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ERWACHSENE GUCKEN NICHT, SIE STARREN

Gerade weil ich einen so körperfixierten Sport mache, es ist ja schon Bodybuilding, nicht auf einer schweren Klasse, aber ich will meinen Körper formen und das man meine Muskeln sieht. Ich will ihn schön haben, (...) einen schönen, knackigen Arsch haben und dafür reiße ich ihn mir gerne auf. Ich haue so richtig rein, obwohl der Körper dabei nicht im Vorderfrund steht, um anderen zu gefallen, nein, es ist ein gutes Körpergefühl. Ich selber fühle mich einfach stark und gesund.

Dich stört es also auch nicht mehr, dem Idealbild der Gesellschaft nicht entsprechen zu können?

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Ich will dem auch gar nicht entsprechen, inzwischen aus Prinzip schon nicht mal mehr. Ich sehe das nicht ein und das ist auch nicht meine Lebensaufgabe, dem gesellschaftlichen Bild zu entsprechen. Da hab ich richtig eine Allergie gegen und ich mag es auch nicht, wenn andere Menschen es machen. Da dreh ich richtig durch, die werden mir schnell unsympathisch zB „Nee, das ist mir nicht weiblich genug“. Ich verhalte mich gegen meine Wünsche, weil es könnte ja anderen Leuten gefallen. Ich kann das nicht leiden.

Damit hat sich die Frage, was Du von der Gesellschaft hältst, schon erübrigt. Zeigen die Menschen auch mit dem Finger auf dich?

Ja das tun Menschen schon mal direkt vor deiner Nase in Bus und Bahn. Da hatte Sie doch glatt entdeckt, die scheint eine Perücke zu tragen, Skandal! Direkt Vierer-Sitz im Bus gegenüber. Sie tuschelte dann mit ihrem Typen und hat ihm bestimmt gesagt: „Nicht hingucken, die hat bestimmt eine Perücke auf.“ Was macht er natürlich? Trotzdem gucken. „Was? Wo Perücke?“ und sagt das auch noch laut. Für Sie natürlich mega peinlich. Ich total genervt, weil sie eh schon die ganze Zeit guckte. Da habe ich Sie angesprochen und gefragt, ob Sie ein Problem hat. „Nee, nee, wieso?“, hätte Sie nicht und Sie würde gar nicht über mich reden. Sag ich: „Seh ich auch noch blöd aus? ich hab doch die Blicke bemerkt und das ja auch gerade mitbekommen. Dann sagt Sie: „Muss das denn jetzt sein?“ und „Es dreht sich nicht alles um dich!“. Dann greift die mich auch noch an, weil ich Sie angesprochen habe und Sie sich ertappt gefühlt hat. Als die beiden dann an der nächste Station ausgestiegen sind, hat er erst mal einen dafür auf den Deckel bekommen, dass er es laut angesprochen hat. Also letztendlich wirklich armselig.

Wenn Kinder einen fragen: „Oh Mama, guck mal“ oder am Strand, wenn ich sie nicht auf habe. Mein Gott, das sind Kinder. Die sind interessiert, die sehen etwas, was sie nicht kennen und fragen nach und das ist ja auch in Ordnung. Erwachsene aber gucken nicht, sie starren, Die einen, die einen wirklich angucken und dann hast du Blickkontakt und guckst zurück und wartest und guckst schon so fragend „Ist irgendwas?“, die gucken dann sogar böse zurück, weil sie sich ertappt fühlen und schämen sich auch gar nicht. Die meisten Leute aber gucken heimlich, die wissen schon so „Hey, ich sollte vielleicht nicht so gucken“, aber tippen ihren Partner an und zeigen dann auf mich. Du denkst so „Alter, ich seh euch! Ist gut oder?“. Unglaublich manchmal. Ich muss aber auch sagen, dass es seit dem Tattoo weniger geworden ist. Wenn ich dann mal am Strand liege, keine Haare und die entsprechende Statur, dann glauben die Menschen ja schon, dass es gewollt ist und gucken anders.

