tabula_2/2017 Genom-Editierung

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Zeitschrift der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE

_n° 2/2017_CHF 11.00

Genom-Editierung

Wissen, was essen.


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Nationale Fachtagung der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE 2017 Bedeutung der Lebensmittelverarbeitung: Gestern – heute – morgen Freitag, 11. August 2017, Hochschulzentrum vonRoll, Bern

s perten au x e h c a F e tieren: sen ng präsen u h Ausgewie c s r o F haft & Wissensc sium ie-Sympo r t s u d n I • e • Referat • Ateliers

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Wissen, was essen.


_EDITORIAL_ Eine Revolution in der Gentechnik findet statt, und die breite Öffentlichkeit nimmt kaum Notiz davon. In den Medien wird die Genom-Editierung seit Längerem zwar thematisiert, doch scheint die komplexe Materie eher abschreckende Wirkung zu zeigen, als einen Diskurs in Gang zu setzen. Die Karten werden zurzeit neu gemischt, die Spieler bringen sich in Stellung: Wirtschaft, Biolandbau, Konsumentenschutz und Gesetzgeber. Wird es künftig eine Deklarationspflicht für genom-editierte Produkte geben? Fällt die Methode unter das Gentechnikgesetz, hat dies für Unternehmen kostspielige und langwierige Folgen: Risikoprüfung, Kennzeichnungspflicht und Zulassungsverfahren. Entscheidet sich der Gesetzgeber dagegen, wird es sowohl für Produzenten – beispielsweise aus dem Biolandbau – als auch für Konsumenten nicht nachvollziehbar, ob ein Produkt genom-editiert wurde oder nicht. Unbestritten ist das grosse Potential (der Trumpf) der Genom-Editierung – nicht nur im Hinblick auf gentechnisch veränderte Pflanzen, sondern auch im Bereich der Tierwelt und Humanmedizin. Im Report legt Cornelia Eisenach, Biologin und Fachautorin, die Karten auf den

Tisch, lässt verschiedene Interessengruppen zu Wort kommen und macht für uns eine Auslegeordnung zur Genom-Editierung im Konkreten und der Gentechnik im Allgemeinen. Mit Gentechnik hat Maria Luisa Wenger nichts am Hut. Im Gegenteil. In unserem Porträt «Aus dem Leben von» begleiten wir sie auf einem ihrer Spaziergänge durch die Natur und ebenso auf dem Weg zu ihrer Berufung. Bei ihren Kursen vermittelt die Königin der Wiesen die heilende Wirkung von Wildpflanzen und ein ursprüngliches Wissen, welches beinahe vergessen ging. Auch in der Rubrik «Unter der Lupe» gehen wir zurück zum Ursprünglichen. Die Fermentation von Lebensmitteln ist seit Generationen ein praktikabler Weg zur Haltbarmachung von Produkten. Das kalte Kochen erlebt seit einiger Zeit eine Wiederauferstehung – nicht nur in der Spitzengastronomie. Ganz allgemein hat man die positive Wirkung von Milchsäurebakterien für die Gesundheit des Menschen wiederentdeckt. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre und gute Unterhaltung. THOMAS KRIENBÜHL / SGE Leiter Redaktion tabula

04_ R E P O R T Genom-Editierung

16_ U N T E R D E R L U P E Fermentiertes Gemüse

Genom-Editierung, zum Beispiel durch Crispr/Cas ist ein Verfahren zur Erbgutveränderung. In der Schweiz könnte es zukünftig helfen, Apfelbäume vor Krankheiten zu schützen.

Neueste Erkenntnisse aus der Mikrobiomforschung lassen erahnen, welche wichtige Rolle Milchsäurebakterien für die Gesundheit des Menschen haben.

10_ A U S D E M L E B E N V O N . . .

20_ B Ü C H E R

12_ R E Z E P T

22_ D I E S G E

14_ W I S S E N , W A S E S S E N

24_ A G E N D A / P R E V I E W N ° 3/2017

Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE Schwarztorstrasse 87 | Postfach 8333 | CH-3001 Bern Französische mit T +41 31 385 00 00 | F +41 31Übersetzung 385 00 05 |ins info@sge-ssn.ch ­Unterstützung der Loterie Romande

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_Report_

Genom-Editierung Revolution in der Pflanzenzüchtung? 

