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C. G. Jung, Erinnerungen, Träume, Gedanken
Inhalt
Sebastian Günther, Paradiesvorstellungen und Himmelsreisen im Islam – Grundfesten des Glaubens und literarische Topoi Regine Schweizer-Vüllers, «Siehst du nicht, in welchen Tempel du gekommen bist?» Der grosse Traum des Scipio – eine Himmelsreise im alten Rom Susanne Plietzsch, Die Himmelsreise des Mose zum Empfang der Tora: mystische Motive in der rabbinischen Überlieferung
Jenseitsreisen
«Die entscheidende Frage für den Menschen ist: Bist du auf Unendliches bezogen oder nicht? Das ist das Kriterium seines Lebens. Nur wenn ich weiss, dass das Grenzenlose das Wesentliche ist, verlege ich mein Interesse nicht auf Futilitäten und auf Dinge, die nicht von entscheidender Bedeutung sind.»
Eranos 2009 und 2010
Eranos 2009 und 2010
Jenseitsreisen
Bruno Binggeli, Lift-off – Weltraumforschung und Himmelfahrt Mauro Guindani, Der Minnesänger des Jenseits – Wege zu sich in Dantes Göttlicher Komödie
Christian Lange, Islamische Höllenvorstellungen: Genese – Struktur – Funktion Erik Hornung, Im Reich des Osiris Stefan M. Maul, Himmelfahrt und Abstieg in die Unterwelt – altorientalische Mythen von Jenseitsreisen
Schwabe Verlag Basel www.schwabe.ch
Herausgegeben von Erik Hornung und Andreas Schweizer
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ERANOS 2009 und 2010
Schwabe Verlag Basel
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Die Abbildung stammt aus dem altägyptischen Papyrus von Heruben um 1000 v. Chr. (Ägyptisches Museum Kairo) und stellt das wiedergeborene Licht im Bilde des Sonnenkindes dar. Dieses hat sich im chaotischen Nichtsein regeneriert, das durch die sich in den Schwanz beissende Schlange (Uroboros) symbolisiert wird. Das Ganze wird von zwei nicht näher bestimmten göttlichen Armen umfangen. Sie verkörpern die regenerierenden Kräfte, welche die Sonne bewegen. Die vorliegende Ausgabe von Eranos-Beiträgen soil unter diesem Zeichen stehen. Der das Sonnenkind umschlingende Uroboros, der «Schwanzbeisser», vermittelt uns eine Ahnung davon, dass die Wandlung des Bewusstseins und des kollektiven Zeitgeistes immer dann möglich wird, wenn sich die Gegensätze (Kopf und Schwanz) miteinander verbinden. Das ist der ungeheure, schöpferische Moment, wo das Alte dem Neuen weicht, wo das Sonnenkind der chaotischen Tiefe entsteigt, beschützt von einer geheimnisvollen Macht, die diesen Regenerationsprozess begleitet.
Satz und Layout: A. Brodbeck, Forch © 2011 bei den einzelnen Autorinnen und Autoren und bei der Schwabe AG, Verlag, Basel Gesamtherstellung: Schwabe AG, Druckerei, Muttenz/Basel Printed in Switzerland ISBN 978-3-7965-2788-3 www.schwabe.ch www.eranos-ascona.ch
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Inhaltsverzeichnis Andreas Schweizer Vorwort des Herausgebers
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Sebastian Günther Paradiesvorstellungen und Himmelsreisen im Islam – Grundfesten des Glaubens und literarische Topoi
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Regine Schweizer-Vüllers «Siehst du nicht, in welchen Tempel du gekommen bist?» Der grosse Traum des Scipio – eine Himmelsreise im alten Rom
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Susanne Plietzsch Die Himmelsreise des Mose zum Empfang der Tora: mystische Motive in der rabbinischen Überlieferung
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Bruno Binggeli Lift-off – Weltraumforschung und Himmelfahrt
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Mauro Guindani Der Minnesänger des Jenseits – Wege zu sich in Dantes Göttlicher Komödie
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Christian Lange Islamische Höllenvorstellungen: Genese – Struktur – Funktion
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Erik Hornung Im Reich des Osiris
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Stefan M. Maul Himmelfahrt und Abstieg in die Unterwelt – altorientalische Mythen von Jenseitsreisen
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Autorinnen und Autoren
