Programm-Magazin Nr. 3 Saison 14/15
Hoch auf dem Berg Mittwoch, 3. Dezember 2014
Eine angenehme Vorstellung Die Seniorenresidenz Südpark bietet Ihnen komfortables Wohnen mit gepflegter Gastronomie und umfassenden Dienstleistungen. Die 1- bis 3-Zimmer-Wohnungen von Herzog & de Meuron lassen sich individuell einrichten. Bei Bedarf sind Betreuung und Pflege rund um die Uhr möglich. So geniessen Sie sowohl Unabhängigkeit als auch Sicherheit. Und besonders angenehm für Konzertbegeisterte: Mit dem Tram sind Sie in 5 Minuten am Theaterplatz. Besuchen Sie uns und machen Sie sich Ihr eigenes Bild. Anmeldung: Telefon 061 366 55 55
Meret Oppenheim-Strasse 62, 4053 Basel, Telefon 061 366 55 55 www.residenz-suedpark.ch
1
Sinfoniekonzert ‹Hoch auf dem Berg›
3 Programm 4 Interview mit Miklós Perényi 8 Alexander Liebreich 10 Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 1 14 Witold Lutosławski: Konzert für Violoncello und Orchester 16 Randbemerkungen zu Lutosławskis Cellokonzert 18 Beat Furrer: strane costellazioni für grosses Orchester Intermezzo
20 Vorlaut – Eine Serie von Alain Claude Sulzer 22 Casino-Geschichte(n), Teil 3 24 Raphael Blechschmidt und Franziskus Theurillat im Gespräch Vorschau
27 Weihnachtskonzert
A
uf einer Postkarte aus Thun notierte Johannes Brahms für Clara Schumann eine Alphornmelodie mit dem Text: «Hoch auf’m Berg, tief im Thal, grüss ich dich viel tausendmal!» Nahezu unverändert taucht dieser musikalische Kartengruss als Hauptthema im Finalsatz seiner 1. Sinfonie auf. Sie steht auf dem Programm unseres 3. Abonnementkonzerts und entstand 1876, im gleichen Jahr, als im Stadtcasino Basel der neue Musiksaal eröffnet wurde. Im Cellokonzert des polnischen Komponisten Witold Lutosławski bewegt sich der Solist auf einer gefährlichen Fallhöhe. 1970, mitten im Kalten Krieg komponiert und uraufgeführt, verstand man dieses Werk als Darstellung eines Zweikampfs zwischen Individuum und Gesellschaft. Der Komponist und Freund Paul Sachers sah in seinem Werk allerdings keinerlei politisches Bekenntnis. Wir freuen uns auf den ungarischen Cellisten Miklós Perényi. Zwar nicht hoch auf dem Berg, aber auf dem Gelände eines ehemaligen Bergwerks in Katowice wurde vor wenigen Tagen der vielleicht schönste neue Musiksaal Europas eröffnet. Er ist die Spielstätte des renommiertesten polnischen Orchesters NOSPR (Nationales Symphonieorchester des Polnischen Rundfunks), das sich auch eng mit Lutosławski und seinem Werk verbunden fühlt. Chefdirigent dieses Orchesters ist seit 2012 Alexander Liebreich. Er wird im Dezember zum ersten Mal am Pult unseres Orchesters stehen. Mehr darüber erfahren Sie auf den nachfolgenden Seiten.
Viel Vergnügen bei der Lektüre und im Konzert
27 Familienkonzert: Jingle all the way 28 Agenda
Dr. Hans-Georg Hofmann Künstlerische Planung, Dramaturgie und Vermittlung
Bild : Benno Hunziker
Vorverkauf und Preise Bider & Tanner, Ihr Kulturhaus mit Musik Wyler, Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel, + 41 ( 0 )61 206 99 96, ticket@biderundtanner.ch
oder auf www.sinfonieorchesterbasel.ch
Preise Sinfoniekonzerte SOB : CHF 90/75/60/45/30 Ermässigungen : Studierende, Schüler und Lehrlinge : 50 %, AHV/IV: CHF 5, mit der Kundenkarte Bider & Tanner : CHF 5
3
Sinfoniekonzert SOB
Hoch auf dem Berg Mittwoch, 3. Dezember 2014 19.30 Uhr, Musiksaal des Stadtcasinos Basel 18.45 Uhr: Einführung durch Dr. Hans-Georg Hofmann
Beat Furrer (*1954)
