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Kreiskys Sekretär

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Bewegtes Politikerleben

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Eine Persönlichkeit: Die Strahlkraft des heimischen „Sonnenkönigs“ wirkt immer noch

1911 – Bruno Kreisky wird am 22. Jänner in Wien geboren

1946 – Rückkehr aus dem Exil

1959 – Außenminister

1967 – Am 1. Februar wird er Vorsitzender der SPÖ

1970 – Am 21. April wird Kreisky als Kanzler einer SPÖ-Alleinregierung angelobt

1978 – Knappe Mehrheit gegen den Bau des AKW Zwentendorf

„Die sieben Jahre an seiner Seite waren vielleicht die lehrreichsten Jahre meines Lebens.“

Johannes Kunz über seine Zusammenarbeit mit Bruno Kreisky

Kult-Kanzler und „Sonnenkönig“: Am 29. Juli vor 30 Jahren starb Bruno Kreisky. Mit ihm verlor Österreich eine der schillerndsten politischen Persönlichkeiten der Zweiten Republik. Im schau-Interview blickt sein langjähriger Sekretär Johannes Kunz zurück und sagt, was heutige Politiker von seinem Ex-Chef lernen könnten.

JOHANNES KUNZ ÜBER SEINEN EX-CHEF

Kreisky war ein Homo Politicus

TEXT UND INTERVIEW: CHRISTOPH BERNDL

schau: Wie wurden Sie Sekretär bei Bruno Kreisky?

Johannes Kunz: Ich war beim ORF Innenpolitikredakteur im Jahr 1973. Es gab eine Regierungsklausur, ich glaube in Bad Vöslau oder in Baden, und ich habe einen Kommentar im Mittagsjournal gemacht, sehr kritisch. Der Kreisky hat den Kommentar sicher nicht gehört, aber man wird ihm davon erzählt haben, unter dem Motto: „Das war aber ein böser Kommentar im Mittagsjournal.“ Am Abend nach der Nachmittagssitzung hat mich Bruno Kreisky an seinen Tisch gebeten und gefragt: „Wieso hat Ihnen das und das nicht gepasst? Wie kam es zu dem Kommentar?“ Dann haben wir uns unterhalten und nach einer Stunde hat er mir das Angebot gemacht; sein damaliger Pressesprecher Ingo Wussi gehe wieder in den diplomatischen Dienst, ob ich das machen würde. Ich habe mir das einen Tag lang überlegt, dann hab ich zugesagt.

Also eigentlich ein Zufall.

Reiner Zufall.

Man sagt ja, ein bisserl Glück braucht man auch im Leben, nicht nur Talent.

Das Glück ist fast wichtiger als das Talent, würde ich sagen.

Hätten Sie jemals damit gerechnet, dass Sie mal so ein Angebot bekommen?

Nein, überhaupt nicht. Ich war ja auch nicht gefragt, ob ich Mitglied der SPÖ bin, muss ich auch dazusagen. Ich bin dann später beigetreten, im Jahr 1974, glaube ich.

Wenn man aus dem ORF kommt und in ein politisches Büro wechselt, das ist schon ein großer Sprung.

Es ist ein großer Wechsel, aber es bereichert natürlich die Lebenserfahrung sehr, weil man die Dinge einmal genau von der anderen Seite sieht.

Was waren da die größten Aha-Erlebnisse am Anfang?

Interessant waren die sogenannten Ministerratsvorbesprechungen. Die waren immer Montagnachmittag, Dienstag war der Ministerrat. Die

Fast niemand kennt Kreisky besser: auch nicht Mitglied der SPÖ. Er hat

Johannes Kunz erinnert sich für schau an den für die Geschichte Österreichs so prägenden Staatsmann. fanden im engsten Kreis statt. Da hat Kreisky praktisch seine Politik entwickelt und das war natürlich ungeheuer lehrreich, weil er ein analytisches Denken gehabt hat.

Wie hat das in der Praxis ausgesehen?

Er hat die Politik wie ein Schachspiel betrachtet, in Alternativen gedacht und gesagt, wenn wir den Zug machen, welche Optionen haben die anderen und wie reagieren wir dann. Also für ihn war Politik auch eine intellektuelle Herausforderung. Das war ja seine große Begabung. Er war ein Homo Politicus.

Hat sich Bruno Kreisky beim Politikmachen nur auf sein Gespür verlassen?