Die gucken, registrieren – Ah, keine Haare, voll so eine hier Metalltussi mit Glatze, so ein Szenegedöns und gucken nicht weiter hin. Das ist weitaus entspannter, als Leute die ab und zu tuscheln oder gaffen.

Hast Du ein Vorbilde oder jemanden den Du bewunderst?

Also ich versuche meinem eigenen Idealbild zu entsprechen, denn sobald man versucht anderen nachzueifern, entfernt man sich zu sehr von sich selbst. Es gibt Menschen, die ich unglaublich gut finde. Wenn man zB Künstler nimmt. Ich höre eigentlich so Hardcore Metal Kram, aber wen ich unglaublich mag, ist Robin, die Schwedin. Die macht ja so eine Mischung aus Hip-Hop und Pop oder so. Das ist von der Musik her (...) klar geht es auch um Liebe und Gefühle, aber eigentlich geht es um weit mehr als das, was man Frauen zuschreibt. Es dreht sich immer als um Männer, bei ihr halt eben nicht. Mal ´ne ganz andere Sichtweise, die find ich ganz entspannt. Sehr selbstbewusst und auch erfolgreich damit. Ihr ist es vollkommen egal, was andere von ihr denken. Irgendwie zieht sie sich auch beschissen an, aber Sie mag es und trägt es mit Stolz. Ja und Sie tanzt. Ein guter Ausdruckstanz. Scheiß drauf, was die anderen denken. Sie will keinen anderen Menschen gefallen, insbesondere schon gar nicht Männern. Also ist Sie in der Hinsicht schon ein Vorbild, obwohl ich sonst ja viel härtere Sachen höre.

Wie war deine Schulzeit und musstest Du Dich da viel verteidigen?

Ja schon, aber dabei ging es nicht einmal um mich, sondern um meine Freundin. Sie hatte einen Autounfall und Narben im Gesicht und als sie sie beleidig haben, habe ich nur rot gesehen. Wir hatten nur uns zwei, sonst niemanden. Sie haben immer „Narbenfresse“ zu ihr gesagt und das war natürlich ein gefundenes Fressen: Glatzkopf und Narbenfresse. Da habe ich tatsächlich, das einzige mal in meinem Leben, jemandem mit der Faust geschlagen. Hat aber gesessen. Ich habe keinen Ärger bekommen, auch wenn ich natürlich weiß, dass es nicht richtig war. In dem Moment ging es einfach nicht mehr. Die sechste Klasse war ganz schlimm. Ich durfte die Schule nicht wechseln, weil meine Noten zu gut waren, aber ich hätte natürlich noch besser sein können. Das zog dann noch mehr Hass auf mich. Ein paar die aktiv sind und eine Menge die nichts sagen.

Wie war der Rest Deiner Schulzeit?

In der 7. Klasse habe ich Latein gewählt und ja, wie das Klischee es so will, waren das dann eher friedliche

Menschen. Die uncoolen Kinder haben Latein gewählt und dann war eigentlich alles gut. Meine Haare kamen tatsächlich auch wieder, wuchsen ganz gut nach, stellenweise war hier und da was, aber das konnte man mit einem Seitenscheitel gut verdecken. Ich habe sie ganz lange wachsen lassen und man hat fast nichts mehr davon gesehen, außer die Augenbrauen, die halt nicht wieder kamen. Wimpern hatte ich erst noch. Als ich dann so 17, 18 war, wurde es wieder doller, im Seitenbereich und an der Schläfe. Ich habe versucht, es mit einem Tuch zu kaschieren, was auch ging, weil hinten noch Haare waren, aber zur Bewerbungszeit, kurz vor dem Abi (...) so kann man zu keinem Gespräch gehen. Die denken du hast Krebs, du bist krank. Sie dürfen dich das ja nicht fragen, können abnur Vermutungen anstellen, dass du nicht vertrauenserweckend aussiehst und zuverlässig zur Arbeit erscheinst. Deshalb haben dann meine Eltern und ich eine Perücke angeschafft. Damit war es zumindest unsichtbar, weil ich zwischenzeitlich ja noch ein paar Wimpern hatte. Jetzt ist halt tatsächlich gar nichts mehr da, also kein einziges Haar am Körper, nicht mal in der Nase. Tja, so ist das halt verlaufen und ich glaube auch nicht, dass sie wieder kommen.

