einzigartig und faszinierend zugleich. Bereits sein Onkel Josef Müller wie auch seine Tante Gertrud MüllerDübi legten hochkarätige Gemäldesammlungen an. Josef Müller interessierte sich zudem für aussereuropäische Stammeskunst, die seine Tochter Monique und sein Schwiegersohn Jean-Paul später in die BarbierMueller Museen in Genf und Barcelona einbrachten. 40 Jahre nach Rudolf Schmidts Tod hat es sich das Antikenmuseum Basel zur Aufgabe gemacht, dessen Wirken erstmals umfassend in einer Sonderausstellung 2011 darzustellen: Kostbare Steingefässe aus Ägypten, altorientalische Miniaturkunst, Bronzefiguren aus Luristan (Iran) und Skulpturen der Antike treten in einen faszinierenden Dialog mit Werken von Ferdinand Hodler, Giovanni Giacometti, Cuno Amiet und anderen. Dazu sind Werke aus Familienbesitz und aus Schweizer Museen zusammengeführt worden, so als stünden sie wie einst in Schmidts Wohnräumen im ehemaligen Cartierhof. Den Besucher erwarten in einer ästhetisch vollendeten Inszenierung weitgehend unbekannte Meisterwerke des Altertums und der Moderne.
I S B N 978-3-7965-2738-8
Schwabe Verlag Basel www.schwabe.ch
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783796 527388
Die Sammlung Rudolf Schmidt (1900 –1970)
umfangreiche Kollektion an Werken alter Kulturen und Gemälden der klassischen Schweizer Moderne ist
Ägypten, Orient und die Schweizer Moderne
Rudolf Schmidt aus Solothurn war zu seinen Lebzeiten eine weltbekannte Sammlerpersönlichkeit. Seine
Ägypten, Orient und die Schweizer Moderne
Sammlung_Schmidt_UG 29.03.11 11:04 Seite 175
Ägypten, Orient und die Schweizer Moderne Die Sammlung Rudolf Schmidt (1900 –1970)
Herausgegeben von André Wiese
Mit Beiträgen von Monique Barbier-Mueller, Andrea Bignasca, Hildi Keel-Leu, Edwin Peters, Malte Peters, Heinz Stahlhut, Ella van der Meijden Zanoni, André Wiese
Schwabe Verlag Basel
Ägypten, Orient und die Schweizer Moderne Die Sammlung Rudolf Schmidt (1900–1970) Eine Ausstellung des Antikenmuseums Basel und Sammlung Ludwig vom 25. März bis 31. Juli 2011 Gesamtdirektion Prof. Dr. Peter Blome Leitung, Konzeption und Ausstellungsgestaltung sowie Herausgeber und Mitautor des Kataloges Dr. André Wiese, Kurator Mit Beiträgen von Monique Barbier-Mueller, Genf Andrea Bignasca, Basel Hildi Keel-Leu, Fribourg Edwin Peters, Kilchberg Malte Peters, Schindellegi Heinz Stahlhut, Berlin Ella van der Meijden Zanoni, Basel André Wiese, Basel Fotos Andreas F. Voegelin, Antikenmuseum Basel Rainer Wolfsberger, Museum Rietberg Zürich Silvia Hertig, Archäologisches Institut der Universität Zürich Lektorat Valentin Herzog, Riehen Reto Zingg, Schwabe Gestaltung Andreas Brodbeck, Forch Konservierung und Montagen Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig Kurt Bosshard Susanne Dürr Olivier Berger Technischer Dienst Urs Kaufmann Viktor Hürbin
© 2011 Schwabe AG, Verlag, Basel Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder elektronisch verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Gesamtherstellung: Schwabe AG, Druckerei, Basel/Muttenz Printed in Switzerland ISBN 978-3-7965-2738-8 www.schwabe.ch
Der Dank der Direktion des Antikenmuseums Basel und Sammlung Ludwig geht an die grosszügigen Leihgeber Malte und Edwin Peters, die die Ausstellung ermöglicht und stets wohlwollend unterstützt haben sowie an Prof. em. Othmar Keel, BIBEL+ORIENT Museum Fribourg, Dr. Albert Lutz, Museum Rietberg, und Prof. Dr. Elena Mango, Archäologisches Institut der Universität Zürich, für die Bereitstellung weiterer Leihgaben. Abschliessend geht unser aller Dank an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Antikenmuseums Basel und Sammlung Ludwig, die zum Gelingen der Ausstellung beigetragen haben.
