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Universalstil Barock

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Vorwort

Vorwort

Werkverzeichnis von Max Rooses zu den Gemälden und Zeichnungen von Peter Paul Rubens.

Der Historismus entdeckt ebenfalls in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Formenvokabular des Barocks neu und interpretiert dieses in Architektur und Mobiliar als schwülstige Ansammlung von Motiven. Gleichfalls eher sinnentleert sind die damaligen Reminiszenzen an die barocke Malerei, die religiöse Innigkeit durch übersteigerte Süsslichkeit zu ersetzen versuchen.²0

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Die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts stimmen die Rezeption von Caravaggio als Wegbereiter der barocken Malerei an. In den 1970er- und 1980er-Jahren wird der Barock als durchaus intellektuelle Kunstform rehabilitiert, die mit raffinierten visuellen und kommunikativen Strategien ein Publikum von unterschiedlichem Bildungsniveau berücksichtigt und dessen sinnliche und religiöse Wünsche bedient.

Seit der Jahrtausendwende erlebt der Barock weitere Wertschätzung.²¹ Das Gesamtkunstwerk, die Betörung und Verführung der Sinne mit gleichzeitig unterschwelliger Verknüpfung von Botschaften scheinen sowohl dem Barock als auch unserem aktuellen Medienzeitalter mit all seinen Reizüberflutungen gemeinsam.²²

Universalstil Barock

Barock umfasst, wenn auch in ganz unterschiedlicher Ausprägung und unter seinen jeweiligen konfessionellen und politischen Bedingungen, sämtliche Gattungen der bildenden Kunst. Er ist in Europa wie auch in Mittel- und Südamerika anzutreffen und vereinzelt sogar in Asien. Barock ist Ausdrucksmittel der sich zum Absolutismus hin entwickelnden höfischen Kunst, steht im Dienst der Religion und ist nicht zuletzt ein bei Bürgertum und Landbevölkerung gleichermassen beliebter Stil. Damit hat der Barock, wie bereits Adolf Reinle 1956 treffend analysiert, «von allen Stilen den grössten Universalitätsanspruch».²³

Für die schnelle und flächendeckende Ausstrahlung des Barocks sorgt neben der Beschleunigung von Waren- und Personentransport ein medialer Wandel von bisher ungekannten Ausmassen. Die mit der Reformationszeit einsetzende Verbreitung von Druckerzeugnissen nimmt im späten 16. Jahrhundert neue Dimensionen an und fördert die weite Bekanntmachung von Ideen und Formvorstellungen wesentlich. Beispielsweise erleben die seit dem frühen 16. Jahrhundert gängigen Emblembücher im 17. und 18. Jahrhundert eine enorme Popularität. Sie wer-

Abb. 5 | Cesare Ripa, Iconologia …, Ausgabe Venedig 1645, S. 166

den zum Vademekum für viele Künstler und Verfasser von Bildprogrammen.²4

Cesare Ripas 1593 erstmals erschienene und zehn Jahre später mit Illustrationen angereicherte Iconologia overo Descrittione Dell’imagini Universali cavate dall’Antichità et da altri luoghi wird zu einem unerschöpflichen Fundus für die Darstellung von Allegorien und deren vielfältige Kombination. Allein die vielen Übersetzungen von Ripas Iconologia ins Französische, Deutsche, Niederländische und Englische zeugen von ihrer Beliebtheit unter Zeitgenossen.²5 Auch religiöse Emblembücher finden im 17. Jahrhundert ein breites Publikum wie die 1653 veröffentlichte Schrift Mondo simbolico, o sia, Università d’imprese scelte, spiegate, ed illustrate con sentenze ed eruditioni sacre e profane des Augustinermönchs Filippo Picinelli.

Ähnliches gilt für die sich ab dem 16. Jahrhundert in vielen Sprachübersetzungen verbreitenden und meist illustrierten Lehrbücher zur Baukunst und Malerei und insbesondere zur Perspektive. Dazu zählen so be-

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Abb. 6 | Walther Ryff, Vitruvius deutsch …, Nürnberg 1548, S. XLI rühmte Traktate wie Albrecht Dürers Underweysung der messung mit dem zirckel und richtscheit (Nürnberg, 1525), Hans Vredeman de Vries’ Perspective (Den Haag & Leiden, 1604–1605), Joachim von Sandrarts Teutsche Academie der Bau-, Bild- und Malerey-Künste (Nürnberg, 1675–1679), Andrea Pozzos Perspectiva pictorum et architectorum (Rom, 1693–1700) und Gérard de Lairesses Het groot schilderboek (Amsterdam, 1707). Mit ausführlich illustrierten Anweisungen bereiten sie für Generationen von Künstlern das Fundament zur malerischen Beherrschung des Raums. Wegweisend für die Anwendung von Ornamenten in der Malerei werden zudem die damals zirkulierenden Architekturtraktate wie Walther Ryffs Vitruvius Deutsch (Nürnberg, 1548) oder Jean Le Pautres Œuvres d’architecture (Paris, 1651) sowie seine Deckenentwürfe Plafons à la Romaine und Nouveaux Desseins de Plafons (Paris, 1665).

Auch Stichfolgen wie etwa Jacques Callots Les Misères de la guerre von 1633, Anthonis van Dycks Porträtserie Icones Principum Virorum von 1645, die enorme Produktion der Druckerei von Matthäus Merian d. Ä. in Frankfurt a. M. im Bereich religiöser, kartografischer und botanischer Publikationen oder die in Massen auftretenden Einblattdrucke tragen dazu bei, barocke Sujets und Bilderfindungen in Kürze weitherum bekannt zu machen.²6 Eigenkompositionen und gestochene Wiedergaben von Gemälden, beispielsweise nach Guido Reni, Peter Paul Rubens oder Rembrandt, sind bereits damals in ganz

Abb. 7 | Jean Le Pautre, Plafons à la Romaine, Paris 1665, Radierung, Titelblatt

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Barock – eine Epoche mit vielen Facetten

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