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2296-1127
ISSN 2296-1127
ISSN
9 772296 112705
Zeitschrift der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE
_n° 1/2018_CHF 11.00
GLUTEN UNTER GENERALVERDACHT
Wissen, was essen.
_Anzeige_
_EDITORIAL_
Nationale Fachtagung der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE 2018 Ernährung am Arbeitsplatz: Mehr als ein Lunch! Dienstag, 11. September 2018, Inselspital Bern, 8 bis 17 Uhr
Programm: •
Betriebliches Gesundheitsmanagement BGM – Ein Konzept Reto Kälin, Gesundheitsförderung Schweiz
•
Ernährung – Stellenwert im BGM? Prof. Dr. Andreas Krause, FHNW, & Ronia Schiftan, SGE
•
Snacking & eating on the go Prof. Dr. Christine Brombach, ZHAW
•
Gemeinschaftsgastronomie Prof. Dr. Michael Siegrist, ETH Zürich
•
High Performance am Arbeitsplatz dank Ernährung? Prof. Pierre Maechler, Universität Genf
•
Kleines Gewissen Johanna Altenberger, Head Swiss Re Gastronomy
•
Wasserspender und Früchtekörbe - reicht das? Charlotte Weidmann & Ronia Schiftan, SGE
Glutenfrei ist die neue Gesundheitsformel. Stars und Sternchen aus Amerika leben es vor, und Millionen folgen deren Beispiel. Der Verzicht auf Gluten ist im Trend. Obwohl viele von ihnen keine Unverträglichkeit haben, lassen immer mehr Menschen glutenhaltige Produkte weg – sei es, um abzunehmen oder sich angeblich gesünder zu ernähren. Der Getreidekleber, welcher den Teig elastisch macht, wird in manchen Kreisen nämlich für Fettleibigkeit, Alzheimer, Diabetes, Rheuma und vieles mehr verantwortlich gemacht. Doch besteht Grund zur Annahme, dass Gluten für gesunde Erwachsene gefährlich ist? Sind denn Produkte aus Weizen, Dinkel, Roggen oder Gerste nicht auch wertvolle Nahrungsmittel? Gerade Vollkornprodukte sollten doch unseren Speiseplan vervollständigen und gehören zu einer ausgewogenen Ernährung. Ganz abgesehen davon, dass die Getreidearten einen wich-
tigen Beitrag gegen den Welthunger leisten. Wir begleiten drei Betroffene mit unterschiedlichen Formen von Unverträglichkeiten und sprechen mit Fachleuten über das Thema. Ein Experte für Getreide ist auch der Pflanzenpathologe Fabio Mascher, den wir bei «Aus dem Leben von» porträtieren. Seit 15 Jahren kümmert er sich bei Agroscope um die Optimierung unserer Feldfrüchte. Um einen Trend geht es auch bei «Unter der Lupe»: Kokosöl. Die Heilsversprechungen klingen beim Steinfruchtöl ebenfalls vielversprechend. Es soll nicht nur gegen Viren und Bakterien, sondern auch gegen Demenz und Karies wirken sowie beim Abnehmen helfen. Wir schauen, was drin steckt und wo die Schattenseiten beim Anbau sowie bei der Produktion liegen. Ich wünsche Ihnen eine spannende und lehrreiche Lektüre ganz ohne weitere Heilsversprechen. THOMAS KRIENBÜHL / SGE Leiter Redaktion tabula
Programmdetails und Anmeldung unter: www.sge-ssn.ch/fachtagung
04_ R E P O R T Gluten
16_ U N T E R D E R L U P E Kokosöl
Fettleibigkeit, Alzheimer, Diabetes oder Rheuma – Gluten-Bashing ist im Trend. Doch sind glutenhaltige Getreide wie Weizen, Roggen oder Gerste wirklich so schlimm?
Mittlerweile als Superfood vermarktet, steigt die Nachfrage nach Kokosöl laufend an. Ebenso vermehren sich Heilsversprechungen und die Gewinnmargen des Zwischenhandels.
10_ A U S D E M L E B E N V O N . . .