Inhaltsverzeichnis Vorwort Zum Geleit Teil 1 Rudolf Schmidt, Solothurn – Sammler und Privatgelehrter
7 9
11
1. Der Familienhintergrund Von Malte und Edwin Peters
12
2. Rudolf Schmidt – das Leben eines Sammlers Von Malte und Edwin Peters und André Wiese
15
3. Ägypten, Orient, Antike – die archäologische Sammlung Von André Wiese
33
4. Hodler, Giacometti, Amiet – die Kunstsammlung «Schweizer Moderne» Von Heinz Stahlhut
53
5. Eine Cousine Rudolf Schmidts erinnert sich Von Monique Barbier-Mueller
54
Teil 2 Die Sammlung Rudolf Schmidt – ein Querschnitt
61
1. Vollendete Formen – ägyptische Steingefässe Von André Wiese
63
2. Ferdinand Hodler und Frank Buchser Von Heinz Stahlhut
93
3. Miniaturkunst – altorientalische Roll- und Stempelsiegel Von Hildi Keel-Leu
109
4. Giovanni Giacometti Von Heinz Stahlhut
121
5. Symmetrie und Abstraktion – Bronzekunst aus Luristan Von Andrea Bignasca
127
6. Cuno Amiet Von Heinz Stahlhut
147
7. Schönheitsideal – Menschenbilder in der Antike Von Ella van der Meijden Zanoni
153
8. Maurice Barraud und Hans Berger Von Heinz Stahlhut
167
Literatur- und Abbildungsverzeichnis
175
Vorwort Rudolf Schmidt und seine Schwester Erica, die zeitlebens eng mit ihm verbunden war, stammten mütterlicherseits aus der bekannten Solothurner Industriellen- und Sammlerfamilie Müller (Sphinxwerke). Sowohl Schmidts Onkel Josef Müller als auch dessen Schwester Gertrud Dübi-Müller legten hochkarätige Gemäldesammlungen an, die sie später zum Teil dem Kunstmuseum Solothurn vermachten. Beide pflegten bereits in jungen Jahren Kontakt zu wichtigen Schweizer Malern wie Cuno Amiet, Giovanni Giacometti, Ferdinand Hodler und Félix Vallotton. Sie kauften deren Werke wie auch solche von Pablo Picasso, Paul Cézanne, Fernand Léger und Henri Matisse. Josef Müller interessierte sich ausserdem für aussereuropäische Stammeskunst. Seine umfangreiche Sammlung von Objekten aus diesem Bereich wurde Bestandteil des von seiner Tochter Monique und seinem Schwiegersohn Jean-Paul Barbier gegründeten Museums Barbier-Mueller in Genf. Bis heute unbeleuchtet blieb die ebenso bemerkenswerte wie leidenschaftliche Sammeltätigkeit von Rudolf Schmidt, der ebenfalls eine weltbekannte Sammlerpersönlichkeit war. Seine umfangreiche Kollektion von Werken alter Kulturen und Gemälden der klassischen Schweizer Moderne ist einzigartig. Das Antikenmuseum Basel hat es sich zur Aufgabe gemacht, 40 Jahre nach Rudolf Schmidts Tod dessen Wirken erstmals umfassend darzustellen. Altägyptische Steingefässe, altorientalische Rollsiegel, Bronzefiguren aus Luristan und griechisch-römische Skulpturen treten in der Ausstellung in einen faszinierenden Dialog mit Werken von Ferdinand Hodler, Giovanni Giacometti, Cuno Amiet und anderen. So erwarten den Besucher in einer spannenden Inszenierung weitgehend unbekannte Meisterwerke des Altertums und der klassischen Schweizer Moderne. Noch zu Lebzeiten überliess Rudolf Schmidt dem Museum Rietberg in Zürich seine bedeutende Kollektion von Luristan Bronzen, die 1992 von Judith Rickenbach unter dem Titel «Magier mit Feuer und Erz. Bronzekunst der frühen Bergvölker in Luristan, Iran» publiziert wurde. Als Erica Peters-Schmidt im Jahre 1970 das Erbe ihres Bruders antrat, traf auch sie wegweisende Dispositionen zur Erhaltung der umfangreichen Sammlungen. Am 17. Mai 1981 schenkte sie auf Vermittlung von Othmar Keel dem Biblischen Institut der Universität Fribourg die einzigartige Sammlung von über 340 vorderasiatischen Roll- und Stempelsiegeln, die später zum Grundstein des 2005 gegründeten BIBEL+ORIENT Museums an der Universität Fribourg wurde. Hildi Keel-Leu publizierte 1991 die Sammlung der Stempelsiegel und 2004 zusammen mit Beatrice Teissier die der Rollsiegel unter dem Titel «Die vorderasiatischen Rollsiegel der Sammlung «Bibel+Orient» der Universität Freiburg Schweiz».
