mir wirklich am Herzen liegen. Wenn die gerade ein Problem haben, schieb ich mein Problem immer nach hinten und versuche auf Biegen und Brechen denen zu helfen, auch wenn die das eigentlich gar nicht direkt zeigen, dass sie Hilfe benötigen. Ich versuche dann aber trotzdem zu helfen und das stößt bei manchen auch schnell auf Ablehnung. So von Anfang an heißt es dann: „Das sind meine Probleme. Was kümmerst du dich jetzt darum?“, obwohl ich es ja nur gut gemeint habe. Die meisten Menschen, die ich in mein Leben lasse, die finden das aber gut und wissen das auch sehr zu schätzen. Also ist es gleichzeitig eine Schwäche und auch eine meiner Stärken. L: Ein Goth zu sein bedeutet mehr als nur Schwarz zu tragen.
Welchen Versuchungen kannst Du einfach nicht widerstehen? Ganz klar Piercings und Tattoos, weil ich finde, dass es einfach interessante Geschichten sind, die dahinter
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INTERVIEW > KITTY KAHLOHR
stecken. Es gibt ja Menschen die lassen sich wahllos irgendwelche Bilder in die Haut stecken, weil sie es halt schön finden und meine Tattoos, die zwei die ich habe, die haben halt beide eine Bedeutung. Das eine ne Positivere und das andere ne Negative. Obwohl man negative Erinnerung ja eigentlich nicht so gerne mit sich herumträgt, finde ich aber, dass auch sie positiv auf mich eingewirkt haben. Ich denke auch, dass man den Körper wie eine Leinwand ansehen sollte, die man selber gestaltet kann oder warum steht es mir nicht frei meinen Körper zu gestalten, wie ich es will? Warum darf ich mir meine Lebensgeschichte, die eh schon mit Schmerzen an mich gebunden ist, nicht auch noch unter die Haut stechen lassen? Sie gehört doch zu mir. Entscheidest Du Dich sonst auch eher für das Aufregende, anstatt dem Vernünftigen? Ich entscheide mich definitiv immer für das Aufregendere, weil würde ich mich immer nur darauf verlassen, was das Gute ist und was der einfachere Weg ist, ich denke, dann läuft man halt mit Scheuklappen durch die Welt und denkt sich so: „Nein, ich lass es jetzt nicht an mich ran! Ich gehe lieber den einfachen Weg!“ Hätte ich damals in der Schule den einfacheren Weg gewählt, wäre ich höchst wahrscheinlich heute nicht mehr am Leben, weil durch die Mobbing-Attacken die ich damals erfahren musste, war das schon wirklich so weit, dass ich gesagt habe: „Ich hab keinen Spaß mehr am Leben, ich beende das jetzt und hier“, bis mir dann wirklich jemand den schwierigeren Weg aufgezeigt hat. Ich habe ihn genutzt und wie man sieht auch erfolgreich. Was meinst Du, was sind die Gründe dafür, dass bereits Kinder dazu neigen andere zu mobben? Das kann sein, dass man sowie ich mit einer anderen Weltanschauung oder auch mit einem anderen Kleidungsstil mitten in diese Scheuklappenwelt platzt. Ja auch wenn man total die ruhige Person ist, wird man schnell zur Zielscheibe. Ich denke, dass ist so der ausschlaggebendste Grund, gerade für Jugendliche die sich noch in der Findungsphase befinden. Sie bekommen vom Elternhaus schon dieses konservative Scheuklappendenken vorgelebt und wenn das jemand kaputt macht, dann fühlen die sich verletzt und ängstlich. Um diese Angst auszugleichen, fangen sie dann an zu mobben oder halt andere zu Verletzen, um sich diese Stärke wieder anzueignen. Gibt es auch Leute, die keine Angst vor Dir haben und Dich eher interssiert ansprechen? Ja das kommt auch vor. Ich war mit meiner Mutter EPICULTURA #2013
unterwegs, ganz normal in der Stadt. Privat, bin ich halt immer als Gothi zu erkennen, sei es an meinen Ketten oder allein am Kleidungsstil. Das positive war jedenfalls daran, dass wir durch die Stadt gegangen sind und alle anderen Leute mich komisch angeguckt haben, aber eine wirklich etwas ältere Dame zu mir gekommen ist und gesagt hat: „Ja Mensch, ihren Stil find ja ich gut. Sie heben sich von der Masse ab und ihnen steht das noch so gut.“. Das fand ich wirklich super, dass sie nicht sowie die anderen an mir vorbei gegangen ist, sondern interessiert an mir war und sich auch wirklich die Zeit genommen hat. Ich finde eh, man sollte sich allgemein mehr für seine Mitmenschen interessieren. Jeder trägt sein eigenes Päckchen durchs Leben, jeder hat seine eigene Geschichte und warum muss man die alleine mit sich rumtragen, warum kann man sich das nicht mit anderen teilen? Irgendwie so, dass man sich austauscht. Gerade das machen doch Erfahrungswerte aus. Das ist wirklich eine schöne Ansicht und diesmal gar nicht mal so negativ. Ich finde es sowieso ganz wichtig, dass man nicht immer nur das Negative im Leben sieht, sondern auch die guten Seiten. Das mag sich widersprechen, mit dem was ich vorher gesagt habe, aber ich finde auch, dass das Leben nicht immer nur negativ sein kann. Egal wie es momentan bei mir läuft und gerade ist es ja nicht so wunderbar, aber das muss man dann leider in Kauf nehmen. Warum soll ich aus dem Negativen, nichts Positives ziehen? Deswegen habe ich auch damit angefangen, Bilder von mir machen zu lassen, weil ich immer denke (...) Warum nicht! Es stärkt ungemein das Selbstbewusstsein und man bietet der Gesellschaft schon Parole, indem wie man sich so wie ich zB kleidet, es auf Bildern festhält und im Internet veröffentlicht und sagt: „Hier! So und jetzt?“ Gerade das finde ich sehr schade, dass sich das nicht mehr Leute trauen. Auch wenn man vielleicht nicht so viel Geld hat, man kann sich immer irgendwie außergewöhnlich kleiden oder vernünftig kleiden, wie man das halt sehen will. Ich finde sowieso, dass Menschen im allgemeinen sehr interessant sind, egal wie sie aussehen. Man kann schon sehr viel vom ihnen lernen, indem man sich in ein Café setzt und die Leute beobachtet. Das finde ich immer sehr interessant. Hast Du denn nur Freunde aus der Szene? Überwiegend nur aus der Gothic-Szene, weil Gleich und Gleich gesellt sich gern. Ich sag das jetzt mal so, jeder der ein vernünftiger Gothic ist, sich nicht nur wegen dem Kleidungsstil so bezeichnet, sondern wirklich auch einen Hintergrund und eine feste Geschichte dahinter
R: Sie steht auf Nietenhalsbänder, Piercings und ungewöhnliches Make-Up.
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INTERVIEW > KITTY KAHLOHR
besteht, der kann das auch nur wirklich verstehen. Es gibt ja auch Jugendliche, die noch in der Findungsphase sind und dann sagen: „Ich kleide mich jetzt mal schwarz, einfach weil ich es mag“, dann aber in zwei Jahren wieder total konservativ rumlaufen und sagen: „Nein, würde ich niemals wieder machen“. Ich habe zwar auch Leute, die nicht diesen Kleidungsstil und nicht die gleichen Ansichten teilen, aber das sind halt sehr, sehr wenige. Die Menschen, die mit mir in Kontakt treten, sind dann halt offene Menschen und Freigeister, sag ich mal, die wirklich diese Scheuklappen abgelegt haben, obwohl sie selber nicht so rumlaufen. Wie hoch ist Deine Toletanzgrenze? Also ich würde nie zu einem Menschen hingehen und sagen: „Du bist hässlich, weil du anders aussiehst“, sondern ich würde es erst mal hinterfragen und dann kann man ja immer noch sagen: „Ja gut, ist schon ein bisschen eigenartig“. Also meine Toleranzgrenze ist schon sehr hoch, was ich jedoch nicht toleriere ist Tierquälerei und halt dieses nazihafte, also das auf der rechten Seite stehen. Zum einen finde, dass Leute die Tiere quälen, naja, ich finde es nicht asozial aber einfach minderwertig, weil jede Kreatur ein Recht auf Leben hat und warum soll ich dieses Leben kaputt machen und zerstören, indem ich meinetwegen den Baum mit dem Nest da oben fälle oder meinen Hund oder die Katze schlage, nur weil sie was falsch gemacht haben. Auch mit Tieren kann man verbal kommunizieren und ich finde sowieso, dass Tiere des Menschen besserer Freund sind, weil sie einen lieben so wie man ist und nicht wie man aussieht. Tiere erkennen die Herzlichkeit im Menschen. (...) Ja und bei den Nazis glaub ich, da muss man nicht viel drüber reden. Das sind halt Menschen, die irgendwo stehen geblieben oder nur Mitläufer sind. Die Gruppierungen sind ja gerade in Deutschland schon sehr groß. Sie fühlen sich nur sicher, wenn sie zusammen sind. Getreu dem Motto ´Zusammen sind wir stark´, aber wenn sie alleine sind laufen sie sogar schon weg, wenn so ein kleiner Grufti wie ich an ihnen vorbei läuft und einfach nur die Hand hebt, weil sie irgendwie eine Haarsträhne im Gesicht hat.
