Geschichte und Gegenwart der Akademischen Zunft in Basel

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UNIVERSITÄT BASEL

Andreas Urs Sommer Geschichte und Gegenwart der Akademischen Zunft in Basel

Schwabe Verlag Basel



Andreas Urs Sommer Geschichte und Gegenwart der Akademischen Zunft in Basel

Basler Universitätsreden 109. Heft Festvortrag zur 175. Jahrfeier E. E. Akademischen Zunft gehalten am 14. Mai 2011 an der Universität Basel

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Reihe Basler Universitätsreden, herausgegeben von der Stelle für Öffentlichkeitsarbeit der Universität Basel im Auftrag des Rektorats © 2011 Schwabe AG, Verlag, Basel · www.schwabe.ch Gesamtherstellung: Schwabe AG, Druckerei, Basel/Muttenz Gestaltung: Lukas Zürcher, Riehen Printed in Switzerland ISBN 978-3-7965-2789-0


IN MEMORIAM PROF. DR. MARC SIEBER 1927 – 2010 MEISTER E. E. AKADEMISCHEN ZUNFT 1980 – 1989



Geschichte und Gegenwart der Akademischen Zunft in Basel

Hochgeachteter Herr Meister und hochgeachteter Herr Alt-Meister, sehr geehrte Herren Vorgesetzte und Alt-Vorgesetzte, liebwerte Zunftbrüder und Zunftschwestern E. E. Akademischen Zunft, hochgeachteter Herr Vorsitzender Meister und hochgeachtete Herren Meister des Fünferausschusses, Magnifizenz und Spektabilitäten, werter Herr Präsident und Herr Vizepräsident des Universitätsrates, werte Mitglieder, Angehörige und Studierende der Alma Mater Basiliensis, hochlöbliche Herren Regierungsräte, meine sehr verehrten Damen und Herren!* I.

Die akademische Zunft ist in aller Munde. Da wird zum Beispiel in der Zeitung angesichts des Dissertationsplagiats eines Verteidigungsministers gefragt: «Wo bleibt denn der Aufschrei der hehren akademischen Zunft?»1 Oder man liest in einer monumentalen Biographie, Johann Wolfgang von Goethe habe sich «bei der akademischen Zunft Anerkennung verschaffen wollen».2 Oder man nimmt zur Kenntnis, dass Martin Heidegger mit seiner berühmt-berüchtigten Behauptung «Die Wissenschaft denkt nicht» keineswegs bloss «die akademische Zunft der ‘Metaphysik-Gläubigen’ zu brüskieren» beabsichtigt habe.3 Sie werden es unschwer erkannt haben, meine *

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Helfend und kritisch zur Seite standen mir bei der Ausarbeitung Thomas Bachmann, Hans-Christoph Im Hof und Werner A. Sommer-Steck. Ich danke ihnen sehr dafür. Torsten Harmsen, Wo bleibt der Aufschrei gegen den Lügen-Doktor?, in: Berliner Zeitung, 25. Februar 2011 (abgerufen unter http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2011/0225/meinung/ 0059/index.html am 7. April 2011). Nicholas Boyle, Goethe, Bd. 2: 1790–1803, München 1999, S. 259. Erik Ode, Das Ereignis des Widerstands: Jacques Derrida und «Die unbedingte Universität», Würzburg 2006, S. 114.

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Damen und Herren: Man verlangt hier nicht von der Akademischen Zunft, deren 175. Geburtstag wir feierlich begehen, dass sie Stellung zu den Verfehlungen eines deutschen Ministers nehme, dass sie sich in das Leben Goethes einmische oder dass sie über die Geschicke der Metaphysik befinde. Die Wendung ‘akademische Zunft’ kommt auch ausserhalb Basels vor, und zwar zur Bezeichnung der sozialen Gruppe der Universitätsangehörigen, die als eine mehr oder weniger verschworene Gemeinschaft von aussen misstrauisch beäugt wird. ‘Akademische Zunft’ hat im allgemeinen Sprachgebrauch häufig eine kritische, mitunter eine abfällige Konnotation. Der deutsche Jakobiner Georg Forster hat schon 1792 in einer unter dem Titel Über den gelehrten Zunftzwang berühmt gewordenen Vorrede (nämlich zur Übersetzung von Constantin-François Chassebœufs de Volneys Ruinen) dagegen polemisiert, dass der «in allen Wissenschaften noch so wirksame zünftige Despotismus» darauf ausgehe, «die Menschen in den Zauberkreis eines Systems zu bannen, außer welchem die Wahrheit nicht anzutreffen seyn soll».4 Forster spricht zwar vom «gelehrten Zunftzwange»,5 also jenem Zwang zur Unterwerfung unter die hergebrachte wissenschaftliche Meinung und dem damit einhergehenden Zwang zu einem entsprechend konformen Sozialverhalten, jedoch – im Unterschied zu den eingangs zitierten Autoren unserer Tage – nicht von der ‘akademischen Zunft’.6

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Georg Forster, Werke in vier Bänden, hg. von Gerhard Steiner, Bd. 3, Leipzig 1971, S. 372. Ebd., S. 373. Die Wendung ‘gelehrte Zunft’ ist hingegen schon im 18. Jahrhundert allgemein gebräuchlich, beispielsweise in Christoph Martin Wielands Geschichte des Agathon (3. Theil, 12. Buch, 10. Kapitel; Sämmtliche Werke, hg. von Johann Gottfried Gruber, Bd. 11, Leipzig 1824, S. 129) oder in Johann Gottfried Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (3. Theil, 12. Buch, 1. Kapitel; Sämmtliche Werke, hg. von Maria Carolina von Herder, Wilhelm Gottfried von Herder, Johannes von Müller u.a., Abt. Zur Philosophie und Geschichte, 5. Theil, Tübingen 1806, S. 73).