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Vorwort des Herausgebers Die Reise der Seele ins Jenseits gehört zu den ältesten religiösen Vorstellungen der Menschheit. Schon aus prähistorischer Zeit sind magische Rituale bekannt, in welchen die Seele des getöteten Tieres in dessen «geistige Heimat» entlassen wird. Auch die Reise des Schamanen zu den Göttern, um dort den Jagdsegen oder andere Gaben zu erbitten, kann bis in archaische Zeiten zurückverfolgt werden. Es gibt kaum ein Volk, das die Jenseitsreise nicht in irgendeiner Form gekannt hat. Die Reise kann wie bei den Pharaonen des Alten und frühen Mittleren Reiches von der Finsternis der Grabkammer zum himmlischen Jenseits führen, denn darauf richtet sich die ganze Hoffnung der verstorbenen ägyptischen Könige, auf die Helle der ewig leuchtenden Zirkumpolarsterne am Nordhimmel. Die Reise kann aber auch, wie bei den Pharaonen des Neuen Reiches, in die Tiefe der Unterwelt gehen, denn nur dort, in der Finsternis, an der Grenze zum Urchaos, kann die Erneuerung des Lichts ihren Anfang nehmen. In diesem Band sind beide Themen miteinander verbunden, die Reise zum Himmel und die Unterweltsfahrt. So entstand eine reiche Fülle von Beiträgen aus den verschiedensten Kulturen, die alle um dieselbe Mitte kreisen, um die Frage nämlich, wie der Mensch mit der andern, jenseitigen Welt in Kontakt treten kann. Entsprechend der bunten Vielfalt und Reichhaltigkeit der verschiedenen Kulturtraditionen fallen die Antworten ganz unterschiedlich aus. Aber gerade darin besteht die faszinierende Ausstrahlungskraft der menschlichen Seele. Denn schon immer hat sie sich danach gesehnt, ihren Horizont zu erweitern. Dass die Jenseitsreise auch in der heutigen Zeit nichts von ihrer Faszination verloren hat, zeigt die unerwartet grosse Ausstrahlungskraft des vor einigen Monaten veröffentlichten «Roten Buches» von C. G. Jung. Weshalb sind die Menschen, so kann man sich fragen, gerade von dieser Art der Jenseitsreise so fasziniert? Das Rote Buch enthält eine lange Folge von Imaginationen, in denen sich die Reise C. G. Jungs in den Innenraum der Seele widerspiegelt. Er hat sie sorgfältig in kalligraphischer Schrift festgehalten und durch bestechend schöne Bilder, an denen er viele Stunden gemalt haben muss, ergänzt. Sechzehn Jahre lang arbeitete er an diesem Werk, das erst heute, fünfzig Jahre nach seinem Tod, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Die Flut der inneren Bilder ist durch ein überwältigendes Erlebnis ausgelöst worden. Jung sah, es war im Oktober 1913, also noch vor dem Ausbruch des Ersten
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Vorwort
Weltkrieges, eine ungeheure Flut, die alle nördlichen und tiefgelegenen Länder zwischen der Nordsee und den Alpen bedeckte, eine schreckliche Katastrophe; dann verwandelte sich alles in ein Meer von Blut mit Tausenden von Toten (in Wirklichkeit waren es 17 Millionen!). Das Bild, es wiederholte sich mehrmals, hat ihn im Innersten erschreckt, so dass er in den folgenden Monaten den Abstieg in die Tiefe des Unbewussten wagte, eine Reise in die Tiefen der Seele, die in vielem an die in diesem Band besprochenen Jenseitsreisen erinnert. Wenn im Folgenden von Himmelsreisen und Unterweltsfahrten aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen die Rede ist, so dürfen wir dabei nicht vergessen, dass all diese Bilder letztlich innerseelische Prozesse darstellen. Sebastian Günther, der Verfasser des ersten Beitrags über die Jenseitsreisen im Islam hat es treffend formuliert, wenn er sagt, dass all diese Erzählungen göttlich inspirierte «Pädagogik» sind, die auf dem schöpferischen Mutterboden des Bewusstseins gedeihen. Sebastian Günther gelingt es, diese «Pädagogik» anhand der islamischen Himmelsreisen in profunder Weise zu vermitteln. Seine klar formulierten Ausführungen über islamische Paradiesvorstellungen und Himmelsreisen seien jedem Leser ans Herz gelegt, der sich eine Einführung in einige der wichtigsten Vorstellungen des Islams wünscht. Im Zentrum der Ausführungen steht die berühmte Erzählung von Muhammads Himmelfahrt: Begleitet vom Erzengel Gabriel reitet der Prophet in einer Nacht von Mekka nach Jerusalem und steigt hier über eine Leiter durch die sieben Himmel bis zum höchsten Himmel auf, um Gottes Thron zu schauen. Sebastian Günther zeigt, wie diese Erzählung durch viele Jahrhunderte hindurch vor allem die persischen Mystiker inspiriert hat. Dabei wird der Leser hineingenommen in die Welt des himmlischen Lotusbaumes, von welchem der Mystiker Ghazali gesagt hat, dass er an der Grenze alles Wissens steht und den geistigen Frieden sowie die spirituelle Erfüllung symbolisiert. Wir könnten sagen, die Suche nach spiritueller Erfüllung steht hinter allen Erzählungen von der Himmelsreise. Auch im Beitrag von Regine Schweizer-Vüllers kommen wir in kosmische Dimensionen. Er behandelt den sogenannten Traum des Scipio, den Cicero ganz am Schluss seiner Schrift über den Staat erzählt. Dieser Traum führt ins Jenseits und vermittelt eine Schau oder Vision des ganzen damals bekannten Kosmos. Scipio sieht die Sterne und Planeten und hört die Musik der Sphären. Tief unter sich erkennt er die Erde in ihrer Kleinheit. Im Grunde wird hier die Erfahrung eines Gottesbildes beschrieben, was die Autorin in eindrücklicher Art auf dem Hintergrund der Psychologie von C. G. Jung psychologisch deutet. Der Traum wird für Scipio zu einem überwältigenden Erlebnis, das
