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«Barock»: vom Schmähwort zum Stilbegriff
«Barock»: vom Schmähwort zum Stilbegriff
Die Menschen des 17. und 18. Jahrhunderts wähnen sich – verständlicherweise – in modernen Zeiten. Mit diesem Terminus für das Neue und Gegenwärtige beschreibt beispielsweise 1628 Joseph Furttenbach die 1577 fertiggestellte Fassade des Gesù in Rom: «Jesuiter Kirchen / die ist fornen vor lauter weissem Marmor und gar künstlicher Architectura alla moderna aufgeführt / und à proportione selbiger».7 Auch Autoren in Italien und Frankreich verwenden den Begriff «modern» vorzugsweise für zeitgenössische Bild- und Baukunst, so etwa 1642 der Künstlerbiograf Giovanni Baglione oder 1684 der Architekt und Theoretiker Claude Perrault.8 Erst in späteren Jahrhunderten wird die Epoche mit dem Begriff «barock» eingegrenzt und gekennzeichnet.
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Der deutsche Terminus «barock» wird vom portugiesischen Ausdruck «barocco» hergeleitet, der seit der frühen Neuzeit eine unregelmässig geformte Perle bezeichnet.9 In der burlesken und satirischen Literatur Italiens charakterisiert «barocco» ab dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts skurrile Einfälle. Als Stildefinition der bildenden Kunst wird der Begriff «barock» erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts verwendet, und zwar mit fast durchwegs negativer Konnotation.¹0
In Denis Diderots Encyclopédie von 1751–1780 steht unter dem Begriff der Musikkomposition «baroque» als Synonym für eine bizarre und verspielte Dissonanz: «ce goût bisarre & capricieux, qui seme par-tout le baroque & le difficile, & qui ne sait embellir ou varier l’harmonie qu’à force de bruit ou de dissonnances».¹¹ Daran anschliessend verwendet Antoine-Joseph Pernety in seinem 1757 erschienenen Dictionnaire Portatif de Peinture, Sculpture et Gravure den Begriff als Ausdruck für spielerische Regelwidrigkeit und schlechten Geschmack: «Baroque qui n’est pas selon les règles des proportions, mais du caprice. Il se dit du goût et du dessin des figures de ce tableau sont baroques; la composition est dans un goût baroque, pour dire qu’elle n’est pas dans le bon goût.»¹² Quatremère de Quincy widmet in seiner ab 1788 erschienenen Enzyklopädie zur Architektur dem Begriff «Baroque» ein eigenes Lemma und bezeichnet ihn als «une nuance du bizarre» und «ridicule poussé à l’excès».¹³ In dieser Auslegung bedeutet «barock» ein bewusstes Abweichen von der Norm, ein Missachten, Sprengen und Überschreiten der Regeln, ein Übermass an Effekten und Elementen, oder wie es 1797 Francesco Milizia in seinem Dizionnario delle belle arti e del disegno formuliert: «Barocco è il superlativo del bizarro».¹4 Johann Joachim Winckelmann verurteilt 1764 das 17. Jahrhundert und damit die barocke Epoche pauschal als «schädliche Seuche […] welche das Gehirn der Gelehrten mit üblen Dünsten anfüllete und ihr Geblüt in eine fiebermässige Wallung brachte, woraus der Schwulst und ein mit Mühe gesuchter Witz in der Schreibart entstand, zu eben der Zeit kam eben die Seuche auch unter die Künstler».¹5
Die Stilrichtung des Rokoko ist eine ursprünglich vor allem französisch geprägte Spätform des Barocks und im ersten und zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts en vogue.¹6 Leitmotiv ist die namengebende Dekorform der Rocaille aus schnörkelhaften, asymmetrischen und muschelähnlichen Dekorelementen. Sie kommt vorwiegend auf Möbeln, Porzellanware oder in Stuckverzierungen vor und findet durch die Zirkulation von Ornamentvorlagen schnell Verbreitung in ganz Europa. Die anscheinende Unbekümmertheit und Verspieltheit, womit diese Zierelemente Objekte und Gewölbe förmlich überwuchern, verschaffen ihr später ähnliche Kritik, wie sie der angeblichen Regel- und Masslosigkeit der barocken Kunst allgemein anhaftet.
Erst die kunsthistorische Forschung des späten 19. Jahrhunderts beginnt den Stilbegriff des Barock aus seiner negativen Bewertung zu befreien und würdigt beispielsweise die illusionistischen Fähigkeiten sowie das Miteinberechnen und Überwältigen der Betrachter.¹7 Dabei stehen einerseits die architektonischen Vorbedingungen und Errungenschaften der Epoche im Vordergrund, wie bei Cornelius Gurlitts Geschichte des Barockstiles, des Rococo und des Klassicismus von 1887 oder in Heinrich Wölfflins Renaissance und Barock von 1888. Gurlitt schreibt seinem Lehrer Jacob Burckhardt: «Aber wir Jüngeren, die wir gegen den starren Klassicismus nicht mehr zu kämpfen haben, sind dem Barock unbefangener gegen über getreten, oder – was vielleicht dasselbe ist – haben uns leichter von ihm gefangen nehmen lassen.»¹8 Wölfflin ist es denn auch, der als einer der Ersten wichtige Wesensmerkmale des Barocks scharfsinnig formuliert. Gegenüber der detailverliebten und in sich ruhenden Klassik der Renaissance erkennt er im Barock, dem er auch den Manierismus subsumiert, unter der Maxime «weniger Anschauung, mehr Stimmung» eine neue Strömung voller Bewegung und räumlicher Grösse, die einen überwältigenden Gesamteindruck anstrebt: «Aufgehen im Unendlichen, Sich-Auflösen im Gefühl eines Ueberwältigenden und Unbegreiflichen: das ist das Pathos der nachklassischen Zeit. Verzicht auf das Fassbare. Man verlangt nach dem Ueberwältigenden».¹9 Andererseits werden Ende des 19. Jahrhunderts auch die grossen Maler der barocken Epoche mit monografischen Arbeiten gewürdigt. So veröffentlicht 1888 Carl Justi sein Werk über Diego Velazquez und sein Jahrhundert und 1886–1892 erscheint das fünfbändige
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Abb. 4 | Rom, S. Ignazio, Die Glorie des hl. Ignatius von Loyola, Deckenmalerei im Langhaus von Andrea Pozzo, 1688–1694
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Barock – eine Epoche mit vielen Facetten