Genom-Editierung durch Crispr/Cas ist ein Verfahren zur Erbgutveränderung. In der Schweiz könnte es künftig helfen, Apfelbäume vor Krankheiten zu schützen. Im Gegensatz zu konventionellen genetisch veränderten Pflanzen enthalten neue, genomeditierte Pflanzen keine artfremde DNS. Fallen sie dennoch unter das Gentechnikgesetz? Definitiv nicht, meinen viele Wissenschaftler, denn die Erbgutveränderungen könnten auch durch normale Züchtung entstehen. Auf jeden Fall, meinen Kritiker, die vor allem die Wahlfreiheit der Konsumenten und ethische Aspekte im Blick haben.

Täglich zwei bis drei Esslöffel Pflanzenöl, davon mindestens die Hälfte in Form von Rapsöl, empfiehlt die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE. Rapsöl enthält die wertvolle Omega-3 Fettsäure, die für unsere Gesundheit wichtig ist. Doch noch vor wenigen Jahrzehnten war Rapsöl ein reines Industrieöl. Es enthielt Erucasäure, die für den Menschen unverdaulich ist. Erst eine natürliche Mutation, also eine spontane Veränderung der Erbsubstanz der Rapspflanze, machte deren Öl für uns Menschen verträglich. Eine zweite Mutation machte die Überreste der Ölproduktion für die Tierfütterung nutzbar. In Europa wird heutzutage fast ausschliesslich dieser mutierte Doppelnull-Raps als Winterraps angebaut. Mithilfe der Genom-Editierung durch die Technik namens Crispr/Cas können die Erbgutveränderungen wie beim Raps gezielt, effizient und kostengünstig ausgelöst werden. Diese Technologie taucht in letzter Zeit immer häufiger in den Medien auf, denn es steht die Frage im Raum: Sind genom-editierte Pflanzen gentechnisch veränderte Organismen (GVOs) oder nicht? Schon seit Jahrzehnten setzt die moderne Nutzpflanzenzüchtung auf Möglichkeiten, Veränderungen und Umordnung des Erbgutes bewusst auszulösen, anstatt ausschliesslich auf spontane, natürliche Mutationen zu hoffen. Dies geschieht durch Chemikalien oder radioaktive Bestrahlung. Heutzutage gehen zum Beispiel Tausende Sorten auf Züchtung mit Radioaktivität zurück. Solche Pflanzen unterliegen keiner gesonderten Kennzeichnungspflicht. Viele Wissenschaftler sagen deshalb: Es macht keinen Unterschied, ob eine Erbgutverände-

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rung natürlich, durch Radioaktivität oder durch Crispr/Cas zustande kommt. Deswegen seien genom-editierte Pflanzen mit solchen Veränderungen nicht wie GVOs zu behandeln. Für viele ökologisch arbeitende Landwirte macht es aber schon einen Unterschied wie eine Erbgutveränderung zustande kommt. Von einem ethischen Standpunkt aus gesehen gilt es, die Integrität der Zelle zu schützen und nicht technisch in sie einzugreifen. Deswegen lehnt der Biosektor nicht nur Genom-Editierung ab, sondern auch die Mutationszüchtungen durch Strahlen oder Chemie. Zielgerichtete Mutationen Die Erbsubstanz besteht aus Molekülen der Desoxyribonukleinsäure (DNS), die eine bestimmte Anordnung von vier verschiedenen Basenpaaren aufweisen. Die genaue Abfolge dieser Paare bestimmt die Funktion von Genen. Werden diese vertauscht, gelöscht oder eingeschoben, spricht man von einer Mutation. «Durch Genom-Editierung können gewünschte Mutationen im Erbgut viel präziser und zielgerichteter als mit herkömmlichen Methoden vorgenommen werden», erklärt Bruno Studer, Professor für Molekulare Pflanzenzüchtung an der ETH Zürich. Im Crispr/ Cas-Verfahren werden zwei Moleküle in die Pflanzenzelle eingeschleust: das Cas9-Enzym, welches wie eine Schere arbeitet und ein gewünschtes Gen zerschneidet, und ein Sequenz-Molekül (Guide RNA), welches Cas9 hilft, das richtige Gen zu finden (siehe Abbildung Seite 9: Kriegen Bakterien auch Schnupfen?). Bei der zelleigenen Reparatur der Schnittstelle kommen Mutationen zustande, oder ein neues Gen kann in die Schnittstelle eingefügt werden. Im zweiten Fall muss zusätzlich eine Vorlage für das neue Gen in die Zelle eingeführt werden. Obwohl Crispr/Cas sehr genau arbeitet, kann es vorkommen, dass auch in falschen Genen geschnitten wird. «Solche unerwünschten Effekte hängen vom Zielgen ab, doch bei den neuesten Anwendungen der Genom-Editierung tendiert die Häufigkeit von unerwünschten Effekten gegen null», sagt Studer. «Bei Chemikalien, Strahlen oder anderen gängigen Techniken in der


