Dresdner Ausgabe
La voce di torre Gazzettino di informazione per Torresi e Turisti
Periodico mensile – Uscita Nº 8
Torre di Venere
Musik
Mühen der Liebe
Manipulation
Magisches
Macht
Der Komponist Stephen Oliver. Ein großer Künstler, der viel zu früh von uns ging. ✐ S. 2
Das Ereignis des Monats: ExklusivInterview mit Regisseur Manfred Weiß über „Mario und der Zauberer“ ✐ S. 4
Sind wir getrieben oder lassen wir uns treiben? Fragen zur Freiheit des Willens. ✐ S. 5
Aus dem Hut gezaubert: Karl-Heinz Kaiser über Trick- und Täuschungsprinzipien. ✐ S. 7
Das Zeitgeschehen im Überblick. Im Zentrum der Macht. Über politische Radikalität. ✐ S. 9
Erlebtes und Erdachtes
Schüsse auf offener Bühne Handlung
1. Teil
Über die Entstehung von Thomas Manns „Mario und der Zauberer“ von Hans Rudolf Vaget
© K EYSTONE / Thomas-M ann-Archiv/Str
Eine drückende, bis zum Bersten gespannte Atmosphäre liegt über dem italienischen Badeort Torre di Venere, in dem eine deutsche Witwe mit ihrer zehnjährigen Tochter den Sommerurlaub verbringt. Unmut über die Gäste bricht sich durch einen bestimmten Vorfall Bahn, der zum Vehikel für offene Fremdenfeindlichkeit wird: Nach dem Schwimmen im Meer hatte die kleine Tochter mit Erlaubnis ihrer Mutter ihren Badeanzug ausgezogen, um ihn im Wasser auszuspülen – eine kurze Zeit war sie dadurch nackt am Strand zu sehen. Grund genug für einen italienischen Bürger, einen Skandal zu veranstalten, ihr Gesetzesbruch und Schamlosigkeit vorzuwerfen und den Fall dem Bürgermeister vorzutragen, der der deutschen Touristin für das Vergehen ihrer Tochter eine Geldstrafe auferlegt. Die Gastwirtin der deutschen Familie, Signora Angiolieri, nimmt eine vermittelnde Position ein und zeigt Verständnis für die empörte Mutter, lehnt sich aber nicht gegen ihre Landsleute auf. Durch Mario, den Kellner im Café der Signora, erfährt die Tochter von einer dort stattfindenden, öffentlichen Zaubervorstellung am Abend, die sie mit ihrer Mutter besuchen möchte. Signora A ngiol ier i gerät über das T hema „Theater“ ins Schwärmen – verklärt berichtet sie über ihr einstiges Leben als Garderobiere der großen Schauspielerin Eleonora Duse. Währenddessen ärgert Guiscardo, ein grober Kerl vom Strandort, den Kellner mit der Nennung des Namens Silvestra; ist sie Marios heimliche Freundin?
2. Teil
Fast so schön wie am Strand von Torre di Venere — Thomas Mann und Familie in Kampen auf Sylt, 1927
D
ie Idee zu dieser Arbeit entstammte den Eindrücken eines früheren Ferienaufenthaltes in Forte dei Marmi bei Viareggio (31. August bis 13. September 1926). Von dort hatte Thomas Mann am 7. September an Hugo von Hofmannsthal geschrieben: „Wir haben Licht und Wärme in Überfülle gehabt und die Kinder waren glückselig am Strand und im warmen Meer. An kleinen Widerwärtigkeiten hat es anfangs auch nicht gefehlt, die mit dem derzeitigen unerfreulichen überspannten und fremdfeindlichen nationalen Gemütszustand zusammenhingen. Natürlich hat das eigentliche Volk seine Liebenswürdigkeit bewahrt und steht geistig nicht unter dem blähenden Einfluss des Duce“. Bemerkenswert an diesem Zeugnis – dem einzigen zeitgenössischen – von
dem Aufenthalt in Forte dei Marmi ist die relativ gelassene Reaktion auf die „kleinen Widerwärtigkeiten“, obwohl der neue, faschistische Geist schon klar erkannt wurde. Die sinistre Atmosphäre sowie das dämonische, tragische Wesen des Geschehens fehlen hier noch; sie sind dem „Reiseerlebnis“ offenbar erst in den folgenden Jahren und in Deutschland zugewachsen. Wie gewohnt hielt sich Thomas Mann in fast allen Einzelheiten des Geschehens an Selbsterlebtes. Davon berichtet er vor allem in dem Brief an Otto Hoerth vom 12. Juni 1930: Selbst „der ‚Zauberkünstler‘ war da und benahm sich genau, wie ich es geschildert habe“. Lediglich der „letale Ausgang“ sei eine Erfindung und Zutat, denn „in Wirklichkeit lief Mario nach dem Kuss in komischer Beschämung weg und war am nächsten Tage, als er uns wieder