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Vorwort
seinem Leben auf der Erde einen neuen, tieferen Sinn gibt und ihm, wie sich die Autorin ausdrückt, eine «Auffassung oder ein Bild von der Ewigkeit und der Unsterblichkeit der Seele» vermittelt. Es ist Regine Schweizer gelungen, dem Leser das antike Weltbild in verständlicher Weise zu vermitteln, das heisst ein Bild von jenem Kosmos zu zeichnen, den die Menschen der hellenistischen Zeit nicht nur im Lichte des Schicksalszwanges der Planetensphären, sondern eben auch als Tempel erfahren haben: «Siehst du nicht, in welchen Tempel du gekommen bist?», wird der Träumer von einer Gestalt im Jenseits gefragt. Psychologisch gesehen können wir diesen Tempel im Jenseits als Bild einer seelischen Ganzheit deuten, die seit je im Symbol des Mandalas ausgedrückt wurde. Der Kosmos ist ein grosses, klingendes, kreisendes Mandala. Der Beitrag schliesst mit einem Vergleich der Himmelsreise des Scipio und der Erfahrungen, die C. G. Jung in seinen kosmischen Visionen während einer schweren Krankheit gemacht hat. Im Mittelpunkt des Beitrags von Susanne Plietzsch über die antike jüdische Himmelsreise stehen die Erzählungen vom Aufstieg des Mose zum Sinai aus dem babylonischen Talmud und der Midraschsammlung Pesikta Rabbati. Anders als bei den islamischen Himmelsreisen steht im babylonischen Talmud nicht die mystische Erfahrung, die Schau Gottes, im Vordergrund, sondern der Auftrag an Mose, dem Volk Israel die Tora zu bringen. Auf seiner Himmelsreise wird Mose von verschiedenen Engeln bedroht, und nur doch dank Gottes Eingreifen gelingt es ihm immer wieder, diese zu besiegen. Im zweiten Text, in welchem Mose auf einer Wolke zum Himmel auffährt, wird die himmlische Sphäre, vor allem aber die ungeheure Faszination des Thrones, anders als in der talmudischen Erzählung, in aller Ausführlichkeit beschrieben. Die Thronvision wird zur mystischen Schau. Es gelingt Susanne Plietzsch anhand dieser Texte, die noch viel zu wenig bekannt sind, dem Leser einen tiefen Einblick in jene jüdische Schriften zu vermitteln, die in vielfältiger Weise von der Schönheit Gottes und seines Thrones erzählen. Was die jüdische Mystik und deren Ursprung betrifft, vor allem deren Spannungen zwischen individuellerfahrungsorientierter und institutionell etablierter Religiosität, setzt die Autorin andere Akzente als Gershom Scholem, der grosse Meister der jüdischen Mystik. Damit ermöglicht sie neue Perspektiven. Neue Perspektiven ganz anderer Art erscheinen im Aufsatz des Astrophysikers und Galaxienforschers Bruno Binggeli. Seine Thesen sind provokativ, modern im besten Sinne des Wortes, man könnte auch sagen, zukunftsweisend: Die Berichte aus der Antike über Himmelsreisen sind von demselben Antrieb
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Vorwort
beseelt wie die gesamte Weltraumfahrt. Bruno Binggeli plädiert dafür, die einst in der arabisch-christlichen Welt existierende Resonanz zwischen dem kosmischen Aussenraum und dem seelischen Innenraum, zwischen Mikro- und Makrokosmos wiederherzustellen, denn, so sein Argument, unsere Spiritualität steht in Resonanz mit dem natürlichen Himmel. Mit dem heliozentrischen Weltbild der Neuzeit (Kopernikus) ist der antike Sphärenkosmos, dessen Mittelpunkt die Erde war, verloren gegangen. Damit hat sich, und erst Giordano Bruno hat das im vollen Umfang erkannt und ist dafür im Jahre 1600 in Rom öffentlich verbrannt worden, das Tor zur Grenzenlosigkeit aufgeschlossen. Als Antwort darauf trat in der Folgezeit das Stoffliche und Mechanische in den Vordergrund. Die Transzendenz wurde zur Immanenz. Erst in der modernen Kosmologie und Weltraumforschung erhält der Kosmos wieder seine ursprüngliche Kugelgestalt. Damit nicht genug: Bruno Binggeli bringt faszinierende Beispiele der Verwandtschaft zwischen der modernen Astrophysik und dem Neuplatonismus. So fordert er denn im Anschluss an Wolfgang Pauli, C. G. Jung und andere die grundsätzliche Anerkennung der Komplementarität, das heisst ein Weltverständnis des Sowohl-als-auch, das beide Seiten der Wirklichkeit, das Quantitative und das Qualitative, das Physische und das Psychische, miteinander vereint und als gleichwertig anerkennt. Tatsache aber ist, so der Autor, dass die heutige Himmelfahrt und Weltraumforschung eher ein Eroberungsfeldzug ist als eine Pilgerreise. Er schliesst seinen hervorragenden Beitrag mit dem Plädoyer für eine bewusste Wahrnehmung und Integration des Symbolischen in der Weltraumforschung, denn nur das gibt Sinn und nur das, so möchte ich ergänzen, kann der