A

B

C

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METHODEN ZUR GENMANIPULATION ( A ) K O N V E N T I O N E L L E Z Ü C H T U N G ( B I O L O G I S C H ) : Manuelle Kreuzung von Pflanzen der gleichen (oder nahe verwandter) Spezies über viele Generationen hinweg, bis Exemplare mit den gewünschten Eigenschaften entstehen oder unerwünschte Eigenschaften ausgekreuzt sind. ( B ) R A D I O A K T I V od. C H E M I S C H I N D U Z I E R T E M U T A G E N E S E : Mit radioaktiver Bestrahlung oder Chemikalien werden in kurzer Zeit eine Vielzahl von zufälligen Mutationen erzeugt. Durch Selektion/Auskreuzung werden ungünstige Entwicklungen eliminiert, bis Pflanzen mit den gewünschten Eigenschaften entstehen. ( C ) G E N T E C H N I S C H E M O D I F I Z I E R U N G : Die gewünschte, arteigene (cisgenetische) oder artfremde (transgenetische) DNA wird mithilfe einer Genfähre in das Erbgut einer Pflanze eingeschleust. Teile davon bleiben zurück und können auch nicht ausgekreuzt werden, wodurch der Eingriff nachweisbar bleibt. Herkömmliches Verfahren, welches dem Gentechnikgesetz unterliegt. ( D ) G E N O M - E D I T I E R U N G ( C R I S P R / C A S ) : Unter Ausnutzung eines natürlichen Abwehrmechanismus (CRISPR) werden CAS9-Enzyme in das Erbgut einer Pflanze integriert. Diese «molekulare Schere» schneidet das Zielgen an einer bestimmten Stelle. Bei der Reparatur entstehen Mutationen. Die gewünschte Veränderung wird ausgewählt. Das Erbgut enthält keine fremde DNS, wodurch der Eingriff nicht mehr nachweisbar ist. GVO-Deklarationspflicht oder nicht? Gesetzeslage noch offen.

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_Rezept_

ZITRONEN-FISCHRÖLLCHEN Für 4 Personen. Zubereitung ca. 45 Minuten Pro Person: 31 g Eiweiss, 7 g Fett, 8 g Kohlenhydrate, 220 kcal Zutaten: 8–12 Fischfilets ohne Haut, z. B. Forelle oder Egli, ca. 600 g / Salz / Pfeffer / etwas Zitronensaft / Butter für das Dämpfsieb / Zahnstocher oder Spiesschen bereitlegen Fischfilets flach auslegen, würzen und mit wenig Zitronensaft beträufeln. Füllung: 150 g Hüttenkäse / 1 Zitrone, abgeriebene Schale und wenig Saft / 2 EL Zitronenthymian, abgezupfte Blättchen / Salz / Pfeffer Füllung: Alle Zutaten mischen, auf die Fischfilets geben, aufrollen und mit Zahnstocher fixieren. Röllchen auf den bebutterten Dämpfeinsatz stellen.