Traut man den Quellen des 19. Jahrhunderts, so handelt es sich bei der Wendung ‘akademische Zunft’, die heute in aller Munde ist, tatsächlich um einen baslerischen Sondersprachgebrauch. So erfährt man aus der Rezension eines universitätsreformerischen Werkes, die der Jurist Gustav Hugo 1843 für die Göttingischen gelehrten Anzeigen verfasst hat: Unsere hohen Schulen heißen vielmehr eine universitas wie jede andere universitas von Menschen, jedes collegium, corpus, corporatio nach den Personen, die sie begreift, also doctorum et scholarium, wie ehemahls mercatorum, sutorum u. s. w. Noch jetzt spricht man in B a s e l von einer ‘akademischen Zunft’ im ganz richtigen Gebrauche des Hauptwortes, wenn gleich das Beywort sich auf etwas ganz Anderes und viel Neueres bezieht, nämlich auf die in I t a l i e n entstandenen Academien, die keine Lehranstalten waren, von denen sich aber ein Adjectiv gebildet hat, wie wir im Deutschen so wie im Lateinischen, nichts universitätisch nennen.

Nach dem unbestechlichen Urteil des auswärtigen Gelehrten8 ist die ‘akademische Zunft’ also eine genuine Basler Erfindung.9 Seine Ausführungen klären den Leser indes nicht darüber auf, dass es sich bei dieser akademi7

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[Gustav] Hugo, [Rezension von] Herr GHR. und ordentl. Prof. in der medicinischen Facultät Bischoff zu Bonn: Einiges, was den deutschen Universitäten Noth thut, in: Göttingische gelehrte Anzeigen, 80. Stück, 20. May 1843, S. 785–794, hier S. 787. Drei Jahre zuvor hatte sich Hugo bereits ähnlich geäussert, als er über die universitas magistrorum und scholarium sprach, «oder von beiden zusammen. So ist wohl auch der Ausdruck die akademische Zunft zu verstehen, der in Basel vorkommt, doch ist das Beywort in diesem Sinne neu.» (Göttingische gelehrte Anzeigen, 32. Stück, 22. Februar 1840, S. 312). Freilich wurde der nachmals berühmte Göttinger Jura-Professor Gustav Hugo 1764 in Lörrach geboren, so dass ihm Basel biographisch nicht ganz fernlag. Die Verallgemeinerung des Gebrauchs der Wendung ‘akademische Zunft’ über Basel hinaus lässt sich übrigens gut bei einem Basler Professor beobachten, der allerdings, weil er nie Basler Bürger wurde, auch nie Mitglied der hiesigen Akademischen Zunft war: Friedrich Nietzsche (1844–1900) schreibt am 26. Oktober 1871 an seine Mutter Franziska und seine Schwester Elisabeth Nietzsche, am kommenden Donnerstag finde in Basel «das Rektoratsfest und das akademische Zunftessen» statt (Friedrich Nietzsche, Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe in 8 Bänden, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Bd. 3, München, Berlin, New York 2 2003, S. 236). Natürlich meint Nietzsche damit das Essen E. E. Akademischen Zunft am Dies academicus. Ein halbes Jahr später, in einem Brief an seinen Studienfreund Erwin Rohde in Kiel vom 30. April 1872, sieht er den Adressaten und sich selbst hingegen «wie zwei Gewappnete mitten in der akademischen Zunft als treue Waffengefährten stehen» (ebd., S. 313). Hier hat Nietzsche keineswegs die Basler Institution vor Augen, sondern die ihm und seiner kulturreformatorischen Philologie ablehnend gegenüberstehende Universitätswissenschaft. Der pejorative Gebrauch der Wendung ‘akademische Zunft’ ist dabei deutlich greifbar.

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schen Zunft seit 1836 um eine eigene Rechtsperson jenseits der Institution Universität, nämlich um «die aus den akademischen Bürgern bestehende sechszehnte Wahlzunft»10 gehandelt hat. Allerdings ist auch die Basler Sprachregelung in der Entstehungsphase dieser sechzehnten Wahlzunft nicht eindeutig; der Ausdruck ‘akademische Zunft’ wird bereits vor 1836 durchaus in einem weiten Sinne verwendet. So wurde in der Baseler Zeitung vom 28. September 1835 folgende, vom «Aktuariat der Regenz» unterzeichnete und auf den 26. September datierte Anzeige geschaltet: Die verehrlichen Mitglieder der akademischen Zunft, welche gesonnen sind bei dem bevorstehenden akademischen Feste gemeinsam in die Kirche zu ziehen, sind ersucht sich den 1. Oktober vor 9 Uhr in dem obern Collegium zu versammeln, und dem Zug sich anzuschließen.11

Und auch in der politischen Berichterstattung ist 1835 schon ganz selbstverständlich von der ‘akademischen Zunft’ die Rede.12 So referiert die Baseler Zeitung über die Oktobersitzung des Grossen Rates:

