Nr. 4 / Oktober 2002
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Brainfood – Nahrung fürs Gehirn
SCHWEIZERISCHE VEREINIGUNG FÜR ERNÄHRUNG ASSOCIATION SUISSE POUR L’ALIMENTATION ASSOCIAZIONE SVIZZERA PER L’ALIMENTAZIONE
INHALT
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REPORT Brainfood – mehr als nur ein Modetrend?
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SPEZIAL Gute Laune hat eine chemische Formel
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DIDACTA Vitamin B2
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RATGEBER Ernährungstipps von Esther Infanger
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AKTUELL Schweizer Extrawürste: Die neue Nährwertdatenbank
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FOCUS Ein Hauch von Paradies: Tomaten
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BÜCHER Für Sie gelesen
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INTERNA Informationen für SVE-Mitglieder
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AGENDA Veranstaltungen, Weiterbildung
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CARTOON Schwierigkeiten im Umgang mit Köstlichkeiten
TITELBILD
BILD: MICHAEL FREEMAN
IMPRESSUM TABULA: Zeitschrift der Schweizerischen Vereinigung für Ernährung (SVE). Erscheint 4 Mal jährlich. Herausgeber: SVE, Effingerstrasse 2, 3001 Bern, Telefon 031-385 00 00 E-Mail: a.baumgartner@sve.org Internet: www.sve.org Redaktion: Andreas Baumgartner Redaktionskommission: Marianne Botta Diener, Gabriele Emmenegger, Gabriella Germann, Sylvia Schaer, Silvia Gardiol, Prof. Paul Walter Gestaltung: SVE, Andreas Baumgartner Druck: Stämpfli AG, Bern
EDITORIAL
Essen mit Köpfchen Vor rund 200 Jahren liess Napoleon die Bevölkerung des Wallis registrieren. Die Erhebung ergab, dass 4000 Personen an Kretinismus litten. Seit in der Schweiz das Kochsalz jodiert wird, sind nur noch sehr selten – genetisch bedingte – Schilddrüsenunterfunktionen und damit zusammenhängende Hirnentwicklungsstörungen zu beklagen. In ähnlicher Weise führt ein Folsäuremangel in den ersten SchwangerDer Altersmediziner schaftswochen zu Beeinträchtigungen der Prof. Hannes B. Stähelin Hirnentwicklung beim Fötus. leitete bis September dieses Jahres die Der Mangel an bestimmten MikroGeriatrische nährstoffen können das Gehirn und seine Universitätsklinik des Entwicklung also stark beeinflussen. Kantonsspitals Basel. Obwohl wir diese Mangelzustände gut kennen und sie mehrheitlich auch verhindern können, wird in den letzten Jahren mit dieser Problematik recht sorglos umgegangen. Von vielen Leuten wird die Bedeutung der Kochsalzjodierung unterschätzt. Dafür richtet sich das Interesse vermehrt darauf, wie durch richtige Ernährung die Hirnfunktion bis ins hohe Alter erhalten werden kann. Hier geht es vor allem darum, wie das Risiko für das Entstehen von Herz-Kreislauf-Krankheiten vermindert werden kann. Insbesondere durch Vermeiden von hohem Blutdruck, Zuckerkrankheit und hohen Blutfetten reduziert sich nämlich nicht nur das Risiko für Hirndurchblutungsstörungen, sondern auch für die Alzheimerkrankheit. Das Gehirn ist ein ausserordentlich stoffwechselaktives Organ und damit stark Sauerstoffradikalen ausgesetzt. Die Zufuhr von Antioxidantien in der Nahrung – nicht nur von Vitaminen und Selen, sondern auch von anderen Pflanzenstoffen wie etwa von Lycopen (z.B. in Tomaten) – haben in zahlreichen Studien eine positive Korrelation mit der Hirnleistung ergeben. Je früher dieses Ernährungsverhalten gepflegt wird, desto nachhaltiger ist die Wirkung. Umstritten ist, ob sich die Hirnleistungen durch reichliche Zufuhr von Mikronährstoffen steigern lassen. Im Vergleich zu den Wirkungen von Kaffee und Tee wohl nur geringfügig. Die Wirkung der Vitamine, Spurenelemente und sekundären Pflanzeninhaltsstoffe liegt vor allem im Schutz der Neuronen vor aggressiven Stoffwechselreaktionen. Also: Brainfood ja – aber zum guten Nutzen der Nahrung braucht es Köpfchen. Essen allein ersetzt Denken nicht. TABULA NR. 4 / OKTOBER 2002
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REPORT
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ILLUSTRATION: GARY KAEMMER
Kann man sich gescheit essen? Michael Hamm ist Professor für Ökotrophologie an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg und bekannter Buchautor (Brainfood – Fitmacher für kluge Köpfe, Fit und schlank mit GLYX, Powerfood für Spitzenleistungen).
