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HILFE, DER CHEF KOMMT ZUM ESSEN
Mag. Eva-Maria von Schilgen-Arnsberg
„Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genauso töten wie mit einer Axt.“
Heinrich Zille (1858–1929), Berliner Zeichner und Fotograf
In angelsächsischen Ländern ist es Usus, doch auch bei uns legen immer mehr Führungskräfte Wert darauf, Mitarbeiter in deren privatem Umfeld kennenzulernen. Dies besonders dann, wenn sie deren Beförderung planen. So kann es dem Karrieresprung nützen, seinen Vorgesetzten zu sich zum Essen einzuladen. Leben Sie in einer Partnerschaft, ist es allerdings ratsam, sich vorab abzusprechen, sowohl was die Einladung als auch was den zukünftigen Berufsweg betrifft. Denn nicht immer stoßen Sie dabei auf uneingeschränkte Zustimmung. Unter Umständen wird Ihr Partner/Ihre Partnerin sich einiges einfallen lassen, um in dem altvertrauten, gemütlichen Trott zu bleiben. Sie sollten also gewappnet sein. Hier ein paar Warnungen.
1. Sie wohnen im eigenen Haus? Dann wird er/sie dafür sorgen, dass kein Parkplatz davor zu finden ist. Kommt der Chef mit dem Taxi, hat er/sie Pech gehabt.
2. Für Haus und Etagenwohnung geeignet sind schmutzige und übel riechende Schuhe vor der Eingangstüre, verwelkte Grünpflanzen, Kinderspielzeug und Schuhabstreifer mit möglichst einfältigen oder anzüglichen Sprüchen.
3. Auch in der Diele lässt sich Abschreckendes organisieren, wie zum Beispiel eine übervolle Garderobe, auf welcher der Chef seinen Mantel selbst aufhängen sollte. Ein Tipp, der leider nur in der kalten Jahreszeit wirkt. Jahreszeitenunabhängig ist die Anweisung, der Gast möge sich die Schuhe ausziehen und dafür in die zu kleinen oder zu großen Filzpantoffel schlüpfen. 4. Die Anwesenheit von Kindern jeglichen Alters, ob sabbernde, quengelnde Kleinkinder oder muffelige Halbwüchsige, wird den Gast verwundern und noch mehr, dass Sie diese ungestört im Wohn-/Essbereich spielen lassen.
5. Ihre Möblierung ist so exklusiv, dass sie in jedem „SCHÖNER WOHNEN“-Magazin abgebildet sein könnte? Dekorieren Sie um! Kitschartikel finden Sie zuhauf in diversen Möbelhäusern, und auch Pölster mit mehr oder minder unmöglichen Designs werden sich auftreiben lassen. Nötigenfalls lassen Sie sich von einer TV-Partnerwahl-Sendung inspirieren.
6. Ein Esszimmertisch, der wackelt, ein harter Stuhl, der bedenklich kracht, wenn man darauf Platz nimmt – auch das trägt nicht unbedingt zum Wohlgefühl des Gastes bei.
7. Sie haben eine der modernen Küchenzeilen im Wohnzimmer? Dass sich beim Kochen Gerüche bilden, ist bekannt, und Lüften nicht jedermanns Sache.
8. „Was auf den Tisch kommt, das wird gegessen!“ – diesen Spruch wird ein höflicher Gast berücksichtigen, auch wenn ihn ein Magengeschwür plagt, er Diabetiker oder Vegetarier ist oder aus religiösen Gründen das eine oder andere Gericht nicht zu sich nehmen kann. Innereien, einige Fleischsorten oder Fisch, scharfe Gewürze und exotische Rezepte verstärken die Wirkung.
9. Musik zum Essen? Auch bei der Begleitmusik ergeben sich ausgezeichnete Möglichkeiten wie ausgefalle-
ne Musikstücke, heiße Rhythmen oder hohe Lautstärke. Ebenfalls wirksam ist ein eingeschalteter Fernseher, schließlich will man die aktuellen Nachrichten nicht versäumen. 10. Letztere können als Anstoß für angeregte Gespräche infrage kommen, wobei sich Themen aus Politik, Religion sowie Geld hervorragend für kontroverse Meinungen eignen und für angeregte bis hitzige Diskussionen sorgen. Zumindest so lange, bis diese von den Anrufen auf den eingeschalteten Telefonen der Gastgeber unterbrochen werden.
11. Sprüche „In der Kürze liegt die Würze“ oder „Du böse, böse Uhr treibst mir die liebsten Gäste fort“ eignen sich ausgezeichnet, um den erstaunten Gast möglichst schnell nach dem Essen hinauszukomplimentieren.
Sollten Sie nun frohlocken, am Ziel Ihres Wunsches angekommen zu sein, muss ich Sie warnen: Auch wenn Sie alle diese Anregungen umgesetzt haben, kann es sein, dass Ihr Chef Ihren Partner/Ihre Partnerin befördert, sei es aufgrund phänomenaler beruflicher Qualitäten oder mangels eines ernst zu nehmenden Mitbewerbers. Es liegt nun an Ihnen, den Hausfrieden wieder herzustellen, zumindest so lange, bis Ihr Vorgesetzter Sie und Ihren Partner/Ihre Partnerin einlädt.
Aber das ist eine andere Geschichte.
„Glück ist das Wohlgefühl, das sich einstellt, wenn man das Elend eines anderen betrachtet.“
Ambrose Gwinnett Bierce (1842–1914), gen. Bitter Pierce, Journalist und Satiriker