Ganzheit gerecht werden. Der Tessiner Mauro Guindani erweist sich als ein grosser Kenner und Liebhaber von Dantes Göttlicher Komödie. Je länger wir seinen Gedankengängen folgen, desto mehr wird klar, weshalb er Dante den «Minnesänger des Jenseits» nennt. Der dolce stil novo, der süsse neue Stil, in welchem Dantes sprachschöpferische Verse verfasst sind, ist durchdrungen von Einflüssen der provenzalischen Troubadoure. Was für ein geniales Werk die Göttliche Komödie ist, zeigt uns der Autor durch seine Ausführungen zur Metrik und Dramaturgie eines bis ins kleinste Detail durchgeführten Gesamtkunstwerkes, in welchem die Form des Werkes dessen Inhalt widerspiegelt. Begleitet vom Geist Vergils, dem grossen Vorbild Dantes, durchschreitet der Wanderer und Pilger die verschiedenen Räume des Jenseits, hinunter in die Hölle und hinauf zu den beati genti, den seligen Leuten des Läuterungsberges, an dessen Spitze sich der Garten Eden befindet, der Ausgangspunkt zum Paradies, wo Dante durch Beatrice
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Vorwort
empfangen wird, während Vergil nun zurückbleibt. In der Hölle durchlebt der Wanderer ein Wechselbad der Gefühle bis zum Schreckensbild des in Eis erstarrten Teufels. Er muss lernen, wie Mauro Guindani in seiner eindrücklichen Deutung sagt, das Leiden und die damit verbundenen Emotionen auszuhalten, er muss der Erinnerung an ein verlorenes Glück absagen, denn diese bedeutet ewige Qual. Schliesslich aber, auf dem Läuterungsberg, kann sich der durch die düsteren, von Höllenlärm erfüllten Gänge der Unterwelt wandernde Pilger von der dunklen emotionalen Last der Erinnerung befreien. Doch noch steht ihm eine neue Prüfung bevor: Der Weg zum Läuterungsberg führt ihn am Teufel vorbei. Der Wanderer im Jenseits muss, wie Mauro Guindani es so treffend formuliert, durch das Böse hindurchgehen. Erst diese Bereitschaft führt ihn den Weg hinauf zur Schau der Sterne. Die Reise endet im Paradies, begleitet von Beatrice, mit dem Flug ins reine Licht, hinauf zu «der Liebe, die bewegt die Sonn und Sterne» (l’amor che move il sole e l’altre stelle. Paradiso, XXXIII., S. 145). Stefan Maul zeigt uns die Schönheit altorientalischer Mythen und macht uns mit seinen Deutungen deren unverminderte Aktualität bewusst. Zwar ist Gilgamesch bis ans Ende der Welt vorgedrungen und hat gar die «Wasser des Todes» überquert, doch auch er, der Gottgleiche, muss in die Welt der Menschen zurückkehren und deren schmerzliche Vergänglichkeit annehmen. Vom Überschreiten der Grenzen handelt auch der Mythos von der Himmelsreise des Adapa. Adapa ist der Weise schlechthin und als solcher ein Gefolgsmann des Weisheitsgottes Ea. Der Mythos schildert in überaus menschlicher Art die enge, fast intim zu nennende Verbindung zwischen Gott und Mensch. Ea ist es, der seinem Schützling die Macht des Gotteswortes und damit Weisheit verleiht. Die Gottesgabe gibt Adapa Macht über Dämonen und Unheilskräfte. Doch wie ist es dazu gekommen? Wie der Mythos bildhaft erzählt, dadurch, dass Adapa bei seinem Versuch, dem Gott einen Fisch als Opfergabe zu holen, ins Wasser gefallen und damit ganz ins Element des Ea, des Herrn des Süsswasserozeans, eingetaucht, wir könnten auch sagen: ‹getauft›, worden ist. Im altorientalischen mythischen Denken verbinden sich die Elemente der Gottheiten mit der irdischen Welt zu einem einzigen transzendenten Raum. Der Gott selbst überschreitet die Grenzen, indem er den sterblichen Menschen mit göttlichen Eigenschaften begabt. In einem zweiten Teil schildert Stefan Maul Enkidus Reise in die Unterwelt, wie sie im Gilgamesch-Epos erzählt wird. Diese zeigt den brutalen und unerbittlichen Aspekt des Todes: Der Tod überwältigt den Menschen wie ein seine Beute zerreissendes Tier. Die Unterwelt
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Vorwort
bleibt ein «Land ohne Wiederkehr» – Gilgamesch musste es bitter erfahren. «Mag einer noch so hoch sein, zum Himmel kann er nicht kommen ...», wie ein sumerisches Sprichwort sagt. Erik Hornung beginnt mit einem Zitat von Novalis, das er, damals noch Student in Göttingen, in einer Vorlesung über die deutsche Romantik gehört hat: «Abwärts wend ich mich zu der heiligen, unaussprechlichen, geheimnisvollen Nacht». Das Thema der Nacht hat ihn nie mehr losgelassen; es war ihm Impuls seiner Dissertation über die «Nacht und Finsternis im Weltbild der alten Ägypter» und hat schliesslich sein ganzes wissenschaftliches Werk befruchtet. Ihm (und seiner Mitarbeiterin Elisabeth Staehelin) kommt denn auch das unermessliche Verdienst zu, die Texte der Unterweltsbücher sowie des ägyptischen Totenbuches in ihrer wahren Bedeutung erkannt und in einer hervorragenden deutschen