Machen Sie sich keine Sorgen, wenn die grauen Zellen träge sind und leicht ermüden – bei richtiger Ernährung bringen Sie das Gehirn schon wieder in Schwung! So jedenfalls lautet die Botschaft vieler «Brainfood»-Ratgeber. Sie wecken die Erwartung, dass man mit einer gezielten Lebensmittelauswahl den Denkapparat auf Hochtouren bringen kann. Was ist dran? Welchen Einfluss hat das Essen auf die Gehirnarbeit? Welche Stoffe regen die Denkleistung an? Die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Gehirnleistung sind sehr komplex und erst teilweise erforscht. VON MICHAEL HAMM
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nser Gehirn reguliert nicht nur die Nahrungsaufnahme, indem es Hunger, Durst und Sättigung signalisiert. Es ist in seinem Funktions- und Leistungspotenzial selbst wiederum von der Ernährung und deren Qualität abhängig. Sportler wissen es längst: Erfolg geht durch den Magen. Auch Veranstalter von Arbeitsmeetings und Verantwortliche in Tagungshotels berücksichtigen zunehmend, dass der Erfolg einer Konferenz auch von der Verpflegungsqualität abhängt. Nicht zuletzt sind Genuss und Entspannung beim Essen für die Erholung und damit Wiederherstellung der mentalen Leistungsfähigkeit unverzichtbar. Vergleichbar mit der richtigen Fitnessernährung für Sportler ist auch bei der «Gehirnnahrung» zunächst ganz unspektakulär eine ausgewogene vollwertige Mischkost das beste Rezept. Das heisst: genügend Kohlenhydrate für die Energieversorgung des Gehirns mit Glucose, Proteine und Aminosäuren für das Gedächtnis und den Informationsfluss, Fettsäuren als Schmiermittel für die Datenübertragung sowie verschiedene Mineralstoffe und Vitamine. Der Einfluss der Ernährung auf unsere Denkzentrale kann auf zwei Ebenen untersucht werden: • Welche Ernährungsfaktoren sind für die strukturelle Entwicklung des Gehirns Grundvoraussetzung? • Welche Nährstoffe sind für die eigentliche Gehirnarbeit, d. h. Informationsaufnahme, -verarbeitung und -speicherung – also Denken, Lernen und Erinnern – von Bedeutung? Glucose – der Brennstoff für das Gehirn
Wie andere Organe auch benötigt das Gehirn für seine Funk-
tionstüchtigkeit und Arbeitsleistung zunächst Energie und die am Energiestoffwechsel beteiligten Mikronährstoffe. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Kohlenhydrat Glucose zu, die dem Gehirn kontinuierlich über das Blut zur Verfügung gestellt werden muss. Das Gehirn benötigt etwa 20 Prozent der im Körper umgesetzten Glucose, obwohl es nur 2 Prozent des Körpergewichts ausmacht. Würde die zur Energiegewinnung verbrauchte Glucose nicht ersetzt, wäre der Glucosebestand des Gehirns in weniger als 10 Minuten erschöpft. Verantwortlich für eine konstante Minimalversorgung des Gehirns an Glucose ist die Leber, die bei mangelnder Kohlenhydratzufuhr durch die Nahrung – z. B. in der Nacht – dem Blut Glucose zuführt, wobei allerdings der Blutzuckerspiegel etwas abfällt. Sobald die Kohlenhydratzufuhr aus der Nahrung wieder einsetzt, steigt auch der Blutzuckerspiegel an, so dass der Glucosestoffwechsel im Gehirn wieder optimiert werden kann. Damit die Gehirnzellen eine ihrer wichtigsten Aufgaben erfüllen können, nämlich miteinander zu kommunizieren, benötigen sie kleine Mengen chemischer Nervenbotenstoffe, die so genannten Neurotransmitter. Beide Bereiche, die Energiebereitstellung für die Kopfarbeit und die körpereigene Synthese dieser Nachrichten- und Informationsübermittler im Zentralen Nervensystem setzen ein entsprechendes Nährstoffangebot voraus, haben ihre Quelle also in der Nahrung. Die meisten Studien über den Zusammenhang von Ernährung und geistiger Leistungsbereitschaft liegen zum Treibstoff des Gehirns – der Glucose – vor. Die
günstigen Auswirkungen einer entsprechenden Glucoseversorgung betreffen schnellere Informationsverarbeitung, besseres Erinnerungsvermögen und weniger Fehler bei entsprechenden Tests. Doch beim Thema Brainfood geht es längst nicht nur um die richtige Energiebereitstellung. Der zweite Makronährstoff, der sowohl für strukturelle als auch funktionelle Aspekte der Gehirnleistung zuständig ist, sind die Proteine. Proteine – stoffliche Grundlage des Lernens
Eiweiss schafft die räumlichen und stofflichen Voraussetzungen für Lernen im Neuronennetzwerk. Wenn ein Gedächtnisinhalt gespeichert wird, steigt die Produktion bestimmter Eiweissstoffe in den Nervenzellen. Die Zusammenhänge lassen sich leicht erklären: Wenn wir Informationen aufnehmen, verarbeiten und speichern, führt dies zu stofflichen Veränderungen im Gehirn – die Eindrücke müssen ja in irgendeiner Form erinnerbar festgehalten werden. Eine Substanz, die wegen ihrer Beschaffenheit dafür von Natur aus bestens in Frage kommt, ist das Eiweiss (Protein), und zwar gerade aufgrund seiner Fähigkeit, sein Aussehen und seine spezifische Erkennbarkeit vielfältig zu verändern. Wissenschaftler bezeichnen deshalb die Eiweissstoffe, mit denen offensichtlich Informationen im Langzeitgedächtnis stofflich verankert werden, als «Gedächtnismoleküle». Aminosäuren für die Nachrichtenübermittlung
Über ihre Funktionen als Baustoffe für Neuronen (Nervenzellen), Synapsen (Schalterstellen zwischen den Nervenzellen) und
ILLUSTRATION: DIGITAL VISION
Die Ausbildung des menschlichen Gehirns ist Ergebnis einer komplexen Wechselwirkung von Erbanlagen und Umwelteinflüssen. Zu den Umwelteinflüssen zählen neben der Qualität der Ernährung auch die geistige und körperliche Aktivität. Um eine gute Konzentrations- und Gedächtnisleistung sowie eine einwandfreie Steuerfunktion für den gesamten Organismus zu gewährleisten, muss das Gehirn ständig trainiert werden – wie ein Muskel. Essen und Trimmen – beides muss stimmen!
