Der Papst schreibt an den Sultan

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VORTRÄGE DER AENEAS-SILVIUS-STIFTUNG AN DER UNIVERSITÄT BASEL

XLVII

KURT FLASCH

D E R PA P S T S C H R E I B T A N D E N S U L TA N Pius II. an Mohamed II. im Jahre 1461

SCHWABE VERLAG BASEL I S B N 978-3-7965-2755-5

Schwabe Verlag Basel www.schwabe.ch

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VORTRÄGE DER AENEAS-SILVIUS-STIFTUNG AN DER UNIVERSITÄT BASEL

XLVII


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KURT FLASCH

D E R PA P S T S C H R E I B T A N D E N S U L TA N Pius II. an Mohamed II. im Jahre 1461

SCHWABE VERLAG BASEL


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Siebenundvierzigste Vorlesung der Aeneas-Silvius-Stiftung gehalten am 3. Juni 2010 an der Universität Basel

Š 2011 Schwabe AG, Verlag, Basel Gesamtherstellung: Schwabe AG, Druckerei, Muttenz/Basel Printed in Switzerland ISBN 978-3-7965-2755-5 www.schwabe.ch


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Der Papst schreibt an den Sultan Pius II. an Mohamed II. im Jahre 1461

I Enea Silvio Piccolomini ist ein so liebenswürdiger Schriftsteller und eine historisch so vielseitige Figur, er steht mitten in so spannungsreichen geschichtlichen Wandlungen, und ihn umgeben so viele markante Personen wie Bessarion und Cusanus, dass, wer ihn vorstellen soll, unschlüssig werden kann, welchen Aspekt oder welchen Text er herausgreifen soll. Die Auswahl, die Enea bietet, ist schlicht zu gross: Da ist der Diplomat an der Seite zuerst des Kaisers, dann des Gegenpapstes, zuletzt wirkt der Papst selbst als Diplomat; da ist der Humanist mit der Liebesgeschichte von Eurialus und Lucretia; da ist der Satiriker über die Leiden der Hofleute, De curialium miseriis, da schreibt der Landeshistoriker Böhmens, überhaupt der historische Geograph; daneben steht der Rhetoriker mit seinen grossen politischen und christlichen Reden, dort der literarische Landschaftsmaler, den Jacob Burckhardt so einladend beschreibt, und nicht zuletzt der elegante und weltkundige Chronist seiner Zeit, in dessen Commentarii und Briefen immer noch etwas zu entdecken bleibt. Verlegen vor diesem verschwenderischen Reichtum wählte ich seinen Brief an den Sultan, Epistola ad Mahumetem vom Herbst/Winter 1461. Als er 1458 Papst wurde, war die Auseinandersetzung mit den vordringenden Türken das Hauptproblem seines Pontifikats – neben vielen anderen: der Kurienreform, dem Streit um Neapel-Sizilien, also die Auseinandersetzung zwischen Anjou und Aragon und darüber mit den französischen Königen: 1461 starb Karl VII., und ihm folgte Ludwig XI.; in Rom tobten Strassenkämpfe und Adelsfehden. Ständig wuchsen die Ansprüche seiner sienesischen Verwandten, und er schob ihnen immer mehr Ämter zu, weil er den Römern misstraute. Alles das trat zurück hinter der ständig bedrohlicheren Türkengefahr: 1453 war Konstantinopel gefallen, Sultan Mohamed II. (1432–1481) mit dem Beinamen ‹der Eroberer› drang ständig weiter vor. Zwar scheiterte er 1456 vor Belgrad, aber jetzt schon dehnte sich sein Reich 5


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von der Donau bis zum Euphrat. Auf die militärisch-politische Lage komme ich zurück; zunächst will ich nur sagen: Türkengefahr und Islam wurden zum Hauptthema des Papstes; sie bestimmten sein Leben und zuletzt sein Sterben. Auch für uns wurde spätestens seit September 2001 das Thema wieder aktuell. Die Wissenschaft wendet sich der Epistola neu zu. Schliesslich war Pius II. nicht der letzte Papst, der seine Rhetorik erfolglos dem Islam zugewandt hat. Wir haben Gründe, auch aus unserer Gegenwart, uns den alten Text noch einmal vorzunehmen.

II Unter den vielen Literaten seines Jahrhunderts war es Enea Silvio, der das Erschrecken über den Fall Konstantinopels am leidenschaftlichsten ausgesprochen hat. In seinem Brief vom 12. Juli 1453 schrieb er an den Papst Nikolaus V., die Hand zittere ihm, während er dies schreibe … er könne vor Schmerz nicht reden: «Welch ein Unglück für die Christenheit!» Aber Enea, der Rhetor, kann dann doch reden und beschreibt die bevorstehende Not: Die Türken werden gegen die Christen wüten … Unser Humanist denkt an die Bücher, die in Byzanz noch lagern und die für den Westen nun stumm bleiben werden: Der Quell der Musen ist erloschen. Das ist der zweite Tod Homers und Platons.1 Ähnlich, nur wortreicher schreibt er am 21. Juli 1453 an Cusanus.2 In den ersten Jahren seines Pontifikats war die Lage immer bedrohlicher geworden: Der Sultan drängte den Balkan hinauf gegen Ungarn. Man erzählte, er komme mit einem Heer von 150 000 Soldaten. Im Sommer 1459 erobert er Serbien; 1460 fällt ihm der ganze Peloponnes in die Hand; 1461 gewinnt er die Südküste des Schwarzen Meers; Trapezunt war in seiner Hand. In Rom glaubte man, der Sultan wolle die ganze Mittelmeerwelt erobern und das Christentum auslöschen; der Papst fürchtete, die Türken kämen aus Afrika, um über Granada Spanien zu erobern.