L: Kitty inszeniert sich gerne selbst, die Posen übt sie vorher ein.
Wovor hast Du denn so Angst? Ja vielleicht (...) nicht geliebt zu werden. Ich hab immer so im Hinterkopf, oh scheiße, wenn du das jetzt machst, dann wenden sich die Menschen, die dir lieb sind und am Herzen liegen, von dir ab. Ich weiß zwar schon, dass das nicht so ist, weil die Menschen die ich in mein Leben lasse schon so gepolt sind, dass sie nicht einfach so aus meinem Leben verschwinden, egal was ich mache. Ich bin halt der Meinung, man sollte nicht jeden Menschen in sein Leben lassen. Ich sortiere sehr viele Menschen aus, weil ich finde, dass ich die Menschen die mir selbst nicht gut tun, auch nicht in mein Leben lassen muss. Also ich habe sie an meinem Leben teilhaben lassen, ein Stück, aber ich bin mir selbst der Nächste und ich glaube, das müssen viele Menschen noch lernen, das zu verinnerlichen. Meine größte Angst ist aber irgendwann zu sterben ohne, dass ich wirklich die Macht darüber habe, selber entscheiden zu können, ob ich aus dem Leben scheiden will oder nicht. Sei es durch einen Unfall oder durch meine Krankheit. Ich habe ja Schuppenflechte und das wird in der Medizin zwar als Hautkrankheit anerkannt, kann
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L: Ein Gothic zu sein bedeutet sein Inneres nach Außen zu kehren. R: Die kühleren Jahreszeiten passen von daher besser zu dieser Lebensweise.
EPICULTURA #2013
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INTERVIEW > KITTY KAHLOHR
aber auch im schlimmsten Fall zum Leben am Limit führen. Zum Glück ist das bei mir nicht so schlimm, aber es ist halt so, dass ich selber über mein Leben bestimmen möchte. Viele Menschen verpöhnen es, dass Sterbehilfe geleistet wird, aber ich finde das gut, dass die anderen Länder so was frei entscheiden lassen. Ich finde, dass jeder Mensch das Recht haben sollte über sich selbst zu bestimmen und wenn man wirklich keinen Ausweg mehr aus der Misere sieht, auch sagen kann: „Ab hier ist Schluss, ich möchte gerne aus dem Leben scheiden.“ Man kann doch keinen Mensch zwingen zu leben.
FREIHEIT IST MIR WICHTIGER ALS GELD
Das ist natürlich ein Thema mit dem wir uns alle mehr beschäftigen sollten. Inwieweit hast du mit deiner Schuppenflechte zu kämpfen? Also ich kann da ganz gut mit leben. Viele sagen zwar, du musst zum Hautarzt, du musst das bestrahlen lassen, aber ich finde die Medikamente die es dagegen gibt, die dämmen das zwar ein und können es auch ganz unterdrücken, aber solange es nicht schlimmer wird, muss ich diese Medikamente auch nicht nehmen. Sie ziehen einfach Nebenwirkungen mit sich, die muss ich nicht unbedingt haben. Ich muss mir nicht meinen Körper mit Medikamenten kaputt machen, ich find es schon schlimm genug, dass ich rauche. Das wären wieder ein Punkt, an dem es einfacher fällt, etwas zu beenden. Wünscht du dir manchmal Gedanken lesen zu können? Na teils teils. Bei manchen Menschen hätte ich das gut gefunden, zB bei denen die mittlerweile wieder aus meinem Leben verschwunden sind. Da wäre das wirklich besser gewesen, mal in die Köpfe rein zugucken. Was haben die für Gedanken, wenn sie dir jetzt gegenüber stehen und lügen sie dich an oder stehen sie wirklich hinter dem was sie meinen. Die hätte ich dann natürlich nicht in mein Leben gelassen, aber bei manchen Menschen denke ich auch, dass es gut so war, dass ich sie vorher nicht gelesen habe. So kann man sich besser auf sie einlassen. Gibt es Fakten, die du aus deiner Biografie streichen würdest? Also, wenn ich über mein Leben schreiben würde, dann würde ich alles beschreiben, weil ich finde, egal welche Fehler man gemacht hat, ob der Weg jetzt einfach war oder nicht, sie gehören einfach dazu. Menschen wachsen an Erfahrungen und diese Erfahrungen kann man nur machen, wenn man entweder gut oder schlecht gehandelt hat. Ja auch wenn ich mir im Nachhinein sage: „Scheiße, das hättest du nicht machen sollen“. Egal, ich habe damals viel Mist gebaut, habe Drogen genommen und dachte, dass das wahre Freunde sind, wenn ich mit denen auf der Straße rumhänge und mich total zulaufen lasse. Das habe ich damals wirklich geglaubt, dass mich die Leute erst dann akzeptieren und angucken. Also ich würde das nicht aus meinem Leben streichen, weil ich nichts bereue. Ich habe daraus gelernt.
L: Als Künstlerin schlüpft sie gerne in andere Rollen.
Jetzt wird es dramatisch: Was wäre für dich schlimmer, Blind oder Taub zu sein? Also ich finde beides gleich schlimm. Die Blindheit auf einer Seite natürlich, weil ich dann einfach nicht mehr die Welt wahr nehmen könnte. Die ganzen Facetten, die Menschen die mir begegnen. Ich könnte sie nur noch
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INTERVIEW > KITTY KAHLOHR
spüren und mich nur noch auf mein Gefühl verlassen. Taub zu sein, wäre für mich ein Stück weit schlimmer, weil die Musik in meinem Leben eine ganz, ganz große Rolle spielt, was ja auch mit Kunst zu tun hat und ich glaube, würde ich nicht mehr hören können, wäre das auch so ein Grund warum ich freiwillig aus dem Leben scheiden wollen würde. Musik ist halt ein ganz großer Bestandteil von mir und warum soll ich noch weiter Leben, wenn ich diesen Bestandteil nicht mehr hab, wenn´s sich nicht mehr lohnt? Gerade wenn man künstlerisch veranlagt ist, sag ich mal. Musik ist und war für mich immer ein Ventil, egal ob ich sauer war oder fröhlich bin, ob es mir jetzt richtig mies geht oder nicht, das ich halt ein wichtiger Aspekt. Also das wäre für mich am Schlimmsten. Was war das beste Ereignis Deines Lebens? Das beste Ereignis meines ganzen Lebens war wirklich, dass ich dieses Jahr endlich Bescheid bekommen habe, dass ich meinen Hauptschulabschluss geschafft habe und auch wirklich gut geschafft habe, weil ich wirklich in Mathe eine Schwäche hab. Ich brauche elendig lange. Als sich dann heraus kam, dass ich es geschafft habe und auch noch mit ´nem sehr guten Notendurchschnitt, also das war wirklich so das erste Mal das ich im Leben das Gefühl hatte: „Jetzt endlich hast du was erreicht!“, auch wenn das jetzt nur der Hauptschulabschluss ist, aber ich hab was erreicht. Das war wirklich ein Ereignis, dass sich eingeprägt hat und ich auch denke, dass sich das eine Jahr wirklich gelohnt hat. In welchem Film hättest Du gerne eine Rolle gespielt? Interview mit einem Vampir, da hätte ich gerne die Claudia gespielt. Das ist die Rolle eines kleinen Kindes, dessen Mutter an der Pest stirbt. Da sie wehrlos und Unschuld ist, wird sie von einem Vampir gerettet, indem er sie auch in einen Vampir verwandelt. Was mich an dieser Figur so fasziniert ist, dass sie aufgrund dieser Unschuld, dazu gezwungen ist, in die Rolle eines Vampirs zu schlüpfen, gefangen in ihrem kindlichen Körper, obwohl ihr Geist natürlich reift. Was für eine großartige Schauspielerin sie für ihr Alter war. Was war der verrückteste Plan, den Du je hattest? Oh Gott, da gibt es so viele, (...) aber der verrückteste Plan ist glaube ich wirklich, das ich mich dazu entschieden habe freischaffende Künstlerin zu werden. Das war wirklich so einer der vielen Momente wo mich alles angekotzt hat. Ich möchte keine normale Ausbildung machen, ich möchte durch Sachen auffallen, die ich wirklich selber erschaffen habe und wo ich auch 100%ig hinter stehe. Ich denke, das war der Verrückteste, weil alle mich für total bekloppt gehalten haben, dass ich mich vor die Kamera stelle. Mit den Outfits, die verrücktesten Sachen vor der Kamera mache, mit Kunstblut hantiere und so was halt alles. Mir ist wichtig, dass ich durch Bilder EPICULTURA #2013