«Gedächtnismoleküle» hinaus übernehmen Proteine beim Denken und Lernen noch weitere differenzierte Aufgaben. So sind die Aminosäuren Vorstufen von Nervenbotenstoffen (Neurotransmittern), jenen flinken Kurieren im Nervensystem. Ein für die Gedächtnisleistung besonders wichtiger Neurotransmitter ist das Acetylcholin. Dabei wird die Aminosäure Serin in Cholin umgewandelt, das wiederum für die körpereigene Herstellung des Neurotransmitters Acetylcholin benötigt wird. Dieser, neben Serotonin am besten untersuchte Nervenbotenstoff und Nachrichtenkurier, ist vor allem für die schnelle Informationsübermittlung sowohl beim Lernen als auch Abrufen von gespeicherten Informationen wichtig. Ohne Acetylcholin könnten wir uns gar nichts merken! Die Lernfähigkeit und ein gutes Gedächtnis beruhen also auf einer hohen Acetylcholin-Dichte in einem reich ausgebildeten Neuronennetzwerk. Fettbestandteile – Schmiermittel des Gehirns
Phospholipide – also fettähnliche Verbindungen – werden für den Aufbau der Gehirn- und NerTABULA NR. 4 / OKTOBER 2002
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FOCUS
Von der Zierpflanze zum Pizzabelag Nach einem ausgesprochen schwierigen Start nördlich der Alpen erfreuen sich Tomaten heute grosser Beliebtheit. Als Ketchup ist das Nachtschattengewächs von Pommes Frites und Hamburgern nicht mehr wegzudenken, doch es findet auch Verwendung als süsser Brotaufstrich und als Grundzutat für Pizzas. Grosse Diskussionen lösten vor wenigen Jahren die gentechnologisch veränderten AntiMatsch-Tomaten aus und auch der heute gebräuchliche Hors-SolAnbau stiess nicht überall auf positives Echo. Keine Frage, sonnengereift und frisch von der Staude schmecken die roten, prallen Früchte am besten – und auch gesundheitlich haben sie viel zu bieten. VON MARIANNE BOTTA DIENER, DIPL. LEBENSMITTELINGENIEURIN ETH
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FOTO: AMANDA HEYWOOD
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eine aus Italien eingewanderten Urgrosseltern liebten sie bereits sehr, während die Grosseltern meiner Mutter die roten runden Früchte nicht im Traum verspiesen hätten. Zu gross war ihre Angst, die Tomaten könnten sie vergiften. Mit dieser Meinung standen sie bei weitem nicht alleine da, denn die ursprünglich aus Peru stammende Frucht kam zwar bereits um 1500 durch spanische Seefahrer nach Europa, hatte hier aber einen harzigen Start. Sie war lediglich als Zierpflanze gefragt. Dadurch brachten sich die Europäer etwa 300 Jahre lang um den Genuss der gesunden Delikatesse. Als Erste änderten die Italiener ihr Urteil. Einer Legende nach soll eine spanische Königstochter die Pflanze bei ihrer Heirat als Mitgift nach Neapel gebracht haben. Dort gingen die Pomodori eine untrennbare Liaison mit der italienischen Küche ein und bescherten uns zahlreiche köstliche Gerichte. Nördlich der Alpen gelang dem wärmebedürftigen Gewächs mit der noch heute erhältlichen Sorte «Moneymaker Hellfrucht» erst nach 1925 der Durchbruch. Ältere Schweizer verschmähen teilweise auch heute noch die rohen Tomaten, während sie sich so langsam an den Konsum der Tomatensauce gewöhnt haben. Tomatenexperiment vor Gerichtsgebäude
Auch die US-Amerikaner konnten mit den verlockend aussehenden Früchten lange nichts anfangen. Als sich im Jahre 1840 der Oberst Robert Gibbon Johnson auf die Freitreppe vor dem Gerichtsgebäude in Salem, New Jersey, stellte und vermeintlich giftige rohe Tomaten ver-
zehrte, war das Entsetzen der Schaulustigen gross. Auch sein wundersames Überleben konnte seine Landsleute noch nicht von den Vorzügen der Tomaten überzeugen. Dies schaffte erst Roberts Landsmann Heinz, der ab 1876 eine würzige Sauce herstellte und vertrieb, das Ketchup. Die rote Sauce, welche neben Tomaten, Essig und Gewürzen auch ziemlich viel Zucker enthält, kennt heute jedes Kind – und McDonald wäre ohne sie schlicht undenkbar. Die Furcht vor einer Vergiftung war übrigens nicht gänzlich unbegründet. Tatsächlich enthalten unreife, grüne Tomaten das giftige Alkaloid Solanin, und zwar in einer Menge von bis zu 30 mg pro 100 Gramm Frischgewicht. Der Verzehr solcher Tomaten kann denn auch zu Kopfund Magenproblemen, Erbre-
chen und Durchfällen führen. Trotzdem kommen solche Vergiftungen recht selten vor, denn erst ab etwa 20 mg wirkt Solanin giftig. Und bereits bei leicht gelblich gefärbten Tomaten ist ein Grossteil davon verschwunden. Auch die Verarbeitung unreifer Tomaten zu Konfitüre ist nicht allzu ungesund, denn obwohl das Gift hitzebeständig ist, reicht die Menge (ca. 6 mg je Portion Konfitüre) nicht aus, um Vergiftungserscheinungen auszulösen. Wer trotzdem auf Nummer sicher gehen will: Tomaten reifen wunderbar nach, wenn man sie an einem warmen Ort (Fensterbank) lagert.
