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MEDIZIN

Babys im Mutterleib von Umweltgiften belastet

Umweltöstrogen passiert die Plazenta

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Frühkindliches Leben im Mutterleib gilt als besonders empfindlich gegenüber Umweltschadstoffen. Ein Team um Benedikt Warth von der Fakultät für Chemie der Universität Wien und Tina Bürki vom Schweizer Materialforschungsinstitut Empa konnte nun erstmals nachweisen, wie sich das verbreitete Lebensmittelöstrogen Zearalenon im Mutterleib verbreitet. Mittels einer neuen analytischen Methode zeigte sich, dass das Fremdöstrogen die Plazenta durchwandern kann und zu bedenklichen Stoffwechselprodukten umgewandelt wird.

Lena Yadlapalli¹, Andrea Six²

Fremdöstrogene werden über die Umwelt, insbesondere über die Nahrung, aufgenommen. Sie können als östrogenartige Substanzen den körpereigenen Hormonhaushalt tiefgreifend beeinflussen. Das weit verbreitete Lebensmittelöstrogen Zearalenon wird von Schimmelpilzen der Gattung Fusarium gebildet und gelangt vor allem über den Speiseplan mit Brot, Müsli und anderen Zerealien in unseren Körper. «Die Plazentaschranke bietet dem ungeborenen Kind einen gewissen Schutz gegenüber Bakterien, Viren und manchen Fremdstoffen wie zum Beispiel bestimmten Medikamenten oder vom Körper aufge nommene Umweltgifte. Doch Zearalenon wandert, wie wir nun erstmals zeigen konnten, durch die Plazenta hindurch», sagt Erstautor Benedikt Warth vom Institut für Lebensmittelchemie und Toxikologie der Universität Wien.

Nur menschliche Plazenten liefern Resultate Der Weg von Zearalenon durch den Mutterleib zeigte sich bei Versuchen mit voll funktionierenden Plazenten, die nach geplanten Kaiserschnitten zur Verfügung standen: «Die Verwendung von menschlichen Plazenten ist sehr wichtig, um aussagekräftige Resultate zum Transport und Stoffwechsel von Zearalenon zu erhalten», sagt Tina Bürki von der Empa St. Gallen. «Der Grund sind die Eigenschaften der Plazenta beim Menschen, weil Struktur, Funk

Schon vor der Geburt belastet: Neugeborene werden nicht erst mit der Muttermilch mit Umweltgiften in Kontakt kommen, Umweltöstrogene belasten das Kind bereits im Mutterleib.

tion und metabolische Kapazität einzigartig und spezifisch sind.» Die Forscherinnen und Forscher haben die Konzentrationen von Zearalenon im Gewebe der Plazenta selbst wie auch in einer Nährlösung vor Eintritt und nach Austritt aus der Plazenta – und daher im Einflussbereich des Fötus – gemessen. Gleichzeitig konnten sie die verschiedenen Stoffwechselprodukte untersuchen, die durch Enzyme in der Plazenta gebildet werden. «Sobald wir Umweltstoffe aufnehmen, werden diese im Körper über unseren Stoffwechsel in der Regel entgiftet und ausgeschieden. Es gibt aber auch Enzyme, die diese Substanzen noch stärker aktivieren», sagt Bürki. So auch in diesem Fall: Die Plazenta bildet aus Zearalenon ein neues Stoffwechselprodukt mit einer um etwa Faktor 70 höheren Östrogenaktivität. Selbst geringe Konzentrationen könnten damit schon einen grösseren Effekt auf das Kind im Mutterleib haben als bisher angenommen. «Diese Erkenntnis sollte in künftigen Risikobewertungen berücksichtigt werden – auch wenn die Grenzwerte schon jetzt in Kindernahrung und Muttermilchersatzprodukten strenger geregelt sind als für normale Produkte und die EU die weltweit niedrigsten Grenzwerte eingeführt hat», so Benedikt Warth. Das körpereigene Gleichgewicht der Hor mone ist sehr sensibel. Man geht davon aus, dass sich eine frühe Exposition mit

Das Lebensmittelöstrogen Zearalenon wandert durch die Plazenta, wie Forscher erstmals zeigen konnten.