20_ B Ü C H E R
12_ R E Z E P T
22_ D I E S G E
14_ W I S S E N , W A S E S S E N
24_ A G E N D A / P R E V I E W N ° 2/2018
Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE Schwarztorstrasse 87 | Postfach 8333 | CH-3001 Bern T +41 31 385 00 00 | F +41 31 385 00 05 | info@sge-ssn.ch Gedruckt in der Schweiz
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Wissen, was essen.
Impressum: ZeitschriftPublikumsorgan für Ernährung der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE_ E R S C H E I N U N G : Vierteljährlich tabula tabula:| Offizielles A U F L A G E :T +41 8 00031Ex._ E R04 AU S G E B E R I N : Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE, Schwarztorstrasse 87, 3001 Bern, | www.tabula.ch Redaktion 385H00 Tel. +41 31 385 00 00, SGE-Spendenkonto: PC 30-33105-8 / info@tabula.ch / www.tabula.ch_ C H E F R E D A K T O R : Thomas Krienbühl R E D A K T I O N SK O M M I S S I O N : Mariana Born / Bruna Crameri-Capelli / Marlies Lüthi / Muriel Jaquet / Annette Matzke / Nadia Schwestermann shop sge | T +41 58 268 14 14 | F +41 58 268 14 15 _L A Y O U T : Danijela Preradovic_ D R U C K : Erni Druck & Media, Kaltbrunn_ T I T E L B I L D : truc konzept u. gestaltung, Bern / Jörg Kühni www.sge-ssn.ch/shop
Wissen, was essen. sge-ssn.ch
_Report_
GLUTEN UNTER GENERALVERDACHT
Dieses Mal hat sie ihre Barbie-Puppe mit dabei. Bettina Bogatu muss der Patientin Blut abnehmen, um die Allergie-Antikörper zu bestimmen. Ausserdem macht sie einen sogenannten Haut-Pricktest. Dabei
Die Versprechen klingen verführerisch: Eine straffere Haut, ein besseres Wohlbefinden und sogar ein längeres Leben – und das alles durch den Verzicht auf Gluten? Kein Wunder, verbreiteten sich diese Neuigkeiten rasch über Facebook und Instagram. Keine Frage: Gluten-Bashing ist im Trend. Doch sind glutenhaltige Getreide wie Weizen, Roggen oder Gerste wirklich so schlimm? Wie konnten so nahrhafte Lebensmittel innert zehn Jahren ihren Ruf verlieren?
terologe am Triemlispital in Zürich, betreut immer
ritzt Bogatu Ninas Unterarm ganz leicht und gibt
wieder solche Fälle. «Es ist einfach zu sagen, man
eine Flüssigkeit darauf, die Weizen enthält. Schwillt
soll glutenhaltige Getreide weglassen», sagt Vavric-
die Haut an, ist sie immer noch allergisch auf die
ka. «Die können wir alle nicht so gut verdauen.»
Weizenproteine. «Das Ziel dieser Kontrollen ist, den
Denn der Darm baut das Gluten nicht vollständig
Moment abzupassen, wann das Kind eine sponta-
ab. «Klar, fühlt man sich ohne etwas besser», sagt
ne Toleranz entwickelt», sagt Bogatu. «Erst wenn es
Vavricka. Allerdings sind die Bauchbeschwerden
nicht mehr allergisch reagiert, darf es wieder Wei-
damit nicht vom Tisch. Deshalb empfiehlt es sich,
zen essen.» Bei Nina ist es noch nicht so weit. Sie
bei ernsthaften Problemen zum Arzt zu gehen. Die-
trägt nach wie vor Allergie-Antikörper in sich. Brot
Gluten ist in Verruf geraten. Stars wie Novak Djoko-
ser kennt schulmedizinische Vorgehensweisen, die
und herkömmliche Spaghetti sind weiterhin tabu.
vic oder Gwyneth Paltrow schwören auf eine glu-
den Grund am zuverlässigsten aufklären. Bei Ver-
tenfreie Ernährung. Bücher mit den Titeln «Dumm
dacht auf eine Gluten-Unverträglichkeit kommen
Nährstoffmangel durch Zöliakie
wie Brot» oder «Weizenwampe» stürmen Bestsel-
drei Krankheiten infrage: die Weizenallergie, die Zö-
Lebensmittel, die Weizen enthalten, darf auch Pe-
lerlisten. Geht es nach den Autoren, ist der Weizen
liakie oder die Gluten-Sensitivität.