begeistern kann und ich denke, dass war genau das was mir viele nicht zugetraut haben. Ich war ein Mensch der lange kein Selbstbewusstsein hatte, immer zurück gezogen lebte und nichts an sich ran gelassen hat. Als das dann raus kam, war das wirklich so: „Scheiße! Sie hat das ja doch gemacht“ und „Sie steht tatsächlich vor der Kamera.“ Na noch verdiene ich damit kein Geld, aber das ist mir noch gar nicht wichtig. Für mich ist es wichtiger, dass ich frei Leben kann, dass ich selbst über mich bestimmen kann. Wenn ich die Sachen nicht machen will, will ich sie nicht machen. Das ich halt keinen nervigen Chef im Hintergrund hab, der dann sagt: „Jetzt hört´s hier aber auf!“oder „Du musst das aber so und so machen“, sondern das ich wirklich für mich entscheiden kann. Wenn mein Bauchgefühl mir sagt, das machst du nicht, du fühlst dich unwohl, dass ich dann auch wirklich darauf hör. Das ist wirklich eine Sache bei der ich denke, ich verdiene zwar noch kein Geld, aber es lässt sich weiterhin ausbauen und ich bin frei und ich kann als freier Mensch entscheiden, was ich machen will. Auch wenn das mit sich bringt, das ich halt nicht so viel Geld hab. Mir ist Freiheit wichtiger als Geld. Woher kommt Dein Freiheitsdrang? Interessierst Du Dich auch für Geschichte? Da gibt es so einige Ereignisse, die mich schon in der Schule interessiert haben. Ich tendiere da stark zur Französischen Revolution. Ich wäre gerne dabei gewesen, als die Menschen um ihre Freiheit gekämpft haben, wirklich ´nen Schlussstrich ziehen und selbstständiger und die Menschheit freier gestalten wollten. Und welches geschichtliche Ereignis, hätte so nie stattfinden dürfen? Den Zweiten Weltkrieg, weil ich glaube, dass ist wirklich ein Thema, dass berührt und betrifft mich bis heute, obwohl das nicht in meiner Zeit war. So wie es ausgegangen ist, dass so viele Menschen mutmaßlich umgebracht und wirklich mit dem Wissen umgebracht wurden, sie könnten die Welt verändern. Nur weil irgendwelche Leute das nicht wollten, haben sie sie in Konzentrationslager gesteckt und umgebracht. Das darf nicht sein sowas, weil jeder Mensch dazu beitragen kann die Welt zu verändern. Man kann über alles reden, hätte andere Lösungen finden können, anstatt das Problem, das im diesem Fall die Juden dargestellt haben, einfach zu beseitigen. Ein Problem beseitigen ist ja einfach, aber man sieht ja bis heute, dass uns das Jahrzehnte danach noch nachgetragen wird. Heute würden wir sagen: „Ein Geisteskranker ist an die Macht gekommen und hat sich das zum Vorteil gemacht.“ Ich danke Dir sehr, dass wir Dich kennenlernen durfen. Viel Spaß und Erfolg auch weiterhin bei Deinen Projekten! Audio Interview Kitty Kahlohr Nr. 01
R: Ihr Outfit kombiniert sie aus verschiedenen Stilen.
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„DER KAMPF MIT SICH SELBER, IST DER SCHWERSTE“
INTERVIEW > FRANZISKA
DANI UND FRANZI MUSSTE ICH ERST MAL DIE HALBE WANDSBEKER CHAUSSEE NACHLAUFEN, BEVOR ICH SIE EINGEHOLT HATTE. MICH WUNDERT´S NICHT, WIE DIE BEIDEN GESCHAUT HABEN, ALS ICH VÖLLIG AUS DER PUSTE UND MIT FLIP FLOPS IN DER HAND, VOR IHNEN STAND. NICHTS NICHTS DESTO TROTZ, DURFTE ICH EIN FOTO MACHEN UND DIE ´IRON SISTERS´ IN IHREM FITNESS- UND BODYBUILDING-CLUBS IN HAMBURG BESUCHEN. DAS SIE HIER DIE EINZIGEN FRAUEN SIND, STÖRT EIGENTLICH NIEMANDEN, SPORNT VIELLEICHT NUR NOCH EIN WENIG AN.
FRANZISKA METTNER Einzelhandelskauffrau beim Juwelier
Jedes Mal, wenn ich Dich sehe, kommst Du gerade oder gehst noch zum Sport. Wie ist es überhaupt dazu gekommen? Zum Sport kam ich eigentlich durch meine Familie. Mein Großvater war Boxer, Ringer und Turner. Fechten und Reiten war auch alles dabei. Als kleines Kind wurde es dann auch bei mir gefördert, dass Sport halt dazu gehört. Auf Helgoland habe ich Leichtathletik gemacht, speziell Laufen und Springen waren meine Stärken und darin wurde ich dann extrem unterstützt. Mein Sportlehrer hat das früh erkannt. Er hat Potenzial in mir gesehen und meinte immer: „Aus der kann sportlich was werden. Das kleine Mädchen fördern wir mal n bisschen“. So fing das auch schon an mit dem Sport und als man dann als kleines Kind die Helden gesehen hat, sowie He-Man, She-Ra und die Ninja Turtles, die waren ja alle schon durchtrainiert und haben etwas Gutes getan. Das hat mich damals schon bewegt Sport zu machen und ist bis heute geblieben. Kraftsport mache ich jetzt regelmäßig seit 4 Jahren, seitdem halt intensiver. Ich habe mich irgendwann bei McFit angemeldet und dann so larifari kraftsporttechnisch ohne Plan drauf los trainiert. Durch meinen Freund habe ich gelernt wie man richtig trainiert und sich auch richtig ernährt. Das mache ich nun intensiv seit dreieinhalb bis vier Jahren, speziell für Wettkämpfe dann auch. Du hast auf Helgoland gelebt, bist du da geboren? Da komme ich her, da bin ich auch aufgewachsen. Meine Mutter kommt aus Hamburg und dann sind wir wegen meinem Asthma nach Helgoland gezogen. Die bessere Luft tat mir gut und dann war ich auch schnell wieder gesund. Als ich so 12 Jahre alt war, sind wir dann wieder zurück in die Stadt gezogen. Es war eine schöne Zeit, aber vermissen tuh ich Helgoland nicht. Als Kind kann man da schon gut aufwachsen, aber wegen einer Ausbildung und Schule muss man einfach weg ziehen. Man hat sonst keine Perspektive.
EPICULTURA #2013
Wie kommen Kollegen und Vorgesetze mit Dir auf der Arbeit zurecht? Ich arbeite beim Juwelier. Am Anfang war es schwierig und hatte halt schon ein wenig Probleme mit meiner Figur bereitet. Es wurde mal indirekt angesprochen, dann hieß es: „Ziehen sie sich bitte langärmlige Sachen an“, und „bitte nicht so Figurbetont“. Man müsse sich ja an die Richtlinien halten. Man wird allein aufgrund dessen diskriminiert, dass man schon anders aussieht und man muss natürlich auch immer mehr Leistung bringen als andere. Aber ich liebe meinen Job und habe mich da durchgekämpft. Ich wollte da schon immer arbeiten und jetzt werde ich auch akzeptiert. Klar Klamottentechnisch ziehe ich mich schon seriös an und ich möchte ja auch nicht, dass man das so offensichtlich sieht. Ich achte da schon drauf und meine Kollegen stehen da auch alle hinter mir. Die wichtigste Lektion dabei ist, dass man sich schon anpassen muss. Mit welchen Vorurteilen hast du zu kämpfen? Also man wird fast jeden Tag angesprochen, aber bis jetzt eigentlich immer nur positiv. Man wird nach Tipps gefragt oder die Leute wollen einen anfassen, am Arm oder am Bein zB. Viele denken aber ja auch, dass Bodybuilding oder halt Frauen und Männer mit Muskeln immer gleich kriminell oder Schläger sind, keinen Job haben oder wenn doch, dann nur im Fitnessstudio arbeiten oder an der Tür. Es wird zumindest immer als minderwertig von der Gesellschaft angesehen. Das ist sehr schade. Ich hatte schon Begegnungen, da kam jemand neues ins Fitnessstudio und sieht mich dann beim Juwelier Christ. Irgendwie schon komisch. Erklären dich manche sogar für verrückt? Als Frau mit dem Sport anzufangen, bei den ganzen Vorurteilen, ja! Man stellt sich ja wirklich gegen Menschenmengen. Klar gibt es auch andere Frauen die Sport machen, aber wir sind schon eher Randgruppen. Also ich glaube in ganz Deutschland, gibt es vielleicht höchstens 20 Frauen, die diesen Sport betreiben. Zur deutschen Meisterschaft, waren nur 6 Frauen dabei, aber hunderte Männer.
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L: Danila arbeitet im Labor und trägt sonst einen weißen Kittel. R: Zur Zeit bereitet sie sich auf einen Wettkampf vor und trainiert besonders hart.
EPICULTURA #2013
EPICULTURA #2013
INTERVIEW > FRANZISKA
L: Alex hat es nicht nur in den Armen, sondern auch im Kopf.