strane costellazioni (2013, Schweizer Erstaufführung)
Witold Lutosławski (1913–1994)
Konzert für Violoncello und Orchester (1969/70)
Pause
Johannes Brahms (1833–1897)
Sinfonie Nr. 1 c-Moll, op. 68 (1876) 1. Un poco sostenuto – Allegro 2. Andante sostenuto 3. Un poco allegretto e grazioso 4. Adagio – Più andante – Allegro non troppo, ma con brio
Konzertende ca. 21.45 Uhr
Sinfonieorchester Basel Miklós Perényi, Violoncello Alexander Liebreich, Leitung
4
Interview mit Miklós Perényi
«Lutosławskis Musik hat immer eine Logik und ist sehr verständlich» Der Cellist Miklós Perényi über seinen Lehrer Pablo Casals, Lutosławskis Cellokonzert und den Fall der Mauer aufgezeichnet von Hans-Georg Hofmann
E
s muss im Herbst 1974 gewesen sein. Zum ersten Mal erlebte ich ein Orchesterkonzert. Die Ruinen des früheren Leipziger Gewandhauses wurden gerade abgerissen. Der Grundstein für das neue Gewandhaus war noch nicht gelegt. Die Konzerte mit dem Leipziger Gewandhausorchester fanden in einem provisorischen Saal direkt am Eingang zum Leipziger Zoo statt. Vielleicht ist meine Erinnerung an das Gebrüll des Leipziger Löwen (der es bis in das Stadtwappen geschafft hat) während des Konzerts eine Verklärung. Aber ohne Zweifel hat mich der ungarische Cellist Miklós Perényi, er spielte das Cellokonzert in D-Dur von Joseph Haydn, damals stark beeindruckt. Ein Jahr später hatte ich auf einem ½-Cello meine erste Unterrichtsstunde. Heute, vierzig Jahre später, gehört Miklós Perényi immer noch zu den international ganz grossen Cellisten. Nach Basel kommt er mit jenem Werk, das er auch auf seiner letztjährigen Tour mit den Berliner Philhar monikern und Simon Rattle im Gepäck hatte: dem Cellokonzert von Witold Lutosławski. Das Autograph dieses Werks befindet sich heute in der Paul Sacher Stiftung. Doch am Beginn unseres Gesprächs steht die Frage, wie er als Kind zum Cello gekommen ist. Miklos Perényi: Das Cello war das Lieblings instrument meines Vaters. Zu seinen Bekannten zählte Miklós Zsámboki, ein Schüler des berühmten Cellisten David Popper. Noch vor meiner Geburt hatte ihm mein Vater versprochen, dass er
mich unterrichten dürfe. Er wurde mein erster Lehrer. Mit fünf Jahren hatte ich meinen ersten Unterricht, Zsámboki kam zu uns nach Hause. Ich begann auf einem ¼-Cello und hatte später ein schönes ½-Cello. Mit sieben Jahren wurde ich in eine Förderklasse für junge hochbegabte Schüler in Budapest aufgenommen. Mit neun gab ich mein erstes öffentliches Konzert in Budapest. Ich war ein Kind und gleichzeitig Musikstudent – das war eine grosse Herausforderung. Hans-Georg Hofmann: Sie haben noch als Schüler Pablo Casals kennengelernt. Wie kam es dazu? Als ich fünfzehnjährig war, gewann ich den zweiten Preis am Internationalen Casals-Wettbewerb in Budapest. Casals selber kam dann 1964 nach Budapest, wo er sein berühmtes Oratorium El Pessebre einstudiert und aufgeführt hat. Pablo Casals war gut mit dem Komponisten Zoltán Kodály befreundet. Auf seine Vermittlung hin durfte ich mich bei Casals vorstellen. Konnten Sie auch Unterrichtsstunden bei Casals nehmen? Ja. Das erste Mal trafen wir uns 1965 in Zermatt. Ein Jahr später lud mich Pablo Casals zu sich nach Puerto Rico ein. Es folgte eine Einladung zu seinem Marlboro-Festival, wo er auch das Festivalorchester leitete. Für mich war das ein Geschenk. Ich konnte bei diesem Festival mit bedeutenden Ensembles und Musikern zusammen musizieren.
