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ICH FÜHLE MICH EINFACH STARK UND GESUND
from EPICULTURA 02
by s.motyl
Was für ein Verhalten würdest Du Dir wünschen?
Ich versuche Leute, die offensichtlich krebskrank sind oder andere optische oder ´soziale´ Mängel haben, an denen sich die Gesellschaft gerne aufhängt, nicht zubeachten, gerade weil ich diese Erfahrung selber machen musste. Ich weiß, das fällt bestimmt auch auf, dass jemand stupide im Bus aus dem Fenster guckt, als geradeaus zu schauen aber das finde ich angenehmer, als wenn man dauernd angestarrt wird. Wenn ich Leute sehe, die ganz offensichtlich Kreisrunden Haarausfall haben, versuche ich das auch zu vermeiden. Wenn ich sie jetzt ansehen und anlächeln würde, so nach dem Motto „Ja ey, ich kenne dein Problem“, würden sie es nicht rallen, weil ich ja Haare auf habe, also würden sie sich auch nur doof angeguckt fühlen. Was interessiert mich das auch, ob jemand ein Kopftuch auf hat oder besonders dick ist, oder (...) weiß ich nicht, irgendwelche Narben im Gesicht hat oder irgendwas. Ist ja egal. Dadurch dass ich gucke, wird’s ja nicht spannender das Ding.
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Bist Du durch Deinen ´Makel´ toleranter als andere Menschen?
Das glaube ich schon. Ich falle ja auch nicht unbedingt so auf, wie jemand der einen dicken Leberfleck im Gesicht hat, aber jeder hat halt an irgendwelchen vermeintlichen Fehlern zu knabbern. Ich habe Verständnis dafür, dass manche Leute vielleicht etwas unfreundlich gucken, weil ich den ´Sprich mich nicht an - Blick´ selber drauf habe. Ich guck lieber ein bisschen böse, dann lassen die Leute einen in Ruhe, vermeiden den Blickkontakt und gucken weg. Außerdem haben manche damit jeden Tag zu tun und ich kann verstehen, wie genervt man von der Gesellschaft wird. Ich versuche schon zu überlegen „Mensch, warum verhält sich ein Mensch, wie er sich verhält?“. Ich muss nicht immer den Grund wissen, wieso jetzt jemand total arschig drauf ist. Viele sind einfach unsicher, die lasse ich dann zufrieden. Mit der Zeit findet man dann raus, ob man sich versteht oder nicht. Es gab schon Leute, die ganz ablehnend auf mich reagiert haben, ohne ersichtlichen Grund. Da steckte dann wieder Unsicherheit hinter und ein kleines Problem mit sich selbst. Oft sind es aber auch schlechte Erfahrungen, die diese Menschen nicht loslassen und dann dauert es halt ne Weile bis man warm wird. Mir gings damals sogar ein bisschen ähnlich. Wenn mir zB jemand ein Kompliment zu meinen Haaren gemacht hat, weil meine Perücke ja schön lang war, habe ich gedacht, das ist ironisch gemeint, die wollen mich verarschen. Hab echt „Ja danke“ gesagt und mich weggedreht. Ich konnte früher nicht einschätzen, ob es eine Beleidigung oder ernst gemeint war. Es ist mir schon sehr schwer gefallen generell Komplimente anzunehmen. Man hat immer das Gefühl, (...) irgendwo nicht so ganz reinzupassen. In Gruppen habe ich mich immer ein bisschen abgesondert. Im Laufe der Pubertät war das sehr stark, inzwischen finde ich mich schnell in Gruppen rein. Am Anfang mochte ich das einfach nicht so gerne. Du reagierst auf ein Kommentar entsprechend und die denken sich dann: „Warum ist sie so unfreundlich?“. Ich hab mich halt selber ein bisschen wieder erkannt und da muss man sich halt überlegen, dass man Menschen einfach so nimmt, wie sie sind.
Wie groß ist da der Kampf mit sich selbst? Ich kann ja nicht beeinflussen, wie andere Menschen mich angucken oder über mich denken, aber was ich beeinflussen kann, ist, wie ich es aufnehme und darauf ragiere. Egal was für eine tolle Perücken ich mir jetzt auf den Kopf setze, top unauffällig oder was auch immer, dass ändert nichts an der Tatsache, dass keine Haare da sind und es macht mich auch nicht glücklich. Das Einzige was ich eben versuchen kann ist, mich selber anders zu sehen und das ich die Reaktion von anderen Menschen nicht an mich ran lasse, weil sie eigentlich nicht Teil meines Lebens sind. Das sind irgendwelche fremden Menschen und aus meinem Freundeskreis findet das nun keiner schlimm, wirklich Keiner. Natürlich würden sie sich freuen, wenn es mir besser ginge, wenn ich meine Haare wieder hätte, aber inzwischen ist mir das gar nicht mehr so wichtig, weil ich mich mittlerweile damit abfinden kann.
Was ist die wichtigste Lektion, die Du mit der Zeit gelernt hast?
Das mir die Blicke und Meinungen anderer Menschen so am Arsch vorbei gehen und nur ich beeinflussen kann, was ich denke. Nur darum gehts es doch eigentlich, wie ich mich sehe und das ich glücklich bin und nicht, ob ich anderen Menschen gefalle oder für sie ´normal´ aussehe. Das ist nicht Ziel meines Lebens. Da ich daran gerade arbeiten, hab ich mich auch dazu entschieden die Fotos ohne Haare zu machen, das halt zu üben, ohne Haare raus zu gehen, damit ich in meinen Auslandssemestern in Brasilien das dann auch kann. Quasi, ein Neuanfang in einem neuen Land. Ich muss dann natürlich mal gucken, ob ich es auch schaffe, wenn ich wiederkomme, aber dann denke ich vielleicht nochmal ganz anders, vielleicht sogar auch noch ein bisschen selbstbewusster.
Wie gehen andere mit deinem bereits vorhandenen Selbstbewusstsein um?
Also, ich würde mich schon als Feministin bezeichnen. Ich habe nichts gegen Weiblichkeit, ich finde sie sogar sehr schön. Ich kleide mich ja auch gerne weiblich, aber