Wie geht das andere Geschlecht damit um? Das ist sehr unterschiedlich. Die einen finden es eher abstoßend, die anderen beeindruckend. Manche finden es vielleicht auch attraktiv, aber die meisten die mit mir sprechen , sind halt Sportler Männer und die finden einen dann eher nur beeindruckend. Sie unterhalten sich dann auch eher über die Leistung. Für die Männer sind wir ja auch irgendwie Konkurrenz und fühlen sich etwas gekränkt, wenn sie eine Frau mit solchen Muskeln sehen. Und die übrige Gesellschaft, zeigen die Leute noch mit dem Finger auf einen? Klar zeigen die Leute mit dem Finger auf einen, aber das ist denke ich, auch total normal. Wir sind doch alle Spanner, die selber mal gucken, ob man das will oder nicht. Wenn da mal was anders ist, guckt man da einfach hin. Das liegt wohl in der Natur des Menschen. Hast du denn selber Vorurteile? Ja klar, man ist ja auch schon bisschen geprägt. Ich denke jeder Mensch hat irgendwo Vorurteile. Man hat halt seine Erfahrungen gemacht zB als Teenager, als ich noch ganz schlank war. Fast jeden Tag wurde ich da in der Bahn sexuell belästigt. Es grenzt an ein Wunder, dass ich den meisten Mensch noch so nett gegenüber trete, trotz dieser Erfahrungen. Also bist Du recht gesellschaftsfähig? Oft wirke ich auf andere Menschen eher introvertiert, aber wer mich kennt der weiß, dass ich total nett und lustig bin und auch gerne Späße mache. Meistens ist es mir, aber unter zu vielen Menschen, doch zu viel. Was war das netteste, dass Du in letzter Zeit zu hören bekommen hast? Die meisten sagen: „super Figur“ und Fremde loben mich wegen dem Sport: „Top Leistung“. Ein Kunde sagte letztens zu mir, dass ich seine „Heldin“ bin! Super Stichwort. Wenn Du unsichtbar wärst, wo würdest du so hingehen? Wenn ich unsichtbar wäre, würde mich eigentlich gar nichts weiter interessieren. Ich bin zufrieden mit dem was ich weiß und Gedanken möchte ich auch nicht lesen können. Fliegen wäre vielleicht toll. Ja, fliegen wäre super, um ´Super Woman´ zu sein und die Welt zu retten, das hätte doch was. Das kann man sich bei Dir sogar sehr gut vorstellen. Wie Risikofreudig bist du? Eigentlich entscheide ich mich immer fürs Richtige. Also ich würde behaupten, ich bin schon relativ vernünftig. Ich würde nie Bungee-Jumping oder so machen, ich hab ja nun leider keine Superkräfte. Mein Freund hat sich jetzt ein Motorrad geholt, der kann auch fahren aber hat schon ein paar Jahre nicht mehr auf dem Bock gesessen. Da macht man sich natürlich Sorgen. Beim Abholen seines Motorrads, wollte ich dann mitfahren und hab zu ihm gesagt: „Lieber sterben wir zusammen, als alleine“.
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INTERVIEW > FRANZISKA
Das klingt sehr romantisch, (..) aber nicht gerade vernünftig. Das ich Alex kennengelernt habe, ist einfach das Beste was mir passiert ist. Ich wusste gleich, dass er der Mann fürs Leben ist. Klar hatte ich vorher auch schon Freunde, aber da wusste ich, die sie es nicht. Bei ihm war ich mir von Anfang an sicher. Inwieweit unterstützt ihr euch gegenseitig in euren Zielen? Er braucht eigentlich keine Unterstützung, weil er von uns beiden der Profi ist. Er hat viel mehr Disziplin was Ernährung betrifft und lässt wirklich die Finger von ungesunden Sachen. Er kann sich sehr gut zügeln und wenn er was durchzieht, dann richtig! Ernährungs- und Trainingstechnisch hat er sich alles selbst beigebracht. Habt ihr euch auch im Fitnessstudio kennengelernt? Ich bin zufällig bei MeinVz über sein Profil gestolpert, aber da ist er mir nur wegen der Figur aufgefallen. Ich hatte zwar gesehen, dass er bei McFit ist, aber auch noch eine Freundin hat und hatte dann einfach weiter geklickt. Dann hatte er mich angeschrieben. wieso ich auf sein Profil schaue und nicht mal guten Tag sage. Zwar habe ich dann kurz ein paar Sätze geschrieben, aber auch gleich gesagt: „Mensch du hast doch eine Freundin“ und da meinte er dann auch „Ja das stimmt“. Damit hatte sich das auch erst mal erledigt. Ein Jahr später hatten wir die gleiche Situation nochmal, er hatte mich wieder angeschrieben und meinte gleich, dass er keine Freundin mehr hat. So kamen wir dann in Kontakt. Na dann ging´s relativ schnell. Was mir besonders gefallen hat war, dass er mal nicht gleich versucht hat mich anzufassen oder zu küssen, sowie viele andere Männer das gleich so machen. Das fand ich toll, dieses so locker flockig, Kumpelige. Naja (...) Ich bin in die Wohnung gekommen und geblieben und das jetzt seit 3,5 Jahren.
EPICULTURA #2013
Wollt ihr auch irgendwann Kinder haben? Nein. Wir haben mal darüber nachgedacht, aber es ist in der heutigen Zeit wirklich zu schwer. A: Gehalt, B: Mieten in Hamburg und C: wo wächst das Kind auf? Wo geht es zur Schule? Ich habe selber als Teenager so viele Probleme gehabt und das möchte ich meinem Kind nicht antun. Für eine vernünftige Schulbildung müsste man sein Kind eigentlich ins Internat stecken, aber das wäre sehr teuer und man würde es kaum noch sehen. Dann lieber sein lassen. Noch ein Grund dafür ist, dass meine Mutter sehr früh gestorben ist. Ich komme aus einer Familie mit vielen Herzkreislaufproblemen und daran sind alle recht früh gestorben. Ich würde es irgendwie egoistisch finden, wenn ich ein Kind bekomme, dann früh sterben und es alleine lassen müsste. Das geht nicht. Würdest du dich trauen einen Blick in die Zukunft zu werfen? Nein, weil ich es mir nicht versauen will. Wir wissen ja nicht was kommt und wenn etwas Schlimmes passiert, dann würde bis zu dem Zeitpunkt in der Denkweise nichts positives mehr geschehen. Man wäre total unglücklich, also sollte man einfach alles auf sich zukommen lassen! Ich lebe im hier und jetzt. Ich habe schon einige Familienmitglieder verloren und mich immer wieder fragen müssen, was bringt dir die Zukunft beruflich. Und als dann halt die Mutter gestorben ist und meine Tante, da merkt man erst wie schnell das vorbei gehen kann. Gerade deine Träume und die Pläne du die schon hast, das kannst du einfach nicht steuern. Dadurch habe ich gelernt, dass ich wirklich nicht sagen kann, was morgen oder übermorgen ist. Ich mache wirklich ganz kleine Schritte und habe ganz kleine Ziele und lebe von heute auf morgen und bin damit zufrieden was ich habe. Wo liegen Deine Schwächen, welcher Versuchung kannst Du nicht widerstehen? Schokolade, Chips und Gummibärchen. Alles was zum naschen da ist, da werde ich schwach. Meine Schwäche liegt wirklich darin, dass ich was das Essen betrifft manchmal nicht so diszipliniert bin, aber das war schon immer so. Als Kind konnte ich immer essen was ich wollte, hatte ich nie Probleme damit und dann darauf zu verzichten, das ist schon schwer. Wenn man schon immer keine wirklichen Grenzen gesetzt bekommen hat und dann heißt es auf einmal Diät durchziehen und nicht mal mehr einen Gummibärchen essen, ist das hart! Der Kampf mit sich selbst, ist der schwerste Kampf! Es ist nicht der Sport oder der Wettkampf, den man besiegen muss, sondern sich selbst.
R: Franzi und Alex sind seit 3 Jahren ein Paar. N: Sowohl Privat als auch im Sport steht er immer hinter ihr.