Miklós Perényi
Bild : Szilvia Csibi
6
Wie war er als Lehrer? War er autoritär? Nein, Casals war kein autoritärer Lehrer. Er war zu diesem Zeitpunkt fast neunzig Jahre alt. Aber er war noch voller Vitalität und hatte ganz präzise Vorstellungen, wie man Musik technisch und interpretatorisch zu spielen hat. Um seine Ideen zu vermitteln, nahm er immer sein Instrument in die Hand. Manchmal hat er mir ganze Sätze vorgespielt, um seine Ansichten zu erklären. Es waren tiefgreifende Erfahrungen, die ich mit Pablo Casals erleben durfte. Die gemeinsamen Stunden waren sehr prägend für mich. In Erinnerung bleibt auf jeden Fall sein kraftvolles, intensives Spiel auf dem Cello. Nun unterrichten Sie selber seit vierzig Jahren junge Cellostudenten an der Budapester Musikakademie. Wie wichtig ist das Unterrichten für Sie? Nach dem Erlebnis mit Pablo Casals begann ich immer selbstständiger zu werden und habe mir meine eigenen Methoden erarbeitet. Mir ist es ein wichtiges Anliegen, dieses Wissen an die nächste Generation weiterzugeben. Es ist interessant, dass die Studenten früher einen individuelleren Zugang zum Cellospiel hatten. Die Unterschiede waren viel grösser. Heute spielt sich alles auf einem sehr hohen technischen Niveau ab. Dadurch ist vieles auch einheitlicher geworden, und es ist für den Einzelnen auch viel schwieriger daraus einen Personalstil zu entwickeln. Das Cellokonzert von Lutosławski entstand auf Wunsch des grossen russischen Cellisten Mstislaw Rostropowitsch. Die Uraufführung fand 1970 in London statt. Wann haben Sie das Konzert zum ersten Mal gespielt? Das war 1973, mit dem Rundfunkorchester Budapest. Am 1. Oktober 1978, zum Tag der Musik, kam Lutosławski nach Budapest und hat das Werk mit mir als Solisten dirigiert. Er hat mich sehr beeindruckt durch seine innere Ruhe und Genauigkeit. Lutosławski war auch ein prachtvoller Dirigent. Letztes Jahr habe ich das Konzert zum 100. Geburtstag des Komponisten unter der Leitung von Sir Simon Rattle mit den Berliner Philharmonikern gespielt und mit dem Orchester des Polnischen Rundfunks unter Alexander Liebreich.
Galina Wischnewska, Rostropowitschs Frau, nannte die Cello-Solostimme den «Don Quixote des 20. Jahrhunderts», weil dabei das Cello zu einer tragisch-heroischen Figur wird. Wie sehen Sie das? Für mich ist dieses Konzert kein Kampf, sondern ein Dialog mit verschiedenen Teilen des Orchesters. Das vierteilige Werk beginnt mit einem langen Monolog des Soloinstruments. Fast fünf Minuten wird mit ganz unterschiedlichem Ausdruck nach innen gesprochen. Es gibt abstrakte, plaudernde Momente bis hin zu konzentrierten, konkreten Passagen. Langsam und immer deutlicher kommen Kommentare von verschiedenen Instrumenten hinzu. Es entsteht ein vielfältiges und differenziertes Gespräch. Dieser Teil ist formal ein Variationssatz mit ad-libitum-Stellen. Es geht aber vor allem auch um Klangfarben. Nur die Blech bläser sind nicht in diesen Dialog eingebunden und beenden mit brutaler Kraft diesen Teil. Im dritten Teil, der wie eine Arie aufgebaut ist, spielt das Cello zunächst eine Kantilene. Die verschiedenen Orchestergruppen begleiten und übernehmen diesen Gesang. Der Höhepunkt ist erreicht, wenn das Orchester komplett mit mir einsetzt. Der Schlussteil ist dann ein stürmisches Finale. Lutosławskis Musik hat immer eine Logik und ist sehr verständlich. Sie selber komponieren ja auch? Ich habe einige Stücke für Cello solo und für grös sere Kammerensembles komponiert. Wenn ich Zeit habe, komponiere ich sehr gerne. Das Bedürfnis zu komponieren kommt von innen. Vor 25 Jahren, im Herbst 1989, fiel die Mauer. Wie haben Sie damals Budapest erlebt? Ich habe schon einige Zeit vorher gespürt, dass etwas passieren wird. Im Unterschied zur DDR hatten wir in Ungarn schon früher die Möglichkeit zu reisen. Aber nicht jeder hatte das Geld dazu. Obwohl ich nicht zuletzt durch meinen Beruf in verschiedenen Ländern viel Schönes erleben durfte, hat das Zuhause für mich doch eine immer wichtigere Bedeutung. ●
Der neue Audi TT. Der neue Audi TT ist der wohl progressivste Sportwagen unserer Zeit. Markant in der Formsprache und vollgepackt mit Technologien, welche sich erst bei einer Probefahrt offenbaren. Der dynamische Antrieb und das innovative Bedien- und Anzeigekonzept Audi virtual cockpit beispielsweise lassen sich nur schwer beschreiben. Man muss sie live erleben.
