Der Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner Herbert Wernicke (1946–2002) war einer der bedeutendsten Theaterkünstler seiner Zeit. Mit seinen bilderstarken Inszenierungen der Opern des Barocks, aber auch der nachfolgenden Jahrhunderte sowie den StückeSchwerpunkt seines Schaffens lag in Basel; zudem inszenierte er an verschiedenen Häusern in Deutschland, unter anderem in Darmstadt, Frankfurt, Hannover, Kassel und München, schließlich in Paris, Wien, Madrid, London und New York. 1991 brachte er in Brüssel Wagners «Ring» in einer epochalen Lesart auf die Bühne, seit 1993 führte er regelmäßig an den Salzburger Festspielen Regie, dort entstand etwa sein herausragender «Boris Godunow». Das vorliegende Buch ist eine Hommage an den Theatermagier Herbert Wernicke, das dessen visionäre Bühnenräume in einem umfangreichen Bildteil dokumentiert. Neben zahlreichen Essays namhafter Musikkritiker und -kenner, von denen einige dem Regisseur auch persönlich nahestanden, erschließen eine Biografie und ein Werkverzeichnis Wernickes reiches Schaffen.
Herbert Wernicke
erfindungen zu barocken Kantaten und Gesängen schrieb er Operngeschichte. Der
Mit Beiträgen von Nora Eckert, Christian Fluri, Bernard Foccroulle, Gerhard Koch, Desirée Meiser, Gerard Mortier, Karl-Heinz Ott, Albrecht Puhlmann, Frieder Reininghaus,
I S B N 978-3-7965-2590-2
Schwabe Verlag Basel www.schwabe.ch
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783796 525902
Schwabe
Eva-Mareike Uhlig, Martina Wohlthat und Xavier Zuber.
Regisseur Bühnenbildner Kostümbildner
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Herbert Wernicke
Herbert Wernicke Regisseur, BĂźhnenbildner, KostĂźmbildner
herausgegeben von Christian Fluri in Zusammenarbeit mit Iris Becher und Marianne Wackernagel
Schwabe Verlag Basel
Gedruckt mit grosszügiger Unterstützung von Berta Hess-Cohn Stiftung, Basel
© 2011 Schwabe AG, Verlag, Basel © 2011 Desirée Meiser für die Werke von Herbert Wernicke © 2011 Fotografien/Abbildungen vgl. Abbildungsnachweis Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder elektronisch verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Redaktion und Lektorat: Iris Becher, Marianne Wackernagel, Schwabe Übersetzung Text Foccroulle: Marianne Wackernagel Gestaltung: Thomas Lutz, Schwabe Gesamtherstellung: Schwabe AG, Druckerei, Muttenz/Basel Printed in Switzerland ISBN 978-3-7965-2590-2 www.schwabe.ch
Inhalt
Gerard Mortier
6 Geleitwort
Bildstrecke
8 Die poetische Kraft der Bilder
Albrecht Puhlmann
152 Leichen pflastern seinen Weg Herbert Wernickes Weg über Wagner in die Moderne und zurück
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161 Zwischen Himmel und Hölle der singende Mensch Annäherungen an Herbert Wernickes 176 allegorisches Operntheater Christian Fluri Zauber der Kunst wider die Verwüstung der Welt Herbert Wernickes Opernarbeiten 183 Bernard Foccroulle Herbert Wernicke, visionärer Künstler 200 Bildstrecke Das Werden einer Oper Nora Eckert Die Kraft des Bildes 205 Über den Bühnenbildner Herbert Wernicke
Bildstrecke
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65 Barockes Welttheater
Gerhard Koch
Bildstrecke
Richard Wagner Xavier Zuber
Herbert Wernickes Dramaturgie der Bilder in Richard Wagners Bühnenfestspiel «Der Ring des Nibelungen» Bildstrecke
Die Weltverbesserer Albrecht Puhlmann
Die Weltverbesserer Zu einer Denkfigur in Herbert Wernickes Inszenierungen Bildstrecke
Gesellschaftssatire
Frieder Reininghaus 222 Gesellschaftssatire als das einzig Wahre Herbert Wernickes Operettenarbeiten