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EPICULTURA #2013
INTERVIEW > FRANZISKA
Ist es für Dich schwieriger etwas anzufangen oder etwas zu beenden? Für mich ist Anfangen und Beenden überhaupt nicht schwierig. Wenn ich etwas anfange, dann beende ich das auch. Ich ziehe das immer Knallhart durch, darüber muss ich dann auch nicht nachdenken. Bist Du dann eher schnell und lässig oder langsam und sorgfältig? Ich bin eher schnell und sorgfältig, so arbeite ich und ziehe ich auch meine Übungen durch. Hast du Vorbilder? Ich habe zwar grob Vorbilder, schon ja, aber so wie die werde natürlich nie aussehen. Es gibt nur mein eigenes Idealbild, ich bin so total zufrieden mit mir selbst. Was ist für Dich die beste Stunde des Tages? Wenn ich vom Sport nach Hause komme und meine Fingernägel lackieren kann. Ich mag Frauensachen genauso wie andere Frauen auch. Wann läufst Du zu Bestform auf? In Bestform kommt man eher wenn man wütend ist, dann powert man sich beim Sport ein wenig mehr aus. In welchem Film hättest Du gerne die Hauptrolle gespielt? In dem Film Joe Black, aber als Frau natürlich. Obwohl der Film kein Happy-End hat, fände ich es sehr romantisch, die Seele eines Toten zu lieben. Klingt komisch, ist aber ja auch nur ein Film. Welches historischen Ereignis hättest Du gerne miterlebt? Wo die Sklaverei abgeschafft worden ist in Amerika, Südstaaten gegen Nordstaaten. Welches geschichtliche Ereignis hättest Du verhindern wollen? Der Holocaust der hätte nicht sein dürfem. Die ganzen nachfolgenden Generationen müssen heute noch darunter leiden, was damals passiert ist, obwohl sie gar nichts dafür können. Davon abgesehen, gibt so viele Kriegsverbrechen. Alle bewundern Amerika obwohl die auch nicht besser gewesen sind, aber darüber wird nie was gesagt oder kaum was im Fernsehen gezeigt. In Afrika werden immer noch Leute abgemezelt und vergewaltigt. Das wird auch nicht jedem gezeigt, aber ständig nur das eine Thema. Das regt mich echt auf, dass man da immer noch so viel zu sehen bekommt. Klar kann auch sagen: „Gut, es ist Geschichte“, aber man sollte mal Gras drüber wachsen lassen. In diesem Sinne, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg weiterhin, Euch allen natürlich! Audio Interview Franziska Nr. 02
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„FÜR ANDERE BIN ICH EIN PARADOXON“
INTERVIEW > SANDI SANDKUCHEN
SANDRA WIRD GERNE SANDI GENANNT, ABER WIE DER SAND UND NICHT DIE SANDY! WAS SIE AM LIEBSTEN TRÄGT, SIND BUNTE T-SHIRTS UND IHRE VANS, IM BÜRO HINGEGEN VERANTWORTUNG UND MANCHMAL AUCH EIN DICKES FELL. DAS SIE ZWAR METAL HÖRT, ABER NICHT IM TATTOO-STUDIO ARBEITET, KAUFT MAN IHR AUF DEN ERSTEN BLICK NICHT AB, TÄUSCHT SICH ABER SCHNELL, WENN MAN DIESES ZIERLICHE PERSÖNCHEN UNTERSCHÄTZT. WAS SIE ´IMMER WIEDER ZU HÖREN KRIEGT´ UND ´NICHT MEHR HÖREN KANN´, VERRÄT SIE UNS IM INTERVIEW.
SANDI SANDKUCHEN Groß- und Aussenhandelskauffrau
Ich hoffe, ich habe nicht zuviel verraten, aber stell Dich doch einfach selber mal vor. Ich bin Sandra und 29 Jahre alt. Ich bin in Karlsruhe geboren und dann direkt in ein kleines , verspießtes, konservatives Dorf an die Mosel gezogen und dort aufgewachsen. Ich war schon früh der Außenseiter, weil mein Auto voller Aufkleber war und ich paar Tattoos hatte. Ich war ne Attraktion. Da standen die Nachbarn schon gerne im Garten und haben geglotzt und hinter meinem Rücken gelabert. Dann bin ich da abgehauen, nach Köln gezogen, bin dann noch bissi in der Welt herumgekommen und bin jetzt in Hamburg gelandet und arbeite in der Logistik- und Auftragsabwicklung am Berliner Tor. Wie reagieren Kollegen auf Dein Äußeres? Wir haben ein sehr junges Team. Es wird zwar ab und zu mal geguckt, aber sie halten sich sehr zurück, interessiert da auch eigentlich niemanden. Ich habs aber auf anderen Arbeitsstätten natürlich auch anders erlebt, gerade bei älteren Mitarbeitern, dass da getuschelt wird, du nicht ernst genommen und anders behandelt wirst und immer der Außenseiter bist. Wie bei meinem Vater auch. Der ist in den 40er geboren. Das ist natürlich nicht einfach. (...) Bis zum letzten Tag war es für ihn total unverständlich, nicht nachvollziehbar und immer ein sehr negatives Thema, wie man sich so stark zu tätowieren kann. Wann hast Du damit angefangen? Ganz schwer zu erklären. Gesehen zum erste Mal in Zeitschriften, geh ich von aus. Wie gesagt, aufm Dorf aufgewachsen, da hatten nicht viele Leute Tätowierungen. Bands die man gut fand, hatten natürlich welche. Man war da 16 Jahre alt und fand das erst mal nur cool. Man war ein Kind, ein Jugendlicher, aber Gott sei Dank war ich nicht so naiv und hab mich mit 16 zu tätowiert. Ich hab mir irgendwie mit 17 mein Motiv übers Bett gehangen und hab mir das 2 Jahre angeguckt. Erst nach 2 Jahren hab ich gesagt: „Du findest das immer noch gut, also machst du das jetzt einfach mal. Ist ja nur eine kleine Tätowierung“. Da war ich dann 19 und es war nie geplant, dass ich jemals den Arm voll haben werde. Dann kam eine zweite, eine dritte Tätowierung und die Hemmschwelle wird irgendwann immer geringer und bevor du dich versiehst, ist der erste Arm voll. Aber ich kann es mir auch gar nicht mehr anders vorstellen. Das gehört zu mir wie Zähne putzen. Ist auch immer wieder witzig, wenn Leute Fragen stellen oder komisch kucken. Dann erinnert man sich immer erst wieder dran: „Ach stimmt, ist ja gar nicht normal. Hab ich doch glatt vergessen, dass ich ja der Außenseiter bin“. EPICULTURA #2013
Hattest Du nie Angst davor, deswegen ausgegrenzt zu werden? Ich war in der Schule schon immer ein Außenseiter, auch schon vor meinen Tätowierungen. Ich war halt so ein bisschen vorlaut, oft Ärger gehabt, hab mit den Lehrern Stress angefangen. Kam mit Autorität nicht gut klar. Hab verschiedene Phasen durchgemacht, teils war ich auch ein Metal Girl mit nem langen, schwarzen Ledermantel und schwarzen Haaren. Ob ich jetzt deswegen ausgegrenzt werde oder wegen Tätowierungen; ich glaube, wenn man schon von Anfang an, als Kind, in so einer Außenseiterrolle ist, bleibt man vielleicht sein Leben lang auch extra in der Rolle, vielleicht weil man sich da am wohlsten fühlst. Was ist die wichtigste Lektion die Du bisher gelernt hast? Hm, nichts ist wie es scheint. Im Sinne von, was die Gesellschaft über dich denkt. Du wirst schnell verurteilt. Egal ob ich in den Aldi gehe, oder in ne Bank, du wirst schnell abgehakt und in ne Schublade gesteckt. Natürlich hab ich mich auch schon dabei erwischt, dass ich genau so schnell verurteile, und abhake. Wir sind alle gleich und alles was wir nicht kennen, wollen wir erst mal nicht. „Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht.“ Da kann ich mich gar nicht von freisprechen. Findest Du es gut, wenn Dich Leute auf der Strasse ansprechen? Wenn sie wirklich interessiert sind, ist es kein Thema. Besonders bei Leuten, wo ich weiß, da ist echtes Interesse. Ne 19jährige im Club mit nem dummen: „Hi! Cooles Tattoo“ und gleich grabscht kann ich nicht ab. Dieses „anfassen“ direkt ist so mega respektlos. Was glaubst Du, woran das liegt? Also die Tätowierungen, die kurzen Haare und meine dünne Erscheinung lassen mich oft in die Lesben-Ecke stellen. Vielleicht auch HarzIV, keine Ahnung. Mir wurde schon öfter Lesbe hinterher gerufen. Ähm, viele denken vielleicht auch, ich bin asozial oder arbeite im Tätowierstudio. Aber spätestens im Gespräch, kann ich dann doch hoffentlichmit Intelligenz und Rationalität überzeugen. Dann sehen die auch ganz schnell, ich bin ganz normal, vielleicht sogar noch normaler als die selbst. Dann hab ich auch noch einen guten Bürojob, verdiene auch ganz gut, das ist dann für die erst mal ein Paradoxon. Viele finden es vielleicht interessant, wissen mich dann aber nicht direkt in eine Schublade zu stecken. Da ich ja doch spießig normal bin.
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EPICULTURA #2013
INTERVIEW > SANDI SANDKUCHEN
Fühlst Du Dich wohl in dieser Doppelrolle? Ich sag mal, wenn ich in meine Wohnung komme und die Tür zumache, sozusagen mich von der Außenwelt abschotte, da könnte ich normaler und langweiliger nicht sein. Ich mag meinen Schlaf und ich achte auf mich, ich gehe gern spazieren und (...) vögel nicht in der Gegend rum. Ich bin da echt so ein bisschen langweilig, konservativ, so ein bisschen „alte Werte“ mäßig. Also wenn ich mal eine Familie hätte, würde ich voll die Mum sein, die Kids zum Fußball fahren, mit nem weissen Zaun und allem drum und dran. Lach. Aber ich muss ja dann nicht dementsprechend aussehen.
