tabula_4/2004 Essen und Sexualität

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Nr. 4 / Oktober 2004

TABULA ZEITSCHRIFT FÜR ERNÄHRUNG–WWW.TABULA.CH

Essen und Sexualität


INHALT

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REPORT Verwandte Triebe: Warum sich Essen und Sexualität so nah sind

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SPEZIAL Aphrodisiaka – viel Glaube, viel Wirkung

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ESSKULTUR Kulinarische Überraschungen aus Äthiopien

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DIDACTA Eiweisse

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RATGEBER Ernährungstipps von Esther Infanger

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AK TUELL Schlank durch Milch

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FOCUS Tafeltrauben

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BÜCHER Für Sie gelesen

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SCHULE Neue Lehrmittel, Projekte

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INTERNA Informationen für SGE-Mitglieder

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AGENDA Veranstaltungen, Weiterbildung

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VORSCHAU Blick auf die nächste TABULAAusgabe

IMPRESSUM TABULA: Zeitschrift der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE). Erscheint 4 Mal jährlich. Herausgeber: SGE, Effingerstrasse 2, 3001 Bern, Telefon 031 385 00 00 E-Mail: info@tabula.ch Internet: www.tabula.ch Redaktion: Andreas Baumgartner Redaktionskommission: Marianne Botta Diener, Gabriele Emmenegger, Gabriella Germann, Jean-Luc Ingold, Sandra Voland, Prof. Paul Walter Gestaltung: SGE, Andreas Baumgartner Druck: Stämpfli AG, Publikationen, Bern Titelbild: Corbis

EDITORIAL

Bon appétit! Der Tisch ist mit Kerzen und Blumen gedeckt. In allen Farben von Weiss bis Blutrot liegen Rosenblütenblätter auf dem Tisch – es riecht verführerisch gut! Im Kamin züngeln die Flammen empor. Gelüste stellen sich ein! Auf dem Tisch liegen Äpfel, Birnen und Herzkirschen mit lieblichen Knospen – dazwischen Bananen, die eine leise Vorahnung auf die vielleicht noch folgende Nachspeise aufkommen lassen ... und überall die Ines Schweizer-Böhmer ist zartschimmernden Rosenblütenblätter. Diplompsychologin und Champagner prickelt in den Gläsern. promoviert an der Zur Vorspeise gibt es Austern, gefolgt Medizinischen Hochschule von kleinen Häppchen Kaviar. Die Glut Hannover über das Thema im Kamin verbreitet eine wohlige Wär«Sexuelle Fantasien von me! Es folgt zartes, mageres Fleisch mit Frauen». Sie hat eine jungem Gemüse, gedünstet in Jungferneigene Praxis in Luzern. öl. Garniert ist der Teller mit Spargeln und Karotten. Auf Petersilie wurde verzichtet, auf Knoblauch jedoch nicht – schliesslich essen ja beide davon. Die kulinarische Nachspeise natürlich zuckersüss: Schokoladenmousse weiss und schwarz, verziert mit roten, süssen Erdbeeren. Dazu grüner Tee mit Jasminblüten. Die leise Vorahnung wird zum bebenden Verlangen! Der ganze Organismus kommt in Wallung! Das Blut konzentriert sich auf einen Punkt! Körpersäfte werden ausgetauscht .... beide sterben «la petite mort»! Alles scheint überflüssig zu werden, wenn der Hunger nach Essen und Sexualität gestillt ist. Der «kleine Tod» – Synonym für den Orgasmus – kann kommen. Um wie viel fader wäre die Welt doch, wenn Adam von Eva das kulinarische Angebot des Apfels nicht angenommen hätte! Ein Leben ohne Sexualität wäre vielleicht manchmal um einiges leichter, um einiges unproblematischer, um einiges weniger verletzend und ... vielleicht auch um einiges langweiliger. Das Salz in der Suppe würde fehlen! Bon appétit!