Martina Wohlthat Bildstrecke 96 Ein Alphabet von Schönheit und Schrecken 231 Spanische Phantasmagorien Herbert Wernicke und die Barockoper Desirée Meiser Karl-Heinz Ott 242 Erinnerungen an Herbert Wernicke 101 Entsetzen und Trost der ewigen Wiederkehr Eva-Mareike Uhlig Herbert Wernickes Theatrum mundi 244 Versunkene Seemänner – Erinnerungen Bildstrecke an Herbert Wernicke 105 Das Klavier – Signum bürgerlicher (Musik-)Kultur 248 Herbert Wernicke – Lebensdaten Bildstrecke 250 Herbert Wernicke – Opernarbeiten 117 Das deutsche Drama Christian Fluri 255 126 Ambivalente Romantik, das Grauen des Krieges und der alltägliche Totentanz 257 Herbert Wernickes Deutschland-Trilogie am Theater Basel 259 Bildstrecke 131 Räume der Macht – Träume der Macht
Christian Fluri
Schlusswort Die Autorinnen und Autoren Abbildungsnachweis, Zitatnachweis
Geleitwort Meine Zusammenarbeit mit Herbert Wernicke begann gegen Ende meiner zehnjährigen Direk tionszeit an der Brüsseler Oper. Der «Ring», der damals entstand, war der erste, der eine szenische Alternative zur «Ring»-Inszenierung von Patrice Chéreau in Bayreuth 1976 bot. Und Wernickes Wirken bei den Salzburger Festspielen während meiner dortigen Intendanz (1992–2001) setzte einen künstlerischen Akzent, den man nur mit der Arbeit eines Alfred Roller oder Caspar Neher vergleichen kann. Seine Bilddramaturgie für «Orfeo» (1993), «Boris Godunow» (1994), «Rosen kavalier» (1995), «Fidelio» (1996), «Don Carlo» (1998) und «Les Troyens» (2000) wurde genauso wie die Wiener Philharmoniker essentieller Bestandteil der Festspielgeschichte. «Dekorieren» bedeutete für ihn, Bilder zu schaffen, das heißt einen theatralischen Raum, in dem sich die dramaturgische Bedeutung der Handlung organisch entwickeln kann. Ein prä gnantes Beispiel dieser Arbeitsweise war sein Bühnenbildentwurf für Richard Strauss’ «Rosen kavalier». Die von Hofmannsthal intendierte fiktive Rokokowelt brachte Wernicke dadurch zum Ausdruck, dass die gemalte Wiener Kulisse für das Publikum nur in Spiegeln sichtbar war. Eine geniale Idee, die es ihm ermöglichte, diese Welt ganz im Sinne Hofmannsthals ver schwinden zu lassen und stattdessen das heutige Publikum zu reflektieren oder im gleichen Zug – als Scherzo der Geschichte – die dreieckigen Säulen mit ihren Rokokomalereien und Spiegeln tanzen zu lassen wie den Wiener Kongress. Wernickes theatralische Welt lässt sich nicht in Peter Brooks Theorie des «leeren Raumes» einfügen. Trotzdem bot auch seine dekorative Arbeit keine Bebilderung einer Geschichte, sondern das Finden eines Grundbildes, in dem jedes Element immer dramaturgisch wirkt: Die überdimensio nale Glocke in «Boris Godunow» zelebrierte dessen Krönung, sie begrub ihn aber auch und wurde im Polen-Akt durch einen überdimensionalen Flügel vor rotem Samtvorhang ersetzt.
So komplex und so einfach war Herbert Wernickes Bilddramaturgie, und das faszinierte weite Kreise des Publikums. Wernicke verfügte aber auch über die Fähigkeit, seine musikali schen Partner von seinen Ideen zu überzeugen. Sir Georg Solti, der mit «Fidelio» seine letzte Oper dirigierte (er war damals bereits über achtzig Jahre alt), suchte Wernicke mit mir in sei ner Basler Wohnung auf, um ihm mitzuteilen, er könne den «Fidelio» nur dirigieren, wenn der Kerker schön dunkel und feucht sei und man die Ketten rasseln höre. Dies hat Solti schließ lich aber nicht daran gehindert, in Wernickes meist abstrakten Bühnenbildern eine der berüh rendsten «Fidelio»-Produktionen zu dirigieren. Bis dahin führte allerdings ein langer, arbeits intensiver Weg. Für das Finale etwa fanden wir die bestmögliche Lösung erst bei der Orches terhauptprobe, nachdem eine Beethoven-Büste, weiße Luftballons und vieles mehr geopfert worden waren, jedoch ohne Intervention von Sir Solti, der im Gegenteil alles tat, um Wernicke zu unterstützen. Ebenfalls in bester Erinnerung ist mir Wernickes phantastische «Troyens»Inszenierung, für die er vier verschiedene Bühnenmodelle vorgeschlagen hatte.