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Gesetz über Organisation der Zunft der akademischen Bürger. (Vom 6 April 1836), in: Sammlung der Gesetze und Beschlüsse wie auch der Polizei-Verordnungen welche seit Anfang 1836 bis Ende 1838 für den Kanton Basel-Stadttheil erlassen worden. Auf Befehl der Regierung gesammelt. Zweiter Band. Als Fortsetzung der frühern Gesetzessammlung für den Kanton Basel. Neunter Band, Basel 1839, S. 17–18, hier S. 17. Baseler Zeitung, 5. Jahrgang, Nr. 156, Montag, den 28. September 1835, S. 706. Dieser Sprachregelung schloss sich auch die Festberichterstattung der Presse an. So berichtet das Intelligenz-Blatt der Allgemeinen LiteraturZeitung vom März 1836 über die Feier am 1. Oktober 1835: «Im Chor der Münsterkirche, an derselben Stelle, wo vor mehr als vierhundert Jahren die päpstliche Bulle über die Gründung der Universität vorgelesen worden war, fand die Feierlichkeit Statt. Eine zahllose Menschenmenge hatte trotz der ungünstigen Witterung schon vorher den grössten Theil des im schönsten gothischen Style aufgeführten Gebäudes eingenommen. Nach einander nahmen der Zug der akademischen Lehrer, die akademische Zunft, welche auch die gesammte Geistlichkeit und die Lehrer aller Schulen, endlich der Erziehungsrath, die Regierungsbehörden und der Amtsbürgermeister die ihnen angewiesenen Plätze ein.» (Anonym, Universitäten. Basel. Wiederherstellung der Universität, in: Allgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1836. Fünfer Jahrgang. Die Intelligenzblätter dieses Jahrgangs enthaltend, Halle, Leipzig 1836, Sp. 97–100, hier Sp. 99). Auch das Siegel der Akademischen Zunft führt das Jahr 1835, siehe Lukas Wüthrich, Die Insignien der Universität Basel, Basel 1959, Tafel 10, Abbildung c (zu der im Zunftsiegel aufgenommenen, ikonographischen Tradition ebd., S. 29-32). Die Anfertigung des Siegels durch den Graveur Mathias Grell ist im ersten Rechnungsjahr der Zunft, 1836/37, ausgewiesen (Paul Roth, Die Anfänge der Akademischen Zunft in Basel. Separatdruck aus der Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde, Bd. 35, Basel 1936, S. 15).


Zu einer langen Diskussion gibt der Gesetzesentwurf über die S t e l l u n g u n d Ve r w a l t u n g d e s U n i v e r s i t ä t s v e r m ö g e n s Veranlassung. Durch Spruch des Obmanns des zur Theilung des Staatsvermögens des alten Kantons Basel niedergesetzten Schiedsgerichtes wurde das gesammte Universitätsgut als eine untheilbare Einheit und dem Zwecke des höhern Unterrichts bleibend gewidmet erklärt, und dem Stadttheil gegen eine Auskaufssumme von ungefähr 300,000 Fr. zugetheilt. Der kleine Rath trug darauf an, dem Sinne des schiedsrichterlichen Spruches gemäß, die Staatskasse mit der Auskaufssumme zu belasten, das gesammte Universitätsgut nach den von den Stiftern und Gründern desselben aufgestellten Bedingungen als ein gesondertes Vermögen unter der bisherigen Verwaltung der akademischen Regenz, aber unter der genauen Oberaufsicht des Staates zu belassen; aber durch eine an den Stadtrath sowohl als an die akademische Zunft auszustellende Erklärung, die auf dem Gute durch die Dotationsurkunde von 1803, durch die Gesetze von 1813 und 1818, und durch die Sprüche des Schiedsgerichts zu Gunsten der Stadt Basel ruhenden Lasten, und die Wahrung der stiftungsmäßigen Zwecke auf eine feierliche und ausdrückliche Weise anzuerkennen. Diese Erklärung wurde in entgegengesetztem Sinne vielfach angegriffen; einerseits fand man sie unnöthig, sodann gefährdend und beschränkend für den Staat selbst; anderseits erklärte man sie für unzureichend und für möglichste Sicherung des Gutes vor künftigen Wechselfällen ungenügend, und stellte den Antrag das ganze Vermögen unter den nöthigen Beschränkungen und Bestimmungen der Stadtbehörde zu übergeben, und durch die Stadt allein sowohl die Auskaufsumme der 300,000 Fr. als die durch die Uebergabe nöthig werdenden Ausweisungen tragen zu lassen.13

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Baseler Zeitung, 5. Jahrgang, Nr. 165, Donnerstag, den 15. October 1835, S. 759. Im schliesslich verabschiedeten Gesetz über Verwaltung und Verwendung des Universitätsgutes vom 6. April 1836 ist von der ‘akademischen Zunft’ dann keine Rede mehr (Sammlung der Gesetze und Beschlüsse wie auch der Polizei-Verordnungen welche seit Anfang 1836 bis Ende 1838 für den Kanton Basel-Stadttheil erlassen worden. Auf Befehl der Regierung gesammelt. Zweiter Band. Als Fortsetzung der frühern Gesetzessammlung für den Kanton Basel. Neunter Band. Basel 1839, S. 13–17).

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II.