7
Bereits 1978 hatte Erica Peters die wissenschaftliche Aufarbeitung der ebenso bedeutenden Sammlung an ägyptischen Steingefässen veranlasst. Die Veröffentlichung erfolgte 1988 durch Peter Günther und Rudolf Wellauer unter der Leitung von Prof. em. Peter Kaplony unter dem Titel «Ägyptische Steingefässe der Sammlung Rudolph Schmidt, Solothurn». Einige Gefässe wurden damals der Archäologischen Sammlung der Universität Zürich geschenkt. Nach dem Tode von Erica Peters-Schmidt (1988) gingen die verbleibenden Sammlungsteile an ihre Söhne Malte und Edwin Peters über, die sie mit viel Umsicht verwalten und auch das Einverständnis zu dieser Ausstellung gegeben sowie mit ihren Familienerinnerungen einen wichtigen Beitrag zu diesem Katalog geleistet haben. Nicht nur aus Familienbesitz, sondern auch aus Schweizer Museen wurden die aussagekräftigsten Sammlungsobjekte Rudolf Schmidts wieder zusammengetragen, als stünden sie 40 Jahre nach seinem Tod wieder in dessen Solothurner Palais. In diesem Zusammenhang danken wir sehr herzlich Prof. em. Othmar Keel für die Leihgaben aus dem BIBEL+ORIENT Museum in Fribourg, Direktor Dr. Albert Lutz für die Leihgaben aus dem Museum Rietberg in Zürich und Prof. Elena Mango für die Leihgabe aus der Archäologischen Sammlung der Universität Zürich. Dank geht weiter an unseren Museumsphotographen Andreas F. Voegelin für seine tadellose Anfertigung und Bearbeitung der Farbbilder im Katalogteil sowie an Herrn Andreas Brodbeck für seine sorgfältige Ausführung des Layouts. Chefrestaurator Kurt Bosshard besorgte die Abdrücke der Rollsiegel und war zudem zuständig für die Objektmontagen. Auch ihm sei unser Dank gewiss. Dank geht auch an alle Autorinnen und Autoren für ihre geschätzten Beiträge im vorliegenden Ausstellungskatalog, der mit viel Umsicht von Dr. Valentin Herzog redigiert wurde.
Prof. Dr. Peter Blome
Dr. André Wiese
Direktor
Kurator
8
Zum Geleit Als nächste noch lebende Verwandte ist es für uns zugleich eine Ehre und eine Pflicht, am Projekt einer Ausstellung über unseren Onkel Rudolf Schmidt als Person und Sammler mitzuarbeiten. Den Anstoss dazu haben die Herren Prof. Dr. Peter Blome, Direktor des Antikenmuseums und Sammlung Ludwig in Basel, und Dr. André Wiese, Leiter der Abteilung Ägyptische Kunst, gegeben. Ihnen gilt deshalb unser ganz besonderer Dank. Einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich sind seit geraumer Zeit zwei der bedeutenden Sammlungen von Rudolf Schmidt: Die eisenzeitlichen Bronzeobjekte aus der persischen Provinz Luristan befinden sich heute im Museum Rietberg in Zürich. Die altorientalischen Roll- und Stempelsiegel können im Biblischen Institut der Universität Fribourg besichtigt werden. Ausserdem sind seit vielen Jahren Objekte aus dem alten Ägypten als Schenkungen oder Leihgaben im Antikenmuseum Basel und in der Sammlung des Archäologischen Instituts der Universität Zürich zu sehen. Die gegenwärtige Ausstellung bietet nun die Gelegenheit, weitere antike Kostbarkeiten und dazu einige jener Werke der schweizerischen Kunst aus dem frühen 20. Jahrhundert zu zeigen, mit denen Rudolf Schmidt seine repräsentativen Wohnräume im damaligen Cartierhof in Solothurn verschönert hat. Wir freuen uns, dass hier für einmal nicht nur Rudolf Schmidts fast unerschöpfliche Sammlungen im Mittelpunkt stehen, sondern dass es auch um die Persönlichkeit des Sammlers geht. Für uns, seine