Ab sofort bestellbar
Verkaufsstelle:
ASAG Gellert
ASAG Rheinfelden
St. Alban-Anlage 72, 4052 Basel info.gellert@asag.ch, www.asag.ch
Zürcherstrasse 34, 4310 Rheinfelden info.rheinfelden@asag.ch, www.asag.ch
8
Alexander Liebreich
Musikalischer Weltbürger und analytischer Geist von Christian Fluri
K
ein Pathos, kein weihevoller Klang, sondern zugespitzte Dramatik, ein aufwühlendes, in den Farben geschichtetes Klang gemälde. Mit dem Nationalen Symphonieorchester des Polnischen Rundfunks führt Chefdirigent Alexander Liebreich den ersten Akt von Richard Wagners Walküre konzertant auf. Er dirigiert mit einer höchst präzisen Gestik, hoch konzentriert und in steter Blicksprache mit den Musikerinnen und Musi kern. Das Drama entwickelt sich in seiner enormen Spannung aus der Musik, da macht kein sich selbst stilisierender Dirigent auf Dramatik. In seiner unspektakulären, aber sehr genauen Art des Dirigierens zeigen sich wohl auch die Vorbilder und Orientierungspunkte des 46-jährigen deutschen Dirigenten. Der Regensburger hatte an der Münchner Hochschule und am Mozarteum in Salzburg Dirigieren und Gesang studiert. Von Michael Gielen, der ihn in Salzburg unterrichtete, habe er das analytische Denken gelernt, die Entwicklung der Dramatik, aber auch die Dialektik in der Musik, die den Blick auf die dunklen Seiten öffnet. «Man sucht sich als Student einen Partner im Geist», erklärt Liebreich in einem Videointerview. In Gielen fand er ihn. Und von Nikolaus Harnoncourt habe er die Bedeutung des Dialogischen gelernt – zu verstehen, was Musik erzählt, ihr Wesen zu eruieren. Neben diesen beiden bedeutenden Lehrern ist Liebreichs grosses Vorbild Claudio Abbado, der auch die spätromantischen Orchesterwerke von Gustav Mahler oder Anton Bruckner aus dem Geist des Kammermusikalischen heraus entwickelt hat. Liebreich liebt denn auch nicht nur den grossen Orchesterapparat, sondern genauso den geschmeidigen Klangkörper des Kammerorchesters. Seit 2006 /07 ist er Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des Münchener Kammerorchesters. Seit 2012 leitet er zu-
dem das Nationale Symphonische Orchester des Polnischen Rundfunks. Beide Orchester hat er in der Klang- und Spielkultur weit nach vorne gebracht, und in der Musikstadt München mit ihrem riesigen Konzert- und Opernangebot gewann er mit ungewohnten Formaten ein grosses, interessiertes Publikum. Liebreich gehört zu der jüngeren Generation von Dirigenten, die wie selbstverständlich die Erkenntnisse der historisch informierten Aufführungspraxis aufnehmen und sie in den Orchestern, die auf modernen Instrumenten spielen, umsetzen. Schlanker, kammermusikalischer Klang, Drive, Bewegung, Dramatik sind für ihn zentrale Elemente des orchestralen Spiels – nicht nur im klassischen Repertoire, sondern ebenso im romantischen oder spätromantischen, das ein Schwerpunkt von Liebreichs künstlerischer Arbeit ist, sowie in der Moderne und bei zeitgenössischen Werken. Sein Repertoire zieht sich vom Barock bis zur Gegenwart. Er arbeitet auch oft mit Komponisten wie Beat Furrer, Salvatore Sciarrino oder Heiner Goebbels zusammen und im Opern bereich mit profilierten Regisseuren wie zum Beispiel Hans Neuenfels. So werden sich auch in seinem Konzert mit dem Sinfonierochester Basel die Gegenwart und die Romantik begegnen: Auf den Schweizer Beat Furrer und den Polen Witold Lutosławski trifft Johannes Brahms. Mit zum Charakter der jüngeren Dirigenten generation gehört der dialogische Umgang mit den Orchestermusikern und -musikerinnen. Dabei weiss Liebreich selbstverständlich sehr genau, wohin die interpretatorische Reise mit einem Orchester gehen soll. Und das versteht er, dem Orchester genau mitzu teilen. Der im fruchtbaren musikalischen Umfeld der Stadt Regensburg mit ihrer hohen Chorkultur (man denke etwa an die Domspatzen) und dem Stadtthea-
Bild : Marek Vogel
9
Alexander Liebreich
ter aufgewachsene Liebreich, der im Alter von siebzehn Jahren seinen ersten Chor gegründet hat, versteht Musik als eine Metapher des Lebens. Er, der sich und seine Sichtweisen immer wieder hinterfragt, meint, dass Musik zwar nicht die Fragen nach dem Warum im Leben beantworte, aber Visionen dazu vermittle. Liebreich ist überzeugt, dass Musik die Menschen in einem humanen Sinn verändern
kann. Das sei für seine Arbeit eine wichtige Inspiration, erklärt er. Musik ist für ihn auch eine internationale Sprache, die nationale Grenzen aufhebt. Liebreich ist ein Weltbürger, der sich für ein globales Denken ausspricht, in dem wir eruieren, «wie wir unter uns Menschen miteinander umgehen und wie mit unserem Planeten. Und wie wir gemeinsam die Zukunft gestalten.» ●
10
Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 1
«Hoch auf’m Berg, tief im Thal, grüss ich dich viel tausendmal!» Mit einem Riesen im Rücken und einer Alphornmelodie im Ohr wagt sich Brahms an seine 1. Sinfonie. von Stefanie Eberhardt
D
reiundvierzig Jahre alt und bereits ein namhafter Komponist war Johannes Brahms, als er nach mehr als sechzehnjährigem Ringen am 4. November 1876 seine erste Sinfonie in Karlsruhe der Öffentlichkeit vorstellen konnte. Schwer hatte das Erbe Beethovens gewogen, der mit seiner Neunten in vieler Augen (v. a. in denen der Wagner-Anhänger) einen Schlusspunkt innerhalb der Gattung gesetzt hatte. Dem Dirigenten Hermann Levi gestand Brahms diesbezüglich noch zu einer Zeit, als der Kopfsatz zur ersten Sinfonie schon entworfen war: «Ich werde nie eine Symphonie komponieren! Du hast keinen Begriff davon, wie es unser einem zu Mute ist, wenn er immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört.» Aber auch der Druck von aussen – von Freunden, dem Verleger Fritz Simrock und der Öffentlichkeit, die ungeduldig auf eine erste Sinfonie von Brahms warteten – dürfte das Unterfangen nicht vereinfacht haben.