Damit sind wir mitten drin in den Dreissiger-Wirren, die unter anderem die Entstehung der gesetzlich verankerten Körperschaft einer Akademischen Zunft herbeigeführt haben. Mit der Kantonstrennung 1833 musste der junge Halbkanton Basel-Stadt sich nicht nur juristisch neu konstituieren, sondern auch politisch eine neue Identität finden. Dies geschah unter Rückgriff auf die politische Struktur der vorrevolutionären Zeit, nämlich auf die Einteilung der männlichen Stadtbürger in 15 Zünfte, denen sie entweder als Ausübende des jeweiligen Gewerbes oder durch familiäre Tradition angehörten. Im neuen Standardwerk zur Geschichte des Zunftwesens in Europa findet sich folgende Definition: «Eine Zunft ist ein geografisch begrenzter Zwangsverband von Betrieben des Handwerks, des Kleinhandels oder von Dienstleistungen, der in vormodernen Epochen marktordnende Aufgaben wahrnimmt».14 In Basel bestimmten diese Zünfte bis 1798 auch das politische Leben vollständig. Die 1833 verabschiedete Verfassung restituierte zwar kein absolutes Zunftregiment, sondern sah nur noch vor, dass «Eine jede der achtzehn15 Wahlzünfte des Kantons Basel-Stadttheil […], durch absolutes Stimmenmehr, aus ihrer Mitte zwei Mitglieder in den Großen Rath» wähle,16 während weitere 83 Mitglieder des Grossen Rates in den «Bezirksversammlungen» zu bestimmen seien. Um jedoch «bei diesen Bezirkswahlen stimmen zu können, muß man» – nebst einem erheblichen

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Arnd Kluge, Die Zünfte, Stuttgart 2007, S. 34. D.h. aus den 15 alten Zünften, den zwei Wahlzünften aus dem «Landbezirk» d.h. den Gemeinden Riehen, Bettingen und Kleinhüningen sowie der Akademischen Zunft. Verfassung des Kantons Basel-Stadttheil. (Durch die Bürgerschaft angenommen den 3 Oktober 1833), in: Sammlung der Gesetze und Beschlüsse wie auch der Polizei-Verordnungen welche seit 26 August 1833 bis Ende 1835 für den Kanton Basel-Stadttheil erlassen worden. Auf Befehl der Regierung gesammelt. Erster Band. Als Fortsetzung der frühern Gesetzessammlung für den Kanton Basel. Achter Band. Basel 1838, S. 49–62, hier S. 55, § 29.

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Zensus – «bei den Wahlzünften stimmfähig seyn».17 Die Zünfte sind nach der Verfassung von 1833 – und dies war bereits in den Verfassungen von 1803 und 1814 so vorgesehen – in erster Linie Wahlzünfte: Um politisch partizipieren zu können, war die Mitgliedschaft in einer Zunft obligatorisch. Die Angehörigen der Universität, die reformierten Geistlichen, die Juristen, die Lehrer, die Ärzte besassen, soweit sie Basler Bürger waren, zwar traditionell das Recht, in die Zunft einzutreten, mit der sie familiär verbunden waren, jedoch hatten sie während des Ancien Régimes in diesen Handwerker- und Handelsherrenzünften nur eine untergeordnete Rolle gespielt und daher auf die politischen Geschicke der Stadt nur selten Einfluss gewonnen. Im frühen 19. Jahrhundert, als in den meisten anderen Schweizer Kantonen das Zunftregiment – soweit es vorhanden war – aufgehoben wurde, gerieten auch in Basel die Verhältnisse in Fluss. Zunächst bestand ein Problem in der unterschiedlichen Grösse der traditionellen Zünfte, so dass ein Zunftbruder in einer kleineren Zunft mehr Macht besass als ein Zunftbruder in einer grösseren, da jede Zunft im politischen Gesamtgefüge wenigstens nominell das gleiche Gewicht hatte. Zudem war die Mehrzahl der Akademiker gar nicht zünftig und damit politisch machtlos. Um diesen Missständen abzuhelfen, wurde bereits 1823 das Gesetz über eine zweckmässigere Eintheilung der Wahlzünfte in der Stadt verabschiedet, das zum einen die Mitgliederzahl der verschiedenen Zünfte einigermassen auszugleichen versuchte. Zum anderen wurden die nicht anderweitig zünftigen Akademiker mit Basler Bürgerrecht der Halbzunft zum Goldenen Stern zugeteilt, die traditionell um die Belange der Scherer, 17

Ebd., S. 56, § 29.

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Maler und Sattler besorgt war. In der Folge dieser Reform gewannen die Akademiker im Goldenen Stern bald eine zahlenmässige Überlegenheit, so dass sich die Handwerker zu ihrem Missfallen häufig – gerade bei den Wahlen zum Grossen Rat – von der nunmehr akademischen Zunftmehrheit majorisiert sahen. Daher stellten die Sattler, Maler und Scherer schliesslich 1833 den Antrag an den Rat, man möge ihnen die Akademiker wieder abnehmen. Dies geschah mit der Verfassung von 1833 auf Drängen des JuraProfessors Christoph Burckhardt-Hess (1805–1835), indem die Schaffung einer Akademischen Zunft ins Auge gefasst wurde.18 Es heisst dort: Die dermalige Eintheilung der Wahlzünfte soll einstweilen bleiben, mit der Ausnahme, daß die akademischen Bürger die sechszehnte Wahlzunft bilden; der künftigen Gesetzgebung aber ist aufgetragen, die Wahlzünfte nach Bedürfniß in ein richtiges Verhältniß zu bringen.19

Damit war die verfassungsmässige Grundlage der Akademischen Zunft geschaffen. Zweieinhalb Jahre später, am 6. April 1836, erliess der Grosse Rat das Gesetz über Organisation der Zunft der akademischen Bürger, das die Vorgabe der neuen Kantonsverfassung umsetzte. «Damit wurde die Verfassung der Universität gewissermaßen abgeschlossen.»20 Peter Merian-Thurneysen (1795–1883), seit 1820 Ordinarius für Physik und Chemie, später Professor für Geologie und seit 1836 Mitglied des Kleinen Rates, nahm die Konstituierung der Akademischen Zunft an die Hand und wurde bei der 18 19 20