Neffen, die wir der nächsten Generation angehören und nicht in Solothurn aufgewachsen sind, hält sich der Fundus an persönlichen Erinnerungen an unsern Onkel leider in engen Grenzen. Auch ist zu bedauern, dass er sich als bescheidener und eher zurückhaltender Junggeselle nie ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gestellt und die Erinnerungen an sein reiches Leben mit sich ins Grab genommen hat. Wohl hatte er einen weiten Verwandten- und Bekanntenkreis, der möglicherweise wertvolle Einzelheiten hätte beisteuern können. Doch sind diese Quellen der «oral history» leider fast gänzlich versiegt. So sind wir auf spärliche direkte und indirekte Informationen angewiesen. Wir haben aber unser Möglichstes getan und hoffen, dass wir zu einem anschaulichen Bild des Menschen und Sammlers Rudolf Schmidt beitragen können. Malte und Edwin Peters
9
Teil 1 Rudolf Schmidt, Solothurn – Sammler und Privatgelehrter
1. Der Familienhintergrund
Braunschweig besuchte, die er 1883 als Zwanzig-
Von Malte und Edwin Peters
jähriger mit einem Diplom in Technischer Chemie abschloss. Weil die damals aufkommende Farben-
Der Vater
industrie eine gute berufliche Zukunft versprach, ging er anschliessend nach Freiburg im Breisgau,
Rudolf Schmidts Vater, Jakob Oskar Schmidt
um dort in Organischer Chemie zu doktorieren. Die
(23.8.1863–21.12.1946), stammte aus einer wohl-
Hoffnung auf eine rasche Anstellung in der Farben-
habenden Hanseatenfamilie (Abb. 1), die bei Bre-
industrie zerschlug sich allerdings. Oskar Schmidt
men eine Zigarrenfabrik betrieb. Als der älteste von
bewog daraufhin seinen Vater, ihm noch ein paar
drei Söhnen wuchs er in einem gepflegten Haushalt
Semester Elektrotechnik an der Neuen Hochschule
auf. Seiner 1930 verfassten (unveröffentlichten) Au-
in Charlottenburg zu finanzieren.
tobiographie ist zu entnehmen, dass er nach den
Sein chemisches und elektrotechnisches Wissen
Schulen in Bremen die Technische Hochschule in
befähigte ihn, an verschiedenen industriellen Entwicklungsprojekten mitzuarbeiten, wobei es einmal um Gasgewinnung durch Elektrolyse, dann aber auch um die Speicherung elektrischer Energie mittels Akkumulatoren ging. Seine berufliche Laufbahn führte ihn von Deutschland über Holland und Frankreich schliesslich in den Schweizer Jura, wo er sich zum Direktor einer Zweigniederlassung der «Accumulatoren-Fabrik Tudorschen Systems Büsche & Müller oHG» emporarbeitete. Die Firma war ein Vorläufer des traditionsreichen deutschen Batteriekonzerns VARTA AG. Als ihm eine Versetzung nach Spanien oder Russland angeboten wurde, weigerte sich seine Verlobte Emma Müller aus Solothurn, ihn als Gattin dorthin zu begleiten, so dass er sich nach einer neuen Stelle umsehen musste. Der Zufall wollte es, dass in eben diesem Jahr 1895 die Akkumulatorenfabrik Oerlikon von einer Schweizer Bank übernommen wurde, die dafür auch einen neuen Direktor suchte. Oskar Schmidt war geradezu prädestiniert für diese Stelle, und so kam es, dass er die restlichen 35 Jahre seines Arbeitslebens an der Spitze der erwähnten Firma stand. 1911 liess er sich an bester Lage in Zürich Wollishofen eine geräumige Villa erbauen. Vier Jahre
Abb. 1 Jakob Oskar Schmidt (1863–1946).
12
später wurde er eingebürgert. In dieser Villa an der
erste in Europa gebaute Anlage zur Übertragung
Scheideggstrasse 35 wohnte er zunächst mit seiner
elektrischer Energie über eine längere Distanz war.