tra (50) nicht essen. Allerdings aus einem anderen Grund. Sie leidet an Zöliakie. Eine Erkrankung, an
verantwortlich für Fettleibigkeit, Alzheimer, Diabetes, Rheuma und vieles mehr. Mitschuldig sei das
Die Allergie kann tödlich enden
der ein Prozent der Bevölkerung leidet. Die Häufig-
Gluten – der Getreidekleber, der den Teig elastisch
Die gefährlichste der drei Krankheiten ist die Wei-
keit ist seit Jahrzehnten unverändert. Denn nicht
macht. Doch: «Wenn ein Lebensmittelbestandteil
zenallergie. Davon betroffen ist etwa ein halbes Pro-
alle können eine Zöliakie entwickeln. Voraussetzung
plötzlich für alle Leiden verantwortlich sein soll,
zent der Bevölkerung. Es sind vor allem Babys und
dafür sind bestimmte Gene. Diese hat Petra höchst-
werde ich skeptisch», sagt Karin Stalder, Ernäh-
Kinder im Vorschulalter – Kinder wie Nina* (5). Als
wahrscheinlich von ihrem Vater geerbt.
rungsberaterin bei aha! Allergiezentrum Schweiz.
sie mit etwa halbjährig das erste Mal Brei erhielt, re-
Petras Immunsystem kämpft gegen den Weizenbe-
«Da kann etwas nicht stimmen.»
agierte sie auf das Nahrungsmittel Weizen. Ihr Kör-
standteil Gluten. Dadurch schädigt der Dünndarm
Der Trend ist in den letzten zehn Jahren aus Ame-
per hat Allergie-Antikörper gegen Gluten oder ande-
sich selbst, die Darmzotten bauen sich ab. Die In-
rika nach Europa übergeschwappt. Er hat offenbar
re Proteine im Weizen gebildet.
nenwand des Dünndarms verkleinert sich so sehr,
einen Nerv getroffen. Verdauungsbeschwerden und
Schon auf kleinste Spuren reagieren diese Kinder so-
Reaktion stark, schwellen auch die Atemwege zu.
dass Petra wichtige Nährstoffe kaum mehr auf-
Blähungen haben laut Stalder zugenommen. «Wir
fort. Innert Sekunden oder wenigen Minuten bilden
Im schlimmsten Fall erleidet das Kind einen Kreis-
nimmt. Die Folge sind Symptome wie Eisenmangel,
sind einfach nicht dafür geschaffen, acht Stunden
sich Nesselfieber oder starke Schwellungen an Lip-
laufstillstand, einen sogenannten anaphylaktischen
Müdigkeit, Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall
im Büro zu sitzen», sagt Stalder. «Ohne Bewegung,
pen, Augen, Ohren oder Wangen. Ist die allergische
Schock. «Doch das passiert zum Glück nur sehr sel-
und Verstopfung.
funktioniert der Darm nicht optimal.»
ten», sagt Bettina Bogatu, Allergologin am Kinder-
Beschwerden hatte Petra bereits als Baby. Sie konn-
Betroffene, die leiden, wollen wissen, was ihnen
spital in Zürich. «Das kann tödlich enden.»
te nichts im Magen behalten, alles kam wieder hoch.
Deshalb haben die Eltern von Nina stets ein Not-
Vor lauter Mangelerscheinungen bekam sie einen
fallkit bei sich. Es enthält eine Dosis Adrenalin. Im
Blähbauch. Auf Klassenfotos fällt sie sofort auf.
