Betrieb
Foto: ZDH/Boris Trenkel
Vor dem Hintergrund knapper Materialien und entsprechender Preissteigerungen reicht das alleine doch nicht aus?
Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH): Hans Peter Wollseifer
»»Wollseifer: Das stimmt, es gab im letzten halben Jahr exorbitante Preissteigerungen und Materialknappheit. Daher sollte es zumindest bei öffentlichen Aufträgen auch keine Vertragsstrafen geben, wenn es Handwerkern nicht gelingt, wegen fehlenden Materials einen Auftrag termin- und preisgerecht fertigzustellen. Auch Preisgleitklauseln gehören dazu. In den von der Flutkatastrophe betroffenen Gebieten geht es oft um die nackte Existenz der Menschen. Da noch mehr als anderswo muss man dann auch der Situation angepasst vorgehen und sich flexibel zeigen.
Wie sehr belastet die Materialknappheit die Betriebe?
Mit Weitblick in die Zukunft Im Sommerinterview: Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer. STEFAN BUHREN UND IRMKE FRÖMLING
Herr Wollseifer, die Flutkatastrophe hat gezeigt, wie elementar das Handwerk helfen kann. Aber hat das Handwerk vor Ort genügend Unterstützung?
»»Wollseifer: Uns bedrücken natürlich die Auswirkungen von Katastrophensituationen wie jetzt bei Flut und Hochwasser. Das Handwerk hat tatkräftig geholfen und hilft immer noch. Absolute Priorität hat aktuell natürlich, die Grundversorgung mit Wasser, Strom oder Gas sicherzustellen, Telekommunikation zu ermöglichen und rasch dafür zu sorgen, dass es wieder nutzbare Verkehrswege gibt. Für den Wiederaufbau brauchen wir die Unterstützung der Kommunen. Sie müssen künftig in der Lage sein, etwa im Straßenbau Dringlichkeitsvergaben zu machen, um die Infrastruktur möglichst schnell wiederherzustellen. Allein im Ahrtal sind 62 Brücken zerstört. Da können wir uns keine langen Ausschreibungen und Planungsphasen erlauben, sondern die Verfahren müssen verschlankt und verkürzt werden.
42
„In den von der Flutkatastrophe betroffenen Gebieten geht es oft um die nackte Existenz der Menschen.“ Hans Peter Wollseifer, ZDH-Präsident
»»Wollseifer: Sie trifft besonders Betriebe, die sich in der Corona-Zeit als konjunkturstärkend erwiesen haben. Manchmal lohnt es sich nicht einmal, einen Auftrag anzufangen, weil der Betrieb am Ende draufzahlen muss. In so einer Situation kann es dann schwer sein, Beschäftigung zu sichern oder auszubauen oder sich dafür zu entscheiden, einen Auszubildenden zu nehmen. Auch wenn unsere Betriebe im Handwerk nach wie vor – wie unsere Umfragen zeigen – immer noch sehr ausbildungswillig sind.
Wie sieht denn die Situation auf dem Ausbildungsmarkt aus?
»»Wollseifer: Wir haben kein Angebots-, sondern ein Nachfrageproblem. Ende Juni waren noch rund 31.000 Stellen frei. Und mit 62.251 neuen Lehrverträgen lagen wir schon 13,1 Prozent besser als 2020. Wir sind daher sehr zuversichtlich, dass wir mit unseren vielfältigen Maßnahmen im Sommer der Berufsbildung viele junge Menschen, aber auch deren Eltern ansprechen und sie überzeugen, dass es im Handwerk – unabhängig von Corona – immer sichere Arbeitsplätze und Karrierechancen gibt.
Sie zielen auf die Zukunftsfähigkeit des Handwerks ab.
»»Wollseifer: Richtig, denn ob es sich um E-Mobi lität und Infrastruktur, Gebäudesteuerung und Smart Home, Nachhaltigkeit, Klimaschutzmaßnahmen oder Überalterung der Gesellschaft dreht – das geht alles nur mit dem Handwerk. Schon heute arbeiten etwa 450.000 Handwerksbetriebe mit fast 2,5 Millionen Beschäftigten in knapp 30 Gewerken täglich in fast allen Bereichen an der Energiewende mit und setzen Umwelt- und Klimaschutz um – sei es im Ausbaubereich, an der Gebäudehülle, in der Anlagen- und Gebäudetechnik oder beim Netzausbau und bei der Mobilität. Und ganz sicher wer-
NDH 08/2021