Nein, er hat auch gewisse Dinge öffentlich abgetestet. Er hat oft etwas nach außen getragen, zum Beispiel eine bestimmte Idee. Wir schafen eine Opinion, hat er das genannt. So konnte er herausfnden, wie sich die Stimmung entwickelt, ob es für dieses Projekt weniger oder mehr Zustimmung gibt, ob man es realisieren sollte oder nicht und in welcher Form man es umsetzt. Also er konnte auf diesem Klavier sehr gut spielen.

Wie lange waren Sie sein Sekretär?

Von 1973 bis 1980, also sieben Jahre.

Das ist im politischen Bereich schon eine lange Zeit.

Es ist sehr lang eigentlich, die meisten machen es kürzer. Aber ich habe es sieben Jahre gemacht, vielleicht die lehrreichste Zeit meines Lebens.

In der direkten Zusammenarbeit, hatten Sie da viel Kontakt mit dem Kanzler?

Ja, wir haben ununterbrochen Kontakt gehabt. Die Schwierigkeit war am Anfang, dass mein Posten nicht defniert war. Ich habe einen Sondervertrag gehabt und war zuständig für die Presseagenden. Aber wie ich das manage, war eigentlich mir überlassen. Ich habe mir nur gesagt, weil ich ja ein Journalist war und aus dem Rundfunk kam, wenn ich den Job mache, eines werde ich nie tun: Ich werde als Pressesprecher nie meine Berufskollegen, die Journalisten, belügen.

1979 organisierte Kreisky ein Treffen mit Jassir Arafat und dem Präsidenten der Sozialistischen Internationale, Willy Brandt. Diskutiert wurden Möglichkeiten einer friedlichen Lösung des Nahostkonfikts.

Ist Ihnen das immer gelungen?

Eigentlich schon. Ein Mal gab’s eine sehr pikante Situation, relativ am Anfang meiner Zeit.

Was genau ist passiert?

1973 war Kreisky bei Muammar alGaddaf in der Wüste. Ich war in Wien, ich bin nicht mitgefahren, und es kam eine Vorrangmeldung irgendeiner internationalen Agentur – damals gab’s ja noch kein Internet – über den Ticker: „Vorrang Kreisky: Österreich anerkennt die PLO.“ Und dann haben alle Journalisten natürlich mich angerufen: Stimmt das, ist das wahr? Nun war die Situation so, ich konnte den Kreisky ja dort nicht anrufen, Handy gab’s keines und vom Wüstenzelt haben wir keine Telefonnummer gehabt. Also ich konnte mit ihm keinen Kontakt aufnehmen.

Wie haben Sie reagiert?

Ich kannte ja seine Meinung, wusste, was er im Sinn hatte. Ich hab also den Journalisten gesagt: „Ich kann den Bundeskanzler nicht erreichen, ich kenne aber seine Haltung, und seine Meinung ist, dass wir in diese Richtung gehen.“ Daraufhin, wie immer, haben die Agenturen das verkürzt wiedergegeben: „Vorrang Bundeskanzleramtssprecher: Österreich anerkennt die PLO.“

Hatte das Konsequenzen für Sie?

Es vergehen keine drei Minuten, stürzt der damalige Generalsekretär im Außenministerium, der Botschafter Haymerle, eine graue Eminenz der österreichischen Diplomatie, mit dem ich dann später eng befreundet war, mit kleinen Schritten in mein Zimmer – wir waren damals noch per Sie – und sagt: „Das ist ungeheuerlich, was Sie machen. Wie kommt Ihnen das zu, dass Sie eine solche weltpolitische Erklärung abgeben?“ Und ich hab gesagt: „Naja, ich kenne die Haltung von Kreisky, ich lüge nicht. Ich weiß, dass das seine Meinung ist. Ich hab ja nicht gesagt, dass ich die Bestätigung habe, dass er das so gesagt hat.“ Also gut, hab ich mir gedacht, vielleicht ist meine Karriere damit auch schon wieder vorbei.

Was sagte Bruno Kreisky dazu?

Ein, zwei Tage später kam der Kreisky wieder zurück nach Öster

Treffen zwischen Bundeskanzler Kreisky und dem libyschen Staatschef Muammar al-Gaddaf im Bundeskanzleramt in Wien

Auch im Flugzeug wurde immer feißig gearbeitet.

„Kreisky war ein großes Kommunikationstalent.“

Johannes Kunz über die Stärke seines Chefs

reich und hat das natürlich in den Zeitungen gelesen. Hab ich gesagt: „Herr Bundeskanzler, so und so war das. Ich bin da gleich gerüfelt worden.“ Er antwortet: „Nein, da haben Sie völlig richtig reagiert.“ Da hat sich dann ein Vertrauensverhältnis entwickelt und das hat die ganzen sieben Jahre lang gut funktioniert.