Fremdöstrogenen viele Jahrzehnte später auf verschiedene Erkrankungen wie Brustoder Gebärmutterhalskrebs, aber auch auf andere Symptome wie eine verfrühte Pubertät oder Unfruchtbarkeit auswirken könnte. «Bis weitere Forschungsergebnisse vorliegen, kann man lediglich zu einer abwechslungsreichen Ernährung raten, um die Belastung mit den Giftstoffen zu reduzieren», so die Studienautorinnen und der Studienautor. Erst vor kurzem hatte das Team um Bene dikt Warth, Doris Marko und Karin Preindl von der Universität Wien in einer Studie in «Analytical Chemistry» die entscheidende Grundlage für die aktuelle Arbeit geliefert: Sie stellten ein analytisches Verfahren vor, mit dem über 50 verschiedene Fremdöstrogene simultan in 20 Minuten in verschiedenen biologischen Proben, etwa Urin, Blutserum und Muttermilch, gemessen werden können. Bisher konnte man diese Umweltkontaminanten nur einzeln messen. «Unsere Methode umfasst praktisch alle wichtigen Fremdstoffe, die auf das östrogene System wirken. Das beinhaltet auch zahlreiche andere Substanzen, über die aktuell viel diskutiert wird, z. B. Bisphenol A, Pestizide oder Chemikalien, die in Kunststoffen eingesetzt werden», so Warth. Mit der neuen analytischen Methode erhoffen sich die ForscherInnen, künftig die Exposition und kombinatorischen Wirkungen von Umweltschadstoffen im menschlichen Körper besser untersuchen zu können.

Originalpublikation B. Warth et al., «Transfer and Metabolism of the Xenoestrogen Zearalenone in Human Perfused Placenta», Environmental Health Perspectives (2019); DOI: 10.1289/ EHP4860

Kontakt Dr. Tina Bürki Laboratory for Particles-Biology Interactions Empa Lerchenfeldstrasse 5 CH-9014 St.Gallen +41 58 765 76 96 tina.buerki@empa.ch www.empa.ch

Assoz. Prof. Dr. Benedikt Warth Institut für Lebensmittelchemie und Toxikologie Universität Wien Währinger Strasse 42 A-1090 Wien +43 664 60277 70806 benedikt.warth@univie.ac.at www.univie.ac.at

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Ursache für Hyperaldosteronismus

Genetischer Krankheitsauslöser bestätigt

Hyperaldosteronismus ist eine Erkrankung der Nebennieren, die aufgrund einer Überproduktion des Hormons Aldosteron zu Bluthochdruck und oft auch zu Nierenschäden führt. Dass mehrere betroffene Patienten eine genetische Mutation im ClC-2-Chloridkanal in sich tragen, wurde erst kürzlich aufgedeckt. Dass diese Mutationen tatsächlich auch Krankheitsauslöser sind und wie die veränderten Kanäle die Krankheit verursachen, das konnten jetzt Forscher erstmals anhand eines neuen In-vivo-Modells zeigen.

Mit der Arbeit haben die Forscher von dem Berliner Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) und dem Max-Delbrück-Centrum (MDC) nicht nur einen wichtigen Krankheitsmechanismus Schritt für Schritt entschlüsselt, sondern auch Grundlagen für die weitere Erforschung des komplexen Krankheitsbildes gelegt. Die Ergebnisse sind im Fachjournal «Nature Communications» erschienen. Unser Blutdruck wird unter anderem von Hormonen reguliert. Eine nicht zu unter schätzende Rolle spielt dabei das Steroidhormon Aldosteron. Es wird in den Nebennieren gebildet und ist an der Regulation des Wasser- und Salzhaushalts des Körpers beteiligt. Beim Hyperaldosteronismus produzieren die Nebennieren zu viel Aldosteron, wodurch Natrium im Körper zurückgehalten und vermehrt Kalium ausgeschieden wird. Die Folge ist ein krankhaft erhöhter Blutdruck, weshalb man auch von sekundärem Bluthochdruck spricht. Auch die Nieren nehmen oft Schaden. Bis vor kurzem wusste man wenig über die pathologischen Mechanismen der auch als Conn-Syndrom bezeichneten Erkrankung. Im Jahr 2018 konnten die Pariser Wissenschaftler um Dr. Maria-Christina Zennaro in Zusammenarbeit mit den Berliner Kollegen vom FMP und MDC sowie eine weitere Gruppe aus Deutschland und den USA um Professorin Ute Scholl vom Berlin Institute of Health

Kalzium-Messungen von Aldosteron-produzierenden Zellen der Nebenniere. Sind die Zellen blau, ist die Kalzium-Konzentration in diesen Zellen niedrig. Grüne und rote Zellen haben eine erhöhte Kalzium-Konzentration, was die Produktion von Aldosteron zur Folge hat.

