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„DAS KÖRPERGEFÜHL IST EIN ANDERES“
from EPICULTURA 02
by s.motyl
DAS NIKOLA EIGENTLICH KEINE HAARE HAT, FÄLLT NICHT JEDEM SOFORT AUF UND WENN DOCH, VERMUTEN ALLE GLEICH DAS SCHLIMMSTE. DAS SIE NICHT KRANK IST, SONDERN ´NUR´ KREISRUNDER HAARAUSFALL HAT, VERSTECKT SIE LIEBER UNTER EINER PERÜCKE, ANSTATT SICH KOMISCHEN BLICKEN AUSZUSETZEN. WIE ES KOMMT, DASS SIE SICH DURCH IHRE
TATTOOS WIEDER GANZ NORMAL FÜHLT UND WIESO SIE LIEBER VERACHTET ANSTATT BEMITLEIDET WIRD, VERRÄT SIE UNS IM GESPRÄCH.
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NIKOLA
Soziologiestudentin
Wir fangen wieder ganz förmlich an. Stell Dich uns einfach mal vor.
Ich bin Nikola, 24 und studiere Soziologie im 4. Semester. Vorher habe ich eine Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau gemacht, nach der Ausbildung dann gearbeitet und angefangen zu studieren. Jetzt im September gehe ich für zwei Auslandssemester nach Brasilien und lerne dafür gerade Portugiesisch.
Was interessiert Dich am meisten an Deinem Studiengang?
Was ich immer schon ganz spannend fand, aber auch echt schwierig ist, weil es schon viel behandelt wurde, sind Gender-Studies. Mein liebstes Seminar in der Uni hingegen beleuchtete das Mensch-Tier Verhältnis. Darin ging es viel um den Konsum und die Ausbeutung von Tieren. Das fand ich auch ganz spannend, aber ich weiß noch nicht, in welche Richtung sich das alles entwickeln wird. Ich würde gerne den Master in Kriminologie machen, aber das gibt es nur in Hamburg, nirgendwo sonst in Deutschland und ja, es gibt nur 30 Plätze und gefühlt Millionen Bewerber. Ob ich den Schnitt von 1,2 hinbekomme, weiß ich auch noch nicht. Interessant wäre es auf jeden Fall, gerade im Hinblick Kriminologie in Brasilien. Ich werde in Recife sein, das ist im Bundesstaat Pernambuco im Nordosten an der Küste und da ist das ein großes Problem in der Stadt. Wäre vielleicht auch ein Thema für die Bachelor-Arbeit, aber die Themenfindung ist noch nicht ganz abgeschlossen.
Das klingt doch sehr spannend. Es wäre vor allem etwas Sicheres für die Zukunft. Klingt jetzt vielleicht irgendwie blöd und spießig, aber gerade Soziologen haben den Ruf Taxifahrer zu werden. Ja, Taxifahrer, Barleute oder Türmenschen. Ist bestimmt spannend, aber nicht mein Berufsziel, weil ich etwas Sicheres, Festes haben möchte. Ich will nicht selbständig sein und auch nicht in die Wissenschaft. Was ich auf jeden Fall machen könnte, wäre was im Personalwesen, gerade wegen der kaufmännischen Ausbildung. Da war ich bereits eingesetzt und das würde passen, aber interessant ist vielleicht wieder was anderes. Ich studiere nicht für den Bachelor, für irgendeinen Job, ich habe bereits eine Ausbildung abgeschlossen, ich könnte arbeiten, aber mich interessiert das einfach. Ich möchte halt jetzt studieren, wo ich jung bin und das auf Vollzeit und nicht neben dem Beruf. Ich glaub, man hat nicht immer soviel Zeit im Leben, jetzt auszugehen zum Beispiel, da muss man finanziell etwas kürzer treten. Das ist halt so, aber ist es auf jeden Fall wert.
Du bist ja noch recht jung, aber inwieweit hat das dein Leben beeinflusst, dass Du keine Haare hast?
Ich bin jetzt 24,5 und mit Ende 11 ging das los, also mehr als die Hälfte meines Lebens tatsächlich. Was mir gar nicht so lange vorkommt. Als Kind hatte ich auch Haare, relativ dicke Zöpfe und dicke Augenbrauen. Stellenweise war es dann aber ganz schlimm und schon arg sichtbar. Da war ich so in der sechsten Klasse, was nicht so cool war, weil man in der Pubertät ohnehin Probleme mit sich und seinem Körper hat. Dann kamen noch die Reaktion von seinen Mitschülern, die mich gemobbt haben, das war ganz furchtbar.
Stellst man sich dann vor, wie es wäre, ganz ´normal´ zu sein?
Ich bin froh, dass es während der Kindheit nicht war, weil ich sehr unbeschwert groß werden konnte. Während die Unbeschwertheit in der Jugend tatsächlich ein bisschen verloren ging. Gerade beim Element Wasser. Ich komme vom Leistungsschwimmen und springe nicht Kopf über ins Wasser, weil ich das Gefühl habe, dass Menschen die mich eigentlich sehr lange kennen, komisch gucken könnten. Ich weiß nicht wieso. Dieses Jahr habe ich es aber geschafft ohne Haare im Freibad ins Wasser zu springen, das war das schönste überhaupt. Das man sich selber die Sachen irgendwie nimmt, die man liebt, nur weil andere Leute einen komisch angucken könnten oder man nur meint, die gucken einen komisch an. Vielleicht tun sie es ja nicht mal. Aber auch gerade als Frau, bist du zu dick, bist du zu dünn, egal, du wirst von den Jungs gehänselt. Im schlimmsten Fall hast du einen ´fetten Arsch´. Natürlich war ich nicht fett und der Hintern ist jetzt um einiges breiter und sieht super aus, aber als Jugendliche mit 12, 13 Jahren geht das ja schon los. Gerade das Frauenbild ist sehr körperfixiert. Allein wenn du als Kind begrüßt wirst, heißt es: „Du siehst ja hübsch aus“ und „Du bist ja eine Süße“. Keine anderen Attribute, Eigenschaften, Charakterzüge werden hervorgehoben. Es geht ja immer nur um das Äußere. Ich habe eine besonders hübsche und smarte Freundin, die auch was drauf hat. Die sagt immer: „Du bist so ein hübsches Mädel“ und klar ist das ein Kompliment, aber ich denke mir dann immer, ich hab zu Hause selber ´nen Spiegel, ich weiß doch auch, dass ich nicht total scheiße aussehe. Ist das wirklich eine Qualität die man hervorheben muss, obwohl man ihr eh schwer entsprechen kann?
Ich wollte dem Bild lange Zeit entsprechen, eben diesem weiblichen Bild mit den Haaren und allem. Letztendlich geboren aus einer Unsicherheit heraus. Eigentlich sollte mich das nicht interessieren, aber es ist wie es ist.