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Barock – eine Epoche mit vielen Facetten

Als Zeitalter des Barocks – und damit ist im Rahmen dieser Abhandlung stets auch seine als Rokoko bezeichnete Spätform impliziert – gilt gemeinhin die Kunst- und Kulturepoche, die sich vom letzten Viertel des 16. Jahrhunderts bis hin zum Ende des 18. Jahrhunderts erstreckt.¹ Opulenz, Monumentalität und Sinnesrausch sind Hauptmerkmale des profanen wie auch des religiösen Barockstils.Damit einher gehen die gezielte Beeindruckung und letztlich Überwältigung des Publikums durch Inszenierungen voller Theatralik und Überschwänglichkeit in der bildenden Kunst, Literatur und Musik.² «Docere, delectare et movere» («lehren, erfreuen und bewegen»): Diese auf der antiken Rhetorik aufbauende Maxime des für den Barock so prägenden Jesuitenordens ist Grundpfeiler der Kunstschöpfungen im katholischen Kontext einer von der Gegenreformation geprägten Epoche.³ Sie vereint sowohl den sinnlichen Genuss als auch die gezielte Unterweisung der Gläubigen. In protestantischen Gebieten, die den Kirchenschmuck weitgehend verbannen, etablieren sich andere Ausdrucksformen eines gleichfalls belehrenden und meist moralisierenden Kunstverständnisses, wie etwa die Stillleben oder die Allegorien; wobei auch sie oftmals in der Betörung der Sinne schwelgen.

Gleiches gilt für die Architektur. Sie entwickelt mit extravaganten Einzelbauten und teilweise gigantischen Schloss- und Klosteranlagen voller architektonischer Effekte eine atemberaubende Szenografie, um die Betrachter in ihren Bann zu ziehen und gleichzeitig den Machtanspruch ihrer Besitzer zu demonstrieren.

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Gegen Ende des 18. Jahrhunderts werden solche typisch barocken Erscheinungen durch die Umwälzungen der Aufklärung nach und nach aufgelöst. Diese Haltung richtet sich gegen kirchliche Dogmatik und feudale Willkür. Sie setzt dem hierarchischen Weltbild des absolutistischen und verschwenderischen Ancien Régime

Abb. 2 | David Herrliberger nach Emanuel Büchel, Einsidlen. Das Fürstliche freÿe Stüfft und Kloster samt der Kirchen in dem Canton Schweitz …, 1768, Radierung, 9 × 14 cm, Zürich, Zentral bibliothek, Graphische Sammlung und Fotoarchiv, Inv.-Nr. STF XIV, 12

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und seiner manipulativen und ostentativen Bildwelt ein demokratisches und natürliches Ideal entgegen, das von individueller Erkenntnis und Selbstbestimmung geprägt sein soll.

Freilich variieren Beginn und Lebensdauer des Barocks als Kunst- und Kulturepoche regional sehr stark. In einigen Gebieten wie in Italien und den Niederlanden manifestiert er sich bereits früh im ausgehenden 16. Jahrhundert; in deutschsprachigen Territorien hingegen löst er erst allmählich die sich noch lange behauptenden Formen der Spätrenaissance und des Manierismus ab. Dabei werden letztere beiden Epochenbegriffe für die Schweizer Kunst oftmals synonym für den Frühbarock verwendet.4 Eine 1986 durchgeführte Ausstellung trägt daher den Titel Renaissancemalerei in Luzern 1560–1650.5

Ebenso sind die Endpunkte des Barocks regional unterschiedlich und fliessend. Der Übergang zu einem rational geprägten, ebenfalls autoritären Klassizismus ist in einigen protestantischen Gebieten sehr viel früher zu beobachten als beispielsweise in konservativen, meist ländlichen Gegenden wie etwa in der Zentralschweiz und anderen Regionen des Alpenraums, wo sich der vom Katholizismus durchdrungene Barock bis ins ausgehende 18. Jahrhundert ungebrochener Beliebtheit erfreut.6

In Grenzregionen der Eidgenossenschaft wie etwa dem Tessin, der West- und Ostschweiz oder in Basel manifestieren sich durch Künstlermigration, Handel und Geschäftsbeziehungen barocke Elemente relativ früh, während sich das Formengut der Spätrenaissance in der Zentralschweiz und im Mittelland noch lange behauptet. Typische Zeichen solch konservativer Haltungen sind die altbacken anmutende, 1698 fertiggestellte Fassade des Rathauses von Zürich, die in vielen Schweizer Herrenhäusern vorkommenden Buffetwände mit ihren Renaissance-Elementen oder der kontinuierliche Rückgriff von Malern des 17. Jahrhunderts auf grafische Vorlagen des vorangegangenen Jahrhunderts. Andererseits halten sich dann gerade in diesen – vor allem katholischen – Kerngebieten barocke Elemente besonders lange, während das Auftauchen klassizistischer Tendenzen wiederum in den grenznahen und in reformierten Gebieten früher zu beobachten ist.

Abb. 3 | David Herrliberger, Hôtel de la ville de Zuric. / Rath-Haus der Statt Zürich, um 1740, Radierung, 22 × 31 cm, Zürich, Zentralbibliothek, Graphische Sammlung und Fotoarchiv, Inv.-Nr. ZH, Stadt II, H 366

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