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REPORT

EPHRAIM BEN-SHIMON/CORBIS

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Zwischen Vorspiel und Nachspeise Mit dem Essen frönen wir der nackten Selbsterhaltung, mit dem Sex visieren wir den Fortbestand unserer Gene an. Beide Lebenstriebe verführen uns zu himmlischen Genüssen, hier und dort nehmen wir die Erfüllung unserer Wünsche in knisternden Fantasien vorweg. Nahrung und Libido stiften an zu Exzessen, beide beschwören Gebote und Tabus herauf. Die beiden Triebe sind sich so nah, dass manch verhinderter «Sünder» den einen als «Ersatzbefriedigung» für den anderen missbraucht. VON ROLF DEGEN

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ereits in den Wendungen unserer Sprache kommt die innigliche Verwandtschaft zwischen Nahrungsaufnahme und Fortpflanzungstrieb ans Tageslicht. Da heisst es, jemanden «vernaschen», «zum Fressen gerne haben» oder «zum Anbeissen», weil er oder sie «süss», «knackig» oder eine «Zuckerschnitte» ist. Aufgeblasene Machos haben sexuellen «Appetit» auf «Frischfleisch», und eine Überfülle an Sex oder Speisen artet stets in eine «Orgie» aus. Auch im Bild vom «Apfel der Erkenntnis» schwingt die Erotik symbolisch mit, wie die Heidelberger Ernährungswissenschaftlerin Barbara Methfessel bemerkt: «Nicht nur, weil er zur Verführung Adams genutzt wurde, sondern auch, weil sein Name es verrät: Der Begriff ‹erkennen› wird in der Bibel benutzt, um die geschlechtliche Vereinigung zu kennzeichnen.» Schon bei den australischen Ureinwohnern bedeutete «Utna ilkukabaka?» nicht nur «Hast du gegessen?», sondern auch «Hast du schönen Sex gehabt?» Auch moderne Werbeslogans wie «Ich und mein Magnum» oder Milkas «zarteste Versuchung» beziehen aus dieser Analogie ihren Witz.

Triebe aus dem gleichen Stall Das enge Band zwischen Hunger und Liebeshunger spiegelt sich in der Anatomie unseres Denkorgans wider. Der Hypothalamus, die vegetative Kommandostelle des Gehirns, beherbergt winzig kleine Steuerungszentren, deren elektrische Stimulation den Geschlechtstrieb oder den Nahrungstrieb entfacht. Ess- und Eroszentrum sind aber unmittelbar benachbart, und ihre Reizung löst eine unbändige Gier nach Speisung


PENNY TWEEDIE/STONE

Australische Aborigines: gleiches Wort für Essen und Sex.

onslagern, die am Rande des Hungertodes siechten, erinnern sich, wie sie immer wieder in verzehrenden Träumen ihrer Lieblingsspeisen schwelgten; dagegen war der Sex aus ihren Vorstellungen ausgemerzt.» Allerdings wirkt auch ein übervoller Bauch als «Liebestöter», nach übermässiger Prasserei macht uns eine «postprandiale» Schwere platt.

Nahrung vor der Paarung «Die enge Beziehung zwischen Essen und Sex ist nicht schwer zu erklären», heisst es in «Consuming Passions: The Anthropology of Eating» der beiden US-Wissenschaftler George Armelagos und Peter Farb, «wenn man bedenkt, dass Männer und Frauen schon früh in der menschlichen Evolution in erster Linie aus zwei Gründen zusammenkamen, die beide unverzichtbar fürs Überleben waren: nämlich Ernährung und Fortpflanzung.» In Wirklichkeit reicht diese Übereinkunft aber sehr viel weiter in die Naturgeschichte zurück. Bei Fliegen, Käfern und selbst bei unseren haarigen Vettern, den Affen, versuchen die Männchen, die Gunst ihrer Angebeteten mit einem nahrhaften «Hochzeitsgeschenk» zu erringen. Und es gibt Spinnenarten, da vollzieht das Weibchen beim Koitus an seinem Lover den kannibalistischen

Einladung zum Nachtessen: Startschuss für weitere Avancen.