Zu den Einzelheiten siehe ausführlich Roth, Die Anfänge der Akademischen Zunft in Basel, S. 8–12. Verfassung des Kantons Basel-Stadttheil. (Durch die Bürgerschaft angenommen den 3 Oktober 1833), S. 52, § 20. Edgar Bonjour, Die Universität Basel von den Anfängen bis zur Gegenwart 1460–1960, Basel 1960, S. 415 (ähnlich schon Albert Teichmann, Die Universität Basel in den fünfzig Jahren seit ihrer Reorganisation im Jahre 1835. Programm zur Rektoratsfeier und zu dem mit ihr verbundenen Jubiläum der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft im Auftrag E. E. Regenz unter Mitwirkung der Anstaltsvorsteher, Basel 1885, S. 16). Die Universität Basel befand sich mit der Kantonstrennung in einer ihrer bedrohlichsten Krisen und wurde in den Dreissigerjahren personell und institutionell grundlegend reformiert. In den Kontext dieser Reformen gehört auch die Schaffung der Akademischen Zunft.

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ersten Sitzung am 10. Mai 1836 zu ihrem ersten Meister gewählt. Er blieb es bis 1876. Zum zweiten Meister der Zunft wurde im selben Jahr der Jurist Andreas Heusler-Ryhiner (1802–1868) bestellt, bekannt u.a. als erster Vorsteher der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft.21 Der Gesetzestext selbst ist kurz und prägnant: Gesetz über Organisation der Zunft der akademischen Bürger. (Vom 6 April 1836) Wi r, Bür ger m ei ster un d Groß er R a t h des Ka n t o n s B a s e l - S t a d t t h e i l , haben in Betracht, daß in Folge der neuen Organisation unserer Universität neue Bestimmungen über die Verhältnisse der akademischen Angehörigen nöthig geworden, Folgendes festzusetzen angemessen erachtet: §. 1. Die laut §. 20 unserer Verfassung aus den akademischen Bürgern bestehende sechszehnte Wahlzunft soll gleich den andern Zünften organisirt und namentlich derselben die Besorgung der vormundschaftlichen Angelegenheiten ihrer Angehörigen übertragen werden. §. 2. Mitglieder dieser Zunft sind sämmtliche Stadtbürger, welche an den öffentlichen Lehranstalten als Professoren oder Lehrer angenommen, oder Mitglieder des Ministeriums oder Doktoren der Medizin sind; auch andere Bürger, welche akademische Studien gemacht haben, können die Aufnahme in diese Zunft verlangen.

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Siehe Roth, Die Anfänge der Akademischen Zunft in Basel, S. 12–14. Eduard His bezeichnete Peter Merian mit Recht als den «Mann […], welcher in Basel den Typus des im Freistaate regierenden oder doch mitregierenden Wissenschafters recht eigentlich begründet hat» (Eduard His, Basler Gelehrte des 19. Jahrhunderts, Basel 1941, S. 77), und widmete ihm zwei eindringliche Porträts, die einerseits seine wissenschaftlichen (ebd., S. 77–84), andererseits seine politischen Leistungen beleuchten (Eduard His, Basler Staatsmänner des 19. Jahrhunderts, Basel 1930, S. 109–121). Auch zu Andreas Heusler hat sein Urenkel Eduard His sowohl eine politische (ebd., S. 123–134) als auch eine wissenschaftliche Würdigung verfasst (Basler Gelehrte des 19. Jahrhunderts, S. 104–112).

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§. 3. Dieser Zunft wird das Recht zuerkannt, die Lokalien der Universität zu ihren Sitzungen und Versammlungen zu benützen, und die Dienste des Pedells zu ihren Zwecken in Anspruch zu nehmen.22 §. 4. Die Gebühren, welche diese Zunft von ihren Angehörigen zu beziehen hat, sollen mit Rücksicht auf das, was bei andern Zünften üblich ist, festgesetzt und der Genehmigung des Kleinen Rathes unterlegt werden; über Einnahme und Ausgabe ist alljährlich dem Stadtrath Rechnung abzulegen. §. 5. Der Kleine Rath wird beauftragt, die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Bestimmungen und Anordnungen zu treffen. Gegeben den 6 April 1836. Im Namen des Großen Raths. Der Amtsbürgermeister: Fre y. Der Rathschreiber: L i c h t e n h a h n .23

Mit diesem Gesetz wird die Vorgabe der Verfassung erfüllt und ein institutionengeschichtliches Unikum geschaffen: Es wird wenige Zünfte in Europa geben, deren Gründung per Gesetz erfolgt ist. Vermutlich handelt es sich bei der Akademischen Zunft in Basel überhaupt um die einzige Zunft, die nach dem hergebrachten mittelalterlichen Zunftsystem organisiert ist und doch ganz Akademikern vorbehalten bleibt, und zwar, nachdem an