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Grünes Ratatouille: 200 g grüne Bohnen, gerüstet /1 Frühlingszwiebel, in Ringe geschnitten / wenig Butter / 1–2 grüne Pepperoni, gerüstet, gewürfelt / 2 Zucchetti, gerüstet, gewürfelt / 1 Zweig Bohnenkraut / etwas Bouillon / Salz / Pfeffer / Bohnenkraut zum Garnieren nach Belieben Bohnen in siedendem Salzwasser 15 Minuten kochen, kalt abschrecken und schräg in Stücke schneiden. Zwiebel in der Butter andämpfen, restliches Gemüse, Bohnen und Bohnenkraut beifügen, mitdämpfen und mit der Bouillon knapp weich garen, würzen. Fischröllchen zugedeckt knapp unter dem Siedepunkt 5–8 Minuten pochieren. Ratatouille auf vorgewärmte Teller verteilen, Fischröllchen darauf geben, garnieren. Rezept und Bild: Swissmilk

ERNÄHRUNGSBILANZ

ÖKOBILANZ

Fischfilet: Die Forelle gehört zur Familie der Lachsfische (Salmonidae) und ist mit dem Saibling und der Äsche verwandt. Die Fischart Forelle umfasst drei verschiedene Formen: Bachforellen, welche in Fliessgewässern leben, Seeforellen, die in Süsswasserseen vorkommen und Meerforellen, welche teilweise im Salzwasser leben. Forellen agieren räuberisch und sind «Fischfresser», worauf bereits ihre kräftigen und spitzen Zähne schliessen lassen. Die häufigste Forellenart in der Schweiz ist die atlantische Forelle. Sie zählt zu den Fischen mit mittlerem Fettgehalt (7 g Fett je 100 g). Grüne Bohnen: Bohnen haben in der Schweiz Saison von Juni bis Oktober. Sie sind sehr empfehlenswert, nicht zuletzt enthalten sie nennenswerte Mengen an Betacarotin, Folat und Vitamin C. Wie alle Hülsenfrüchte enthalten auch grüne Bohnen den Inhaltsstoff Phasin. Dies ist ein Protein, welches zu Magenund Darmbeschwerden führen kann. Deshalb werden rohe Bohnen auch als «giftig» beschrieben. Durch das Erhitzen wird das Phasin zerstört. Es bedarf jedoch einer Kochzeit von mindestens 15 Minuten. Tellermodell: In diesem Rezept ist der Proteinanteil durch die Fischfilets gegeben. Der Gemüseanteil entspricht der empfohlenen Portion einer ausgewogenen Mahlzeit. Die Stärkebeilage fehlt gänzlich, so ist auch der Energiegehalt der Mahlzeit sehr gering. Um das Gericht ausgewogen und energiereicher zu gestalten, sollte eine Stärkebeilage ergänzt werden wie beispielsweise Kartoffeln, Reis oder andere Getreideprodukte. Anstelle von Butter könnte ein pflanzliches Öl wie z. B. Rapsöl oder Olivenöl verwendet werden.