Liebestod. Auch bei Jägern und Sammlern unserer Spezies, die heute noch naturnah leben, zahlt sich das Jagdglück erotisch aus – dort haben erfolgreiche Waidmänner bei den Sammlerinnen einen Stein im Brett. In der modernen westlichen Gesellschaft ist daraus ein festes romantisches Ritual geworden, meint der Psychologe Rappoport. Die Einladung zum «feinen» Abendessen ist der Startschuss zu den Avancen, mit denen ein Mann um die Zuwendung seiner Auserwählten freit. Läuft das Dinner gut, besteht der nächste Schritt der Intimität wahrscheinlich darin, dass sie ihn bei sich zu Hause eines Vorgeschmacks ihrer Kochkünste teilhaftig werden lässt – oder, was allerdings weniger wahrscheinlich ist: Er bekocht die neue Flamme bei sich daheim. «Ganz gleich, wie die Reihenfolge ausfällt, wird die Fortentwicklung in Richtung sexueller Vertrautheit in der Regel durch das Medium des gemeinsamen Nahrungsverzehrs ausgedrückt», so Rappoport. Hochzeiten gleichen selbst oft masslosen Gelagen, bei denen das Paar die Gäste mit den Raffinessen des Gaumens verwöhnt. Im Verlauf einer festen Beziehung werden dann nach und nach Genusskompromisse geschmiedet und abweichende Ge-

MICHAEL MALYSZKO/TAXI

beziehungsweise nach Paarung aus. Die Geschmacksknospen im Bereich des Mundes sind dicht mit hochempfindlichen Empfangsorganen, den «KrauseEndkolben» besät. Die gleichen mikroskopischen Sensoren kommen aber auch in den feinfühligen «erogenen Zonen» vor. Das könnte erklären, warum die sexuelle Begierde und der Geruch eines feinen Mahles dazu führen, dass uns das Wasser im Mund zusammenfliesst. In der frühkindlichen Entwicklung sind die beiden grossen Lebenstriebe noch besonders eng miteinander verflochten. So weiss der Freudianer aus den «Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie», dass wir Essen und Sexualität ein Leben lang durcheinander bringen, weil uns als lutschendes Baby beim Stillen die ersten lustvollen Empfindungen durchfahren. Nach den Vorstellungen der Psychoanalytiker wird dem Säugling an der Mutterbrust sogar ein «alimentärer Orgasmus» zuteil. Aber das ist wahrscheinlich ein Ammenmärchen, das alleine der überhitzten Fantasie der Wiener Psycho-Schule entspringt. Ausser den Nahrungsmitteln – und vielleicht noch Tabakwaren – sind die Körperteile des Liebespartners so ziemlich die einzigen Dinge, die ein Erwachsener mit Genuss in den Mund einführt. Nach Angaben des Psychologieprofessor Leon Rappoport von der amerikanischen Kansas State University ist ein gewisses Mindestmass an Nahrungszufuhr absolut notwendig, damit unser Körper sexuelle Erregung schürt. Nicht nur bei Pubertätsmagersüchtigen geht extreme Unterernährung mit einem Versiegen der Libido einher. «Überlebende von Nazi-Konzentrati-

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SPEZIAL

Viel Glaube, viel Wirkung Die Vorstellung vom Aphrodisiakum, das die Begierde anheizt, die Erregung aufputscht und dem sexuellen Höhepunkt ungeahnte Intensität verleiht, hat seit eh und je die menschliche Fantasie beflügelt. Casanova schwor auf Austern und Wein, Shakespeare auf die Kraft der Kartoffeln und die Römer auf Fenchel – die Liste jener Lebensmittel und Kräuter, denen eine aphrodisierende Wirkung zugeschrieben wird, ist lang. Wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit fehlen jedoch weitgehend. VON ANDREAS BAUMGARTNER, SGE

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lle Völker kannten bestimmte Nahrungsmittel, die garantiert (so dachten sie jedenfalls) die sexuelle Lust und Kraft erhöhen. Wenn man versuchte, eine Liste derjenigen Gerichte aufzustellen, denen irgendwann irgendwo eine einschlägige Wirkung in Sachen Liebe nachgesagt wurde, so käme so gut wie jedes Lebensmittel vor. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass die Kartoffel zu Shakespeares Zeiten (1564–1616) als hochgradiges Aphrodisiakum galt? Die Erklärung ist einfach: Kartoffeln waren damals selten, kaum bekannt und teuer – Eigenschaften, die auch in anderen Fällen aus einem Nahrungs- ein Liebesmittel gemacht haben. Beispiel Trüffel etwa oder Kaviar. Andere Lebensmittel verdanken ihren Ruf als Lustbereiter dem Umstand, dass sie gut schmecken und sich nach dem