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Im Ratschlag und Gesetzesentwurf betreffend die Stellung und Verwaltung des Universitätsvermögens und die Organisation der academischen Zunft, die dem Grossen Rat am 3. August 1835 zugestellt wurde, heisst es: «Diese Zunft tritt aber ganz mittellos in die Reihe ihrer Schwestern ein, da die Fisci Rectoris und der Fakultäten, die sich auf ähnliche Weise wie die Zunftseckel bei anderen Zünften gebildet, nunmehr mit dem übrigen Universitätsgute zu Zwecken des höhern Unterrichts verwendet werden sollen. Um so billiger ist es aber wiederum, dass für ihre nothwendigsten Bedürfnisse wenigstens auf die bisherige Weise gesorgt werde, und dahin gehört namentlich, dass ihr das Recht zugesichert werde, die Lokalien der Universität zu ihren Sitzungen und Versammlungen zu benützen, und die Dienste des Universitätsdieners zu ihren Zwecken anzusprechen. Wenn diese sonst mit so bedeutenden Privilegien und Glücksgütern begabte Korporation diese wenigen Rechte aus dem Sturme der Zeiten hinausgerettet, so wird gewiss keine ihrer reichern Schwestern sie deshalb beneiden.» Zitiert nach Marc Sieber, Die jüngste Basler Zunft, in: Basler Stadtbuch, Bd. 107 (1986), Basel 1987, S. 61–64, hier S. 62. Sammlung der Gesetze und Beschlüsse wie auch der Polizei-Verordnungen welche seit Anfang 1836 bis Ende 1838 für den Kanton Basel-Stadttheil erlassen worden. Auf Befehl der Regierung gesammelt. Zweiter Band. Als Fortsetzung der frühern Gesetzessammlung für den Kanton Basel. Neunter Band. Basel 1839, S. 17–18. Ratsschreiber war Karl Johann Lichtenhahn (1805–1860), Bürgermeister Johann Rudolf Frey (1781–1859).

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den meisten Orten das Zunftsystem schon abgeschafft war. In Basel wurde durch das explizite Einbeziehen der Akademiker ins Zunftwesen dieses scheinbar obsolete Zunftsystem in der Gesellschaft breiter abgestützt – als wolle man allfälligem Widerstand gegen die Restitution des Zunftwesens in den Kreisen der am besten ausgebildeten Stadtbürger den Wind aus den Segeln nehmen. Das Gesetz von 1836 ist unmissverständlich: Es handelt sich um eine «Wahlzunft», den anderen Zünften darin völlig gleichgestellt, also mit dem Recht ausgestattet, die entsprechende Anzahl Ratsmitglieder zu bestellen und für die angemessene politische Vertretung ihrer Mitglieder zu sorgen. Diese Mitglieder wiederum rekrutierten sich aus der Dozentenschaft der Universität, der Lehrerschaft der Schulen, der Geistlichkeit der reformierten Landeskirche («Mitglieder des Ministeriums») sowie den Medizinern und allenfalls – auf Verlangen hin – anderen in der Stadt tätigen Bürgern, die akademische Studien nachweisen konnten. Die Akademische Zunft zählte gemäß der ersten gedruckten Zunftbürgerliste vom Oktober 1838 140 Mitglieder;24 1878 wurde die höchste Zunftbrüderzahl von 276 erreicht, dazu kamen – separat gezählt – 2 Meister und 10 Vorgesetzte, so dass die Zunft also 288 Männer listete.25 Zunftschwestern hat die Akademische Zunft bekanntlich erst seit wenigen Jahren in ihrer Mitte. 1875 wurde in Basel das politische System vollständig umgestaltet und das Wahlzunftwesen musste einer neuen repräsentativ-demokratischen Verfassung weichen, die die Zünfte als politische Entscheidungsinstanzen in der städtischen Politik fast völlig ausschloss und zu Traditionsanstalten machte. 24

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Verzeichniss der Zunftbürger E. E. academischen Zunft. October 1838. Gustaf Adolf Wanner (Zunftkraft und Zunftstolz, Basel 1976, S. 191) nennt für die Zeit der Gründung die Zahl von 147 Zunftbrüdern. Verzeichniß der Genossen E. E. akademischen Zunft. December 1875.

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Entsprechend war fortan für die politische Partizipation keine Zunftzugehörigkeit mehr erforderlich, so dass diese Zugehörigkeit völlig freiwillig wurde und die Anzahl der Mitglieder kontinuierlich sank. 1920 beispielsweise verzeichnet die nunmehr nur noch per Schreibmaschine vervielfältigte Aufstellung gerade einmal 50 in Basel und 10 auswärts ansässige Zunftbrüder.26 Waren 1838 noch 51 Mitglieder Geistliche, sodann 30 Lehrer, 19 Mediziner, 16 Universitätsprofessoren und schliesslich 7 Juristen, so nahm die Zahl der Theologen nach und nach ab, zugunsten der Professoren, der Lehrer und vor allem der Juristen. § 2 des Zunftgesetzes muss man offensichtlich so verstehen, dass die städtischen Geistlichen, die Lehrer, die Professoren und die Mediziner automatisch durch das Basler Bürgerrecht Bürger der Akademischen Zunft waren oder wurden, egal, ob sie wollten oder nicht. Es scheint also – abgesehen von der allfälligen Mitgliedschaft in einer anderen Zunft dank familiärer Anbindung – jeder Basler Akademiker zwangsweise Zunftmitglied gewesen zu sein. In Werner Kaegis monumentaler Biographie von Jacob Burckhardt ist hingegen zu lesen: Im Oktober desselben Jahres 1844 hat Burckhardt einen Schritt getan, der ähnliche [sc. politische] Hoffnungen vermuten läßt, gerade weil er so unglaubhaft aussieht: er ist in die Akademische Zunft eingetreten, wohl nicht aus akademischen, sondern aus politischen Gründen. Die Mitsprache der Professoren im großen Rat, um derentwillen man diese Zunft gegründet hatte, mußte aus einem Wunsche zu einer Tatsache werden. Sollte Jacob Burckhardt selbst daran gedacht haben, vielleicht einmal mitzuregieren in der Vaterstadt, nicht anders, als Peter Merian und Andreas Heusler es taten? Wenn dies das Motiv seines Eintritts in die Zunft war, so hoffte er nur, was seine politischen und persönlichen Freunde tatsächlich

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Verzeichnis der Zunftbrüder E. E. Akademischen Zunft per 11. März 1920 (Zunftversammlung).