Übersetzung vorgelegt zu haben. Auch in dem vorliegenden Beitrag über das Reich des Osiris geht es einmal mehr um die dunkle Welttiefe als Ort von Regeneration und Erneuerung. Erik Hornung führt uns zunächst durch die zwölf Nachtstunden des Pfortenbuches, dessen erste vollständige Fassung wir auf dem Sarkophag von Sethos I. finden. Anders als im älteren Amduat werden die einzelnen Nachtstunden hier durch die Tore gegliedert. Neu ist auch die Gerichtshalle des Osiris, die der Vereinigung des Sonnengottes mit seinem Leichnam in der tiefsten mitternächtlichen Stunde vorangestellt ist. Osiris ist nicht mehr der passive Herrscher der Unterwelt, er tritt vielmehr als Handelnder auf. Überall begegnen wir dem für die ägyptischen Unterweltsvorstellungen so typischen Kontrast zwischen den selig Verstorbenen, die am paradiesischen Fortleben teilhaben und reichlich mit Korn und andern Gaben des Lebens versorgt werden, auf der einen, und den Sonnenfeinden, deren Bestrafung durch furchterregende Dämonen und feuerspeienden Schlangen aller Art sichergestellt ist, auf der andern Seite. Das ganze Wunder der Erneuerung aus der dunklen Welttiefe und den Urgewässern des Nun bis zum Jubel der gesamten Schöpfung bei Sonnenaufgang, in den selbst die Paviane mit einstimmen, verdichtet sich im Schlussbild des Pfortenbuches in unübertrefflicher Weise. So war es denn auch diese Szene, die in unzähligen Varianten bis in die Spätzeit nachgewirkt hat. Es ist Erik Hornung gelungen, die lebendige Dynamik der ägyptischen Unterwelt einmal mehr in beeindruckender Weise zu schildern. Wir haben diese Übersicht mit Ausführungen über die Paradiesvorstellungen im Islam begonnen und beenden sie nun mit dem brillanten Beitrag des Islamwissenschaftlers Christian Lange über islamische Höllenvorstellungen.
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Vorwort
Während es in der auf den Propheten Muhammad zurückgeführten Traditionsliteratur, dem Hadith, noch heisst, dass Gottes Gnade seinen Zorn überwiege, weshalb gegenüber Höllenbeschreibungen eine gewisse Zurückhaltung geübt wird, ergibt sich in der späteren Volksliteratur ein viel bunteres Bild von der Hölle. Im Koran wie in der späteren scholastischen Theologie hat die Hölle (im Gegensatz zum Paradies) noch kein rechtes Eigenleben; hier überwiegt die Heilsgewissheit gegenüber den «Schrecken Gottes». Das ändert sich im 9. Jahrhundert mit der Entwicklung einer neuen Gattung: den Totenbüchern. In ihnen finden sich allerlei Jenseitsvisionen mit ausführlichen Beschreibungen der Hölle. Der Autor erwähnt den persischen Theologen und Mystiker Ghazali, der in seinen Werken die «Schrecken Gottes» heraufbeschwört und durch Höllendrohungen die Gläubigen mit der «Peitsche der Furcht» zu züchtigen versucht. Christian Lange spricht von der psychologischen Funktion der Hölle: Die Beschreibung der «Schrecken Gottes» soll die eigene Sündhaftigkeit bewusst machen. Damit beginnt die Reise ins Innere der Seele. Die Höllenangst und die Erlösungssehnsucht stehen unmittelbar nebeneinander. Paradies und Hölle aber, und darauf zielen die Ausführungen von Christian Lange, können nicht komplett in die eschatologische Zukunft verlegt werden. Wie die islamischen Höllenvisionen zeigen, sind sie gleichzeitig Abbilder des irdischen Lebens, ein warnendes Vorbild sozusagen. Das Jenseits, auch die Hölle, wird nicht aus der Welt verbannt, es wird gewissermassen ins Diesseits hineingenommen. Zum Schluss bleibt mir noch, all jenen zu danken, die unsere Beiträge für Eranos unterstützt haben: Der Gemeinde Ascona, die uns auch in diesen Jahren den Saal in der Casa Serodine zur Verfügung gestellt hat. Yvonne und Fritz Hugelmann sowie Verena Floeri, die immer zur Stelle sind, wenn etwa fehlt. Danken möchte ich aber auch all jenen, die die Publikation dieses Bandes ermöglicht haben, der Stiftung zur Förderung der Psychologie von C. G. Jung für die grosszügige Unterstützung und Andreas Brodbeck für seinen unermüdlichen und fachkundigen Einsatz beim Layout des vorliegenden Bandes. Zollikon, im März 2011
Andreas Schweizer
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«Gepriesen sei der, der seinen Diener bei Nacht reisen ließ» (Koran 17:1)
