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Kriege, Entdeckungen und Revolutionen

Europa im Umlauf.²7 Im 18. Jahrhundert erobern neue Drucktechniken wie etwa die Aquatinta den Markt und setzen die Verbreitung barocker Sujets fort.

Parallel dazu nimmt der Kunsttransfer neue Dimensionen an. Europäische Potentaten und ihre Höflinge erwerben und verkaufen über Agenten im 17. und 18. Jahrhundert ganze Gemäldesammlungen, die anschliessend auf dem See- und Landweg über hunderte von Kilometern transportiert werden und so den Zeitgeschmack in neuen Gegenden bekannt machen.²8 Auch die Künstler selbst werden in dieser Epoche immer mobiler und hinterlassen auf dem gesamten Kontinent ihre Spuren: Im 17. Jahrhundert ist der Flame van Dyck ebenso in Genua und Marseille wie in Paris und London anzutreffen, Rubens bereist Italien, Frankreich, England und Spanien, Gian Lorenzo Bernini wird aus Rom nach Paris eigens für die Teilnahme an einem Architekturwettbewerb eingeladen. Im 18. Jahrhundert verkehren Angelika Kauffmann und Bernardo Bellotto, genannt «il Canaletto», als weltgewandte Künstler an den bedeutendsten Höfen Europas. Auch eidgenössische Maler legen im Laufe ihrer Karriere für damalige Zeiten beachtliche Distanzen zurück: Joseph Heintz d. Ä. aus Bern wirkt zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Rom, Venedig, Innsbruck, Augsburg und Prag, der ebenfalls aus Bern stammende Joseph Werner d. J. betätigt sich u. a. in Frankfurt a. M., Rom, Paris, Augsburg und Berlin, der Genfer Weltenbummler Jean-Etienne Liotard ist Mitte des 18. Jahrhunderts als Porträtist u. a. in Paris, Rom, Neapel, Konstantinopel, Wien, London und Amsterdam anzutreffen.²9 Bündner und Tessiner Bautrupps und Maler durchqueren halb Europa, um in den Sommermonaten an grossen Bauprojekten in Italien, Deutschland, Böhmen, Kroatien oder gar Russland eine Anstellung zu finden.³0

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Ein weiteres Merkmal der barocken Epoche ist die fortschreitende Industrialisierung des Kunstbetriebs und ein schnelles Vorantreiben grosser Bauvorhaben. Kunstwerke werden – wie beispielsweise in den Niederlanden – in beeindruckenden Mengen von einem Heer von Malern für einen breiten Markt auf Vorrat produziert.³¹ Die grossen Meister des 17. und 18. Jahrhunderts, wie Rubens in Antwerpen, Rembrandt in Amsterdam, Bernini in Rom, Lebrun in Paris und Tiepolo in Venedig, unterhalten allesamt Werkstätten mit teilweise dutzenden von Mitarbeitern, die es ihnen ermöglichen, die Flut von Aufträgen in zuweilen gigantischen Formaten innert nützlicher Frist zu bewältigen.³²

Geradezu megalomane Projekte für sakrale und profane Repräsentationsbauten werden in verblüffend kurzen Bauzeiten realisiert und mit allerlei Formen von Kunst und Kunsthandwerk ausgestattet; der Bau von Schloss Versailles von 1665–1685, die Innenausstattung und die Fassade von St. Peter in Rom mit den später hinzugefügten Kolonnaden im 17. Jahrhundert oder die Errichtung der russischen Residenzstadt St. Petersburg «ex nihilo» von 1706–1714 geben in dieser Hinsicht Paradebeispiele ab.

Immer wieder in Verbindung mit der barocken Epoche genannt wird auch die rasante Entwicklung der Musik, namentlich im Bereich der Kirchenmusik und der Entstehung der Oper.³³ Drama, Pathos, Theatralik, Mehrstimmigkeit, harmonische Überlagerungen, Überraschungseffekte – dies alles und noch viel mehr zeichnet die Entwicklungen dieser Gattungen aus, die wir hier nicht alle im Einzelnen behandeln können. Aber selbstverständlich herrscht stets eine intensive Wechselwirkung zwischen den bildenden und den schönen Künsten, man denke an die kulissenartigen Illusionen in Theaterhäusern ebenso wie in Kirchenräumen und Festsälen, an das gleichzeitige Aufkommen exotischer oder idyllischer Themen in der Oper und Malerei.

Die Sinne überwältigende Feste, Ehrfurcht einflössende oder atemberaubende Zeremonien sowie demonstrative Zurschaustellung von Pracht und Luxus sind wichtige Bestandteile der höchst kompetitiven höfischen Kultur des Barocks. «Noblesse oblige»: diese in der frühen Neuzeit allgegenwärtige Formel der europäischen Aristokratie verpflichtet nicht nur zur Zurschaustellung des einmal gewonnenen, aber stets gefährdeten sozialen und wirtschaftlichen Stands durch aufwendige und manchmal auch verschwenderische äussere Attribute – also durch Grossgeartetheit oder «Magnificentia», sondern auch zu einem streng reglementierten Verhaltens kodex.³4

Kriege, Entdeckungen und Revolutionen Kriege, Entdeckungen und Revolutionen

Die Epoche des Barocks ist geprägt von unversöhnlichen konfessionellen Konflikten. Das Konzil von Trient (1545–1563) markiert den Beginn der katholischen Gegenreformation. In deren Folge kommt es zu langwierigen kriegerischen Auseinandersetzungen wie im Unabhängigkeitskrieg der nördlichen Provinzen der Niederlande von Spanien Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts und im Dreissigjährigen Krieg, der von 1618 bis 1648 dauert, viele europäische Staaten beider Konfessionen in seinen Sog zieht und insbesondere das Deutsche Reich in ein gigantisches Schlachtfeld verwandelt. Auch in Grossbritannien führen religiöse Auseinandersetzungen zum Bürgerkrieg, der 1649 in der Hinrichtung König

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Abb. 8 | Laurent Louis Midart, Die Erneuerung des Soldbündnisses mit Frankreich am 23. August 1777 vor der St.-Ursen-Kathedrale in Solothurn, 1777, Radierung, 75,6 × 50,5 cm, Solothurn, Zentral bibliothek, Inv.-Nr. aa 51

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Barock – eine Epoche mit vielen Facetten

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