der fall Steuerprobleme mit Ehe und Hausverkauf Schriftliche Arbeit im öffentlichen Recht René Matteotti* / Christa Niklaus-Michel**
Der nachfolgende Steuerrechtsfall wurde an den Anwaltsprüfungen vom 14. Januar 2010 in Bern als schriftliche Aufgabe im öffentlichen Recht gestellt. Für die Bearbeitung des Falls – auszuarbeiten war das Urteil der zuständigen Rechtsmittelinstanz – standen den Kandidaten/-innen sechs Stunden zur Verfügung1. Insgesamt 62 Personen haben die Prüfung absolviert. Der Gesamtnotendurchschnitt betrug 4,35. Rund 23% der Arbeiten mussten mit einer ungenügenden Note bewertet werden, 48% wurden mit der Note 4 bis 4,5 bewertet und 29% der abgegebenen Lösungen erreichten eine gute bis sehr gute Bewertung (Note 5 und höher).
I. Sachverhalt, Aufgabenstellung2 und Hilfsmittel 1. Sachverhalt A. F ist 30 Jahre alt und betreibt seit Kurzem ein Einzelunternehmen, das Schokolade herstellt und hauptsächlich regional vertreibt. Sie wohnt in ihrem Einfamilienhaus in Ostermundigen (BE), welches sie für CHF 1 250 000.– gekauft hat. Am Montag, den 5. Januar 2004 nimmt sie bei der Bank B einen Geschäftskredit in der Höhe von CHF 600 000.– auf, um dringend benötigte Maschinen kaufen zu können. Um diesen Kredit abzusichern, muss F ihr Haus, welches einen amtlichen Wert von CHF 1 000 000.– aufweist, mittels Schuldbrief als Sicherheit verpfänden. Am Freitag, den 4. Juni 2004 heiratet F den 32 Jahre alten M (italienischer Staatsangehöriger) in Bern. Da M in Italien seine Doktorarbeit beenden will, beschliessen die beiden, dass sie bis auf Weiteres an den bisherigen Orten (F in Ostermundigen und M in Mailand) wohnen bleiben. F besucht M bis Ende des Jahres 2004 an acht zum Teil verlängerten Wochenenden, ansonsten halten die beiden telefonischen Kontakt. Am Montag, den 20. Dezember 2004 verkauft F ihr Haus für CHF 1 500 000.– und zieht in eine Mietwohnung an der Musterstrasse 1 in 3072 Ostermundigen. Den Geschäftskredit kann sie noch gleichentags aus während dem Jahr 2004 erwirtschafteten Einnahmen aus ihrer Unternehmung zurückbezahlen.
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Am Mittwoch, den 11. Mai 2005 kauft sie für CHF 1 500 000.– in Münsingen (BE) ein Fabrika tionsgebäude für ihr Unternehmen, welches bisher in Wabern (BE) eingemietet war. In der Steuererklärung für das Jahr 2004, welche F im Juni 2005 bei der Steuerverwaltung einreicht, gibt sie an, seit der Heirat räumlich getrennt von M zu leben. Ferner schreibt sie, sie habe im Mai 2005 aus dem Geld des Verkaufs ihres Hauses in Ostermundigen das Gebäude in Münsingen als Ersatz erworben. B. Am Samstag, den 10. Juni 2006 erhält F die Veranlagungsverfügungen für das Jahr 2004 von der kanto-
* Prof. Dr. iur., M.A., LL.M. Tax, Rechtsanwalt, Ordinarius für schweizerisches, europäisches und internationales Steuerrecht an der Universität Bern. ** BLaw Bern, MLaw Bern, wissenschaftliche Assistentin am Institut für Steuerrecht der Universität Bern. – Die Verfasser danken Prof. Bernard Rolli, Präsident der Abteilung für französischsprachige Geschäfte des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, für die Unterstützung beim Aufbau der Aufgabe und die wertvollen Anregungen beim Erarbeiten der Lösungsskizze. 1 Die erlaubten Hilfsmittel sind am Ende der Aufgabenstellung (vgl. I, Ziff. 2 hiernach) aufgeführt. 2 Der Prüfungsfall lehnt sich, was den Streitpunkt der Anwendung des Alleinstehenden- oder Ehegattentarifs betrifft, an das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 30. Januar 2009 (publiziert in StE B 13.1 2009 Nr. 16). Für die Prüfung wurde der Fall mit zusätzlichen formellen und materiellen Fragestellungen angereichert.
ius.full 3/4/10