War dieses Vertrauensverhältnis auch noch nach diesen sieben Jahren gegeben?

Wir haben sehr viel Kontakt gehabt. Nach dieser Zeit war ich Geschäftsführer im Molden Verlag, dann bin ich zurück in den ORF. Und im Jahre 1986, es war der 75. Geburtstag von Kreisky, im Jänner war eine Geburtstagsfeier am Nachmittag in der Freien Bühne Wieden – die hat damals der Topsy Küppers gehört – und dort hat der Willy Brandt die Geburtstagsrede gehalten. Während Brandt redet, werde ich zum Telefon gerufen und am anderen Ende ist die Generalintendanz des ORF. Ich war Hauptabteilungsleiter Gesellschaft, Jugend und Familie und der Gerd Bacher verlangt mich, ich muss sofort auf den Küniglberg. Hab ich mir gedacht: Was ist los? Na und ich gehe dort hin und der Bacher bietet mir den Job des Informationsintendanten an. Er hat mir gesagt, mit dem Teddy Podgorski kann er nicht, der war das interimistisch, ob ich das machen würde.

Haben Sie gleich zugesagt?

Ich habe gemeint, das muss ich mir überlegen. Der Bacher, gleich sehr verärgert, hat zu mir gesagt: „Da ist nix zu überlegen, da sagt man Ja!“ Ich blieb dabei, ich überleg’s mir und verlasse Bachers Büro. Ich gehe von dort weg – und das ist jetzt typisch für die Wiener Szene –, komme um sechs, halb sieben zur nächsten Geburtstagsfeier vom Kreisky – das war eine Festlichkeit der Republik in der Hofburg oder irgendwo –, geh auf den Kreisky zu und der hat das schon alles gewusst. Also, das war schon Tema in Wien. „Machst du’s oder machst du’s nicht?“, hat er mich gefragt.

Was haben Sie geantwortet?

„Soll ich’s machen?“ Darauf Kreisky: „Ja, mach es, aber pass auf die eigenen Leute in eurem Kuratorium oder wie das heißt auf.“ Und er hat im Rückblick Recht behalten.

Bruno Kreisky galt auch als der erste Medienkanzler. Wie haben Sie das erlebt?

Er war ein großes Kommunikationstalent, das mit der Intuition und mit dem Intellekt gearbeitet hat. Das, was man heute Message Control nennt, hätte es damals nicht gegeben. Weil diese Kontrolle hätten sich Minister wie zum Beispiel Hertha Firnberg, Hannes Androsch, Rudolf Häuser, Rudolf Kirchschläger oder Christian Broda nicht verordnen lassen. Das war schon alles auf einer anderen Ebene. Das waren großteils starke Persönlichkeiten. Nicht alle, aber die Wichtigsten.

Was macht den politischen Mythos von Bruno Kreisky aus?

Der Kreisky war wirklich ein Vollblutpolitiker, ein Homo Politicus. Er wollte gestalten, nicht nur verwalten. Er hat kurz vor seinem Lebensende gesagt, er möchte keine Denkmäler zu seiner Erinnerung. Er möchte, dass man ihn in Erinnerung behält als einen Regierungschef, der große Reformen zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen eingeleitet hat. Und nichts wäre für ihn grauslicher, als wenn man ihn in Erinnerung behalten würde als einen, der nur verwaltet hat. Also er hat wirklich gebrannt für die Politik und er hat eine Mission gehabt.

Was war der Grundpfeiler seiner Politik?

Wenn ich alles runterbreche, das Grundprinzip seiner Politik, in der Sozialpolitik, in der Innenpolitik und in der Außenpolitik, war’s der Begrif Solidarität. Das kommt aus seiner sozialdemokratischen Prägung in der Ersten Republik. Die Erste Republik war ja gekennzeichnet durch eine starke Radikalisierung der politischen Lager, durch eine hohe Arbeitslosigkeit, und das hat letztlich in den Austrofaschismus, in die Dollfuß-Diktatur und letztlich zum „Anschluss“ an NaziDeutschland geführt. Und aus dieser Prägung heraus wollte Kreisky um jeden Preis Österreich die Vollbeschäftigung bringen und erhalten. Er wollte eine hohe Arbeitslosigkeit um jeden Preis vermeiden, Stichwort „Defcit Spending“. Daher hat er auch das getan, was ihm seine Kritiker vorwarfen, er hat Schulden gemacht, um Arbeitslosigkeit zu verhindern. Weil er gewusst hat, eine hohe Arbeitslosigkeit bedeutet nicht nur soziale Verwerfungen, sondern auch politische Verwerfungen. Und er hat für Chancengleichheit benachteiligter Menschen gekämpft, mit Schülerfreifahrt, Gratisschulbüchern; bildungsferne Schichten sollten leichteren Zugang zu höheren Schulen und Universitäten erhalten. Er hat zum Beispiel im Familienrecht die Stellung der Frau aufgewertet. Und er hat im Strafrecht große Reformen eingeleitet, die eigentlich alle einstimmig beschlossen wurden, mit Ausnahme der Fristenlösung. Außerdem hat er das erste Mal in die Regierungsprogramme