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Der Brief des Enea Silvio ist ediert von R. Klibansky, in: Nikolaus von Kues, Opera omnia, Band VII: De pace fidei, Hamburg 1970, S. IX. Bei Agostino Pertusi (Hg.), La caduta di Costantinopoli, Mailand 31997, S. 50–61.


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Als Enea 1458 Papst wurde, war er 53 Jahre alt. Er sah sehr viel älter aus, grauhaarig und gebrechlich. Er litt an Gicht und Steinleiden; er hüstelte ständig. Sofort ergriff er die Idee des Türkenkreuzzugs, den seine Vorgänger teils zögerlich, jedenfalls ergebnislos verfolgt hatten. Er schickte an verschiedene Fürsten ein geweihtes Schwert; auf ihm war die Aufforderung zum Kreuzzug eingeritzt. Er gewährte Ablässe für jeden, der sich auch nur für acht Monate beteiligte. Er rief einen Kongress nach Mantua ein. Anfang 1459 reiste er selbst nach Mantua; er liess Cusanus als seinen Vikar in Rom zurück. Der Kongress wird spärlich beschickt, kommt kaum in Gang, beschliesst zuletzt den Kreuzzug, aber wenn es um Geld, um Schiffe und Soldaten geht, zögern die Fürsten wie die Handelsstädte. Fieberhafte diplomatische Tätigkeit zeigt kaum Resultate; die europäischen Herrscher sind untereinander verfeindet; Florenz wünscht die Niederlage von Venedig; Venedig sichert seine Handelsgeschäfte durch Abkommen mit dem Sultan, verspricht Schiffe, schickt sie aber nicht. Nur mit Mühe hindert der Papst den Kaiser, gegen Ungarn vorzugehen – denn dann wäre Ungarn als Bollwerk gegen die Türken zerstört. Der Papst erhebt neue Steuern; 1460 verlangt er vom Klerus den Zehnten, von Juden den Zwanzigsten, von allen Christen den Dreissigsten. Auch wo das Geld eingetrieben wird, bekommt er es nur teilweise oder gar nicht. Der Streit um Neapel schwelt weiter; im Konflikt mit Sigmund von Tirol, in den er durch Cusanus verwickelt war, ertönt immer lauter der Ruf nach einem Konzil. Er, der frühere Konziliarist, musste diese Forderung zuerst überhören, dann zurückweisen und zuletzt, 1463, als Verstoss gegen den Glauben widerlegen.

III Im Herbst 1461 war die Lage ziemlich verzweifelt: Pius war jetzt drei Jahre Papst. Keines der grossen Probleme war gelöst. Inzwischen war er der ganzen Welt als erfolgloser Kreuzzugsbetreiber bekannt, und da schrieb er den Brief an Mohamed II. Es war mehr als ein Brief; er wuchs zu einer Abhandlung mittlerer Grösse an. Das war kein Augenblickseinfall, sondern ein wohlüberlegter Gedanke. Der Text trägt alle Merkmale seiner theologischen, philosophischen und historischen Gelehrsamkeit; ein stilistisches Meisterwerk der humanistischen Theologie, vielleicht weniger der päpstlichen Diplomatie. Jedenfalls ein rhetorisches Kunstwerk. 7


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Nach der psychologischen Lage des Autors zu fragen, das verbietet sich. Das hielte ich für methodisch falsch. Pius zeigt uns die Gefühle, die er gesehen haben will. Den äusseren, den militärisch-politischen Umständen nach könnte man erwarten, er schreibe bedrückt und bittend; aber die kunstvolle Aussenseite, die wir allein kennen, zeigt strahlende Zuversicht. Er verschafft sich eine rhetorische Position der Stärke, mit wenigen unvermeidlichen Zugeständnissen; er musste zugeben, was vor aller Augen lag: Die Christen waren uneinig. Aber auch dies fing er mit rhetorischer Kunst auf. Er machte mit Worten aus der schwächeren Position die stärkere. 1. Der Brief beginnt, wie wir es von einem rhetorisch geschulten humanistischen Autor erwarten, mit einer captatio benevolentiae. Er redet Mohamed II. direkt an und macht ihm höfliche Komplimente: Er schreibe ihm zu seinem Besten und zu seiner grösseren Ehre. Zwar sei er ein Feind der Christen, aber er hasse ihn nicht als Person, sondern liebe ihn, wie das Evangelium es verlange. Er warne ihn, seine Eroberungen auf Italien auszudehnen; würde er das versuchen, stiesse er auf härteren Widerstand als bei Griechen und auf dem Balkan: si pergas Italiam invadere, senties tibi cum viris bellum esse.3 Pius anerkennt die militärischen Fähigkeiten des Sultans; er nennt dessen Siege, besonders die Eroberung von Konstantinopel.4 Er bittet den Herrscher der Türken, seinen Vorschlag ruhig zu prüfen, und kommt nach kurzem Umschweif auf den Hauptzweck seines Schreibens zu sprechen: Mohamed II. soll sich taufen lassen. Dies sei das einfachste Mittel, sein Reich unter Christen auszubreiten und seinem Namen Ruhm zu bringen. Er brauche dazu weder Gold noch Waffen, sondern nur etwas, was sich überall leicht finden lasse: ein bisschen Wasser, aquae pauxillum.5 Dieser Satz, für sich genommen und manchmal isoliert zitiert, klingt, als gebe Pius sich mit einer rituellen Handlung zufrieden, als genüge der bloss äussere Übertritt des Sultans für den Frieden. Aber Pius forderte gründliches Nachdenken und wirkliche Bekehrung. Der Text als ganzes betont scharf die Exklusivität der Taufe, des Glaubens und