Frau Emma und den beiden Kindern Erica und Ru-
Nach dem Ausscheiden von Josephus Müllers
dolf. Nach der Scheidung im Jahr 1920 heiratete
Geschäftspartner Jakob Schweizer wurde die Firma
Oskar Schmidt seine verwitwete Schwägerin Elisa-
umgetauft in Sphinxwerke Müller & Cie. AG. Di-
beth, die ihren jüngsten Sohn Eberhard mit ins
rektor wurde Otto Dübi.
Haus brachte. Am 21. Dezember 1947 starb Oskar
Josephus Müllers Ehe mit Anna Emma Albertine
Schmidt hier im Alter von 84 Jahren.
Haiber entsprangen sechs Kinder, von denen zwei bereits im Jahr der Geburt starben: Emma Anna
Die Mutter und ihre Familie
Margaritha (1875–1920), Oskar Josef (1878), Robert Josef (1882), Margaritha Anna (1884–1956),
Rudolfs Mutter, Emma Anna Margaritha Müller
Josef Oscar (1887–1977) und Anna Gertrud
(23.7.1875–26.11.1920), entstammte einem alt-
(1888–1980 ).
eingesessenen Solothurner Geschlecht (Abb. 2). Ihr
Die Familie Müller scheint regen gesellschaftli-
Vater, Josephus Adolphus Müller-Haiber (1834–
chen Verkehr mit anderen Industriellen der Gegend
1894) betrieb in Solothurn eine Getreidemühle und
gepflegt zu haben, unter anderem auch mit dem
eine Bäckerei. 1876 gründete er zusammen mit dem Uhrmacher Jakob Schweizer (1835–1913) die Firma «Müller & Schweizer», die auf die automatische Herstellung von kleinen, präzisen Schrauben und Drehteilen aller Art spezialisiert war, wie sie von der expandierenden Uhrenindustrie benötigt wurden. Bald stellte sich heraus, dass die vorhandene Wasserkraft dem Energiebedarf der vielen Maschinen nicht mehr genügte. Darum erwarben die beiden Fabrikanten die Wassernutzungsrechte im rund sieben Kilometer entfernten Kriegstetten und beauftragten Charles Brown jun. und die Maschinenfabrik Oerlikon, dort Turbinen und Generatoren zu installieren und die so gewonnene elektrische Energie mittels einer Freileitung in die Solothurner Fabrikationshallen zu bringen. Charles Brown, der spätere Mitbegründer des Weltkonzerns Brown Boveri (BBC, heute mit ASEA zu ABB fusioniert), konstruierte 1886 als junger Abteilungsleiter der Maschinenfabrik Oerlikon diesen Generator vom Manchester-Typ sowie die dazu gehörige Freileitung. Es wird vermutet, dass dies die
Abb. 2 Emma Schmidt-Müller (1875–1920).
13
Solothurner Fabrikanten Oscar Miller (1862–1934),
Im Jahr 1888 starb Anna Müller-Haiber nach
der seit 1887 die Papierfabrik Biberist leitete. Miller
der Geburt ihrer jüngsten Tochter Gertrud. Sechs
baute ab 1896 eine bedeutende Sammlung zeitge-
Jahre später verstarb auch der Vater Josephus Mül-
nössischer Kunst auf, die Werke von Cuno Amiet,
ler. Die Kinder wurden einer Gouvernante anver-
Ferdinand Hodler, Hans Berger, Frank Buchser, Ernst
traut, der man grosse Strenge nachsagte und bei
Ludwig Kirchner, Otto Modersohn, Félix Vallotton,
der sie zwar keine Geborgenheit fanden, sich aber
Otto Roos, Fritz Overbeck u. a. umfasste. Er war
die damals üblichen Umgangsformen und Verhal-
ein Förderer verschiedener Kunstmuseen. Heute
tensmuster ihres grossbürgerlichen Milieus aneig-
befindet sich seine Sammlung zum überwiegenden
neten – schliesslich waren sie alleinige Besitzer ei-
Teil im Kunstmuseum Solothurn. Dank Miller ka-
ner profitablen Aktiengesellschaft.
men die vier Kinder der Familie Müller bereits früh
Emma Müller, die älteste der vier Geschwister,
in Kontakt mit verschiedenen Schweizer Sammlern
heiratete schon kurz nach ihrem 21. Geburtstag Os-
und Künstlern, insbesondere mit Cuno Amiet, Gio-
kar Schmidt, den zukünftigen Direktor der Akkumu-
vanni Giacometti und später auch mit Ferdinand
latorenfabrik Oerlikon. Am 29. Januar 1899 brachte
Hodler, mit denen sie freundschaftliche Beziehun-
sie ihre Tochter Erica Elisabeth zur Welt und am 18.
gen pflegten.