Brahms’ erste und Beethovens zehnte Sinfonie Bereits 1854 hatte Brahms den ersten Versuch zu einer Sinfonie unternommen. Wie Beethovens Neunte sollte sie in d-Moll stehen. Es wurde nichts daraus, Teile dieses Versuchs sind ins Deutsche Requiem sowie
ins erste Klavierkonzert eingeflossen. 1862 war dann der Kopfsatz einer ‹neuen› Sinfonie, nun in c-Moll, in einer ersten Fassung fertig (noch ohne die langsame Einleitung). Aber das Projekt blieb liegen. Weitere zwölf Jahre mussten vergehen, bis Brahms sich wieder an das Vorhaben heranwagte. Zwischen 1874 und 1876 erfolgte die Hauptarbeit an dem Werk, das auch noch nach der Karlsruher Uraufführung von Brahms einschneidende Veränderungen erfuhr und erst 1877 in einer endgültigen Fassung gedruckt werden konnte. Als die Sinfonie fertig war, liess man den ‹Riesen› Beethoven wieder hinter Brahms aufmarschieren: Hans von Bülow setzte den Begriff von Beethovens «Zehnter» in die Welt, der seither an dem Werk zu haften scheint – und sei es, um die Bülowsche Einschätzung zu widerlegen. Sicherlich gibt es Ver-
Sinfonie Nr. 1, op. 68 Besetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, Kontrafagott, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken, Streicher Entstehung: 1862–1876 Uraufführung: 4. November 1876 Dauer: ca. 40 Minuten
Bild : Wikimedia Commons
Johannes Brahms (um 1875)
Bild : bpk Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv, Staatsbibliothek zu Berlin
12
Albumblatt für Clara Schumann (Hoch auf’m Berg, tief im Thal), Autograph von Johannes Brahms (1868)
bindungen, oft wird in diesem Zusammenhang auf während der Themenvorstellung in den Celli zu hören. Die Einleitung ist mit der dort zu hörenden den Schlusssatz verwiesen, mit seinem einleitenden Teil und einem (wie in Beethovens Neunter) hymni- Oboenmelodie auch Ursprung des Seitensatzes. schen Hauptthema. Doch Brahms selbst soll, auf die- Brahms zeigt hier, was alle vier Sinfonien aus seiner se Parallele angesprochen, erklärt haben, es sei noch Feder auszeichnen wird: eine ungeheure Dichte und merkwürdiger, «dass jeder Esel es hört». Auch den Konzentration durch enge motivische Beziehung Stimmungsverlauf mit seiner «Durch-Nacht-zum- zwischen allen Teilen. Alles entwickelt sich aus den Licht-Dramaturgie» hat man mit Beethovens Neun- Anfangstakten, hängt infolgedessen miteinander zuter verglichen, jedoch hat Brahms, was die Gewich- sammen. Doch indem der Hörer Zeuge von Umformung, Entwicklung und Ausbildung der einzelnen tung der Sätze betrifft, mit dem Kopfsatz einen dem Keimzellen wird, verlagern sich ursprünglich der Finale adäquaten Gegenpol geschaffen. Durchführung vorbehaltene Techniken auf alle Formteile. «Der Satz ist voll wunderbarer Schönheiten, mit einer Meisterschaft sind die Motive behanEin immer wieder delt, wie sie ihm [Brahms] ja so mehr und mehr eigen auftauchendes Kernmotiv wird. Alles ist so interessant ineinander verwoben, Dem Anfangs-Allegro geht eine langsame Einleitung dabei so schwungvoll wie ein erster Erguss; man gevoran, seit Haydn Quelle des musikalischen Materi- niesst so recht aus vollen Zügen, ohne an die Arbeit als, aus der heraus sich das Folgende entwickelt. Das erinnert zu werden», schrieb Clara Schumann an Joist auch hier der Fall, die Einleitung exponiert als seph Joachim über den ersten Satz bereits zu einer Kernmotiv