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Pius II., Epistula ad Mahumetem, hg. von Reinhold F. Glei und Markus Köhler, Trier 2001, fortan zitiert als: Glei. Glei § 4, 2, p. 134, 12–13. Glei § 9, 2, p. 142, 17.


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christlichen Verhaltens: Ausser der Kirche gibt es kein Heil.6 Deswegen legt Pius das umfangreiche Schreiben so an, dass er zunächst die Hauptinhalte des christlichen Glaubens und der Ethik darlegt7 und dann die christliche Gottes- und Lebensdeutung mit dem Islam vergleicht. Mit dem Ergebnis: Nur die christliche Lehre ist wahr; nur das christliche Leben führt zum höchsten Gut. Der Papst ermässigt keineswegs den Wahrheitsanspruch seiner Kirche. Nur malt er zunächst die Vorteile aus, die der Sultan sich von der Taufe versprechen kann: «Wenn du das machst, gibt es auf dem Erdkreis keinen Fürsten, der dich an Ruhm überragt oder an Macht dir gleichkommt. Wir werden dich Kaiser der Griechen und des Orients nennen, und was du jetzt zu Unrecht und nur mit Macht in der Hand hältst, wirst du dann zu Recht besitzen. Alle Christen werden dich verehren und dich zum Richter ihrer Streitfälle machen. Von allen Seiten werden die Bedrückten bei dir als dem gemeinsamen Schutzherrn Zuflucht suchen. Viele werden sich dir freiwillig unterwerfen. Sie werden deinen Gerichtsentscheiden folgen und Abgaben zahlen. Du kannst aufkommende Tyrannen auslöschen, die Guten unterstützen und die Bösen bekämpfen. Und die Römische Kirche wird dich nicht zurechtweisen, da du den rechten Weg gehst. Die Liebe der prima sedes wird dir genau so gelten wie den anderen Königen, und sie wird umso grösser sein, je erhabener du sein wirst. Auf diese Weise kannst du ohne Waffen und ohne Blutvergiessen viele Königreiche erlangen».8 Pius unterbaut dieses Angebot mit historischen Beispielen: Er nennt eine Reihe von Herrschern, die durch Religionswechsel und die Anerkennung durch Rom ihre Herrschaft begründet haben: Chlodwig nennt er, Stefan von Ungarn, manche andere und vor allem Konstantin.9 Der Sultan komme mit dem Übertritt in keine schlechte Gesellschaft, ruft er dem zu Bekehrenden zu. Mehrfach führt er die Ahnengalerie konvertierter Herrscher auf, die durch Bekehrung und päpstliche Anerkennung ihre Macht gewonnen haben. Konstantin war sein Musterfall, aber auch die Idee des Friedensreichs des Augustus taucht 6 7 8 9

Glei Glei Glei Glei

§ § § §

35, 2, p. 176, 5–7. 38, 4, p. 180, 12–16. 9, 4, p. 144, 7–8. 26, p. 162–163.

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auf, ein geeinter Erdkreis. Klassisch-utopische Töne klingen an: Friede auf Erden. Und der Papst bringt eine damals ganz unreale Grösse ins diplomatisch-rhetorische Spiel: Europa. Offenbar willst du doch, redet Pius ihn an, vor allem bei den europäischen, bei den westlichen Völkern Ruhm und Macht gewinnen, aber das geht nicht, wenn du bei deiner Religion bleibst. Durch die Aufnahme in die Kirche gewinnst du Macht und Ruhm. «So rettest du deine Seele, so bewirkst du für das Türkenvolk das Beste, so können deine Pläne sich erfüllen, so wird dein Name auf ewig gefeiert, so bewundert dich ganz Griechenland, ganz Italien, ganz Europa, omnis Europa».10 Der Papst verspricht erweiterte Herrschaft; aber er ringt auch um die Seele des Muslims. An die Glaubensfreiheit von dessen Untertanen verschwendet er kein Wort. Er nennt ihn einen edlen Fürsten, princeps nobilis; er lobt seine Intelligenz und Effizienz. Der Sultan stamme aus dem Volk der Skythen, das vornehmer sei als die Sarazenen, kriegerischer und tapferer. Mehr zufällig sei es dem sinnlich-lockenden Religionsgesetz der Araber und Ägypter unterworfen worden. Die christliche Gesellschaft wird dir angemessener sein: Starke Männer werden leicht die Freunde starker Männer: Fortibus viris facile amicantur fortes, virtus virtuti placet.11 Er lobt den Sultan als Militär, fügt aber gleich hinzu, militärische Siege seien kein Wahrheitsbeweis, und verweilt bei der Versprechung, durch die Taufe sei leichter viel mehr zu erreichen. Er denkt sich in die Lage des Herrschers; er weiss, wie Hofleute reagieren, und malt den Widerstand aus, den sie dem Religionswechsel entgegensetzen werden. Sie werden argumentieren, er verdanke seine Herrschaft dem Islam, sein Volk werde sich von ihm abwenden, wenn er wechsle, es werde sich einen neuen Herrscher suchen, es werde lieber sterben wollen als den Islam aufzugeben. Die Türken liebten ihre Religion. Das seien keine leichtzunehmenden Bedenken, gesteht der Papst zu, aber genau gegen sie führt er seine historische Musterreihe vor. Er bedenkt nicht, dass diese Herrscher, z.B. Chlodwig, einer ganz anderen geschichtlichen Erfahrungswelt angehörten. Klassische Exempel gelten ihm zeitlos auch für die Gegenwart.