Paradiesvorstellungen und Himmelsreisen im Islam – Grundfesten des Glaubens und literarische Topoi * Sebastian Günther Jenseitsvorstellungen und Himmelsreisen sowie die damit zusammenhängenden Vorstellungen zur Topographie und Bestimmung überirdischer Sphären haben in der Glaubenswelt des Islams einen festen Platz. Das religiöse Interesse an den himmlischen Sphären bzw. an deren Erkundung ist für Muslime in erster Linie durch ihre Offenbarungsschrift, den Koran, gegeben. Zum einen sind im Koran die von Gott geschaffenen Himmel im Plural erwähnt, ein Umstand, der als solcher bereits Neugier weckt. Darüber hinaus sind es aber insbesondere die sehr anschaulichen koranischen Beschreibungen des Paradieses mit seinen unterschiedlichen Gärten, welche Muslime im Glauben an den einen Gott und seine Allmacht bestärken und die menschliche Phantasie beflügeln. Seit dem Aufkommen des Islams haben diese eindringlichen koranischen Schilderungen von Paradies und Hölle das Interesse der Muslime genährt, mehr über die Himmel und das Jenseits zu erfahren. Der zentrale Punkt aus religiöser Sicht war und ist dabei die Tatsache, dass der Koran die körperliche Wiederauferstehung am Tage des Jüngsten Gerichts sowie ein Leben nach dem Tode verkündet. Denjenigen Menschen, die den Islam annehmen und ein gottesfürchtiges Leben führen, wird das Aufsteigen ihrer Seelen in himmlische Sphären und ein ewiges Dasein im Paradies verheissen; den Sündern und Gottlosen allerdings droht die Hölle. Ein besonderes Kennzeichen der koranischen Jenseitsbeschreibungen sind die ausdrucksstarken sprachlichen Bilder und vielfältigen Symbole, welche die Rezipienten des koranischen Textes nicht nur rational, sondern auch emotional *
Arabische und persische Personen- und Eigennamen sowie sonstige Termini werden im Text dieses Beitrages in einer vereinfachten, dem deutschen Sprachgebrauch weitgehend angepassten Umschrift wiedergegeben. Nicht berücksichtigt wird dabei der arabische Artikel in Personennamen, wenn diese isoliert stehen. Die Angaben in der Bibliographie sind nach der wissenschaftlichen Umschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft transkribiert. Alle Datumsangaben beziehen sich auf die Ära n. Chr. Zitate aus dem Koran folgen (gelegentlich leicht modifiziert) der Übersetzung von Rudi Paret. Sofern nicht anders vermerkt, sind alle weiteren Übersetzungen aus dem Arabischen meine eigenen.
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Sebastian Günther
ansprechen. Sie lassen vor ihrem geistigen Auge Vorstellungen von der jenseitigen Welt entstehen, die konkret genug sind, um sie zu eigenen gedanklichen Reisen in überirdische Sphären anzuregen. Was die Himmelsreisen im Islam als solche betrifft, so ist es jene des Propheten Muhammad, die als die mit Abstand prominenteste gilt und die Muslime zu allen Zeiten tief berührt und inspiriert hat. Im Koran finden sich zu Muhammads Himmelfahrt allerdings nur knappe Andeutungen. Erst die umfangreiche islamische Traditionsliteratur (mit ihren für Muslime autoritativen Überlieferungen vom Propheten Muhammad selbst bzw. kurzen Berichten und Erzählungen seiner engsten Gefährten über ihn), aber auch die historisch angelegten Biographien zum Wirken des Propheten aus dem 8. und 9. Jahrhundert haben die Darstellungen zu Muhammads Himmelfahrt um zahlreiche Details erweitert und zum Teil zu komplexen Episoden ausgeformt. In diesen frühislamischen Texten, um dies hier vorwegzunehmen, ist davon die Rede, dass Muhammad im Jahre 621 in einer wunderbaren Nacht, begleitet von dem Erzengel Gabriel und getragen von einem himmlischen Reittier, von Mekka nach Jerusalem gereist und von dort aus in den Himmel aufgestiegen sei. Nachdem Muhammad im Himmel verschiedene Orte besuchte und sogar vor den Thron Gottes trat, sei er noch in derselben Nacht nach Mekka zurückgekehrt. Man kann sich vorstellen, welch eine Faszination die Erzählungen zu diesen Ereignissen auf die ersten Muslime ausgeübt haben müssen. Es nimmt deshalb auch nicht wunder, dass sich auf der Grundlage dieser Informationen in der mittelalterlichen arabischen, später auch in der persischen und türkischen Literatur eigene Genres entwickelten, welche das Urmotiv der prophetischen Himmelsreise auf vielfältige Weise – sei es nun aus theologischer, philosophischer oder mystischer Perspektive – behandelten.1 In den Quellen, die der grössten Minderheit im Islam, den Schiiten, zuzurechnen sind, werden diese Reisen in überirdische Sphären vor allem den schiitischen Imamen bzw. Führern der verschiedenen schiitischen Gemeinschaften zugeschrieben.2 1
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Siehe hierzu die klassisch gewordenen Ausführungen von Widengren, Muhammad, the Apostle of God, and his Ascension, insbes. S. 98–114 (zur mi‘radsch-Literatur), sowie die Studien von Bevan, Busse, van Ess, Horovitz und Schrieke. Unter der neuen Literatur sei auf den von Gruber/Colby jüngst herausgegebenen und besonders gelungenen Sammelband The Prophet’s Ascension sowie auf den 2011 von Günther/Lawson herausgegebenen Sammelband Roads to Paradise hingewiesen. Vgl. zum Beispiel Widengren, Muhammad, the Apostle of God, and his Ascension, S. 85–95.