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von ihm erwarteten. Er hat damit genau den Schritt getan, den Dante fünfeinhalb Jahrhunderte vor ihm tat, als er in die florentinische Zunft der medici e speziali eintrat.27

Kaegi mag über die Motive seines Helden durch genialische Introspektion und akribisches Quellenstudium besser unterrichtet gewesen sein als irgendjemand sonst (Burckhardt selbst eingeschlossen). Tatsache ist aber, dass Burckhardt gar kein Motiv benötigt hat, um in die Zunft einzutreten: Frisch an der Universität Basel habilitiert, wurde er wahrscheinlich ganz ohne sein Zutun der Akademischen Zunft zugeteilt.28 Er hätte sich dagegen wohl ebenso wenig wehren können wie man sich heute dagegen wehren kann, die Grossrats-Wahlunterlagen für den Wahlkreis Grossbasel-Ost statt für den Wahlkreis Grossbasel-West zu erhalten, wenn man nun einmal im Wahlkreis Grossbasel-Ost seinen Wohnsitz hat.29 Aus der Tatsache, dass jemand im Wählerregister von Grossbasel-Ost eingetragen ist, werden künftige Historiker schwerlich den Schluss ziehen dürfen, dass der fragliche 27

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Werner Kaegi, Jacob Burckhardt. Eine Biographie. Bd. 2: Das Erlebnis der geschichtlichen Welt, Basel 1950, S. 401–402. Ähnlich dürfte es auch einem anderen Zunftbruder ergangen sein: Das Verzeichniß der Genossen E. E. akademischen Zunft. März 1870, S. 3 führt als Nr. 199: «Rüppel [sic!], Wilh. Peter Eduard Simon, Med. Dr. in Luzern». Es handelt sich offensichtlich um den berühmten Afrika-Forscher, Naturwissenschaftler und Numismatiker Eduard Rüppell, mit vollem Namen Wilhelm Peter Eduard Simon Rüppell (1794–1884). Sein Biograph Robert Mertens führt die vom 29. März 1867 datierende akademische Zunftbürgerschaft Rüppells in Basel nebst diversen Preisen und Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Gesellschaften und Akademien als eine besondere Ehrung an (Robert Mertens, Eduard Rüppell, Leben und Werk eines Forschungsreisenden, Frankfurt am Main 1949, S. 160). Auch hier ist die Wirklichkeit prosaischer: 1866 wegen der preussischen Eroberung seiner Heimatstadt Frankfurt am Main nach Basel geflohen, suchte er in Basel um die Erteilung des Bürgerrechtes nach, die ihm am 23. August 1866 gewährt wurde (Wilhelm Stricker, Rüppell, Eduard Wilh., in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 29, Leipzig 1889, S. 707–714, hier S. 713–714). Die Mitgliedschaft in der Akademischen Zunft war keine besondere Ehrung, sondern schlicht eine Rechtsfolge des erworbenen Bürgerrechts. Für Basel galt nach der Verfassung von 1833: «Jeder zwanzig Jahre alte Bürger muss sich in irgend einer Zunft einschreiben lassen, nämlich die Gewerbtreibenden in die ihres Handwerks, und die andern in die, welcher ihre Väter angehört haben.» (Ch[arles] Schaub, E[usèbe] Henri Gaullieur, Die Schweiz, ihre Geschichte, Geographie und Statistik. Nebst einem Überblick über die Alterthümer, Literatur, Kunst und die Industrie der zweiundzwanzig Kantone. Zweite Abtheilung: Die malerische Schweiz. Die Schweiz in geographischer, statistischer und politischer Beziehung. Aus dem Französischen von G. Fr. Reiss, Genf, Basel 1857, S. 302). Bei der Akademischen Zunft wird der Eintritt wohl mit dem Studienabschluss oder mit der Erlangung eines akademischen Amtes erfolgt sein.

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Bürger politische Ambitionen gehegt hat oder gar mit dem Gedanken spielte, Gross- und Regierungsrat zu werden. Dass Burckhardt irgendwelche politischen Pläne schmiedete, ist aus seiner Zunftzugehörigkeit jedenfalls nicht abzuleiten. Auf einen interessanten Sachverhalt macht Kaegis Zweckbestimmung der Akademischen Zunft aber aufmerksam: Man habe sie gegründet, um die «Mitsprache der Professoren im großen Rat» zu ermöglichen.30 Die Zusammensetzung der Akademischen Zunft legt ja zunächst eine andere Vermutung nahe: Wie wir gesehen haben, gehörten im ersten überlieferten Zunftbürgerverzeichnis von 1838 nur etwas über 10% der Zunftbürger dem Professorenstand an, viel mehr hingegen der Geistlichkeit, der Lehrerund Medizinerschaft. Man könnte nun argumentieren, das im Zunftgesetz von 1836 auskristallisierte Ansinnen sei viel breiter gewesen als es Kaegis Zweckbestimmung angibt, nämlich die gesamte studierte Intelligenz angemessen am politischen Leben der Stadt zu beteiligen und damit zugleich dieses immense geistige Kapital politisch nutzbar zu machen. Das wiederum wäre kein Ansinnen, das einem dumpfen Willen zur Restauration des Ancien Régime entsprungen wäre, sondern vielmehr einem klugen Pragmatismus, die besten Kräfte einzubinden. Heutzutage würde man sich einen solchen klugen Pragmatismus in der Politik sehnlichst wünschen! Jedoch darf man über solchen Überlegungen die Verfassung von 1833 nicht aus dem Blick verlieren. Dort findet sich folgender Passus: «Bedienstete Geistliche und Schullehrer, so wie auch Post-, Polizei-, Zoll- Kaufhaus- und andere Beamte, welche das Gesetz ferner bezeichnen wird, können nicht 30