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Glei § 148, 2, p. 324, 22. Glei § 106, 2, p. 266, 187.


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2. Wieder schiene es mir methodisch falsch, zu fragen: Wie sah der Papst damals die politische Lage? Ich meine, man solle die Frage dahin umformulieren: Wie beschreibt Pius in diesem Dokument die Lage? Wie er sie wirklich sah, wenn er bei sich selbst darüber nachdachte, weiss ich nicht. Wir haben es mit einem rhetorischen Meisterstück zu tun, das einen Zweck verfolgt. Das heisst nicht, der Papst habe 1461 die Lage nicht ernst genommen. Er weiss, dass er im Krieg ist. Er beschreibt die bedrückte Lage der Christen in den neu eroberten Gebieten: Es gebe einige wenige Überläufer, aber die Mehrheit verzichte nicht auf die christliche Religion. Worüber der Sultan nachdenken müsse, sei nicht, dass einige wenige aus niedrigen Beweggründen abfallen, sondern dass die meisten standhaft blieben. Er habe keine ruhigen Untertanen zu erwarten; liesse er sich taufen, würde das ganz anders. Hart schildert der Papst die Härte der Kämpfe. Sie seien grausamer als die Kriege der Christen untereinander. Bei diesen gehe es um ein Stück Land, um Erweiterung einer Herrschaft. Für die Untertanen wechseln dabei die Herren, alles Übrige behalten sie. In den Türkenkriegen gehe es um Religion, um Freiheit, um das Leben,12 Pius warnt den Sultan, die Lage nicht zu seinen Gunsten zu überzeichnen: Italien werde hart kämpfen; Florenz und Venedig, Mailand und Mantua seien mächtig. Sie liebten ihre Religion und würden sich zu verteidigen wissen. Die christliche Religion blühe auf, sie steht nicht vor dem Untergang, nec timemus ruinam. Gewiss sei der Westen gespalten, aber der wachsende Druck werde ihn einigen. Pius untertreibt die Schwere der innereuropäischen Kriege und die Leiden der Bevölkerung; er übertreibt die religiöse Erneuerung in Florenz und Venedig; er redet, als habe er nicht jahrelang die Erfahrung gemacht, wie wenig der osmanische Druck die Christen eint. Er beschreibt die Stärke der Christen mit drohendem Unterton: Der Osten wird unseren Pfeilen nicht widerstehen, neque resistet telis nostris. Er versetzt sich rhetorisch für einen Augenblick in Siegerpose und gibt dem Sultan zu bedenken: Du weisst, wie stark die christlichen Flotten sind, welchen Schreck wir einjagen in Tyrus, in Alexandria und bei den übrigen Orientalen, wenn die dreideckigen Galeeren der Christen gegen sie gesegelt kommen.13 Aber das war gerade sein

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Glei § 17, 3, p. 152, 15–21. Glei § 15, 2, p. 150, 18–20.

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Problem, dass er die christlichen Schiffe nicht kommen sah. Oder es kamen zu wenige und zu spät. 3. Ich sagte schon, Pius II. habe weit ausgeholt, um dem Sultan das Wesen des Christentums zu erklären, um es dann gegen den Islam abzusetzen. Er will die Wahrheit über die Religion darlegen: Audi ergo verum circa religionem.14 Der Papst schreibt in elegantem Latein eine Laiendogmatik für den Sultan. Seine Apologetik (besonders §§ 52–83) will das Christentum so vernünftig wie möglich erscheinen lassen. Er sieht die antiken Philosophen auf seiner Seite,15 klammert aber die schwierigen Kontroversthemen nicht aus: Trinität, Gottheit Christi, Erlösungsbedürftigkeit der Menschheit, Inkarnation und Kreuzestod, die christliche Auffassung von einem spirituellen Paradies. Man sagt Renaissancepäpsten einiges nach an Prunk und Sinnlichkeit, aber unser Papst beginnt mit einer Einführung in den christlichen Spiritualismus. Er warnt, dem Körper nicht so weit entgegenzugehen, dass man die Seele darüber verliert. Man muss sich vor allem um die Seele kümmern, ruft er – sokratisch – dem Sultan zu: Est igitur de anima curandum.16 Sein Blick aufs menschliche Leben ist eher resigniert, leicht melancholisch, jedenfalls nicht optimistisch: Unser Leben ist kurz; kurz ist es, selbst wenn wir so alt werden wie Methusalem. Unser Leben währt, wie der Psalmist sagt, wenn’s hoch kommt, siebzig Jahre, höchstens achtzig, was darüber ist, ist Schmerz und Sorge (Psalm 89, 10), aber wie viele Menschen sterben als Kinder, wie viele Heranwachsende erliegen einer Krankheit. Das Leben des Menschen ist beengt und unsicher, überall lauern Gefahren; jede Kleinigkeit kann den geplanten Lauf unterbrechen; der Tod erwartet uns alle: Gott ruft uns, wann und wo er will.17 Das klingt wie eine memento-moriPredigt, jedenfalls nicht wie Renaissance-Optimismus, und soll gewiss den Siegesübermut des Sultans dämpfen, aber es leitet vor allem an zur Selbsterkenntnis der Seele, christlich-neuplatonisch, wie beim frühen Augustin. Aufgrund der Seele leben wir; durch sie denken wir, durch sie sind wir Gott ähnlich; sie betritt, wenn der Körper zerfällt, andere Regionen,18 wofür die deutsche Übersetzung die altertümelnde 14 15 16 17 18