Politischer Umschwung: Bruno Kreisky nach der Bekanntgabe des vorläufgen Endergebnisses der Nationalratswahl am 1. März 1970

Vertrauen in höchstem Maße: Das Team Kreisky-Kunz ergänzte sich perfekt.

„Er war ein weit gereister Mann mit einem großen historischen Fundus. Das kann man von Politikern heute nicht erwarten.“

Kunz über das Vermächtnis Kreiskys

seiner vier Regierungen ökologische Temen einfießen lassen.

Was können heutige Politiker aus Kreiskys Vermächtnis lernen?

Das ist sehr schwer. Kreisky hat natürlich einen Fundus gehabt, den heutige Politiker gar nicht haben können. Man darf ja nicht vergessen, Kreisky ist geboren 1911 in der Monarchie, vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Kreisky stand als Fünfjähriger Spalier, wie sie den Sarg von Kaiser Franz Joseph I. durch die Innenstadt geführt haben. Kreisky hat die ganze Erste Republik mit den erwähnten Verwerfungen miterlebt, konnte daraus Schlüsse ziehen für die Zweite Republik, war in der Emigration, hat die Welt kennengelernt, war dann Außenminister. Ein weit gereister Mann mit einem großen historischen Fundus. Das kann man von Politikern, die heute 30 oder 40 Jahre alt sind, nicht erwarten, das war eine andere Zeit.

Hat ihn der Zeitgeist unterstützt?

Der war damals links, heute ist der Zeitgeist eher rechts. Kreisky war der richtige Mann zur richtigen Zeit.

Was haben Sie persönlich aus den Jahren mit Bruno Kreisky mitgenommen?

Ich habe eine reiche persönliche Erfahrung mitgenommen, weil es natürlich faszinierend war, mitzuerleben, wie Kreisky im internen Kreis laut gedacht und seine Politik entwickelt hat. Und er war ja, wie Sie richtig sagen, in der Zweiten Republik vielleicht der bemerkenswerteste Politiker und insofern war das natürlich ein tolles Erlebnis.

Wann war Ihr letztes Zusammentreffen mit Bruno Kreisky?

Das letzte Zusammentrefen war wenige Monate vor seinem Tod. Seine Frau war bereits tot. Er hat in der Armbrustergasse 15 mit einer Pfegerin gelebt. Ich war Fernsehintendant und hab ihn an einem Samstag angerufen, weil ich ihn irgendwas fragen wollte. Sag ich: „Wie geht’s dir?“ Er drauf: „Ja, mein Gott, naja.“ Er war gesundheitlich schon schwer gezeichnet. Das muss im Winter vor 30 Jahren, sowas im Dezember 1989, gewesen sein. Ein halbes Jahr vor seinem Tod am 29. Juli 1990. Ich frage ihn: „Gehst du noch zum Eckel?“ Das war eines seiner Lieblingslokale. Er antwortet: „Nein, alleine gehe ich nicht hin, es geht ja niemand mit mir.“ Ich erwidere: „Ja, was machst du heute am Abend?“ Kreisky kurz: „Nix.“ Darauf schlage ich ihm vor: „Na, ich hole dich ab, um halb sieben, ich bestelle einen Tisch. Wir gehen also zum Eckel. Es war voll. Bürgerlicher Bezirk, Döbling. Und ich gehe mit dem Kreisky hinein, er war eingehängt bei mir, er war schon sehr schmal und dünn, an der anderen Hand mit Stock. Wir kommen hinein und es war eine Schockstarre, weil die Leute haben ihn ja lange nicht gesehen und er war wirklich schon so vom Tode gezeichnet. Nach vielleicht einer halben Minute oder Minute erster Applaus, immer mehr applaudieren, dann stehen alle auf, rund 70 Leute. Dann bin ich mit ihm durchgegangen und da sind mir die Tränen gekommen, ihm auch. Diesen Augenblick werde ich nie vergessen.

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