Wie war dasfür Dich, als die Haare wieder kamen? In der Zeit zwischen 13 und 17 waren Haare da und ich hatte einen ganz tollen Freund in dieser Zeit, das war super. Ich hatte auch die Hoffnung, dass sie bleiben, aber als die Wimpernhaare ausfielen, war es eher unwahrscheinlich. Jetzt ist es so wie es ist.

Hast Du Dich auch gefragt, wieso gerade Du? Ja, das ist DIE Frage. Ich habe mich schon als Kind ganz viel damit auseinander gesetzt. „Warum gerade ich und nicht die Anderen.“ Was habe ich falsch gemacht?“ Man glaub ja dann doch als junger Mensch so ein bisschen an Karma, eventuell. Man versucht, immer alles richtig zu machen. Zeitgleich dieses Schuldgefühl, weil es so vielen Menchen schlimmer als mir geht, ich habe etwas zu essen, ich lebe in Deutschland, im der Westlichen Welt, ich habe Bildung, ich habe ein Dach über dem Kopf, Eltern die mich lieben, also keine zerrüttete Familie. Eigentlich sollte es mir gut gehen. Ich sollte nicht so rumjammern. Man macht sich selber noch einen Vorwurf wie undankbar man ist. Anderseits denke ich, wenn man die Leute anguckt, meint man zu wissen, dass sie sorgenfreier leben. Natürlich hat jeder sein Päckchen so zu tragen, aber man weiß ja schon, dieses eine Päckchen ist ein bisschen schwerer als das Andere. Hat ein bisschen gebraucht, um mich damit abzufinden. Bis vor einem Jahr vielleicht, da ging es los, dass ich damit tatsächlich klar kam.

Woran merkst Du das?

Damals hatte ich eine schöne Figur, ich war schön schlank, trotzdem habe ich mich dick gefühlt. Ich mochte mich selber überhaupt nicht, hatte übelst das Problem mit meinem Körper, aber mit 16 ist das vielleicht so. Jetzt bin ich um einiges schwerer und „massiger“ und habe mich nie besser gefühlt. Es geht mir super. Ich mag mich so, wie ich bin. Meinen Körper finde ich ganz toll, bis auf die Sache mit den Haaren. (...) Wäre schön, wenn sie wieder da wären. Ich finde es aber nicht mehr so schlimm wie früher. Das ganze zurecht zupfen hat mir schon sehr viel Stress bereitet. Jetzt sehe ich das irgendwie entspannter, vielleicht bin ich auch durch den Sport selbstbewusster geworden.

Das wäre meine nächste Frage. Wenn man über etwas die Macht verliert, sucht man sich etwas, dass man kontrollieren kann?

Auf jeden Fall, das muss man machen. Das Körpergefühl ist ein ganz anderes. Ich könnte nie im Leben hungern, um schlank zu sein. Es geht mir nicht in den Kopf, wie das funktioniert. Mit 16 war es irgendwie hart dran, dass ich tatsächlich mit dem Essen gehadert habe, dass ich aufgeschrieben habe, was ich esse und das ging schon in die gefährlich, falsche Richtung. Als ich mich halbwegs wieder einbekommen habe, habe ich viel Sport gemacht, das war es dann glaube ich auch, was den Knoten gelöst hat. Jetzt, mit dem Sport, ist das schon eine Möglichkeit, Kontrolle zu bewahren. Ich kann es nicht beeinflussen, was mit den Haaren passiert. Ich kann mich auf den Kopf stellen, das ändert sich nicht. Da kannst du nichts gegen tun, außer dich mit dir selber abzufinden. Beim Kraftsport und Pumpen und Co. veränderst du deinen Körper bewusst. Du weißt, wenn du dies und jenes durchziehst, dann passieren gewisse Veränderungen, die auch sichtbar werden. Du hast das Gefühl zurück, Kontrolle über deinen Körper zu haben. Manche werden magersüchtig und ich pumpe halt. Das ist irgendwie der gleiche Effekt, nur das es letztendlich wesentlich gesünder ist, als das andere.