September 1900 den Sohn Rudolf Oskar (Abb. 3).
Abb. 3 Mutter Emma Schmidt-Müller zusammen mit ihren Kindern Erica und Rudolf.
14
2. Rudolf Schmidt – das Leben eines Sammlers
Die Mutter hingegen liebte eher leise Töne und pflegte feinsinnigen Umgang mit Künstlern wie
Von Malte und Edwin Peters und André Wiese
dem Schriftsteller Carl Spitteler (1845–1924), dem Bildhauer Fritz Klimsch (1870–1908), den Malern
Oskar Schmidt, Rudolfs Vater, war ein tüchtiger Ge-
Victor Surbek (1885–1975) und Hans Berger
schäftsmann und darüber hinaus ein grosszügiger
(1882–1977). Daneben unterhielt sie auch regen
und beliebter Gastgeber. Mit Geschäfts- und Jagd-
Kontakt mit ihren Geschwistern in Solothurn. Wäh-
freunden soll er in der Wollishofener Villa fulmi-
rend Oskar sich auf der Jagd vergnügte, ging sie
nante Feste gefeiert haben (Abb. 4). Ausserdem
mit ihren Kindern ins Theater oder ins Konzert und
war er ein leidenschaftlicher Tüftler. In der Werk-
besuchte mit ihnen die wichtigsten Städte Europas.
statt seines Hauses bastelte er Uhren, experimen-
Mit der Schwester Gertrud, stolzer Besitzerin eines
tierte mit Radios und Telefonapparaten und entwi-
Automobils, unternahm sie regelmässig Ausflüge,
ckelte allerlei Messgeräte. Er war durch und durch
die von Gertrud fotografisch dokumentiert wur-
Naturwissenschaftler und sammelte – nebst Jagd-
den. Ihre Aufnahmen zeigen die Schmidts etwa auf
gewehren – Mineralien und Schmetterlinge.
dem Julierpass mit der Familie Giacometti (Abb. 5)
Abb. 4 Die Villa Schmidt in Wollishofen bei Zürich um 1920.
15
Abb. 5 Emma Schmidt-Mßller mit Erica und Rudolf zusammen mit der Familie Giacometti auf dem Julierpass. Links neben der Säule der junge Alberto Giacometti.
Abb. 6 Erica und Rudolf zu Besuch bei den Amiets auf der Oschwand im Kanton Bern.
16
oder auf der Oschwand im Kanton Bern mit den Amiets (Abb. 6). Mindestens einmal weilte der schon damals berühmte Maler Ferdinand Hodler in Wollishofen zu Besuch (Abb. 7). Mehrmals besuchten Emma Schmidt und Erica ihn in Genf und liessen sich beide von ihm porträtieren. (Kat.-Nr. IV, V). Von diesen Sitzungen sind mehrere Aufnahmen überliefert, die Hodler bei der Arbeit zeigen (Abb. 8). Ein handschriftliches Verzeichnis dokumentiert, dass Emma Schmidt bereits 1908 begann, Kunst zu kaufen. Im Ganzen hat sie dieser Liste zufolge 77 Werke verschiedenster Künstler erworben, unter anderem von Ferdinand Hodler, Giovanni Giacometti, Albert Trachsel, Victor Surbek, Albert Hertel, Cuno Amiet, Auguste Renoir, Fritz Klimsch, Alexandre Blanchet, Max Liebermann, Hans Berger und René Auberjonois. Oskar Schmidt fand wenig Zeit, sich seines Sohnes anzunehmen. Die Winterferien allerdings ver-
Abb. 7 Ferdinand Hodler auf der Terrasse der Schmidtschen Villa in Wollishofen.
brachte die Familie stets in St. Moritz, Davos oder
Abb. 8 Ferdinand Hodler malt Erica Schmidt.