über dramatisch pochenden Pauken- Zeit, als dieser noch nicht einmal die langsame Einschlägen eine chromatisch aufsteigende, dann wie- leitung hatte. der absteigende Streicherlinie (espressivo e legato), der Zwischen den beiden gewichtigen Ecksätzen erdie Bläserstimmen in gegenläufiger Bewegung ent- scheinen die mittleren Sätze fast episodenhaft. Der gegengesetzt werden. Dieses Kernmotiv, zweimal in zweite Satz erfuhr noch kurz vor der Uraufführung eine umfassende Kürzung, vermutlich um die dem der Einleitung vorgestellt, kehrt sogleich zu Beginn des Allegro wieder, kündigt das Hauptthema an, das Finale gebührende Geltung nicht zu schmälern. Auch dann in den ersten Geigen erscheint, und ist noch hier taucht das Kernmotiv auf, es ist Teil des ruhigen
13
Streicherthemas und wird durch ein Crescendo vom Pianissimo-Beginn hervorgehoben. Nach der letzten Überarbeitung ist der Satz in dreiteiliger Liedform gehalten, wobei Soloinstrumenten (Oboe, Klarinette, Solovioline) besonderer Raum verliehen wird. An dritter Stelle steht statt des erwarteten beschwingten Menuetts oder Scherzos ein zartes Allegretto ebenfalls in dreiteiliger Form gehalten. Ein Klarinettenthema mit ungeradzahligen Phrasen bestimmt die Eckteile, der Mittelteil hebt sich mit seinem wiegenden 6/8-Takt und seinem kurzzeitigen sinfonischen Aufschwung vom verträumten Charakter der Eckteile ab.
Ein Gruss zum 49. Geburtstag Wie bereits beim Kopfsatz stellt Brahms auch dem Finale eine langsame Einleitung (Adagio) voran. Nach den intermezzohaften Zwischensätzen richtet sich dabei die Spannung bereits nach den ersten Takten auf die Frage, was denn nun kommen möge. Denn die Anfangstakte nehmen mit den oktavierten Geigen und den Paukenschlägen zunächst den Charakter der Kopfsatz-Einleitung auf, geben diesen aber sogleich wieder ab. Geheimnisvolle huschende Pizzicati, scheinbar ohne Metrum, hektische Zweiunddreissigstel-Floskeln sorgen für fast theatra lische Effekte und Spannungsaufbau. Später wird sich wieder herausstellen, dass bis hier bereits die Themen des Hauptteils versteckt vorweggenommen wurden. Die Einleitung mündet in ein berühmtes Horn-Solo: Brahms hatte es Clara Schumann, mit einem Text versehen («Hoch auf’m Berg, tief im Thal, grüss ich dich viel tausendmal!») und dem Hinweis «Also blus das Alphorn heut’», zum 49. Geburtstag geschickt. Erstmals scheint der Satz dabei festen Boden unter die Füsse zu bekommen, gleichzeitig wechselt er von c-Moll nach C-Dur. Nach einem kurzen Posaunen-Choral kehrt das Horn-Solo wieder und – als sei der Knoten geplatzt – ergiesst sich die Einleitung in die hymnisch anmutende StreicherMelodie, die wie oben erwähnt dem Charakter des Freuden-Hymnus aus Beethovens Neunter nahekommt und den Beginn des Hauptteils markiert. Die Geigen stellen dann auch das zweite Thema vor, eine
über einen grossen Ambitus auf- und abführende Melodie. In der Durchführung kehren schliesslich auch Elemente aus der Einleitung (z.B. die Pizzicati) wieder, sie führt zu einem kämpferischen Höhepunkt, der sich nach kurzem Innehalten in die Alphorn-Melodie entlädt, schliesslich zur Ruhe kommt und dann mit dem zweiten Thema zur Reprise führt. Ein letzter Höhepunkt dann in der stretta-artigen Coda: Der kurze Posaunenchoral aus der Einleitung strahlt nun im Blech übers Orchester und führt zum triumphalen Ende.