Vgl. Kaegi, Jacob Burckhardt. Eine Biographie. Bd. 2, S. 381: «Noch im Jahr 1836 hatte man eine neue Zunft geschaffen: die akademische Zunft, um den Dozenten der Universität die Wählbarkeit in den Großen Rat leichter zu gestalten. Diese kuriose Neuschöpfung gehörte eigentlich zum zeitgemäßen Programm einer Regierung der Kapazitäten. Aber man goß den neuen Gedanken bezeichnenderweise in eine alte Form.»

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Mitglieder des Großen Raths seyn.»31 Mit anderen Worten: Mehr als die Hälfte der Zunftbürger besass in der Akademischen Zunft zwar das aktive, nicht aber das passive Wahlrecht; sie konnten sich also nicht in die politischen Behörden wählen lassen. Damit gewinnt Kaegis zunächst eher abwegig anmutende Zweckbestimmung der Akademischen Zunft, den Universitätsdozenten den Zugang zum Grossen Rat zu ermöglichen (siehe Anm. 30), an Plausibilität. Tatsächlich erscheint die Akademische Zunft in ihrer Anfangsphase als ein Wahlverein für Professoren sowie für nicht-verbeamtete Juristen und Mediziner. III.

Diese Erörterungen zeigen auch, was die Akademische Zunft nie war und nie hat sein wollen, nämlich eine gelehrte Gesellschaft oder eine wissenschaftliche Akademie.32 Das Gesetz von 1836 klammert ebenso wie alles, was wir sonst aus dem frühen Leben der Zunft wissen, jede wissenschaftliche oder akademische Zwecksetzung vollständig aus: Die Mitglieder werden nicht auf die womöglich kooperative Suche nach der Wahrheit oder auf ein akademisches Erkenntnisinteresse verpflichtet; auch die Beförderung des geistigen und materiellen Wohls der Menschheit oder auch nur der Stadt Basel und ihrer Universität stand nicht auf der Agenda der Zunft. Dafür gab es in Basel beispielsweise mit der Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige und mit der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft bereits andere, aktive Einrichtungen. Die Akademische Zunft war ihrer gesetz-

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Verfassung des Kantons Basel-Stadttheil. (Durch die Bürgerschaft angenommen den 3 Oktober 1833), S. 58, § 30. Zur Idee und Ausgestaltung wissenschaftlicher Akademien siehe z.B. Volker Sellin (Hg.), Das Europa der Akademien, Heidelberg 2010.

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lichen Form nach eine rein politische Einrichtung, getragen von der Idee, einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, eben den Akademikern, politische Mitbestimmungsmöglichkeiten zu geben und sie damit gleichzeitig in das Gemeinwesen vollständig zu integrieren. Demgegenüber war die alteuropäische Universität eine Institution gewesen, die innerhalb der Stadt, in der sie angesiedelt war, eine starke juristische und politische Selbständigkeit zu wahren und sich beispielsweise staatlicher Eingriffe in ihre Jurisdiktionsgewalt zu erwehren gesucht hatte. Das Gleichgewicht zwischen Stadt und Universität war auch im Falle Basels seit jeher labil. Die Universität versuchte mehr oder weniger erfolgreich, ihre Privilegien zu erhalten und sich staatlicher Massregelung zu entziehen. Sie konnte aber beispielsweise nicht verhindern, dass ihren Angehörigen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein jährlich zu beschwörender Treueeid gegenüber der Stadtobrigkeit auferlegt wurde.33 Im 18. Jahrhundert wurde immer wieder auf eine stärkere Verbindung von Universität und Stadt gedrungen. Das bedeutendste Manifest in dieser Bewegung sind die 1758 anonym gedruckten Unvorgreiflichen Gedanken über die Verbesserung der B…schen hohen Schule des Ratsschreibers Isaak Iselin (1728–1782). «Die Wissenschaften und Künste sind die Seele der bürgerlichen Gesellschaft», heisst es dort zu Beginn programmatisch.34 Neben

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34

Siehe – unter Mitteilung der Eidesformel – Edgar Bonjour, Die Universität Basel von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. 1460–1960, Basel 1960, S. 262–263. 1675 mussten – auch dies ein Symptom der staatlichen Disziplinierungsanstrengung – die Geistlichen, Lehrer und Professoren auch die hochorthodoxe Formula Consensus unterzeichnen und wurden damit einer strengen religiösen Überwachung unterworfen (dazu ausführlich Andreas Urs Sommer, Eine Stadt zwischen Hochorthodoxie und Aufklärung. Basel in frühneuzeitlichen Transformationsprozessen, in: Theologische Zeitschrift 66/1 [2010], S. 44–61). Isaak Iselin, Unvorgreifliche Gedanken über die Verbesserung der B…schen hohen Schule, in: ders., Pädagogische Schriften nebst seinem pädagogischen Briefwechsel mit Joh. Casp. Lavater und J. G. Schlosser, hg. von Hugo Göring. Mit einer Einleitung von Edmund Meyer. Zum Todessaecularisate Iselins, den 15. Juli 1882, Langensalza 1882, S. 198–213, hier S. 198.

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