Gibt es noch andere Sportarten, die dir gefallen?

Sport habe ich schon immer gemacht, als Kind sowieso und schwimmen tu ich seit ich 6 bin, auch schon im Schwimmverein. Ich bin die ganze Jugend über in der Leistungsgruppe geschwommen und das bis zum Abi. Dann habe ich damit aufgehört, auch wegen den Haaren, weil ich den Stress in den Umkleiden umgehen wollte. Da habe ich lieber Sport am Land gemacht, wo ich die Perücke nicht abnehmen und mich offenbaren musste. Parallel war ich noch bei McFit angemeldet, hab aber nur bisschen trainiert, so nebenbei, als ich da nach dem Abi als Servicekraft gearbeitet hab. Als ich dann einen vernünftigen Plan bekam, hat es mich dann angefixt. Ja, das wird schon zu ´ner kleinen Sucht, das mit den Pumpen und jetzt sind es ca 4,5 Jahr, die ich das so durchziehe.

Das tut dem Selbstbewusstsein doch sicher gut? Ja auf jeden Fall. Ist schon sehr befriedigend, niemanden fragen zu müssen, ob einem jemand was tragen soll. Jetzt ist es echt entspannt und ich bin bei jedem Umzug willkommen. Dieses Jahr sind es schon acht gewesen.Highlight war letztes Mal bei einer Freundin. Da waren zwar viele nette Helfer, aber eben nicht so fit, weil sie nach dem Nachtdienst kamen. Ich hab mit einer Anderen die Sofateile hochgeschleppt und ein Freund hat uns dann bei der Waschmaschine geholfen. Sie war mega dankbar und hat sich total gefreut. Ich dachte mir: „Super, verbrennst du auch noch ein paar Kalorien. Auch gut.“ Ich bin danach noch zum Training gegangen. Das hat sie total umgehauen. Ich finde es total schön zu merken, ich bin fit, mein Körper kriegt das hin. Ich esse seit geraumer Zeit auch kein Fleisch mehr und seit zwei Jahren bin ich nicht mehr ernsthaft krank gewesen. Es wird immer besser, vorher war ich immer wieder mal angeschlagen, wegen einer Erkältung oder so, das artet dann immer ganz schnell aus, mit Bronchitis, weil ich auch Asthma habe. Es geht mir einfach viel besser so, das ist ein sehr schönes Körpergefühl. Ich habe das Gefühl, ich könnte alles bewältigen. Das weiß ich zwar nicht genau, aber man fühlt sich generell stärker. Auf jeden Fall körperlich und vielleicht auch ein bisschen im Kopf, dass man sich anderen Menschen gegenüber einfach selbstbewusster verhält. Beim Sport zB, da sind ja hauptsächlich Männer und die sind nicht immer ganz pflegeleicht. Da nehme ich mir auch das Recht heraus, sie anzupampen, wenn das was nicht in Ordnung ist. Ich habe da auch keine Angst.

Allein körperlich erweckt man einen anderen Eindruck, als wenn man ein kleines, dünnes Mädchen ist. Das gefällt mir gar nicht. Ich mag das sportlich eh lieber, als dieses super dürre. Klar verschiebt sich auch mit der Zeit ein bisschen die Wahrnehmungen, was breit ist und was nicht, das ist mir schon klar. Ich sehe schon meine Muskeln und ich weiß auch wie es auf andere wirkt. Ich sehe mich aber nicht dünn. Ich sehe nicht in den Spiegel und denke mir, es könnte noch mehr werden. Ich sehe es und genau so sehe ich auch aus. Ich fühle mich nicht schmal. Die Wahrnehmungsverschiebung hat zumindest in meinem Kopf noch nicht eingesetzt. Vielleicht kommt es ja noch, ich weiß es nicht.

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