Dem Zauberer auf der Spur
A
Erhellendes von Thomas Mann
m 27. November 1930 antwortete Thomas Mann auf den Brief eines gewissen Hopkins: „Es ist alles ganz richtig, wir waren im August bis September 26 in Forte dei Marmi, das mit dem Torre di Venere der Novelle identisch ist, und wir haben zusammen mit Ihnen den Zauberer gesehen. Seinen wirklichen Namen erfuhr ich erst wieder von Ihnen, Gabriele [Cesare Gabrielli, Anm. d. Red.], ich hatte ihn vergessen. In derselben Pension wohnten wir freilich nicht, sondern in einer anderen, analog
den Tee servierte, höchst vergnügt und voll sachlicher Anerkennung für die Arbeit ‚Cipollas‘“. Jedoch seien auch die Schüsse nicht eigentlich seine Erfindungen, denn als er zu Hause von jenem Abend erzählte, habe seine Tochter Erika bemerkt: „Ich hätte mich nicht gewundert, wenn er ihn niedergeschossen hätte‘. Erst von diesem Augenblick war das Erlebte eine Novelle“. Es ist anzunehmen, dass die Episode mit Erikas spontaner Reaktion auf das Reiseerlebnis der Eltern von 1926, unmittelbar nach der Rückkehr aus Italien, zu datieren ist. Das würde bedeuten, dass die Konzeption der Novelle drei Jahre lang bereitlag, bevor Thomas Mann sie im August und September 1929 ausführte. [Die Novelle erschien erstmals unter dem Titel „Tragisches Reiseerlebnis“ in Velhagen & Klasings Monatsheften im April 1930, noch im
gelegenen, die Pension Regina hieß. Der Name der Wirtin war Angela Querci, woraus mir in der Novelle Angiolieri geworden ist, und diese Dame hatte auch schon von der Novelle läuten hören und erkundigte sich angelegentlich danach. Ich habe es aber vorgezogen, eine Ausrede zu gebrauchen und ihr das Buch lieber nicht zu schicken.“ Hans Wysling / Marianne Fischer (Hrsg.): Thomas Mann. 1918–1943, Fischer Verlag, München, Frank furt a.M. 1979.
gleichen Jahr dann als Buchausgabe im Fischer Verlag unter dem Titel „Mario und der Zauberer. Ein tragisches Reiseerlebnis“. Anm. d. Red.] Ob und inwieweit sich während dieser Jahre die italienischen Eindrücke mit deutschen Erfahrungen angereichert haben, kann im Einzelnen nicht bewiesen werden. Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass Thomas Manns wachsende Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Bewegung in Deutschland sein Gleichnis von dem faschistischen, italienischen Zauberer entscheidend mitbestimmt hat. Hans Rudolf Vaget, Thomas Mann. Kommentar zu sämtlichen Erzählungen, Winkler Verlag, München 1984.
Bewohner der Stadt und die Gäste des Badeortes finden sich in Signora Angiolieris Café ein und warten auf den angekündigten Zauberer Cipolla. Als dieser endlich erscheint, werden bald seine manipulativen Fähigkeiten deutlich: Neben Karten-, Zahlen- und anderen Zaubertricks gelingt es ihm vor allem durch Mentalmagie, Zuschauer zu verführen, zu hypnotisieren und sie so zu seinen willigen Opfern zu machen, die er bloßstellen kann. Keiner der Besucher vermag sich seinem Einfluss zu entziehen. Abstoßendes und Anziehendes halten sich die Waage – unerklärlich, was die eigentliche Faszination ausübt, denn die Demütigungen der Besucher nehmen stetig zu. Als Cipolla den Kellner Mario zu sich bittet und diesem suggeriert, er selbst sei dessen Angebetete, überspannt der Zauberer den Bogen: Er verlangt, dass Mario Silvestra, also ihm, einen Kuss geben soll. Mario erwacht aus der Hypnose. Außer sich zieht er einen Revolver und erschießt Cipolla.
Ankündigung Stephen Oliver
Mario und der Zauberer Oper in einem Akt nach der gleichnamigen Erzählung von Thomas Mann Libretto vom Komponisten — Deutsch von Manfred Weiß Premiere 22. November 2012 auf Semper 2