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Genuss des entsprechenden Produktes ein angenehmes Gefühl einstellt, was möglicherweise auch die Lust auf weitere Genusserlebnisse sexueller Art steigert. Ein anderes Prinzip, aus einem Lebensmittel ein Liebesmittel zu machen, bestand darin, das entsprechende Tierorgan zu verspeisen in der Hoffnung, es verstärke die Wirkung des menschlichen Pendants. So kamen die Hoden von Känguruhs, die Penisse von Stieren und die Gebärmutter von Schweinen (bei den Griechen) auf die Erotikliste. Auch die Ähnlichkeit mit den einschlägigen Körperteilen genügte schon. Bei Spargel, Karotte, Gurke oder Banane mochte man mit etwas Fantasie an einen Penis denken, etwas mehr Vorstellungskraft brauchte es, um bei einer Feige, einem Vanillestengel (angeblich kommt sogar das Wort «Vanil-

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le» von Vagina) oder einer Auster an das weibliche Geschlechtsteil denken – wobei die Auster offenbar bipolar ist, denn sie wird auch mit dem männlichen Hoden assoziiert.

Artensterben für die männliche Lust Einige der gepriesenen Lustförderer sind echt gefährlich – nicht nur bei Überdosierung. Und deshalb ist das vermeintliche Geheimrezept des Marquis de Sade nicht zur Nachahmung empfohlen. Der Ursadist führte sich «Spanische Fliege» (Blasenkäfer) zu Gemüte, die das Zellgift Cantharidin enthält. Das Problem dabei: Die wirksame Dosis dieses Potenzmittels liegt fast auf dem Niveau der tödlich giftigen. Bereits 10 bis 50 Milligramm Cantharidin sind tödlich, weshalb es auch für Hinrichtungen und Meuchelmorde verwendet wurde.

Die Namensgeberin: Aphrodite, in der griechischen Mythologie die aus dem Schaum des Meeres geborene Göttin der Schönheit und Liebe, wurde im Alten Rom Venus genannt (Bild: Die Geburt der Venus von Sandro Botticelli, ca. 1485). Aphrodite schützte nicht nur die Liebenden, sondern gab sich auch selbst eifrig dem Dienst der Liebe hin.


ESSKULTUR

Berhanu Girma in seinem Restaurant «Marathon» im Zürcher Kreis 3. Drei Tage verbringt der Äthiopier jeweils in Zürich, den Rest der Woche arbeitet Girma in Freiburg, wo er zusammen mit seiner Frau ein weiteres äthiopisches Restaurant betreibt.

Äthiopisches «Fondue» Schlange stehen fürs Essen: äthiopische Frauen in Addis Abeba.

Hunger trotz reichlich Wasser Berhanu Girma stammt aus der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba, in der zwei der insgesamt 66 Millionen Menschen des Landes leben. Ungefähr 13 Millionen Menschen waren 2003 vom Hunger bedroht. Die Not im Land ist überwiegend hausgemacht: Grund und Boden gehören dem Staat, dessen Regierende lieber Rüstungsals Wirtschaftspolitik betreiben. Deshalb werden – trotz Wasserreichtum – nur 5% der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche bewässert.

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Die äthiopische Esskultur bietet nicht nur geschmackliche Überraschungen – auch handwerklich werden Gäste im Zürcher Restaurant «Marathon» gefordert. Geschäftsführer Berhanu Girma bietet unbedarften Besuchern allerdings Hilfe. VON SIBYLLE STILLHART

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as Besteck fehlt. Ein banger Blick auf den Nachbartisch bestätigt: Hier, im äthiopischen Restaurant «Marathon» in Zürich, wird von Hand gegessen. Gerade schiebt sich ein Gast ein Stück Poulet mit den Fingern in den Mund, während seine Begleitung noch etwas unbeholfen die Linsen auf das Fladenbrot schaufelt. Überhaupt tun sich die Besucher schwer, plötzlich auf Messer und Gabel

zu verzichten. Deshalb eilt Berhanu Girma, Geschäftsführer des «Marathon», lächelnd von Tisch zu Tisch und erklärt, wie einfach das Speiseritual eigentlich zu praktizieren ist: Geschickt reisst er jeweils ein Stück Injera – Brotfladen – ab, fasst damit etwas Fleisch oder Gemüse und steckt das Ganze in den Mund. Voilà! Hier eine Frage, dort ein Wunsch: Mehrere Kilometer