Ernstfall müssen Ninas Eltern selber spritzen. Sie
Sie ist das kleine, blasse Mädchen, das kränklich
können nicht so lange warten, bis die Ambulanz ein-
wirkt. Petra war immer wieder beim Arzt. Dieser
trifft. Dann kann es für Nina bereits zu spät sein.
sagte stets, sie sei zu klein und zu dünn. Er wuss-
Solche Ernstfälle können laut Bogatu bei Kindern
te von ihren nächtlichen Durchfallattacken und den
durchaus vorkommen, man könne sie nicht rund um
schmerzhaften Bauchkrämpfen. Auch der Eisen-
die Uhr kontrollieren. «Dass ein Kind von einem an-
mangel, das häufigste Symptom bei einer Zöliakie,
deren einen Keks erhält, ist schnell passiert.» Auch
liess ihn nicht stutzig werden. Die Eisentabletten,
Nina hatte eine solche Phase, in der sie sich alles in
die Petra nehmen musste, wirkten nicht. Ihr kaput-
den Mund steckte. Doch diese ist vorbei. Jetzt ist sie
ter Darm konnte das Eisen nicht aufnehmen.
genug alt, um zu wissen, dass es Dinge gibt, die sie
Mit 32 Jahren erlitt Petra eine schwere Lebensmit-
strikt nicht essen darf.
telvergiftung, und ihr ohnehin schon geringes Ge-
Das Gute an der Weizenallergie: Sie wächst in etwa
wicht sank drastisch. «Ich konnte nicht mehr», sagt
90 Prozent der Fälle aus. Deshalb muss Nina in regel-
Petra, «und mein Hausarzt geriet in Panik.» Erst
mässigen Abständen ins Kinderspital zur Kontrolle.
diese Extremsituation veranlasste ihn, Zöliakie-An-
fehlt und gehen dem auf den Grund. «Sollte der Verdacht auf das Gluten fallen, ist es nicht empfehlenswert, glutenhaltige Getreide aus der Ernährung zu streichen», rät Diana Studerus, Ernährungsberaterin bei der IG Zöliakie der Deutschen Schweiz. Ihr Credo: «Erst die Diagnose, dann die Therapie. Das ist sehr wichtig.» Denn wer voreilig auf Gluten verzichtet, erschwert die Diagnose enorm. Dass diese von einem Hausarzt oder Facharzt kommen sollte, ist für Studerus selbstverständlich. Nicht aber für alle Betroffenen. «Viele Patienten kommen zu mir
G L U T E N H A L T I G E L E B E N S M I T T E L* : ►Glutenhaltige Getreidesorten: Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste, Emmer, Grünkern, Kamut, Einkorn und Triticale. Spezialfall Hafer (enthält zwar kein Gluten, wird aber durch die Verarbeitung mit Gluten verschmutzt). ►Lebensmittel aus glutenhaltigem Getreide: Mehl, Brot, Teigwaren, Pizza, Knödel, panierte Nahrungsmittel, Kuchen, Torten, Blätterteig, Zwieback, Gebäck, Müsliriegel, Müsliflocken, Griess, Stärke, Bier, löslicher Kaffee
und sagen, dass ein Alternativmediziner ihnen empfohlen hat, Gluten wegzulassen», sagt Studerus. Doch mithilfe von Pendeln oder Bioresonanz eine solche Empfehlung auszusprechen, findet sie verantwortungslos. Auch Stephan Vavricka, Gastroen-
Glutenhaltige Inhaltsstoffe sind in vielen Fertigprodukten und verarbeiteten Lebensmitteln enthalten. Ein Blick auf die Zutatenliste schafft Klarheit: Glutenhaltige Zutaten wie Weizenmehl oder Gerstenmalz sind dort stets deklariert. * Liste nicht abschliessend
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tabula N° 1/2018
tabula N° 1/2018
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_Rezept_
_Rezept_
FLAMMKUCHEN VEGETARISCH MIT RANDEN
Zusammensetzung des Rezeptes im Vergleich zum optimal geschöpften Teller (oben rechts) Lebensmittelgruppen: = Milchprodukte, Fleisch, Fisch, Eier & Tofu = Getreideprodukte, Kartoffeln & Hülsenfrüchte = Früchte & Gemüse
Belag: 200 g Crème fraîche / Salz, Pfeffer / 300 g gekochte Randen, geschält, in feinen Scheiben / 1 Zwiebel, in feinen Ringen / 1 EL Thymianblättchen / 200 g Frischkäse (FetaArt), zerböckelt / Crème fraîche auf den Teig streichen, würzen. Randen, Zwiebeln und Thymian darauf verteilen. Bleche nacheinander auf der untersten Rille des auf 220 °C Heissluft/Umluft vorgeheizten Ofens (idealerweise mit zusätzlicher Unterhitze) 8–10 Minuten backen. Frischkäse darauf streuen. Nach dem Backen zusätzlich mit schnellen Rettich-Pickles belegen: 1 roten oder weissen Rettich, ca. 300 g, putzen, in feine Scheiben hobeln. 1 dl Weissweinessig, 1 dl Wasser, 1,5 EL Honig, 0,75 TL Salz aufkochen. Über den Rettich giessen. Auskühlen lassen.