ICH GEHE NUR VORBEI UND SIE SIND SCHON ANGEWIDERT
Hast Du viel mit Voruteilen zu kämpfen? Also ich war ja schon ein bisschen in der Welt unterwegs und ich finde Deutschland mit am Schlimmsten. Die Leute sind (...) sehr spießig und „stehen geblieben“. In den USA hab ich zB fast nur gute Erfahrungen gemacht. Äh, Vorgesetzte haben den Hals zu tätowiert, in der Bank bekommste von nem Typ mit Dreads deine Kohle ausgehändigt. Spielt da nicht so ne Rolle wie hier. Die sagen da, zeig was durch deine Leistung. Davon halte ich persönlich sehr viel, dass du durch Leistung im Job überzeugst und nicht dadurch ob du dick, tätowiert oder rothaarig bist, ob du Akne hast oder gerne Chucks trägst. Who cares? Entweder du kannst dich artikulieren, hast einen guten Lebenslauf und kannst gut was arbeiten oder halt nicht. Und gerade hier auf die Arbeit bezogen, ist es total schwierig mal eben deinen Beruf zu wechseln. Du bist so in eine Sparte gedrückt, kannst als gelernte Fotografin, nicht „mal eben“ im Hotelgewerbe anfangen oder ich kann jetzt nicht in den Frisörberuf einsteigen. In den USA oder in Neuseeland sagen die: „Komm zu nem Probetag. Wenns gut läuft, hast Du die Stelle.“ Die Gesellschaft hier hinkt sehr hinter her. Und grad einige Rentner sind echt noch krass nazimäßig drauf. Also wenn ich jetzt so in ein Altenheim gehen würde, würde mich bestimmt einer anspucken. Ich wurde auch schon an der Ampel angesprochen von nem Rentnern: „Wie sehen Sie denn aus? Wenn Sie meine Tochter wären, ich würde Sie verbrennen“. Ist sau respektlos, ich gehe doch auch nicht zu jemandem hin „Boah, dein Toupet sieht sau scheisse aus, geht gar nicht du Spasti!“ Würd ich mir niemals rausnehmen. Aber gerade ältere Leute in Deutschland haben mich bestimmt schon 14 oder 15 mal angesprochen. Richtig frech im Arztzimmer oder auf der Straße und auch immer so negativ. Einfach so geht jemand an mir vorbei: „Sie sehen aus wie ein Affe, lächerlich. Ekelahft“. Und ich denke: „Häh?“. Ich hab nichts getan, weißte, ist krass. Die fühlen sich durch meine bloße Gegenwart angegriffen. Allein durch Deine Erscheinung? Ja, kommt mir so vor. Ich tu denen doch nichts. Wenn ich jetzt mit einer Bierflasche, spuckend und rauchend an denen vorbei ziehen würde, noch ihr Kind umboxe, okay. Aber ich gehe da vorbei, lalalala mit meinem pinken Rucksack, Musik in den Ohren, und die sind, du siehst es denen an, „angewidert“.
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INTERVIEW > SANDI SANDKUCHEN
GIVING UP, HURTS THE MOST
Jetzt haben wir von ziemlich schlechten Erfahrungen gehört. Wie sieht es aus mit Positiven? Was war so das Netteste, dass man zu dir gesagt hat? Also auf Tätowierungen bezogen, fällt mir nichts ein. Positiv ist es nur für mich alleine, weil mir meine Tätowierungen was bedeuten und für was stehen und meine Persönlickeit unterstreichen. Und das soll ja auch nur mir etwas geben und nicht anderen Leuten. Im Winter hat man mehr seine Ruhe, weil man weniger davon sieht. Hast Du Vorbilder oder gibt es einen Menschen mit dem Du Dich gerne vergleichen würdest? Also „Vorbilder,“ in dem Sinne eher nit, aber meine Schwester ist für mich ein tolles Beispiel, weil sie ein sehr gechillter, ausgeglichener Mensch ist. In vielen Momenten erwische ich mich wo ich lieber wie sie handeln würde. Man verfällt schnell in alte Muster. Ich finde sie für ihr Alter sehr reif, in vielen Dingen im Leben stehend. Auch Beziehungstechnisch ist sie mir um einiges voraus. Wenn ich noch mal eine Beziehung in meinem Leben haben sollte, dann nur so. Auf so halbe Kompromisse lasse ich mich nicht mehr ein. Das klingt straight. Wärst Du bereit etwas an Dir zu ändern? Dinge sollte man nur für sich selber ändern. Kleinigkeiten ändern, im Sinne von „Mach mal die Zahnpastatube morgens zu“, solche Geschichten, die natürlich gerne, wenn ich meinem Gegenüber, ob das Arbeitskollegen sind oder Freunde oder dem Partner, damit das Leben leichter machen kann. Aber Charaktereigenschaften nur, wenn mich das auch stört. Also das mit dem Ändern, das kommt ja auch mit der Zeit und wenn dir irgendwas auffällt, änderst du es ja automatisch. Wenns irgendwann ein Thema wird, dann wird’s wohl Zeit. Das hast du schön gesagt. Apropo ändern, welchen Namen hättest Du Dir selbst gegeben? Cindy oder Jaqueline vielleicht? Nee, Jottes Willen. Wenn die Kinder mal älter werden. Die Armen. Hannah find ich schön. Ob ich ihn mir selber gegeben hätte, schwierig, Geschmäcker verändern sich. Bei nem Mädchen Namen für mein Kind fallen mir paar ein und Hannah mag ich einfach. Kann man ja nit erklären. Denke ist ein normaler, harmloser Name.
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Wenn Du die Möglichkeit hättest einen Blick in die Zukunft zu werfen, würdest Du Dich trauen? Trauen vielleicht schon, aber ich will es nicht wissen. Ich finds spannender, Wege zu gehen. „If you don`t know which way you are going, any road can take you there“ Und wenn ich jetzt ein Bild von mir sehen würde mit 4 schreienden Kindern weiss ich nicht, ob ich dem nächsten Typen, den ich daten würde, so unvoreingenommen gegenübertreten könnte. Ich habe keinen Schimmer, wo ich in einem Monat bin und erst recht nicht, wo ich in einem Jahr bin und das finde ich ganz toll. Das hat mir früher Angst gemacht, da wollte ich immer alles genau wissen und verstehen, alles voraus kalkulieren. Jetzt finde ich es, im Gegenteil, schöner, nicht zu wissen was genau passiert, weil nur so ist dein Leben spannend, interessant und lebenswert. Also denkst Du nicht soviel an die Zukunft? Natürlich plant man einige Sachen, man kann nicht komplett, wie gesagt, in den Tag hineinleben, den Job kündigen und kucken, wann das Geld zu Ende geht, aber ich versuche schon eher hineinzuleben. Man hat ja gerne Sachen, die man verschiebt „Ja, mache ich nächstes Jahr.“, „Kümmere ich mich nächsten Monat drum.“, „Hat ja noch Zeit“. Wieso machst du es nicht jetzt? Worauf wartest du denn? Das Leben kann so schnell vorbei sein. Man kann natürlich nicht komplett alles machen was man will, aber man sollte mehr in der Gegenwart leben. Klar, Vergangenheit spielt eine Rolle, Zukunft spielt eine Rolle, aber die Gegenwart sollte den größten Part einnehmen. Wie schwer tust Du Dir mit Entscheidungen? Etwas zu beenden fällt mir relativ schwer, weil das ja auch bedeutet, irgendwie aufzugeben. Hab das sogar tätowiert: „Giving up, hurts the most“. Etwas aufzugeben ist für immer der größte Schmerz, weil man sich damit ja auch sein eigenes Versagen eingestehen muss. Und dann fängt man an, nach zu denken. Ich habe nicht so viel Ehrgeiz, kann also an sich schon schnell Dinge hinwerfen, aber im Großen und Ganzen denkt man doch viel nach „hätte man“ und „könnte man“ Dinge starten ist erst mal schön und gut, aber man gelang doch schneller an seine Grenzen , als man vorher denkt.
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INTERVIEW > SANDI SANDKUCHEN
Wann läufst du zur Bestform auf, während einer Krise oder wenn Du gerade eine ruhige Phase hast? Im Büro tatsächlich, witzigerweise im Stress. Weniger Fehler mache ich in der Hektik. Wenn ich Zeit habe, dann driften meine Gedanken ab und ich baue Fehler in Sachen ein. Privat denke ich tut Ruhe ziemlich gut. Umso relaxter die Athmosphäre ist, umso gechillter ich bin, umso mehr kannst du die Gedanken ordnen, klare Ziele formulieren und bessere Entscheidungen treffen. Aber so im Stress, ja dann willst du es einfach nur schnell hinter dir haben. Wenn du mit dir im Reinen bist kannst du auch glücklich sein und andere Entscheidungen treffen. Dann kannst du auch alleine als Individuum existieren. Und nur dann kannst du auch andere Menschen in dein Leben lassen und mit denen dein Leben teilen. Aber du kannst nicht unglücklich sein, dir irgendeinen Menschen nehmen, erwarten dass er dir dann Glück bringt. Da muss man erstmal definieren was Glück bedeutet. Das ist eine ganz schwierige Frage. Was bedeutet denn eigentlich „Glück“? Gute Frage! Was ist „Richtig“ und was „Falsch“? Wie risikofreudig bist Du? Da müssen wir wieder Risiko defninieren. Einfach den Job kündigen, Wohnung aufgeben, Auto verkaufen, und nach Neuseeland gehen, wäre für viele Leute ein „Risiko“. Habe ich zu der Zeit gar nicht so gesehen, fand ich eher einen guten, klaren Schritt in ne Richtung. Aber sonst bin ich eher, wie gesagt, etwas ruhiger, teils sicherheitsbestimmt. Ich will oft gerne wissen, was passiert. Ich glaube das ist auch typisch Frau, immer „alles sezieren“, alles genau verstehen, auch bei meinem Gegenüber immer nachgefragt: „Warum ist das so? Wie fühlst du dich dabei?“ Aber sonst im Großen und Ganzen doch eher, nicht so risikobereit, weil ich zu sehr über die Konsequenzen nachdenke. Dann denkst du da solange drüber nach, dass es sich am Ende gar nicht mehr lohnt, es zu machen.