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Glei Glei Glei Glei Glei

§ § § § §

38, 30, 32, 31, 32,

3, p. 180, 9–10. 3, p. 163, 18–20, auch § 87, p. 240, 18–19; § 92, 3, p. 250, 11–17. 1, p. 172, 3. 1–3, p. 170, 11–19. 2, p. 172, 6–8.


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Wendung gebraucht, sie entschwebe in andere Gefilde. Der Papst spricht nicht gerade leibfeindlich, manichäisch. Er betont mit Aristoteles, es sei dem Menschen natürlich, durch die sinnlichen Dinge zu Vernunfteinsichten zu kommen, alle unsere Erkenntnis beginne mit den Sinnen, aber sie beginne nur mit ihnen. Und der Zusammenhang dieses Zugeständnisses: Pius erklärt, die Bibel spreche mit sinnlichen Bildern, damit auch Ungebildete, rudes, etwas von der göttlichen Weisheit erfassen. Die Körperwelt ist Bild und Durchgang. Dieses Seelenkonzept prägt die Hermeneutik des Papstes bei der Darstellung der christlichen Lehre. Diese Passagen machen aus dem Brief ein philosophisches Lehrschreiben, aber bald zeigt sich die Kunst eines grossen Erzählers: Nach einem Aufruf zur Weisheit im Namen des Hesiod und des Aristoteles erzählt er kurz die Heilsgeschichte der hebräischen Bibel: Welterschaffung, Sündenfall, Auszug aus Ägypten. Die Erkenntnis des einen wahren Gottes war in der Zeit vor Christus nur bei den Juden vorhanden, und dieses monotheistische Erbe haben Christen und Muslime gemeinsam. Aber über alles, was dann kommt, streiten wir, und deswegen sind die Muslime zu bedauern: Wir wandeln im Licht, sie irren herum. An den Sultan: «Du bist ein Geschöpf Gottes, du bist sein Schaf, aber ein verirrtes, und er, als guter Hirte verlässt die 99 Schafe und geht ihm, dem einen, dem verlorenen, nach». Er klagt: Der Sultan, dieser hervorragende Mann, berühmt durch Adel der Vorfahren und Glanz seiner Taten, ein Mann mit einem so mächtigen Imperium und herausragend durch seine Naturgaben, wandle nicht auf den Wegen des Herrn; Pius bedauert das Unglück der Untertanen des Sultans, die mit ihm zugrunde gehen.19 Wir werden dem Papst glauben, dass er besorgt ist, weil alle Ungetauften ewig verlorengehen. Sein Tonfall ist liebevoll-herablassend. Er spricht als Wahrheitsbesitzer, der leicht allen anderen das Licht bringen könnte. Denn nach dem Alten Testament, fährt er fort, kam Christus, wahrer Mensch und wahrer Gott, und habe Priesteramt und Religionslehre von den Juden auf die Christen übertragen. Das war eine translatio-Theorie der wahren Religion, parallel zu den Vorstellungen von der translatio imperii und des studium. Was hat Christus gebracht? Er hat die dunklen Stellen der Propheten, die von ihm handeln, erklärt; er hat das Geheimnis der Trinität gezeigt 19

Glei § 44, 1–2, p. 186, 11–19.