«Von herrlichster, grossartigster Vollendung» Wie sehr Brahms’ erste Sinfonie in ihrer formalen Dichte und Geschlossenheit den Weg in die Zukunft weisen würde, konnte man damals nicht wissen, doch hat man wohl die neuen Anforderungen, die ein solch konzentriert gearbeitetes Werk an den Hörer stellen kann, geahnt. Da darf man dem Chirurgen und Brahms-Freund Theodor Billroth die unverhohlene Überheblichkeit verzeihen, die in seiner enthusiastischen Einschätzung des Werks mitschwingt (an Brahms am 10. Dezember 1876): Verzeih, dass ich Dir erst heute Deine Partitur zurückschicke! Doch ich konnte mich schwer davon trennen! (...) Den letzten Satz habe ich am vollkommensten bewältigt; er erscheint mit von herrlichster, grossartigster Vollendung (...) Dass der ganzen Symphonie ein ähn licher Stimmungsgang zugrunde liegt wie der Neunten von Beethoven, ist mir beim Studium immer mehr aufgefallen, doch tritt gerade Deine künstlerische Individualität in diesem Werke besonders rein hervor. (...) Ich wollte, ich könnte die Symphonie ganz allein hören im Dunkeln, und fange an, König Ludwigs Sonderbarkeiten zu verstehen. Alle die dummen, alltäglichen Menschen, von denen man im Konzertsaal umgeben ist und von denen im günstigsten Falle fünfzig Sinn und künstlerische Empfindung genug haben, um ein solches Werk in seinem Kern beim ersten Hören zu erfassen – von Verstehen gar nicht zu reden – (...) Ich kann nur sagen: Der Herr erleuchte die Herde, welche am nächsten Sonntag sich in den Musikvereinssaal versammelt. ●
14
Witold Lutosławski: Konzert für Violoncello und Orchester
Abstraktes oder politisches Theater? Über die politische Deutung eines Cellokonzerts, das Züge eines Theaterstücks trägt, und den Konflikt zwischen Solocello und Orchester von Jürgen Ostmann
W
ie kaum ein anderes Werk seiner Zeit wurde Witold Lutosławskis Cellokonzert von der Musiköffentlichkeit als politisches Bekenntnis verstanden. Das lag nahe, denn die Arbeit an dem Stück begann der polnische Komponist 1969. Im Vorjahr hatten sowjetische Panzer den ‹Prager Frühling› beendet, und 1970, im Jahr der Uraufführung des Konzerts, schrieb dessen Widmungsträger, der Cellist Mstislaw Rostropowitsch, einen offenen Brief an die grossen sowjetischen Zei-
Konzert für Violoncello und Orchester Besetzung: 3 Flöten, 3 Oboen, 3 Klarinetten, 3 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug, Celesta, Klavier, Harfe und Streicher Entstehung: Juli 1970 Uraufführung: 14. Oktober 1970, London (Bournemouth Symphony Orchestra, Violoncello: Mstislaw Rostropowitsch, Dirigent: Edward Downes) Widmung: Mstislaw Rostropowitsch Dauer: ca. 24 Minuten
tungen. Er setzte sich darin für den Schriftsteller und Dissidenten Alexander Solschenizyn ein und protestierte gegen die staatliche Kulturpolitik. Vor diesem zeitgeschichtlichen Hintergrund liess sich das Cellokonzert als Darstellung eines Gegensatzes deuten, nämlich des Gegensatzes zwischen einem streng organisierten Kollektiv (dem Orchester) und dem nach seinen autonomen Möglichkeiten suchenden Individuum (dem Solisten). Dass Lutosławski sich heftig, ja fast schon überempfindlich gegen jede aus sermusikalische Interpretation seines Werks wehrte, änderte nichts daran: Das Konzert galt im Westen als subversive Aktion gegen ein totalitäres System. Der Komponist, so hiess es, könne seine wahren Absichten nun einmal nicht öffentlich äussern. Und selbst wenn er keine programmatische Aussage gewollt habe, sei sie doch – ‹objektiv› – in dem Stück enthalten. Tatsächlich spricht auch einiges für die politische Deutung. Wie Lutosławski in einem Interview bemerkte, zeigt das Cellokonzert Züge eines Theaterstücks. Eindeutig wird hier ein Konflikt ausgetragen, «das Orchester ist ein Faktor, der interveniert, unterbricht oder auch beinahe stört. Dann folgen ‹Verständigungsversuche› – Dialoge. Aber auch diese werden wieder durch eine Gruppe von Blechblasinstrumenten unterbrochen, denen in dem Werk die ‹Interventionsfunktion› zufällt.» Rein musikalisch betrachtet,