Swissmilk / Infografik: Truc, Bern
Für 4 Personen. Zubereitung ca. 50 Min. / Aufgehen ca. 75 Min. Pro Person: 33 g Fett, 13 g Eiweiss, 49 g Kohlenhydrate, 544 kcal Teig: 220 g Mehl (Halbweissmehl, 50 % Halbweiss- + 50 % Dinkelmehl mit Schrot, 50 % Halbweiss- + 50 % Mehrkornmehl) / 0,5 TL Salz / 1 Msp. Zucker / 10 g Hefe, zerbröckelt / ca. 1,25 dl Wasser (bei grösserem Anteil Vollmehl etwas mehr), lauwarm / 3 EL Butter, flüssig / Mehl, Salz und Zucker mischen, eine Mulde formen. Hefe in wenig Wasser auflösen, mit restlichem Wasser und Butter in die Mulde giessen. Alles zu einem geschmeidigen Teig kneten. Zugedeckt unter Klarsichtfolie bei Raumtemperatur auf das Doppelte aufgehen lassen. Teig auf wenig Mehl zu 2 blechgrossen Rondellen auswallen. Auf die mit Backpapier belegten Bleche legen. Mit einer Gabel dicht einstechen.
Rezept und Bild: Swissmilk
ERNÄHRUNGSBILANZ
ÖKOBILANZ
Randen: Die Rande, auch als Rote Beete bekannt, wird dem Knollengemüse zugeteilt. Sie kann problemlos längere Zeit gelagert werden und ist ein typisches Wintergemüse. Im Handel finden wir sie roh, gekocht, bereits verarbeitet zu Salat oder Saft. Was weniger bekannt ist: Auch die Blätter der Rande lassen sich in der Küche verarbeiten – fein geschnitten im Salat oder zubereitet wie Spinat oder Mangold. Dabei muss die Rande längst nicht immer dunkelrot sein: Immer häufiger findet man sie z. B. auch in gelb oder rotweiss gestreift. Die kräftige Farbe der roten Vertreterin wird indes oft als natürlicher Farbstoff genutzt. Crème fraîche: Crème fraîche entsteht durch eine leichte Säuerung von pasteurisiertem Rahm durch Milchsäurebakterien. Sie unterscheidet sich vom sauren Halbrahm lediglich durch einen höheren Fettgehalt von 35 % Fett, denn Crème fraîche wird aus Vollrahm, saurer Halbrahm aus Halbrahm hergestellt. Crème fraîche hat eine stichfeste Konsistenz und flockt bei Zugabe in heisse Speisen wie Saucen nicht aus. Sie eignet sich deshalb gut zum Verfeinern von Suppen oder Saucengerichten. Tellermodell: Dieses vegetarische Rezept enthält zwar alle Komponenten des Tellermodells, die Verteilung ist jedoch nicht ideal: Der Gemüseanteil ist relativ gering, die Eiweisskomponente etwas knapp berechnet. Dadurch erscheint in der Grafik oben rechts der Sektor der Stärkekomponente im Verhältnis deutlich zu gross, obwohl die Menge der Stärkekomponente eigentlich ideal wäre. Um das Verhältnis zu optimieren, könnte dem Gericht etwas mehr Käse beigefügt werden – die Portionsgrösse für den hier verwendeten Frischkäse kann bei ca. 60 g pro Person angesetzt werden. Alternativ bietet sich ein Dessert auf Milchbasis, z. B. eine Joghurtcreme, an. Wird der Flammkuchen ausserdem mit einem Saisonsalat ergänzt, lässt sich problemlos eine grössere Menge an Gemüse erreichen.
