ChemieXtra 1-2/2020

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MEDIZIN

Babys im Mutterleib von Umweltgiften belastet

Umweltöstrogen passiert die Plazenta Frühkindliches Leben im Mutterleib gilt als besonders empfindlich gegenüber Umweltschadstoffen. Ein Team um Benedikt Warth von der Fakultät für Chemie der Universität Wien und Tina Bürki vom Schweizer Materialforschungsinstitut Empa konnte nun erstmals nachweisen, wie sich das verbreitete Lebensmittelöstrogen Zearalenon im Mutterleib verbreitet. Mittels einer neuen analytischen Methode zeigte sich, dass das Fremdöstrogen die Plazenta durchwandern kann und zu bedenklichen Stoffwechselprodukten umgewandelt wird.

Fremdöstrogene werden über die Umwelt, insbesondere über die Nahrung, aufge­ nommen. Sie können als östrogenartige Substanzen den körpereigenen Hormon­ haushalt tiefgreifend beeinflussen. Das weit verbreitete Lebensmittelöstrogen Ze­ aralenon wird von Schimmelpilzen der Gattung Fusarium gebildet und gelangt vor allem über den Speiseplan mit Brot, Müsli und anderen Zerealien in unseren Körper. «Die Plazentaschranke bietet dem ungebo­ renen Kind einen gewissen Schutz gegen­ über Bakterien, Viren und manchen Fremd­ stoffen wie zum Beispiel bestimmten Medikamenten oder vom Körper aufge­ nommene Umweltgifte. Doch Zearalenon wandert, wie wir nun erstmals zeigen konnten, durch die Plazenta hindurch», sagt Erstautor Benedikt Warth vom Institut für Lebensmittelchemie und Toxikologie der Universität Wien.

Nur menschliche Plazenten liefern Resultate Der Weg von Zearalenon durch den Mut­ terleib zeigte sich bei Versuchen mit voll funktionierenden Plazenten, die nach ge­ planten Kaiserschnitten zur Verfügung standen: «Die Verwendung von menschli­ chen Plazenten ist sehr wichtig, um aussa­ gekräftige Resultate zum Transport und Stoffwechsel von Zearalenon zu erhalten», sagt Tina Bürki von der Empa St. Gallen. «Der Grund sind die Eigenschaften der Pla­ zenta beim Menschen, weil Struktur, Funk­

¹ Universität Wien ² Empa, Dübendorf

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Bild: golubov y

Lena Yadlapalli ¹, Andrea Six ²

Schon vor der Geburt belastet: Neugeborene werden nicht erst mit der Muttermilch mit Umweltgiften in Kontakt kommen, Umweltöstrogene belasten das Kind bereits im Mutterleib.

tion und metabolische Kapazität einzigar­ tig und spezifisch sind.» Die Forscherinnen und Forscher haben die Konzentrationen von Zearalenon im Gewebe der Plazenta selbst wie auch in einer Nährlösung vor Eintritt und nach Austritt aus der Plazenta – und daher im Einflussbereich des Fötus – gemessen. Gleichzeitig konnten sie die verschiede­ nen Stoffwechselprodukte untersuchen, die durch Enzyme in der Plazenta gebildet werden. «Sobald wir Umweltstoffe aufnehmen, werden diese im Körper über unseren Stoffwechsel in der Regel entgiftet und ausgeschieden. Es gibt aber auch Enzy­ me, die diese Substanzen noch stärker aktivieren», sagt Bürki. So auch in diesem

Fall: Die Plazenta bildet aus Zearalenon ein neues Stoffwechselprodukt mit einer um etwa Faktor 70 höheren Östrogen­ aktivität. Selbst geringe Konzentrationen könnten damit schon einen grösseren Effekt auf das Kind im Mutterleib haben als bisher angenommen. «Diese Erkennt­ nis sollte in künftigen Risikobewertungen berücksichtigt werden – auch wenn die Grenzwerte schon jetzt in Kindernahrung und Muttermilchersatzprodukten strenger geregelt sind als für normale Produkte und die EU die weltweit niedrigsten Grenz­werte eingeführt hat», so Benedikt Warth. Das körpereigene Gleichgewicht der Hor­ mone ist sehr sensibel. Man geht davon aus, dass sich eine frühe Exposition mit 1–2/2020


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