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und gelehrt, dass die drei Personen der Gottheit der eine Gott sind; er sagte seinen Tod und seine Auferstehung voraus und seine Wiederkunft am Ende der Zeit zu richten die Lebenden und die Toten.20 Eben das lehnt ihr Türken und Sarazenen ab. Ihr glaubt, dass Christus ein Prophet war, aus der Jungfrau geboren, aber ihr gesteht weder ihm noch dem Heiligen Geist zu, dass er Gott sei, und ihr lacht über den Kreuzestod Jesu. Wieder bricht Pius aus in die direkte Anrede an den Sultan: «Hör also zu, Du, du bist aus edlem Geschlecht, hör, was dich retten kann! Was ist denn der Streitpunkt zwischen Türken und Christen? Es ist im Grunde nur der, wie wir die Gottheit denken. Könnten wir diesen Streit beenden, gäbe alles andere sich leicht.»21 Pius präzisiert den Dissens: Wir denken die Gottheit als Vater, Sohn und Heiligen Geist. Wir denken Gott unkörperlich, ihr körperlich. Wir sind mit euch einig in der Frage des Monotheismus. Der eine Gott ist der Grund von allem; das sagen wir gemeinsam. Er ist der Grund aller Gründe, Ursprung und Ziel aller Dinge und das höchste Gut; wieder sagt Enea das in neuplatonisch-christlicher Diktion und fährt fort, diesmal mit auffälliger Verzeichnung der Theologie des Korans: Ihr sagt, Gott kümmere sich nicht um einzelnes in der irdischen Welt; wir behaupten seine allumfassende Vorsehung. Aber lassen wir das alles weg und nehmen wir nur die Gottheit Christi. Ihr sagt, Gott habe keinen Sohn. Warum nicht? Ihr sagt, weil er keine Frau hat. Ihr stellt euch seine Erzeugung als körperlichen Vorgang vor, wir aber als die Selbsterfassung des reinen Geistes, als die Logosmetaphysik, die der Johannesprolog mit antiken Platonikern teilt. Pius bewegt sich hier auf den Spuren von Augustins Confessiones, Buch VII: Die Wirklichkeit des göttlichen Logos, den wir ‹Sohn› nennen, haben die Platoniker erkannt, nicht aber seine Menschwerdung. Der Papst argumentiert: Der göttliche Geist erkennt sich vollkommen selbst und erzeugt in sich ein vollkommenes Bild seiner selbst, den Logos. Er liebt sich als das höchste Gut, diese Liebesbewegung nennen wir: ‹Heiliger Geist›. Und diese Drei-Einheit leuchtet in unserer Seele wieder. In ihr sind Erkennen und Lieben keine zufälligen, akzidentellen Tätigkeiten; sie sind ihr drei-eines, substantielles Wesen, substantialiter existunt in

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Glei §§ 49–50, p. 192–194. Glei § 51, 1–2, p. 196.


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anima.22 Das war Augustins Theorie der Drei-Einheit des Geistes, die man ‹psychologische Trinitätslehre› genannt hat. Die Menschwerdung Gottes begründet Pius aus dem Sündenfall, der den Bruch mit Gott herbeiführte, der Strafe verdiente. In Gott gleichen Gerechtigkeit und Güte sich aus; Jesus nahm als Mensch für die Menschen die Strafe hin, die zur Versöhnung Gottes geeignet war; Gott konnte den Kreuzestod als Strafe für die Menschheit als Satisfaktion annehmen, weil dieser Mensch selbst Gott ist. Pius greift damit die Satisfaktionstheorie Anselms von Canterbury auf, ohne sich in scholastische Finessen zu vertiefen; seine Sprache ist nicht mehr scholastisch. Immer will er zeigen, dass die Christen die Mehrheit der antiken Philosophen auf ihrer Seite haben und dass die hebräische Bibel ihre Wahrheit beweist. Er versucht, die Trinität aus dem Alten Testament zu beweisen.23 Aus dessen Weissagungen belegt er die Menschwerdung Gottes als gemeinsamen Wahrheitsbesitz, den die Türken nur nicht erkennen.

IV So freundlich-schmeichelnd Pius II. dem Sultan persönlich entgegentritt, so sehr er die Gemeinsamkeit aus der hebräischen Bibel und der griechischen Kultur hervorhebt, so schonungslos spricht er vom Koran und vom Propheten. Er will den Sultan trennen vom Islam. Kein Gedanke an eine Versöhnung zwischen Bibel und Koran, abgesehen von den alttestamentlichen Gemeinsamkeiten. Bei Pius gibt es nicht – wie bei Cusanus anno 1453 – nur eine einzige Religion mit verschiedenen Riten. Pius spricht schroff und klar: Der Koran, schreibt er, stamme vom Teufel; Mohamed war vom Satan besessen.24 Alles, was der Vernunft entgegensteht, kann nicht als Religion anerkannt werden: Quidquid igitur rationi adversum est, legis nomine caret.25 Dem Christentum, meint der Papst, widerspreche die Vernunft nicht, wohl aber Mohamed, weshalb dieser verbiete, mit vernünftigen Argumenten über den Islam zu diskutieren. Der Koran, sagt unser Brief, widerspreche sich selbst; er ermässige die ethischen Anforderungen der hebräi22 23 24 25

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§ § § §

63, 3, p. 212. 66–67, p. 218–220. 127, 1, p. 294. 128, 2, p. 296.