FOCUS

MICHAEL MELFORD/IMAGEBANK

Süsse Beeren mit Schattenseiten Nur etwa 10% der weltweiten Traubenernte werden als Tafeltrauben genossen. Über 80% werden zu Wein und Spirituosen verarbeitet. Dabei haben auch Tafeltrauben viel zu bieten. Insbesondere durch die in der Schale vorkommenden Polyphenole und andere sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe gelten sie als gesund. Die Kehrseite der Medaille: In amtlichen Untersuchungen der letzten Jahre fielen die krankheitsanfälligen Früchte immer wieder durch hohe Pestizidbelastungen auf. VON MARIANNE BOTTA DIENER, DIPL. LEBENSMITTELINGENIEURIN ETH

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ie gehören zum Herbst wie die verfärbten Laubbäume: die Trauben. Ob weiss oder rot, Tatsache ist, dass Reben zu den traditionsreichsten Obstlieferanten überhaupt gehören. Die verholzende Pflanze hat rundliche, gelappte Laubblätter und trägt Sprossranken. Die saftigen Beeren entstehen an Blütenständen, die entgegen dem Sprachgebrauch keine Trauben, sondern Rispen sind. Die Rebe wird üblicherweise durch Steck-

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linge vermehrt. Haupterntezeit der Trauben ist August bis Ende Oktober, gewisse Frühsorten reifen aber bereits im Juni. Trauben, welche in den Wintermonaten November bis Februar auf den Markt kommen, stammen in der Regel aus Übersee. Neben der Nutzung des ausgepressten Saftes für die Wein-, Sekt- und Weinbrandherstellung werden die Beeren frisch als Tafeltrauben oder in südlichen Ländern getrocknet als Rosinen genutzt. Allerdings

werden nur rund 10% der gesamten Welttraubenernte als Tafeltrauben vermarktet, 5% gelangen getrocknet und eventuell geschwefelt in den Handel. Die wichtigsten Anbauländer sind Italien, Frankreich, USA, Spanien und die Türkei.

Kulturpflanze mit wilder Vergangenheit Die Rebe (Vititis vinifera L.) gehört den ältesten Kulturpflanzen überhaupt. Bis heute ist sie


Die BeinaheKatastrophe Mit der Kolonialisierung wurde die Europäische Weinrebe ab dem 15. Jahrhundert auf anderen Kontinenten verbreitet. Mit der Zeit entwickelten sich in verschiedenen Gegenden und auf Grund der unterschiedlichen Klimas und Böden unzählige Rebsorten. Nach wie vor bleibt aber der Mittelmeerraum wegen des hohen Anspruchs der Tafeltraubensorten an warmes und gemässigtes Klima das weltweit grösste und kommerziell bedeutendste Anbaugebiet. Allerdings erlitt der Wein- und Traubenbau Mitte des 19. Jahrhunderts eine grosse Einbusse: Die aus Amerika eingeschleppte Reblaus

THE ULTRASTRUCTURE WEBSITE

die am häufigsten angebaute Obstpflanze der Welt. Weltweit beträgt die Weinbaufläche rund 7,7 Mio. Hektaren, ein Viertel davon entfällt auf Europa. Die wilde Ursprungsform der Weinrebe ist eine der wenigen Lianen der mitteleuropäischen Flora. Sie überlebte die Eiszeiten in südeuropäischen und westasiatischen Gegenden. Erste Spuren einer Weinrebenkultur finden sich in der frühen Bronzezeit von Palästina, Syrien, Ägypten und der Ägais. In Ägypten lässt sich der Rebenanbau bis auf 3500 v. Chr. zurückverfolgen. Sowohl in Rom als auch in Ägypten wurde die Traube auf Grund ihres gesundheitlichen Wertes sehr geschätzt. Und auch in der Bibel kommt die Rebe vor: Noah war es, der den ersten Weinberg bepflanzte. Bei den Griechen wurde der Gott Dionysos als Spender und Gründer des Weinbaus verehrt. Die Römer brachten die Weinkultur schliesslich bei ihren Eroberungsfeldzügen nach Mitteleuropa und bis nach England.