Frischkäse und Crème fraîche: Frischkäse und Crème fraîche sind aus ökologischer Sicht die wichtigsten Zutaten und verursachen zusammen etwa 66 % der Gesamtumweltbelastung. Die Umweltbelastung von Milchprodukten entsteht vor allem bei der Produktion von Futtermitteln. Für einen Liter Milch werden etwa 1,6 kg an Futtermitteln benötigt. Diese setzen sich in der Schweiz vor allem aus Gras, Heu und Mais zusammen. Für den Frischkäse sind etwa 8,5 Liter Schafmilch pro Kilogramm notwendig, für die Crème fraîche über 3,3 Liter Kuhmilch. Hinzu kommt noch Butter, so dass insgesamt 2,8 Liter Rohmilch für das Gericht verbucht werden. Weissweinessig: Der Weissweinessig ist mit einem Anteil von 5 % an den Belastungen ein wichtiger Faktor. Negativ bewertet wird hier vor allem der Einsatz von Kupfer als Fungizid für den Weinanbau. In den letzten Jahren gab es schon grosse Bemühungen, diesen Einsatz zu reduzieren, aber auch im Bioanbau kann bisher auf Kupfer nicht verzichtet werden, was langfristig zu einer erhöhten Bodenbelastung führt. Beim Essig gibt es nicht nur beim Preis grosse Unterschiede. Andere Essigsorten wie z. B. aus Äpfeln können geringere Belastungen verursachen, während hochpreisige Produkte eher mehr Belastungen verursachen. Säulendiagramm: Die Zubereitung von Flammkuchen vegetarisch mit Randen für vier Personen ist mit rund 11 200 Umweltbelastungspunkten (UBP) verbunden. Verglichen mit der durchschnittlichen Umweltbelastung einer Hauptmahlzeit (5000 UBP pro Person) weist eine Portion Flammkuchen vegetarisch mit Randen mit etwa 2800 UBP also eine deutlich geringere Belastung auf. Frischkäse und Crème fraîche stellen aus ökologischer Sicht den wichtigsten Faktor dar.
STÉPHANIE BIELER / SGE
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*UMWELTBELASTUNGSPUNKTE Die Säulengrafik zeigt die Umweltbelastung durch das Rezept pro Person. Als Vergleich dazu ein grober Durchschnittswert einer zu Hause zubereiteten Hauptmahlzeit. Die Berechnung der Umweltbelastungspunkte fasst verschiedene Umweltbelastungen bei der Produktion der Lebensmittel zu einer einzigen Kenngrösse zusammen (je höher die Punktzahl, desto grösser die Umweltbelastung). Quelle: ESU–services.
CHRISTOPH MEILI, NIELS JUNGBLUTH / ESU-SERVICES
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_Unter der Lupe_
Kokosöl Paradiesisches Fett mit Schattenseiten?
Kokosöl erlebt momentan einen regelrechten Boom, obwohl es bei uns bis vor einigen Jahren, im Gegensatz zum sogenannten Kokosplattenfett, noch relativ unbekannt war. Mittlerweile als Superfood vermarktet, steigt die Nachfrage nach dem Öl laufend an. Ebenso vermehren sich Heilsversprechungen und Gewinnmargen des Zwischenhandels.
Kokosflocken, Kokoszucker, Kokosnussmehl und Palmwein. Kokosöl wird in der Küche, zum Backen, Kochen und Braten verwendet. Auch in Kosmetikprodukten und als Biokraftstoff findet das Öl Anklang. Woher die «Cocos nucifera» usprünglich stammt, ist unklar. Sicher ist, dass das Palmengewächs lange vor dem Menschen da war und heute im sogenannten Tropengürtel heimisch ist − vornehmlich an der Küs-
NICOLE HUWYLER
te, da Meerwasser, Sand und extreme Hitze der Palme nichts anhaben können. Auch Stürmen trotzt sie,
Bei der Recherche zu diesem Thema schwankte mein
dank ihrer bis 7 Meter langen Wurzeln.