Fischfilet: Für die Bilanz wurde mit Daten für ein Forellenfilet aus Frankreich gerechnet. Dabei stammt der Hauptteil der Umweltbelastungen aus der Produktion verschiedener Futtermittel. Relevant sind auch Umweltschadstoffe (z. B. Kot, Futterreste), die bei der Zucht direkt ins Wasser gelangen und dann in Flüsse bzw. Seen abgeleitet werden. Die Höhe der Umweltbelastungen hängt davon ab, womit die entsprechenden Tiere gefüttert wurden. Ein weiterer Faktor ist der grosse Gewichtsverlust (ca. 50 %) beim Filetieren. Dabei gehen auch essbare Bestandteile verloren. Besser wäre es, ganze Forellen zu verwenden. Gemüse: Für das Ratatouille werden verschiedene Gemüseprodukte eingesetzt. Sie tragen insgesamt etwa 13 % zur Gesamtbelastung bei. Hier wird angenommen, dass im Juli alle aus dem Freiland stammen und damit keine umweltbelastenden Gewächshäuser oder weite Transporte notwendig sind. Je nach Jahreszeit, in der das Rezept zubereitet wird, sind entsprechend auch andere Gemüse zu empfehlen. Die gewichtsmässig bedeutendste Zutat Zucchetti trägt auch am meisten zu den Umweltbelastungen bei. Zusammenfassung: Zitronen-Fischröllchen verursachen für vier Personen rund 13 600 Umweltbelastungspunkte (UBP). Damit liegt die Umweltbelastung mit 3400 UBP pro Person etwas unter der durchschnittlichen Belastung einer Hauptmahlzeit (5000 UBP pro Person). Aus Umweltsicht ist das Forellenfilet mit 66 % Anteil an der Gesamtbelastung die bedeutendste Zutat. Verschiedene Gemüse für das Ratatouille tragen etwa 13 % zur Belastung bei. Hüttenkäse und Butter folgen auf den nächsten Plätzen und haben zusammen 10 % Anteil. Weitere Zutaten und Faktoren wie der Heimtransport und die Zubereitung tragen geringfügig zur Belastung bei.

SABINE OBERRAUCH / SGE

CHRISTOPH MEILI, NIELS JUNGBLUTH / ESU

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_Rezept_

Rezept 3359

Ø 5000 UBP *

Swissmilk / Infografik: Truc, Bern

Zusammensetzung des Rezeptes im Vergleich zum optimal geschöpften Teller (oben rechts) Lebensmittelgruppen: = Milchprodukte, Fleisch, Fisch, Eier & Tofu = Getreideprodukte, Kartoffeln & Hülsenfrüchte = Früchte & Gemüse

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 *UMWELTBELASTUNGSPUNKTE Die Säulengrafik zeigt die Umweltbelastung durch das Rezept pro Person. Als Vergleich dazu ein grober Durchschnittswert einer zu Hause zubereiteten Hauptmahlzeit. Die Berechnung der Umweltbelastungspunkte fasst verschiedene Umweltbelastungen bei der Produktion der Lebensmittel zu einer einzigen Kenngrösse zusammen (je höher die Punktzahl, desto grösser die Umweltbelastung). Quelle: ESU–services.

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_Unter der Lupe_

Fermentiertes Gemüse Die Wiederentdeckung des kalten Kochens 

Die Milchsäuregärung ist eine sehr alte Methode, um Gemüse haltbar zu machen. Heute erfährt sie eine Renaissance – nicht nur weil sie gerade die Spitzengastronomie neu bereichert, sondern auch weil neueste Erkenntnisse aus der Mikrobiomforschung erahnen lassen, welche wichtige Rolle Milchsäurebakterien für die Gesundheit des Menschen haben.

Die wenigen verbliebenen wurden von einem Mono-

Unter Fermentation versteht man alle Transformationsprozesse, bei denen organische Stoffe durch die Beteiligung von lebenden Mikroorganismen wie Hefepilze oder Bakterien umgesetzt werden. Zur Konservierung von Lebensmitteln wird die Milchsäuregärung mindestens seit der Jungsteinzeit eingesetzt. Durch die Milchsäurebildung wird das Lebensmittel gesäuert, Verderbniserreger in ihrer Aktivität gehemmt und abgetötet. Ein Drittel aller Nahrung, die Menschen weltweit verzehren, sind fermentiert. So verschiedene Dinge wie Käse, Salami, Bier, Wein, Sauerteig, Essig, Kefir oder saure Gurken entstehen durch Fermentation. Die Fermentation von Gemüse geschieht unter Sauerstoffabschluss in drei Phasen. In der ersten Phase sind verschiedene Bakterienstämme beteiligt, insbesondere sogenannte homofermentative Milchsäurebakterien, vor allem die Kokken. Diese sind auf den Gemüsen und in der Umgebung genügend vorhanden. Es braucht dafür, im Gegensatz zur Fermentation von Milchprodukten, keinerlei Starterkulturen, um Fehlgärungen zu vermeiden. Beim Kohlehydratabbau durch diese Bakterien entstehen Ethanol, Säuren (Milchsäure, Essigsäure) und Ester. Sie verbrauchen den mit der Luft eingebrachten Sauerstoff und produzieren verschiedene Gase, die zu Schaumbildung führen können. Während der ersten Phase ist eine Temperatur von über 20° C am günstigsten. Nach Verbrauch des Sauerstoffs setzen sich unter starker Kohlendioxidentwicklung die heterofermentativen Milchsäurebakterien durch, sie bauen Trauben- und Fruchtzucker ab, es kommt zur Säuerung. Weitere wichtige Geschmackskomponenten entstehen in der zweiten Phase der Fermentation. Während