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schen Bibel und der grossen Philosophen, indem er den Massen sinnliches Vergnügen verspreche; nur Epikur stehe auf seiner Seite. Der Koran ist voller fabelhafter Geschichten, voller stultitia und dementia.26 Besonders heftig wird die Polemik, wo es um die Vielweiberei und um die Huris im Paradies geht. Diese Art von Paradies sei eher etwas für Ochsen oder für Esel als für Menschen.27 Hier stellt sich die Frage nach den Quellen des Papstes. Sie bedürfte längerer Erörterung. Hier nur so viel: Der Papst zitiert oft die Bibel, legt das Alte Testament in der herkömmlichen christlichen Interpretation aus, beweist also die Trinität aus der hebräischen Bibel. Er kennt platonisch-neuplatonische Texte, zumindest aus Augustin. Er kennt Cicero und Laktanz, findet eingeschränkt anerkennende Worte über Origenes. Sein Verhältnis zum Islam ist das der mittelalterlichen Polemiker, nicht das des Cusanus von 1453 in De pace fidei. Hier gibt es kein Philosophenkonzil im Himmel der Vernunft. Cusanus war in den dazwischenliegenden sieben/acht Jahren auch genauer in der Textanalyse und härter im Urteil geworden. Er untersuchte den Koran und schrieb 1460/61, wie er im Prolog erklärt, für den Papst die Cribratio Alchorani. Der Papst wird sie gelesen haben, vielleicht war sie ihm zu kompliziert, vielleicht kam sie zu spät, jedenfalls übernahm er, was den Koran angeht, die härtesten Klischees der traditionellen christlichen Polemik, wie sie Johannes de Turrecremata, der spanische Kardinal Juan de Torquemada (1388–1468) für den Papst vor dem Kongress von Mantua zusammengefasst hatte. Nichts deutet auf ein eigenes Studium islamischer Quellen. Er schreibt dem Koran die Lehre zu, Gott verursache Sünden, gar, er leugne die göttliche Vorsehung. Er erklärt, Mohamed lehre albernes Zeug.28 Der Islam war ihm eine Erfindung des Teufels; Gott hat ihn zugelassen als gerechte Strafe für die Sünden der Christen; er ist ein mit sinnlichen Lockungen angereichertes Ideengemisch von Juden und häretischen Christen; er erlaubt die Polygamie; er verdient nicht einmal die Bezeichnung als lex, als Gesetz oder als Religion. Pius spricht von partiellen Übereinstimmungen, nicht von Toleranz. Und die Gemeinsamkeiten seien oft mehr nominell als real: Pax erit in nominibus, bellum in rebus.29 26 27 28 29

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§ 137, 1, p. 308. §§ 84–91, bes. § 85, 1, p. 238. §§ 133–136. § 29, 2, p. 166, 18.


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V Die Abhandlung des Papstes für den Sultan gibt Fragen auf, aber keine ‹Rätsel›. Warum hat er sie verfasst? Wie konnte er, der politisch-diplomatisch Erfahrene, auf Erfolg hoffen? Ludwig von Pastor nannte dieses Lehr- und Mahnschreiben ein «merkwürdiges Schriftstück»30. Das Lexikon für Theologie und Kirche, Band 8, 3Freiburg/Br. 1999, Sp. 323, bezeichnet es als «rätselhaft». Eine Antwort hat Pius nie bekommen. Georg Voigt und andere haben vermutet, der Papst habe damit nur den Druck auf die christlichen Fürsten erhöhen wollen, als sage er, er könne auch anders. Aber dazu hätte ein Brief von zwei Seiten gereicht, doch Pius schrieb etwa 100 Druckseiten und mit unverkennbarer persönlicher Verve. Ich denke eher: Dieses Schreiben ist die rhetorische, die kontrafaktische Selbsterhöhung zum Herrn der Geschicke, zum Hirten der Völker, zur plena potestas Papae, getragen von dem Bewusstsein der göttlichen Sendung und dem Bewusstsein ungeheurer Bildungsüberlegenheit des Westens, in der Erinnerung an Päpste, die wilden Herren nach Bekehrung Legitimität verschafft haben, auch humanistisch im Nachklang der Vision Vergils vom augusteischen Frieden. Pius sah sich in der Rolle von Papst Silvester, von dem die Legende erzählte, er habe Konstantin bekehrt und dieser habe das Christentum zur Staatsreligion gemacht. Der Brief war vergebens geschrieben. Pius quälte sich weiter; er sah, wie aussichtslos die Lage war. Er schreibt in seinen Commentarii, in denen er wie Caesar von sich in der dritten Person redet31: Damals nahm Pius die sechs Kardinäle zur Seite, bei denen er mehr an Glauben und mehr an Rat zu finden hoffte, und sagte zu ihnen: Brüder, seid ihr vielleicht auch wie so viele andere der Meinung, wir hätten das Gemeinwesen vernachlässigt? Gewiss, wir haben, seit wir aus Mantua zurückgekommen sind, für die Abwehr des türkischen Ansturms und die Verteidigung der Religion weder Vorbereitungen getroffen noch Erklärungen abgegeben, und dabei drängten die Feinde von Tag zu Tag näher heran.

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Ludwig von Pastor, Geschichte der Päpste, Band 2, 5–7Freiburg/Breisgau 1923, S. 232. Pius II., Rede, vermutlich 1463, Commentarii VII, Rom 1584, leicht gekürzt, p. 347– 350. Ende von Buch VII.

