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DU KANNST NICHTS TUN, AUSSER DICH MIT DIR SELBST ABZUFINDEN

Was haben deine Tattoos für eine Bedeutung und werden das noch mehr?

Das werden auf jeden Fall noch mehr. Ist natürlich alles eine Frage des Geldes. Ist ja recht teuer und wenn ich könnte, wäre ich schon ein wenig voller. Momentan arbeite ich an der rechten Seite, weil ich sie nicht so verstreut haben möchte.

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Auf dem rechten Oberschenkel vorne, auf dem Quatrizeps, habe ich eine Nixe drauf. Die hat auch keine Haare. Ist jetzt nicht unbedingt ein Ebenbild von mir, das fragen mich ganz viele, aber was haben Haare auf einem Wasserwesen zu suchen? Eigentlich gar nichts. Sie ist auch keine Meerjungfrau, das ist auch nochmal ein Unterschied. Meerjungfrauen warten ja auf die Erlösung durch den Mann, um ihr Schicksal zu erfüllen, erst dann sind sie komplett. So ist zumindest die Sage und das geht mir gegen den Strich. Bei der Nixe gibt es einen Unterschied. Sie ist ja nicht wirklich böse, aber schon eigenständiger und ich brauche halt auch nicht erlöst zu werden. Das war mir schon wichtig, dass sie nicht aussieht wie eine Meerjungfrau und deshalb auch keine Haare hat. Der abgetrennte Männerkopf in ihrer Hand, der blutige, mit dem ´P´ auf der Stirn, dass ist das geköpfte Patriarchat, wo ich total gegen bin und das ist mir ganz wichtig.

Bist Du immer so eine Powerfrau oder trügt dein starkes Äußeres auch manchmal?

Powerfrau, das sagt man so leicht aber was in einem vorgeht, das ist halt noch eine andere Geschichte. Ich höre immer „Du bist so selbstbewusst und ja (...) weiß gar nicht ob ich das könnte, wenn ich das so hätte, wie du“, aber ich denke mir, dass das schon hart antrainiert ist, keine Schwächen zu zeigen, wenn man sich eh schon schwach fühlt. Natürlich ist man innerlich doch schwach und hat Zweifel und ist unzufrieden aber anders geht es nun mal nicht. Du wirkst selbstbewusst und positiv auf Menschen und kriegst entsprechend Rückmeldung oder du bist ein Trauerkloß und keiner nimmt dich für voll, weil du nur Mitleid willst. Das will ja auch kein Mensch.

Meinst Du `ohne Haare´ ein Problem im Job?

Ja, ja, die Menschen wissen ja nicht was mit mir los ist, bis man es ihnen erklärt. Erst gucken sie komisch, wissen nicht damit umzugehen oder wohin sie gucken sollen. Selbst wenn sie merken, dass ich eine Perücke trage, schwankt der Blick immer zwischen Augen und Haaransatz. Sie wollen zwar nicht hingucken, aber sie müssen, sie können einfach nicht anders. Das merkt man natürlich auch.

Man wird schon anders behandelt, zumindest im Bewerbungsgespräch. Im Büro, da sieht es mit den Kollegen vielleicht ganz anders aus, aber im Personalwesen ist es schon so ne Sache. Da hast du mit Firmen zutun und musst das Unternehmen nach außen hin präsentiert und ich weiß nicht, ob das okay wäre. Zwar habe ich noch mit niemanden darüber geredet, aber ich denke schon, dass ein normaler Mensch, wenn er Äußerlich nicht komisch aussieht und somit weniger Probleme hervorruft, bevorzugt wird. Allein in Nebenjobs, zB im Service, war es immer ein Problem. Kein Mensch will Essen von jemanden, der krank aussieht.

Was wäre, wenn du es direkt ansprechen würdest?

Manche fühlen sich dann sicher überrumpelt. Einige wollen sich erst gar nicht damit auseinander setzen. Bei Anderen würde es bestimmt cool laufen, aber ich hätte da schon Hemmungen vor, weil du dem Gegenüber ja nicht das Gefühl geben darfst, die Kontrolle zu verlieren. Das ist denen ihr Job. Dann nehme ich ihnen die Kontrolle und mache mich gleich unbeliebt. Schwieriges Thema. Wenn ich ohne Haare antanzen würde, dann würde ich es schon erklären, aber die Perücke anzusprechen, wahrscheinlich eher nicht. Natürlich habe ich es noch nicht ausprobiert, ich studiere im Moment ja noch, aber ich habe da schon meine Bedenken. Als nächstes kommt das Praktikum und da werde ich auf jeden Fall Haare aufsetzen, weil ich dann ja auch in Brasilien sein werde, eine andere Sprache sprechen muss, nein, das ist halt der einfachere Weg zu sagen: Ich nehme eine Perücke und verstecke das.

Fühlst Du Dich mit Haaren wohler?