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Besser so als anders? Kommt natürlich immer darauf an worum es geht. Bei einigen Sachen isset auch egal. Ne Tätowierung hab ich mir zB damals auch 100x länger und intensiver überlegt als jetzt. War ein riesen Thema, hab ein riesen Fass aufgemacht und jetzt isset in dem Sinne halt nix Besonderes mehr. Ein besonderes Gesamtkunstwerk, oder? Ja, kann man sagen. Die Ersten hatten alle eine Bedeutung, war für mich damals auch ganz wichtig war. Jetzt seh ich das eher als „Lebensabschnitt“. Wenn ich zB die Lotusblüte sehe, kann ich mich genau daran erinnern, wie ich die gemacht habe. Wer ich in dieser Zeit war, was ich für Träume hatte, was ich für Ziele hatte, mit wem ich zusammen war, wo ich gewohnt habe. Ich erinnere mich, wie ich zu der Zeit war, halt in dem Moment. Was an dem Punkt im Leben auch abging, was man sich so vorgestellt hat. So erinnern mich meine Tattoos an ganz viele Sachen. Eins hab ich in Australien gemacht, eins zB in San Diego. Wenn ich drauf schaue ernnere ich mich oft „Ach, weißt du noch, damals, in San Diego, ach ja“, so halt. Es ist wie eine Art Fotoalbum, was du durchblätterst und dich an Zeiten erinnerst, Moment. Wer du warst oder wer du gerne sein wolltest. Viele Tätowierungen kann man auch als „Warnungen“ sehen oder man verbindet sie mit Dinge, die man durchgestanden hat. Deswegen passt das Wort Bedeutung nit so, ich finde eher Lebensabschnitt. Was war der verrücksteste Plan, den Du jemals ausgeheckt hast? Ich hatte so viele bescheuerte, verrückte Pläne, die keine Hand und Fuß hatten, die auch, Gott sei Dank, nie durchgesetzt wurden. Grade im jüngeren Jahren. Ich wollte direkt aus Deutschland auswandern, komplett, auf Nimmerwiedersehen, radikal den Jobs kündigen, ohne Erspartes nem Typen sonst wohin folgen. Man macht halt sau dumme Sachen mit Anfang 20. Man lernt dann nach ner Zeit, nicht immer so extreme Entscheidungen zu treffen. Erst mal auszuprobieren, hin fahren, reinschnuppern, anstatt immer gleich ´Nägel mit Köpfen´ zu machen. Nicht immer so straight. Erst mal kucken, will ich das überhaupt? Und nicht direkt alle Zelte abbrechen. Lieber jung seine Fehler und seine Erfahrungen machen und dann später aus dem Weisheitstopf schöpfen.
ALLE FÜNF JAHRE GUCKST DU ZURÜCK UND DENKST DIR: „BOAH WAR ICH EIN ARSCHLOCH!“
Wo liegen Deine Schwächen, was sind Deine Laster? Welcher Versuchung kannst Du nicht widerstehen? Ich bin sehr ungeduldig. Ich will Sachen jetzt und gleich und sofort. Ich will das jetzt wissen. Ich will das jetzt haben... Was war das andere noch mal? Versuchung! Fällt es Dir schwer, dich an deinen Ernährungsplan zu halten? Ach, bei meinen Unverträglichkeiten bin ich straight. Da gibt es auch keine Ausnahmen. Ist natürlich eine Versuchung, wenn du jetzt mit einem Käsebrötchen hier sitzen würdest, da hätte ich natürlich Lust drauf. Aber da ich die Konsequenz kenne, ist „Versuchung“ auch wieder relativ. Und sonst so, lieber schnell und lässig oder langsam und sorgfältig? Kommt darauf an, um was es geht. Im Büro will ich einfach Volumen wegarbeiten. Bin zwar sorgfältig, könnte aber noch sorgfältiger sein. Wenn ich keinen Bock habe, merke ich, dass ich beim Sport zB, die Übungen nicht anständig ausgeführe, weil ich dann schnell nach Hause will. Das ist so Mist, den muss ich mir noch abgewöhnen. Man sollte Dinge ja auch nicht zu langsam und sorgfältig machen, aber man sollte halt eine gute gesunde Mischung finden. Und wenn man die Zeit hat, sollte man sich die Zeit auch nehmen, denke ich. Und wenn man die Zeit nicht hat, dann muss man halt improvisieren. Ich frage jetzt nicht nach Fakten, aber gibt es Dinge die Du aus Deiner Biographie streichen würdest? Was mir momentan so einfällt, würde ich alles reinschreiben. Wenn ich schon sowas schreib, dann will ich mich nicht toll und interessant darstellen. Dann gibbet alles. Den ganzen Dreck und alle Spinnereien und alle Fehler, denn das macht es autenthisch. Besonders wenn man auch daraus gelernt hat und jetzt an einem Punkt ist, wo man zurückdenken kann: „Oh mein Gott“. Jemand hat mal gesagt „Alle fünf Jahre guckst du zurück und denkst dir: „Boah war ich ein Arschloch“!“ Immer im fünf Jahres Rhythmus. Hast Du noch Freunde, die diese Rythmus überstanden haben? Also eine Person, die jetzt auch hier in Hamburg wohnt, die kenne ich seit der zweiten Klasse. Wir haben zusammen die Grundschule, Realschule und Ausbildung gemacht, sind auch mal getrennte Wege gegangen, haben uns dann aber wieder zusammengefunden. Uns verbindet einfach auch so viel, weil wir auch eine ähnliche Kindheit hatten und ich kann mir ganz schwer vorstellen, dass sie jemals aus meinem Leben komplett weg ist. Es gibt natürlich Sachen, die mich an ihr stören, es gibt Sachen, die sie an mir stören, aber das ist einfach natürlich. Wir kennen uns seit wir 6 sind. Du hast halt natürlich mal wen in Facebook, da schreibst du mal einem Kollegen aus der alten Zeit oder so, aber alles mega oberflächlich. Wirklich Freunde, also aus meinem Dörfchen, wo ich aufgewachsen bin, nur sie und meine Schwester natürlich. Aber reicht mir auch. Mit dem Rest will ich auch nichts zu tun haben. Bin ganz froh da weit weg zu sein und mein Ding zu machen.
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EPICULTURA #2013
INTERVIEW > SANDI SANDKUCHEN
Würdest Du auf Dein Klassentreffen gehen? Wurde ich gefragt, bin ich aber nicht hingegangen. Kann ich mir gar nicht vorstellen. Ich red da ja auch mit keinem. Was bringt das? Dann bin ich da wieder die Attraktion. Nee, lass mal. Wie du es machst, machst du es falsch. Da tauch ich da lieber gar nicht auf.