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Wir haben geschwiegen, das gebe ich zu; wir haben nichts getan gegen die Feinde des Kreuzes; das ist offenkundig. Aber der Grund unserer Schweigsamkeit war nicht Nachlässigkeit, sondern eine gewisse Verzweiflung. Es fehlte an Möglichkeit, nicht an der Absicht. Wie oft haben wir darüber nachgedacht, wie wir die Kräfte der Christen auf die eine oder die andere Weise gegen die Türken zusammenzwingen könnten und was wir dem christlichen Volk raten könnten, damit es nicht schliesslich zur Beute der Türken würde. Schlaflose Nächte haben wir mit Nachdenken darüber verbracht; wir warfen uns jetzt auf die rechte Seite, dann auf die linke und beweinten die Unglücksituation dieser Zeit. Wir schämten uns, weil wir nichts taten, während die Türken hier Ungarn, dort Dalmatien mit ständigen Kriegszügen immer mehr bedrängten. Sie hausten, wo immer sie wollten, schlimmer als die Heiden. Wir hatten den Eindruck, die Stimmen aller richteten sich gegen uns, alle bellten uns an wegen Nachlässigkeit, wir kämen dem untergehenden Christentum nicht zu Hilfe, wir seien erschlafft, wir liessen in Ruhe den christlichen Namen zugrunde gehen. Unser Geist tobte; das Blut des Greises, sozusagen, kochte. Schon gefiel mir der Gedanke, den Türken den Krieg zu erklären und mit letzter Anstrengung für die Religion zu kämpfen, aber wenn wir hier unsere Kräfte abmessen, dort die der Feinde, dann kann die Römische Kirche mit ihren eigenen Kräften die Türken nicht besiegen. Niemand beginnt mit jemandem einen Krieg, den er für stärker hält. Wer sich für Kampf entscheidet, muss mindestens gleich stark sein. Wir sind wesentlich schwächer als der Türke, es sei denn, die christlichen Könige vereinten ihre Heere. Genau das wollen wir erreichen, wir denken nach über die Wege dahin, aber keiner zeigt sich geeignet. Kommt uns die Idee, einen Kongress abzuhalten, dann zeigt das Beispiel Mantua, wie unsinnig dieser Gedanke ist. Senden wir Legaten aus, die Könige um Hilfe zu bitten, dann werden sie ausgelacht. Fordern wir vom Klerus den Zehnten, dann rufen sie nach einem Konzil. Verkünden wir Ablässe und locken wir Geldgeber mit geistlichen Geschenken, dann werfen sie uns Geiz vor; sie glauben, wir machten das alles nur, um Gold zu scheffeln. Niemand glaubt unseren Worten. Wie Geschäftsleute, die ihren Gläubigern keine befriedigende Auskunft geben konnten, finden wir keinen Kredit. Alles, was wir tun, legen sie nach der schlechten Seite hin aus. Nichts ist schwieriger, als Geld herauszupressen. 18


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Wir werfen den Blick unsres Geistes nach allen Seiten: Wir finden nichts Gewisses, nichts Festes; alles, was uns entgegentritt, erweist sich als hohl. Was sollen wir tun bei dieser enormen Schwierigkeit der Dinge? Sollen wir uns einer ungewissen Gefahr aussetzen und uns freiwillig dem Feind ausliefern? Oder eine Sache anfangen, die sich als lächerlich erweist? Das wäre doch äusserster Wahnsinn: sich ergebnislos anstrengen, sich abarbeiten und dabei nichts als Schande erwerben. Lange war unser Geist verwirrt und ganz von Angst besetzt, und unsere Seele fand keinen Trost, denn wir stellten fest, alles werde immer schlimmer und es bestehe nicht die geringste Hoffnung, die Sache zu einem guten Ende zu bringen. Tag und Nacht kamen wir schweigend schliesslich dahin, für das allgemeine Wohl einen Beschluss zu fassen, und schliesslich kam uns ein einziges Hilfsmittel in den Sinn, das nach unserem Urteil höchst geeignet wäre, und wahrscheinlich gibt es kein anderes. Der Papst schildert dann, welche Könige er zum Kreuzzug aufgerufen habe, aber keiner sei bis jetzt gekommen. Aber jetzt werde er sich selbst an die Spitze des Kreuzzugs stellen. Er hofft: Wer wird sich nicht in Bewegung setzen, wenn er hört, dass der Papst sich bewegt hat? Wenn wir nicht irren, ist dies der einzige Weg, die schlafenden Christen aufzuwecken und die Herzen der Könige und der Völker zu bewegen. Die Kardinäle sind ergriffen. Sie hören die Worte des Papstes nicht ohne Bewunderung und erschrecktem Erstaunen, non sine admiratione et singulari stupore, erbitten aber Bedenkzeit. Das ganze achte Buch der Commentarii handelt von der feierlichen Entgegennahme des Hauptes des hl. Andreas, das Ostflüchtlinge mitgebracht haben, auch von der besonderen Feierlichkeit des Fronleichnamsfestes. Dann vom Bau von Pienza, es folgen Landschaftsschilderungen. Trotz Sommerhitze, Alters und Krankheit setzte der Papst im Sommer 1464 sich selbst an die Spitze des Kreuzzugs. Er reiste nach Ancona und wartete auf die Schiffe, mit deren Erscheinen er dem Sultan gedroht hatte. Einige Schiffe verliessen am 2. August die Lagunenstadt, kamen aber nicht direkt nach Ancona, sondern steuerten erst einmal auf Istrien zu. Der Papst lag todkrank. Am 12. August wurde ihm die Ankunft einiger Schiffe gemeldet. Der Papst liess sich an die Fenster seines Schlafraums tragen. Traurig stöhnte er auf. Er soll gesagt haben: 19


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«Bis heute hat mir die Flotte zur Ausfahrt gefehlt, jetzt muss ich der Flotte fehlen.»32 Am Tag darauf, am 14.8.1464, starb er, nicht ohne noch einmal die Fortsetzung des Kreuzzugs empfohlen zu haben. Cusanus war drei Tage zuvor in Todi gestorben. Die Kardinäle hatten anderes im Sinn; sie eilten nach Rom, um bei der Papstwahl zur Stelle zu sein. Der Doge fuhr zurück. Die Venezianer rüsteten ab. Der Traum Pius’ II. war verflogen. Die mittelalterliche Welt war versunken.

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Ludwig von Pastor, Band 2, S. 284f.


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