Weltkrieg begonnen wurde, sind die Früchte heute sehr beliebt. So isst ein Durchschnittsschweizer pro Jahr etwa 10 kg Tomaten, mehr als die Hälfte davon stammen aus dem Import. Der Anbau in unserem Land findet auf etwa 230 Hektaren statt. Bis in den 90er-Jahren stagnierte der Konsum, kein Wunder, waren bei der Sortenwahl doch die Kriterien Ertrag, Haltbarkeit und Aussehen wichtiger als das Aroma. Seit der Vermarktung und Züchtung aromatischer Früchte steigt der Verbrauch wieder an. Weltweit ist die Tomate mit jährlich 90 Millionen Tonnen eine der wichtigsten Gemüsearten überhaupt – obwohl sie eigentlich botanisch gesehen zu den Früchten gehört. Die grössten Tomatenerzeuger sind die USA, Russland, China und Ägypten. Unsere Importtomaten stammen jedoch mehrheitlich aus den wichtigsten FreilandAnbauländern Italien, Spanien, Türkei, Griechenland und Bulgarien, die Hors-sol-Früchte aus Belgien oder Holland.
Tomatenkonsum in der Schweiz
Obwohl in der Schweiz mit dem grossflächigen Anbau der Tomaten erst nach dem zweiten
«Du treulose Tomate» Lateinisch Lycopersicon esculentum, deutsch Tomate, Liebesapfel, Paradeiser, Goldapfel, ... die Liste verschiedener Namen für die Tomate sind lang. Dahinter verbirgt sich die eine oder andere Geschichte zum Schmunzeln ...
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omatl: im Nahuatl-Wort verbirgt sich das Verb «tomala» = schwellen, deshalb wurde die Tomate lange als Schwellfrucht bezeichnet. Als «Pommes d’amour» half die Tomate den Franzosen bis etwa 1900 als Liebeszauber, gegen Alpträumen und bei Tollwut – ihr Ruf, als Aphrodisiaka zu gelten, blieb lange Zeit erhalten. Schon vor 300 Jahren verdammten die Ärzte die Früchte als übles Gewächs, das Unkeuschheit erzeuge. Andere wiederum glauben, Evas Apfel im Paradies sei eine Tomate gewesen – noch heute nennen sie die Österreicher gelegentlich «Paradeiser». Zu ihrer Zeit in den Hausgärten als Zierpflanze nannte man sie «goldener Apfel» (italienisch Pomodoro).
Die Italiener waren es schliesslich auch, welche für die im deutschen Sprachraum immer noch gängige Redensart «Du treulose Tomate» herhalten mussten. Der Ausdruck hat seinen Ursprung im ersten Weltkrieg, als sich Italien mit Deutschland verbündete – bis es 1915 die Seite wechselte, also untreu wurde. In Italien wurden damals schon viele Tomaten verzehrt, in Deutschland waren sie noch sehr ungewöhnlich. Zudem machten viele Fehlschläge die Kultivierung in unserem nördlichen Nachbarland zu einer höchst unsicheren Sache. Das alles kam zusammen, und so setzte man in Deutschland die treubrüchigen, Tomaten essenden Italiener mit den so unzuverlässigen – weil unsicher zu kultivierenden – Tomaten gleich.
Die Anti-Matsch-Tomate
Für viele Menschen war die Anti-Matsch-Tomate Flavr-Savr der Firma Calgene/Monsanto der Auftakt für viele Diskussionen rund um gentechnologisch veränderte Pflanzen. Die FlavrSavr-Tomate wurde in den USA 1994 zugelassen und konnte reif gepflückt und länger gelagert werden, ohne auf den langen Transportwegen Schaden zu nehmen. Konventionelle Tomaten verdanken ihre Festigkeit dem Pektin, welches aber innerhalb weniger Tage durch das Enzym Polygalacturonase abgebaut wird – die Tomate wird matschig. In den neu produzierten Tomaten wurde das Enzym nicht mehr
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