polisten aufgekauft und fusioniert. Als das auch mit

dieser ist es ideal, wenn das Gärgut dunkel und etwas

der Fabrik Thurnen geschah, verloren alle Mitarbei-

kühler steht. Am besten um 15° C. Sie dauert etwa zwei

ter die Stelle. «Da das Metier des Gemüsefermentie-

Wochen. Wegen den vielfältigen neuen Geschmacks-

rers heute nicht mehr gefragt ist, fanden wir auch

eindrücken, die in dieser Phase entstehen, hat heute

keine neue Arbeit und haben somit kurzerhand einen

fast jeder Spitzenkoch, der etwas auf sich hält, einige

eigenen Kleinbetrieb gegründet.»

Gläser Fermentgegorenes in seinem Vorrat stehen.

MONIKA MÜLLER Der Apfel war immer das Beste! Die Augen meiner Mutter glänzen, wenn sie lebhaft vom Sauerkraut ihrer Kindheit erzählt. Die Äpfel aus dem Garten wurden jeweils ganz zwischen das gehobelte Kraut geschichtet. Zur Sauerkrautmahlzeit bekam dann jedes der fünf Kinder je einen Schnitz des begehrten sauerscharfen Apfels. Das Fermentieren von Weisskohl zur Haltbarmachung war bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in praktisch jeder Schweizer Familie gang und gäbe. Heute hat Sauerkraut nur noch wenige Liebhaber, und 80 Prozent der Kunden mögen es leicht fermentiert, sprich mild. «Lang fermentiertes Kraut wird sehr sauer, das mögen nur noch die alten Menschen, welche mit selbst Fermentiertem gross geworden sind», erzählt Jürg Trachsel, der Patron der kleinen Royal Sauerkraut AG in Burgistein. Die kleine Firma ist sozusagen ein Selbsthilfeprojekt, wie Trachsel berichtet: «Vor 25 Jahren bekam ich als junger Mann eine Stelle in der Sauerkrautfabrik Thurnen und wurde dort bald Geschäftsführer. Als ich begann, gab es über 20 andere Sauerkrautfabriken in der Schweiz, viele rund um das Berner Gürbetal, das im Volksmund ‹Chabisland› genannt wird.» Heute isst der Durchschnittsschweizer nur noch etwa 500 g Sauerkraut im Jahr, im Welschland mehr als in der Deutschschweiz. Mit diesem dramatischen Rückgang sind auch die Produzenten verschwunden.

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Wie geht Fermentation?

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Fermentierte Kräutermischung Zutaten • frische Kräuter, Zwiebeln, Knoblauch • wenig frische rote Chili, fein gehackt • 2 g Salz pro 100 g Kräutermischung • einige Kapuzinerkresseblätter • zum Abdecken einige Glasgewichte, z. B. Murmeln

Foto: iShutterstock

Zubereitung Die gehackten und gesalzenen Kräuter ins Glas schichten, mit den Blättern bedecken und zusammendrücken. Darauf die sauberen Glasgewichte verteilen. Wenn nötig, noch Wasser zugeben. Glas verschliessen und drei Tage an der Wärme stehen lassen. Danach im Kühlschrank aufbewahren. Löffelweise zum Würzen von Salatsaucen, Dips, Fleischgerichten usw. verwenden. Hält mehrere Monate.

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