Ich bin schon ein anderer Mensch. Eine Freundin, die ich im Studium kennengelernt habe, hat mal was ganz liebes gesagt. Sie hat das alles relativ schnell mitgekriegt und hatte auch nie ein Problem damit. Als sie mich dann einmal ohne gesehen hat, war sie ganz erstaunt und meinte: „Du sieht ganz anders aus, aber ich find´s ganz gut.“ Als ich dann eine Woche später wieder in einer Vorlesung mit Haaren neben ihr saß, guckte sie mich so komisch von der Seite an. Ich fragte sie was los ist, und sie sagte: „Das bist irgendwie gar nicht du, die hier neben mir sitzt.“ Sie hatte mich halt nur einmal ohne Haare gesehen und hatte sofort mich gesehen. Das fand ich echt schön.

Sicher wird es mir nach heute genauso gehen. Gewöhnt man sich irgendwann an die Perücke?

Naja, ich habe sie nun seit fünf oder sechs Jahre und bekomme es immer noch nicht gebacken, rechtzeitig los zu kommen. Jedes Mal mache ich mich fertig, zieh mich an, mach mir das Gesicht und dann fällt mir ein: „Scheisse, ich muß noch die Haare aufsetzen“ und verpasse dann schon wieder die Bahn. Das passiert mir ständig. Ich lerne es auch wirklich nicht, diese zehn Minuten einzuplanen. Das aufzusetzen, das dann auch alles sitzt, einen Zopf zu machen oder so. Ich kriege es nicht hin, weil ich im Kopf dieses Ding einfach nicht drin habe. Tasche packen, anziehen, Zeit planen, - Ach scheisse, die Haare.

Setzt Du sie Zuhause immer gleich ab?

Wenn ich weiß, ich gehe nicht mehr aus dem Haus, dann ist das Erste was ich mache die Haare abnehmen. Aber wenn ich weiß, dass ich in zwei Stunden wieder raus gehe, dann lasse ich die Haare drauf, sonst sitzen sie nicht mehr so gut. Wenn ich sie ganz lange auf lasse, und morgens schon außer Haus bin und abends noch feiern gehe, sie quasi 24 Stunden lang drauf habe, dann drehst du irgendwann durch. Das Kopfkratzen ist halt unangenehm, es piekt, aber du kommst nicht ran. Du kannst dich nicht richtig kratzen, nur schön vorsichtig, weil du sie ja nicht kaputt machen willst. Der Vorteil überwiegt aber dann doch, weil die Leute nicht komisch gucken und man nicht auffällt.

Was glaubst Du, wieso wollen wir nicht auffallen? Wir wollen zumindest nicht abgelehnt werden, auf so eine doofe Art und Weise. Wenn ich auffallen möchte, trage ich eine kurze Hose, damit man die Tattoos sieht. Das ist mir dann bewusst und sagt ja auch schon was über mich aus. Die Message erkennt zwar keiner auf dem Bein, aber ich habe ja noch eins hinten am Oberschenkel und im Nacken, das relativ präsent ist, auch wenn ich angezogen bin. Auf dem Arm das Kleine, das rutscht noch so durch, das haben viele.

Dann hast Du noch Deine Tunnel. Man könnte doch meinen, die Glatze gehört zu deinem Stil. Die Tunnel sind na noch relativ klein und größer mache sie auch nicht, weil das drückt und das Ohr auch ein bisschen verformt. Das ist doof, aber da habe ich mir ausgewählt das Leute mich angucken. Ich symbolisiere ja Zugehörigkeit zu einer gewissen Sparte, so ein bisschen zu einer Szene, in der ich mich bewege. Aber nicht total offensichtlich. Ich bin nicht im Gesicht gepierct, ich bin nicht total rockig angezogen, sondern relativ normal und sportlich. Ich bin auch eher so ein Mädchentyp, ein MächenMädchen und dementsprechend sind auch meine Outfits, aber ohne Haare wirkt das Ganze nicht so richtig und passt mir selbst nicht ganz ins Bild. Wenn ich jetzt so punkmäßig herumlaufen würde, dann fällt auch die Glatze nicht großartig auf, aber das bin ich nun mal nicht. Ich bin dann doch eher feminin. Das ist schwierig.

Stehen lange Haare nach wie vor für Weiblichkeit?

Ja Haare gehören zu einer Frau dazu. Es ist ja nicht nur, dass die Gesellschaft das sagt, sondern (...) selbst wenn ich kurze Haare oder einen Kurzhaarschnitt hätte; kurze Haare hatte als Kind ja immer; hätte ich kein Problem damit. Dann ist es aber gewollt und gehört halt so. Auch wenn sie raspelkurz wären, rasiert sind, dann sieht man ja immer noch Haare auf dem Kopf. Da ich keine freie Entscheidung darüber habe, macht es das glaub ich so schwierig, also kleistere ich mich jetzt mit Tattoos zu

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