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Paradiesvorstellungen und Himmelsreisen im Islam
Einige Mystiker im Islam wiederum versuchen, sich ihre Sehnsucht nach der Nähe Gottes durch ein spirituelles Aufsteigen in den Himmel zu erfüllen. Ihre Vorstellungen und Erfahrungen hielten bestimmte ihrer klassischen Vertreter in deutlich durch die Erzählungen zu Muhammads Himmelfahrt inspirierten, zum Teil hochpoetischen mystischen Schriften fest. Doch auch berühmte muslimische Gelehrte verschiedener theologischer und philosophischer Schulen sowie Naturwissenschaftler setzten sich im Mittelalter mit den überirdischen Sphären bzw. den Möglichkeiten eines Besuches in der jenseitigen Welt und dem Aufstieg in den Himmel auseinander. Dies geschah zum überwiegenden Teil in Form wissenschaftlicher Abhandlungen, zum Teil aber auch auf durchaus unterhaltsame, belletristische Weise. Der erste Abschnitt dieses Beitrages behandelt deshalb zunächst einige wesentliche Paradiesvorstellungen im Koran und in frühislamischen Quellen; jene Ideen bilden die Grundlage für die Darstellungen von Himmelsreisen in den Werken späterer Muslime sowie für das generelle Verständnis der Thematik der Jenseits- und Himmelsreisen im Islam. Im Anschluss daran befassen wir uns mit den – im traditionellen muslimischen Verständnis – zwei Teilen der Himmelsreise des Propheten Muhammad: d.h. mit der nächtlichen Reise Muhammads nach Jerusalem sowie seinem Emporsteigen zu den himmlischen Sphären. Die Bearbeitungen dieses Themas der «Himmelfahrt» des islamischen Propheten durch einige muslimische Mystiker, Philosophen und Literaten sind dann Gegenstand der letzten Abschnitte unserer Ausführungen. Diese Informationen werden unsere thematische Perspektive dann noch einmal erweitern und uns auch einen Einblick in die grosse Vielfalt der islamischen Auffassungen zu einer Grundidee vermitteln, die so alt ist wie die Menschheit selbst. 1. Der Koran und die eschatologische Literatur Das Paradies als «Lohn und letztes Ziel» der Gottesfürchtigen Die Vorstellungen zum Jenseits sind im Islam auf das Engste mit jenen zur Eschatologie verknüpft. Diese Auffassungen zu Eschatologie und Jenseits wurzeln in dem Glauben an den Einen und Einzigen allmächtigen Gott, und sie umfassen Grundsätze islamischer Frömmigkeit wie (1) die körperliche Wiederauferstehung nach dem Tod und das Jüngste Gericht,3 (2) die Unsterblichkeit der Seele4 sowie (3) die Existenz von Paradies und Hölle als reale physische Welten. 3
Obwohl sich die heidnischen Mekkaner zur Zeit des Propheten Muhammad der Botschaft von dem Einen Gott und Muhammads Prophetentum generell widersetzten, scheint es ins-
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Sebastian Günther
Seit dem Aufkommen des Islams im 7. Jahrhundert haben deshalb Fragen nach Lohn oder Bestrafung im Jenseits für die Taten im Diesseits sowie das Spannungsfeld von individueller Glückseligkeit und dem Heil der Gemeinschaft den Glauben der Muslime ebenso geprägt wie die praktischen Erwägungen zum Übergang vom Diesseits ins Jenseits und zu möglichen Schnittstellen zwischen diesen Bereichen. Mehr noch, diese Themen haben den religiösen, kulturellen und politischen Diskursen in der islamischen Welt eine besondere Dynamik verliehen, da sie sich nicht nur auf theoretische Erörterungen von Gelehrten beschränken, sondern auch im Alltagsleben islamisch geprägter Gesellschaften und Gemeinschaften in vielfältiger Weise präsent und lebendig sind. Diese Feststellungen treffen sowohl auf die offiziellen «orthodoxen» Glaubenslehren als auch auf die Volksfrömmigkeit im
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besondere die Idee von der Wiederauferstehung und einem Leben nach dem Tode gewesen zu sein, die ihnen fremd und geradezu grotesk erschien. Die Tatsache, dass die Themen Wiederauferstehung und Jüngstes Gericht besonders häufig in den mekkanischen Suren des Korans begegnen, ist deshalb auch unter diesen Prämissen zu verstehen. Mit anderen Worten: um die heidnischen Mekkaner für eine grundsätzliche Umkehr in ihrem Leben und zur Annahme des Glaubens an den einen Gott zu gewinnen, war es für den Erfolg von Muhammads Mission unabdingbar, die Mekkaner dazu zu bewegen, die für seine Verkündigung zentralen Jenseitsvorstellungen zu akzeptierten und zu verinnerlichen. (Vgl. auch Fück, «Muhammad» S. 165–167, und Nagel, Mohammed S. 115–117.) Die Aussage des einflussreichen konservativen muslimischen Denkers des 20. Jahrhunderts Abu l-A‘la Maududi (1903–1979) kann hier stellvertretend für die Sicht im orthodoxen Islam auf diese Problematik erwähnt werden. Maududi stellt fest: «In this Surah [d.h. Sure 75, «Die Auferstehung»], addressing the deniers of the Hereafter, replies have been given to each of their doubts and objections, strong arguments have been given to prove the possibility, occurrence and necessity of the Resurrection and Hereafter, and also it has been pointed out clearly that the actual reason of the people’s denying the Hereafter is not that they regard it as impossible rationally but because their selfish motives do not allow them to affirm it. At the same time, the people have been warned, as if to say: The event, the occurrence of which you deny, will inevitably come: all your deeds will be brought and placed before you …»; vgl. Maududis Korankommentar Towards Understanding the Qur’an (zu Sure 75); vgl. http://www.englishtafsir.com. Die verschiedenen «orthodoxen» (sunnitischen) Glaubensbekenntnisse im Islam stimmen darin überein, dass es eine körperliche Wiederauferstehung gibt. Die Seele (arabisch: nafs) bzw. der Geist (ruh), vereint sich – je nachdem, wie die verschiedenen theologischen Schulen diese Begriffe definieren – mit dem wiederauferstandenen Körper und ist somit unsterblich. Vgl. Marmura, «Soul: Islamic Concepts», in: Encyclopedia of Religion XII, S. 8566–8567, sowie van Ess, Theologie und Gesellschaft IV, Abschnitte «Das Leben nach dem Tode» S. 521–534, sowie «Eschatologie» S. 543–561.