drohte die europäischen Weinbaugebiete zu vernichten. Das Problem wurde gelöst, indem Edelreiser europäischer Sorten auf reblausfeste Unterlagen aus Amerika gepfropft wurden. So konnte das Problem der Reblaus behoben werden. Wie keine andere Pflanze wird die Rebe, aber auch die Winzerarbeit und der Rebensaft, von Dichtern besungen und von Malern verehrt, Rebenlehrpfade werden beschildert und Ausflüge zu Weinanbaugebieten ausgeschrieben.

Ein Blick auf die Inhaltsstoffe Trauben liefern unter anderem Folsäure, Betacarotin und die Vitamine C und E. Daneben aber auch Phosphor, Eisen sowie die Vitamine der B-Gruppe, ausser Vitamin B12. Auch das für die Blutgerinnung wichtige Vitamin K ist vorhanden. Von den Mineralstoffen sind fast alle vertreten, zum Beispiel Natrium, Kalium, Magnesium, Calcium und Eisen sowie die Spurenelemente Kupfer, Zink und Mangan. Alles in allem ist der Mineralstoff- und Vitamingehalt der Trauben nicht aufregend, unter allen Obstsorten nehmen sie dennoch auf Grund ihres Kaliumgehalts einen Spitzenplatz ein. Auch verschiedene Säuren wie Apfelsäure, Weinsäure und Zitronensäure kommen vor. In der Beerenhaut stecken die Farbe (z.B. Anthocyane, Lycopen) und viele wichtige Aro-

Kleines Monster: Die Reblaus drohte den europäischen Weinbau zu zerstören. Der Schädling lebt zeitweise unter der Erde und saugt an den Rebwurzeln. Das führt zuerst zu schwachem Wachstum, dann zum Absterben der Reben. Amerikanische Reben sind gegen den Reblausbefall unempfindlich, deshalb werden alle Reben in Europa auf Wurzeln von amerikanischen Reben aufgepfropft.

ma- und Gerbstoffe, also viele als Antioxidantien wirkende sekundäre Pflanzenstoffe. Sie sind es, welche den Traubensaft so gesund für das Herz werden lassen. Verantwortlich dafür sind in erster Linie Polyphenole aus der Gruppe der Flavonoide. Die Flavonoide in der Traubenschale schützen das darunter liegende Gewebe vor Parasiten und Pilzen und vor dem schädlichen Einfluss der Sauerstoffmoleküle aus der Luft. Sie gelten deshalb als natürliche Antioxidantien für die Früchte, verhindern aber auch beim Menschen schädigende Sauerstoffreaktionen, welche für die Entstehung von Krebs, Herzkranzgefässerkrankungen und Alterungsprozesse verantwortlich gemacht werden können.

Zum Beispiel Resveratol Das der Arteriosklerose vorbeugende Resveratol beispielsweise ist in blauen Wein- und Tafeltrauben und ihren Produkten wie zum Beispiel rotem Traubensaft besonders reichlich vorhanden. Es wird ausschliesslich in den Aussenschichten von zwei Pflanzen gebildet: der Weinrebe und der Erdnuss. Für die Pflanze selbst gilt das Resveratol als eigentliche Wunderwaffe gegen Pilzbefall. Je kühler und feuchter die Anbaugegend der Trauben, umso mehr Resveratol wird von den Traubenhäuten gebildet. Es spielt im menschlichen Körper eine wichtige Rolle für einen optimalen Blutcholesterinspiegel und als Schutz vor Herzkrankheiten. Dank seiner Eigenschaft, die Verklumpungsneigung der Blutplättchen zu reduzieren, kann die Neigung zu Thrombosen gesenkt werden. Leider sind Antioxidantien in den Trauben und im Traubensaft recht instabil. Auch können sie kaum vollständig vom Darm aufgenommen werden.

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