(BIH) und der Charité – Universitätsmedizin Berlin erstmals nachweisen, dass bei betroffenen Patienten eine Mutation im Gen für den ClC-2-Chloridkanal vorliegt. Sechs verschiedene Mutationen wurden bislang beschrieben (publiziert in «Nature Genetics» 2018). Unklar war allerdings der kausale Zusammenhang zwischen Genmutation und Überproduktion von Aldosteron. Diese Lücke haben nun die Forscher von FMP und MDC geschlossen.

Kausalität zwischen Mutation und Krankheit Das Team um Prof. Thomas Jentsch, der die erste Chloridkanalfamile, zu der auch ClC-2 gehört, vor fast 30 Jahren als Erster

Gasgeneratoren von

Chloridkanäle in Nieren Die Chloridkanäle befinden sich in Membranen von Zellen und Zellorga nellen und übernehmen als Durchgang für Anionen unterschiedliche Funktionen. In der Niere erfüllen spannungsabhängige Chloridkanäle der Familie ClC diese Aufgabe.

entdeckt hatte, untersuchte die beschriebenen Mutationen zunächst in vitro. Dabei fanden die Forscher, dass alle bisher bekannten, vermeintlich Hyperladosteronismus verursachenden ClC-2-Mutationen den Chloridstrom des Kanals drastisch erhöhen. Um den Beweis zu erbringen, dass die Erhöhung des Chloridstroms von ClC-2 zu Hyperaldosteronismus führt, haben die Forscher anschliessend ein Mausmodell entwickelt, das ClC-2 über eine andere, «künstliche» Mutation aktiviert. Die genetisch veränderten Mäuse wiesen enorm erhöhte Chloridströme in den Aldoste ron-absondernden Zellen auf, was unter anderem zu einem starken, pathologi schen Anstieg der Aldosteron-Konzentration im Blut der Nager führte. Daraus resultierte – genau wie bei Patienten – ein krankhaft erhöhter Blutdruck und sekundär eine verringerte Renin-Aktivität, ein Hormon, das normalerweise die Aldosteronproduktion erhöht. Somit konnten die Forscher den Nachweis erbringen, dass die

Mutation ursächlich an der Krankheitsentstehung beteiligt ist.

Chloridkanal stetig geöffnet «Wir haben gesehen, dass der Kanal durch die Mutationen ständig geöffnet ist, wodurch die elektrische Spannung über die Zellmembran der Hormon-produzierenden Zelle stark verändert wird. Dadurch kommt es zu einem Einstrom von Kalzium, was wiederum zu einer Überproduktion von Aldosteron führt», erläutert Dr. Corinna Göppner, die zusammen mit Dr. Ian Orozco Erstautorin der Studie ist und gerade über ClC-2 promoviert hat. «Was sich aufgrund des mutierten Chloridkanals genau im Organismus abspielt, das haben wir an unserem Modell erstmals Schritt für Schritt in allen Details zeigen können, so die Biologin weiter. «Insofern hat unsere Arbeit hervorragend die humangenetischen Befunde ergänzt und erweitert.» Das in Berlin-Buch entwickelte Maus-Mo dell ist das erste In-vivo-Modell, das die Krankheit mit all seinen Symptomenkomplett abbildet, und gilt als das bisher beste seiner Art. Es ist also perfekt dafür geeignet, die pathologischen Mechanismen des Hyperaldosteronismus weiter zu erforschen und auch sekundäre Effekte wie Langzeitschäden zu identifizieren. Leichte Nierenschäden haben die Forscher bereits sehen können, aber sie erhoffen sich noch mehr davon: «Wir gehen im Moment davon aus, dass ein ständig geöffneter Chloridkanal auch Einfluss auf andere Organe haben könnte», sagt Gruppenchef Prof. Thomas Jentsch. Hierüber wisse die Medizin derzeit leider noch wenig, dabei sei das Thema Langzeitfolgen für Patienten hoch relevant. «Unser Mausmodell kann definitiv bei der Aufklärung helfen, was wieder mal die Relevanz der Grundlagenforschung für die Klinik zeigt.»

Originalpublikation Corinna Göppner, Ian J. Orozco, Maja B. Hoegg-Beiler, Audrey H. Soria, Christian A. Hübner, Fabio L. Fernandes-Rosa, Sheerazed Boulkroun, Maria-Christina Zennaro, Thomas J. Jentsch, «Pathogenesis of hypertension in a mouse model for human CLCN2 related hyperaldosteronism», Nature Communications (2019); DOI: 10.1038/s41467-019-12113-9

Kontakt Prof. Thomas J. Jentsch Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie im Forschungsverbund Berlin e.V. (FMP) Campus Berlin-Buch Robert-Roessle-Strasse 10 D-13125 Berlin +49 30 9406 2961 jentsch@fmp-berlin.de www.leibniz-fmp.de

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