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Paradiesvorstellungen und Himmelsreisen im Islam
Islam zu. Sie gelten für die sunnitische Mehrheit ebenso wie für die schiitischen und anderen muslimischen Minderheiten in Vergangenheit und Gegenwart. 1.1 Weltenende und Eschatologie Die Jenseits-Thematik ist im Islam auf das Engste mit der Frage nach dem Ende der bekannten Welt verbunden. Vorstellungen zur Apokalypse sind im Islam deshalb auch nicht selten der Ausgangspunkt und Motor für diverse religiös-politisch motivierte Heilserwartungen und Visionen von einer gottverheissenen idealen «neuen Welt.»5 Der Koran behandelt die Themen Eschatologie und Jenseits an zahlreichen Stellen ausdrücklich. Tatsächlich ist nicht der Monotheismus die Zentralidee der urislamischen Verkündigung, wie sie in den ältesten, dem Propheten Muhammad Anfang des 7. Jahrhunderts in Mekka geoffenbarten Passagen des Korans evident ist, sondern das Jüngste Gericht.6 Doch die Warnungen vor dem apokalyptischen Ende einer von Unglaube, Ungerechtigkeit und Unmoral geprägten Welt – ebenso wie die Themen, welche die Bestrafung der Ungläubigen und Frevler sowie die Verheissung des Paradieses für jene, die an Gott glauben und ein gottgefälliges Leben führen, betreffen – sind im Koran stets mit dem eindringlichen Aufruf zum Glauben an «den Einen Gott», Allah, verbunden. Kapitel (bzw. Sure) 81 des Korans beispielsweise (d.h. eine der frühesten koranischen Offenbarungen) evoziert sprachgewaltig folgendes Szenario: 1 2
Wenn die Sonne [von Dunkelheit] eingehüllt wird, Wenn die Sterne vom Himmel herabstürzen; … (6) und … die Meere [über laufen] 7 Wenn die Seelen wieder mit ihren Leibern gepaart … 10 und die Blätter [mit den Verzeichnissen der menschlichen Handlungen] aus gebreitet werden, 11 Wenn der Himmel weggezogen wird, 12 und der Höllenbrand [in Erwartung der Sünder] angefacht (13) und das Paradies [an die Gottesfürchtigen] nahe herangebracht, 14 [wenn all dies geschieht,] bekommt ein jeder zu wissen, was er hat [an Taten zur Abrechnung] beigebracht.
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Siehe auch Lawson, «Duality, Opposition and Typology in the Qur’an» S. 23–49. Fück, «Die Originalität des arabischen Propheten» S. 146.
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Sebastian Günther
Koranische Aussagen dieser Art haben den Gedanken des Jüngsten Gerichts und des Jenseits somit bereits in der Geburtsstunde des Islams fest in dieser Religion und Kultur verankert und sie seither geprägt. Dieser Umstand wird auch in den frühesten systematischen Schriften zur islamischen Theologie und Dogmatik deutlich, in denen muslimische Gelehrte Bekenntnisse des islamischen Glaubens definierten. 1.2 Das Paradies im Koran Der Koran spricht in ebenso deutlichen Worten vom Prozess und vom letzten Ziel des Werdens und Vergehens, der Wiedergeburt und dem ewigen Leben im Jenseits. So heisst es in der Offenbarungsschrift des Islams, dass Gott euch Menschen aus toter Materie «lebendig gemacht hat, und ... euch dann [wieder] sterben lässt und darauf [bei der Auferstehung wieder] lebendig macht, worauf ihr zu ihm zurückgebracht werdet» (Koran 2:28). Gott ist es, der «zum Paradies [ruft] und zur Vergebung durch seine Gnade» (2:221). Allerdings sind es nur die Rechtschaffenen, die Frommen und jene, «die sich [um Gottes willen] abgemüht haben», (2:218, 3:142, 8:74, 9:88–89) denen der Koran den Eingang ins Paradies verheisst.7 7
Die Kategorien der Rechtschaffenheit und Frömmigkeit sind im Koran im Zusammenhang mit dem Paradies genau definiert. Sie umfassen: die Verrichtung des Gebets, das Geben von Almosen, den Glauben an die Auferstehung und das Jüngste Gericht, Eigenschaften wie Gehorsam, Dankbarkeit, Demut und Vergebung, das Einhalten von Gelübden, die Unterstützung für Bedürftige und die Teilnahme am Dschihad, das heisst das stete «Mühen auf Gottes Wegen». Vgl. Kinberg, «Paradise,» in: EQ IV, S. 12–20, insbes. S. 17.