ICH BIN IMMER DIE ATTRAKTION
Besser is´ das. Wovor fürchtest Du Dich, gibt es eine begründete bzw. unbegründte Angst? Ja also begründet (...) im Sinne von, da es in meiner Familie einige Krankheiten gibt. Mein Vater ist auch an Krebs gestorben, ist ja nun mal auch vererbbar. Meine Mutter hatte auch irgend etwas. Meine Oma auch. Die „Angst“ da was zu bekommen, ist also begründet. Man weiß es natürlich nicht und ich mach mich da auch nit verrückt. Unbegründet, hm, ja unbegründet ist relativ, aber halt Rumspinnereien. Wenn man sich Sorgen wegen was macht, oder irgendwie in irgendwelchen Phasen steckt und denkt: „Klappt ja alles nicht“ aber nichts Dramatisches jetzt. Ich glaube ich habe keine unbegründeten Ängste, sondern nur Phasen, Spinnereien, kleine Geschichten. Jeden Tag geht die Sonne auf. Das ist einfach so. Ob es mir gefällt oder nicht, auch wenn ich zurück gucke, ich war schon an so vielen Punkten, wo ich dachte: „Fuck“ und „Alles ist wieder Scheiße“, und weißt du, am nächsten Tag war alles gar nicht mehr so schlimm. Irgendein Anruf kam, oder es hat sich was ergeben und das habe ich halt auch gelernt. Egal wie aussichtlos die Situation in dem Moment erscheint, es ergibt sich immer was. Mittlerweile siehst Du alles entspannter? Ich denke gerne über Kram nach, nicht furienmäßig, aber ich beleuchte das gerne und plane voraus was passieren könnte. Dann habe ich mal drüber nachgedacht und wenn es dann passiert, schockt es mich nicht mehr so. Aber aufgrund der bisherigen Erfahrungen – mich kann eigentlich gar nichts mehr schocken. Bin schon recht besonnen, bin aber auch viel ruhiger geworden. Bringt ja auch nichts, ne? Worst Case! Was wäre schlimmer, blind oder taub zu sein? Blind. (...) Hm, aber schwierig zu erklären. Arm ab, Taub, Bein ab, ist alles Scheisse, das müssen wir gar nicht verharmlosen, aber blind, weiß ich auch nicht. Ist ein so wichtiger Sinn, ich weiss nicht ob ich ohne den noch leben wollen würde. Reicht schon, schneller Themenwechsel. Wann ist für Dich die beste Stunde des Tages? Tatsächlich morgens, nachdem ich meinen Kaffee hatte. So um 8 Uhr bin ich am fittesten, am produktivsten, habe die besten Ideen, und kann am besten Kram erledigen. Ein Gehirnforscher meinte, man soll nach 16 Uhr keine wichtigen Entscheidungen mehr treffen. Die meisten Leute haben bis 16 Uhr schon so viel getan, überlegt, geplant und gemacht haben, dass das Gehirn dann ab dem Nachmittag nur noch matsch ist. Ich hab das gerne mal Nachts. Ich wache auf mit irgender Scheiss Idee, find die aber ganz toll in dem Moment. Am nächsten Tag denk ich noch mal drüber nach und denke „Boah, was ein Müll!“
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INTERVIEW > SANDI SANDKUCHEN
Gibt es ein Highlight von dem Du sagen kannst: „Das war geil“? Hm, jede USA Reise verbinde ich mit ganz vielen positiven, glücklichen, schönen Momenten und Ereignissen. Als ich das erste Mal Fuß auf neuseeländischen Boden gesetzt habe, nachdem ich das zwei Jahre geplant, gemacht, gespart habe wie irre. Lange drauf hingearbeite, bin nicht mehr weggegangen. Hatte mir nix mehr gegönnt, kein Essen mehr bestellt, kein Kino, nur gearbeitet. Du musstest irgendwie 8.000 Euro oder wat vorweisen, wenn du einreisen wolltest. Und diesen Traum dann nach all der Laberei zu verwirklichen, und nach 46 Stunden Anreise, als wir dann endlich an diesem Flughafen da ankamen, ey, ich hab fast geheult vor Glück in dem Moment. Weil endlich bist du dann da. Nachdem du da so lange von gelabert hast, geträumt hast, geplant hast, rumgesponnen hast, endlich den Boden zu betreten, war geil. Finde ich immer schön, wenn man sich Sachen erarbeitet. Ich glaube, Leute die hart für ihr Geld oder ihren Traum arbeiten müssen, wissen Dinge anders zu schätzen, als Leute, die alles in den Arsch geschoben bekommen. Ja, ich glaube das fühlt sich anders an. Man weiß einfach Dinge anders zu schätzen. Geld, einen Wert, selbst Momente. Ich sehs selbst bei Kleinigkeiten, die Freund für mich machen. Ich seh das nicht als Selbstversändlichkeit an. Ich find das immer wieder super. Letztens habe ich nen Thermomix gekauft. Der war super schwer und ich schlepp den so von Ampel zu Ampel. Da hat mich einer gefragt „Soll ich dir tragen helfen?“ und ich war komplett so: „Ja! Danke!“. Cool. Und grad so ich mit den Tattoos. Das ist ungewöhnlich. Ich werde nicht nach nem Weg oder der Uhrzeit gefragt und auf einmal spricht mich jemand an, weil er gesehen hat, ich bin ein kleines Mädchen, die was schweres tragen muss und er könnte helfen. Das fand ich ganz toll.
EPICULTURA #2013
Na, bei deinen Ärmchen! (...) Jetzt kommen wir zu Deinen Lieblingsthemen. In welcher Serie hättest du gerne mitgespielt? Boah... Also ich finde ´Mad Man´ ganz cool. Spielt in den 50er Jahren, wo alles noch so mega schick war. Die Frauen waren toll aufgestylt und dann die Männer, die hatten noch Respekt. Das ist alles so weit weg von mir, das wäre mal witzig. Da wurde einem noch die Tür aufgehalten und in den Mantel geholften. Es wäre doch interessant zu wissen, wie es sich anfühlet, in der Zeit eine Frau gewesen zu sein. Natürlich herrscht auch ne klare Rollenverteilung, die Frauen gehen nicht arbeiten, die sind zu Hause bei den Kindern und die Männer bringen das Geld ran. Find ich zwar nicht gut, aber wäre bestimmt mal spannend das zu sehen bzw zu erfahren. Interessant, Emanzipation hin oder her. Welche historischen Ereignisse hätten Dich noch interessiert? Schwierig, aber ich glaube sowas wie, als die erste Rakete ins All ging. War bestimmt krass für die Zeit. Noch weiter zurück gesponnen, als das Penicilin erfunden wurde oder die Pille. Diese Unabhängigkeit, die damit geschaffen wurde. So Geschichten halt, so Meilensteine, die Dinge verändern. Ich habe auch mal überlegt, dass in „unserer Zeit“ nichts los war. Da ist nichts. Unsere Generation hat nichts neues erschaffen oder was krasses durchlebt. Wenn man überlegt, wir haben so nichts, wo man sagt, da war ich dabei. Klar, ich war bei der D-Mark noch dabei, ole ole, aber sonst, fällt mir nichts ein.
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EPICULTURA #2013
INTERVIEW > SANDI SANDKUCHEN
DEINE GEDANKEN SIND NUR FÜR DICH
Was ist mit geschichtlichen Ereignissen, gibt es etwas, dass Du gerne verhindert hättest? Da gibts natürlich einige Sachen. Hm (...) Ich würde fast sagen, bevor der weiße Mann Amerika betreten hat. Die Indianer wurden ja richtig krass abgeschlachtet und vertrieben. Das geht ja alles total unter, gerade wegen dem Nazi-Kram. Die sind da einfach hingegangen, haben sich da einfach Länder und Frauen und Schätze genommen wie sie wollten, geht gar nicht. Wird einfach unter den Tisch gekehrt heutzutage. Wie die Sklaverei in den USA. Der weiße Mann ist überall eingedrungen, Inseln, Länder, ganze Kontinente. In diesem Mel Gibson Film „Akalyptika“ da gabs am Ende nen wahren Satz. Krieg den nicht komplett zusammen, aber sowas wie „Eine Zivilisation kann nur zerstört werden, wenn sie sich selber schon von innen zerstört hat.“ Wenn ich dann so weiterspinne, denke ich auch, wenn Ausserirdische uns beobachten, kucken auf uns und denken: „HÄH? Wieso bekriegen sich die denn selber? Die gehören doch alle zusammen! Die haben sie doch nicht mehr alle. Wie kann man denn das verstehen?“. Der Mensch, die Macht (...) Männer! Männer? Jeder Krieg auf dieser Welt wurde von einem Mann angefangen. Wenn Du die Möglichkeit hättest, würdest Du gerne Gedanken lesen können? Nein, glaub da kommt nichts Gutes bei raus. Die Gedanken sind für dich. Ist ganz gut, dass du Menschen nur bis vorn den Kopf gucken kannst. Du willst ja auch gar nicht, dass jeder alles weiß, und ich will auch selber nicht alles wissen. Was wäre, wenn Du unsichtbar wärst, wie neugierig wärst Du dann? Hm, neugierig vielleicht, aber schwierig. Die normalen Momente, wo du eine Diskussion mit jemandem hattest oder du bist irgendwie ein Thema gewesen, du verlässt den Raum, was reden die noch über dich? Besonders wenn Leute erzählen, was die gemacht oder nicht gemacht haben. Einfach mal dabei sein, und kucken, obs wirklich so ist. Wirst du aber nie erfahren. Naja, ich sag nur Facebook. Wenn Du Dir eine Fähigkeit aussuchen könntest, fliegen oder... Fliegen! Ich glaube fliegen verbindet man mit Freiheit, mit Ruhe und mit Weite. Ich finde Weite ist unglaublich beruhigend und gibt dir ein unbeschreiblich, tolles Gefühl. Gerade wenn du aufs weite Meer blickst, das ist so entspannend für die Augen. Auch sehr praktisch um von A nach B zu kommen. Überhaupt, selbst wenn ich mir jede Fähigkeit aussuchen könnte, würde ich trotzdem fliegen nehmen. Ich muss keine Laser aus meinen Augen schießen, haha. In diesem Sinne, immer freundlich lächeln. Vielen lieben Dank für den Einblick in Dein ganz normales Leben. Audio Interview Sandi Sandkuchen Nr. 03
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