17
men einer Dame der gehobenen Gesellschaft zu lernen. Rudolf besuchte zunächst das bekannte Internat auf Schloss Glarisegg bei Steckborn. Nach der Matur studierte er an der Universität Zürich Ökonomie und promovierte 1929 mit einer Dissertation über ein offenbar damals schon aktuelles Thema, nämlich «Die bankmässige Finanzierung des Automobilkaufes auf Abzahlung». Es ist allerdings nicht bekannt, ob er das erworbene Wissen jemals gewinnbringend eingesetzt hat (Abb. 9). Das Verhältnis zwischen Rudolf Schmidt und seinem Vater war in jener Zeit eher gespannt, denn Rudolf orientierte sich in seinen Interessen eher am Vorbild der Mutter, von der Oskar Schmidt sich 1920 scheiden liess. In seinen späteren Lebensjahren jedoch hat Vater Oskar die Sommerwochen jeweils im Solothurner Cartierhof bei seinem Sohn verbracht und mit ihm, wie aus dem Gästebuch Rudolf Schmidts hervorgeht, ein durchaus offenes und freundliches Verhältnis gepflegt. Mit der Mutter hatte Rudolf Schmidt sich aus-
Abb. 9 Rudolf Schmidt als Student in Zürich.
serordentlich eng verbunden gefühlt. Ihr unerwarteter Tod am 26. November 1920 war für den Klosters, und im Sommer unternahm man Ausfahr-
zwanzigjährigen Studenten eine so einschneidende
ten im Elektroauto – Schmidt musste doch die
und traumatisierende Erfahrung, dass er offensicht-
Tauglichkeit seiner Akkumulatoren beweisen. Aus-
lich für den Rest seines Lebens nicht fähig war, eine
serdem gönnte er seinem Chauffeur so ein wenig
feste Beziehung zu einer Frau aufzubauen. Er blieb
Ruhe.
Junggeselle, pflegte jedoch engen Kontakt zu sei-
Erica und Rudolf Schmidt wuchsen also in ei-
ner Schwester Erica und zu seinen Verwandten in
nem komfortablen und weltoffenen, wenngleich
Solothurn. Zunächst wohnte er weiterhin bei sei-
eher konventionellen Umfeld auf. Zugleich aber
nem Vater in Zürich-Wollishofen, später zog er für
war die Atmosphäre ihres Elternhauses von extre-
einige Jahre zur Schwester nach Kilchberg. Nicht
men Gegensätzen geprägt. Von entscheidender
sicher einem bestimmten Ort zuzuweisende Innen-
Bedeutung für die Erziehung der beiden Kinder
ansichten seines Zimmers aus den 1920er Jahren
war jedenfalls die feinsinnige Mutter, die ihnen den
zeugen bereits vom eigenwilligen Stil des jungen
Zugang zur Welt der schönen Künste öffnete. Erica
Mannes: Neben Empire Möbeln gibt es zahlreiche
wurde dann in die Romandie und nach England ge-
Stücke, die an seine Mutter erinnern, darunter vor
schickt, um Fremdsprachen und die Umgangsfor-
allem ihr von Hodler gemaltes Porträt (Abb. 10).
18
Abb. 10 Rudolfs Studentenzimmer nach dem Tode seiner Mutter (vielleicht in Wollishofen).
Dank der mütterlichen Hinterlassenschaft verfügte
nannten Cartierhof in Solothurn (Abb. 11). Dieses
Rudolf Schmidt über ein hinreichendes Einkommen,
beachtliche Anwesen besteht aus einem dreistöcki-
das es ihm ermöglichte, schon kurz nach Studien-
gen Patrizierhaus, das im Kern auf das 16. Jahrhun-
abschluss zusammen mit einem Freund eine aus-
dert zurückgeht. Dazu gehört ein Gutsbetrieb mit
gedehnte Reise durch Nordamerika zu unterneh-
23 Juchart (8.28 Hektar) Land. Der Cartierhof
men. Von dort brachte er zwei tönerne Vasen der
grenzt
Hopi und einen Pfeifenkopf der Dakota-Indianer
Sphinxwerke. Josephus Müller hatte ihn schon
zurück, drei Objekte, die sich noch immer in Fami-
1884 als Landreserve für zukünftige Erweiterungen
lienbesitz befinden.
seines expandierenden Betriebes den Erben Josef
im
Westen
an
das
Gelände
der
Um das Jahr 1935 bezog er die nach seinem
Cartier-Ballys abgekauft (Abb. 12). Der Müllerhof,
Geschmack renovierte Parterrewohnung im so ge-
wie man ihn heute zu nennen pflegt, ist wegen sei-
19
Abb. 11 Der Cartierhof in Solothurn um 1950.
Abb. 12 Das Anwesen um den Cartierhof, heute MĂźllerhof genannt.
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