Gemütszustand vorerst abwechslungsweise zwi-
Seit über 3000 Jahren gehören Kokosnüsse zu den
schen «amüsiert» und «verärgert». Amüsiert war ich
wichtigsten Grundnahrungsmitteln in der Südsee
zu Beginn beim Thema «Bulletproof Coffee» – dem
und Südasien. Arabische Händler brachten sie vor
Wundergetränk aus Kaffee, Butter und Kokosöl oder
mehr als 2000 Jahren von Indien in den Mittelmeer-
MCT-Fett (Fett aus mittelkettigen Fettsäuren) für
raum. Das bekannteste Kokosfett, Palmin, ein deut-
Workaholics und Frühstücksmuffel. Sein Konsum
sches Markenprodukt, kam 1894 auf den Markt. Im
verspricht einen klaren Geist und Schlankheit. Erfun-
Vergleich zum Kokosöl, wie wir es heute kennen, han-
den hat das «schusssichere» Koffein-Getränk Dave
delte es sich um ein raffiniertes, gehärtetes und unge-
Asprey, ein Silicon Valley-Unternehmer, der beim
härtetes Kokosfett. Das momentan im Trend liegende
Bergsteigen im Himalaja traditionellen Yak-Butter-
Kokosöl hingegen steht erst seit einigen Jahren im
Tee kostete und dann in «jahrelanger» Forschungs-
Verkaufsregal. Foodtrends wie vegan, Superfood,
arbeit das magische Getränk kreierte und nun damit
Clean-Eating, Keto-Diät und das zu Recht negative
tüchtig Geld macht. Geärgert habe ich mich dann, als
Image von Palmöl oder die Transfettsäuren-Proble-
ich bei der Kokosöl-Internetrecherche Heilsverspre-
matik machten das Kokosöl populär. Heute bieten es
chungen las wie «Schützt vor Kinderdemenz, Alzhei-
Grossverteiler und Reformhäuser meist im Glas als
mer und Krebs und stärkt das Immunsystem», um
konventionelles, häufiger als natives Öl, als Bio- und/
nur einige der Aussagen zu nennen. Ebenso Sorgen
oder Fairtrade-Produkt an. Je nach Produktionsme-
mach ich mir, wenn ich sehe, wie ein Hype und die
thode und Qualität der Nüsse variiert der Kokosge-
daraus resultierende steigende Nachfrage negative
schmack zwischen leicht bis intensiv. Es ist in festem
ökologische und soziale Auswirkungen haben kann.
Zustand weiss (Schmelzpunkt: ca. 25 °C) oder etwas
Drink mit Kokosöl 2 geschälte Orangen mit 1 Scheibe frischer Ananas, 1 dl lauwarmem Wasser, 1 Messerspitze Kurkumapulver, 1 cm grossen Stück Ingwer und 1 EL nativem Kokosöl in den Mixer geben und pürieren. Sofort geniessen.
gelblich, falls es sich um so genanntes «Whole-KerTropischer Alleskönner
nel-Öl» handelt. Bei dieser Produktionsmethode wird
In ihren Hauptanbauregionen wird die Kokospalme
das dünne braune Häutchen mitgepresst, daher die
auch Baum des Lebens genannt. So sind alle Teile des
etwas gelblichere Farbe, der intensivere Geschmack
tropischen Baums verwertbar: Aus der Kokosnuss
und der etwas höhere Anteil an Mineralstoffen, Vita-
gewinnt man Fruchtfleisch (Kopra) und Fruchtwas-
minen und sekundären Pflanzeninhaltsstoffen.
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Isoliermaterial, Palmwedel werden traditionell zu
Gefährliche Ernte und Handarbeit
Besen oder Bedeckungs- und Flechtmaterial verar-
In der Schweiz erhältliche Produkte stammen vor-
beitet. Kokosschalen dienen als Grillkohle oder fürs
wiegend aus Sri Lanka oder den Philippinen. Die
Kunsthandwerk und Kokosnussholz als salzwas-
grössten Produktionsländer sind: Indonesien, Indi-
serresistentes Baumaterial oder Möbelholz. Weite-
en, Philippinen, Tansania, Sri Lanka, Brasilien, Pa-
re Kokosprodukte sind Kokosmilch, Kokosnussmus,
pua Neuguinea und Thailand. Seit den 1960-Jahren
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Foto: shutterstock
ser (Kokoswasser). Fasern werden zu Matratzen und