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Der «Ring», den Wernicke für die kleine Bühne des Brüsseler Théâtre de la Monnaie konzi pierte und den dessen musikalischer Leiter Sylvain Cambreling an die Frankfurter Oper mitnahm, besticht durch eine gedankliche Stringenz, die vor ihm nur Wieland Wagner in seinem zweiten Bayreuther «Ring» erreicht hatte. Während unserer ersten Besprechung zeigte mir Wernicke seine Grundidee für das Bühnenbild: das zerstörte Arbeitszimmer Adolf Hitlers im Berghof mit Blick auf den Untersberg, auf dem Walhalla stehen sollte. In diesem Raum erzählte er den g anzen «Ring» mit den einfachsten Mitteln des epischen Theaters, so dass die mehrheitlich französischsprachigen Brüsseler Opernfreunde der Gesamthandlung problemlos folgen konn ten – mit Grane als Einhorn (dargestellt von einem Tänzer), dem Wotan das Horn abbricht, um Brünnhilde zu strafen, mit Wagners Wahnfried-Flügel als Brünnhildes Ruhestätte und so vielem mehr: Episches Theater, von dem Bertolt Brecht geträumt hätte und in dem sich die Partitur strukturell und sinnlich entfalten konnte. In der Arbeit war Herbert Wernicke wortkarg, zeigte Bilder, erklärte das Allernotwendigste, hörte zu, änderte, wenn gute Argumente vorgebracht wurden, und entschied. Die S änger w aren fasziniert, weil sie einen Raum erhielten, in dem sie eine lebendige Figur gestalten konnten, was mehr bedeutet als nur erzählen. Deshalb musste Octavian eine Zigarette rauchen nach dem Liebesakt des Vorspiels und legte Wotan sich auf das Sofa beim Monolog des zweiten «Walküre»-Akts. Es wurde wenig diskutiert, weil das Bild deutlich war; mit ihm ließ sich die Geschichte erzählen und zugleich ihre Doppelbödigkeit zeigen. Es wurde nicht interpretiert: Entfalten konnte sich der Sinn, aber auch der Sinn der Sinnlichkeit. Gerard Mortier Madrid, 6. September 2010
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Richard Strauss: «Salome», Basel 1989 Monte Pederson als Jochanaan, Isoldé Elchlepp als Herodias, Walter Raffeiner als Herodes, Lia Frey-Rabine als Salome Die poetische Kraft der Bilder
Claude Debussy: «Pelléas et Mélisande», Brüssel 1996 Laurence Dale als Pelléas, Maria Bayo als Mélisande, Monte Pederson als Golaud Die poetische Kraft der Bilder
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Modest Mussorgski: ÂŤBoris GodunowÂť, Salzburg 1997 (Wiederaufnahme von 1994), Thomas Stache als Narr Die poetische Kraft der Bilder
«Die Prophezeiung des Goldenen Zeitalters und der Schrecken der Hölle, Sechs Florentiner Intermedien von 1589», Kassel 1984 Wolfgang Strohmeyer als Erzähler Die poetische Kraft der Bilder
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Georg Friedrich Händel: «Theodora», Basel 1994, Sonia Theodoridou als Theodora Die poetische Kraft der Bilder
Georg Friedrich Händel: «Giulio Cesare in Egitto», Basel 1998 Graciela Araya als Giulio Cesare Die poetische Kraft der Bilder
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Wolfgang Amadeus Mozart: ÂŤIl Dissoluto punito o sia il Don GiovanniÂť, Basel 1992 Greer Grimsley als Don Giovanni, Christoph Homberger als Ottavio, Rachel Joselson als Donna Elvira, Margaret Jane Wray als Donna Anna Die poetische Kraft der Bilder
Claudio Monteverdi: «L’Orfeo», Salzburg 1993 Die poetische Kraft der Bilder
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Wolfgang Amadeus Mozart: «Così fan tutte o sia La Scuola degli Amanti», Basel 1990 Sonia Theodoridou als Fiordiligi, Marianne Rørholm als Dorabella, Christoph Homberger als Ferrando, Sophie Boulin als Despina, Gerhard Faulstich als Don Alfonso, Martin Gantner als Guglielmo Die poetische Kraft der Bilder
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Richard Wagner: «Der Ring des Nibelungen», Brüssel 1991, «Das Rheingold» Wojciech Maciejowski als Froh, Margaret Jane Wray als Freia, Alan Held als Wotan, Livia Budaï-Batky als Fricka, Falk Struckmann als Donner Die poetische Kraft der Bilder
Richard Wagner: «Der Ring des Nibelungen», Brüssel 1991, «Siegfried» Victor Braun als Der Wanderer, Jadwiga Rappé als Erda, William Cochran als Siegfried Die poetische Kraft der Bilder
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Francesco Cavalli: «La Calisto», Brüssel 1993 Die poetische Kraft der Bilder