fügt sich Lutosławskis Konzert bruchlos in die Tradition der Gattung. Zwar sind die Formen der einzelnen Werkteile durchaus neuartig, doch der Gesamtablauf entspricht dem eines herkömmlichen Solokonzerts, dessen drei Sätze (schnell, langsam, schnell) lediglich um eine kadenzartige Einleitung erweitert sind. Die Teile gehen ohne Pause ineinander über und sind auch nicht durch Satztitel kenntlich gemacht, aber durch ihre unterschiedliche Faktur leicht zu erkennen. Die Introduktion bleibt dem Solocello vorbehalten: Zu Anfang und später noch häufiger wiederholt es den Ton D auf der leeren Saite – ausdruckslos, gleichgültig, vollkommen entspannt. Diese Phasen der ‹Selbstvergessenheit› wechseln sich jedoch abrupt ab mit solchen der Konzentration. Verschiedene Charaktere, in der Partitur als grazioso, un poco buffo ma con eleganza oder marziale bezeichnet, deuten sich an, werden aber nicht weiterverfolgt. Eine erste ‹Intervention› der Trompeten leitet den folgenden bewegten Satz ein; Lutosławski gab ihm in einem Brief an Rostropowitsch den Titel ‹Vier Episoden›. Immer heftiger prallen die Gegensätze aufeinander: Hier die spielerisch-phantasievollen Aktivitäten des Solisten und einiger zum Dialog eingeladener Instrumente. Dort die straff verwalteten Klänge des Orchesters, durch die ernsten oder gar «ärgerlichen» (so Lutos ławski) Interventionen der Blechbläser erzwungen. Der Antagonismus scheint überwunden in der langsamen, ausdrucksvollen Kantilene. Die lang gezogenen Melodielinien des Solocellos werden hier zunächst von den Kontrabässen mit ihrem tiefsten Ton (E) begleitet, dann von komplexen Akkorden der in Einzelstimmen geteilten Streicher. Eine Intervention des gesamten Orchesters beendet diesen Abschnitt jedoch, und das Finale nimmt die Konfrontation wieder auf. Sie treibt den Solisten schliesslich zu klagenden, winselnden Klängen, mit denen das Konzert enden könnte – die Übermacht des Orchesters hätte sich dann durchgesetzt. Ein wenig überraschend schliesst sich aber noch eine kurze, lebhafte Coda an. Sollte am Ende doch der Solist, das Individuum triumphieren? Lutosławski erklärte die Stelle anders: «Denken wir uns, das Licht auf der Bühne ist erloschen, und vor dem Vorhang wird ein Kommentar zum Theaterstück gegeben.» ●
Bild: Paul Sacher Stiftung, Basel, Sammlung Witold Lutosławski
15
Witold Lutosławski
Witold Lutosławski Witold Lutosławski wurde 1913 in Warschau geboren, wo er sein ganzes Leben bis zu seinem Tod 1994 ver brachte. Er lernte früh Klavier und Violine zu spielen und schrieb mit neun Jahren seine erste Komposi tion. Sein Plan, in Paris zu studieren, scheiterte am Ausbruch des 2. Weltkrieges. Nach der Flucht aus deutscher Gefangenschaft musste er sich in War schauer Cafés als Salonmusiker durchschlagen. 1948 wurde seine erste Sinfonie vom stalinistischen Re gime als formalistisch bezeichnet und verboten. Das kulturpolitische Tauwetter im Polen von 1954 eröff nete ihm wieder neue Experimentiermöglichkeiten.
16
Randbemerkungen zu Lutosławskis Cellokonzert
Skizze – Particell – Partitur von Simon Obert, Paul Sacher Stiftung
W
ie bei vielen Komponisten, so lässt sich auch im Schaffensprozess von Witold Lutosławski eine relativ klare Dreiteilung feststellen: Zunächst werden Gedanken und Ideen gesammelt (und auch wieder verworfen). Sodann folgt eine Phase, in der das Material in einen Verlaufszusammenhang gebracht wird. Daran schliesst sich die detaillierte Fixierung dessen an, was bei einer Aufführung erklingen soll. Gewiss weisen diese drei Phasen keine festen Grenzen auf – die Übergänge sind fliessend, in beide Richtungen. Es ist ein offener Prozess, der zwar ein Ziel, aber keinen vorgezeichneten Weg hat. Lutosławski selbst hat einmal diese Offenheit zum Ausdruck gebracht, indem er den Schaffensprozess mit zwei gegensätzlichen Bildern verglich: Zu komponieren sei für ihn wie der Flug über eine Stadt, der allmählich an Höhe verliere, sodass immer mehr Details erkennbar werden. Demgegenüber beginne er auch häufig ein Werk «am Boden», mit Einzelheiten, und erarbeite sich daraufhin einen Überblick. Im Kompositionsprozess dennoch eine gewisse Ordnung zu erkennen, rechtfertigt sich aus den unterschiedlichen Manuskripttypen, die dabei entstehen: In Skizzen werden Ideen festgehalten, im Particell wird der musikalische Verlauf in einer Art reduzierter Partitur notiert, welche schliesslich, in ausgeschriebener Form, die Klanggestalt darlegt. Dieser Prozess lässt sich auch anhand der Materialien beobachten, die bei der Arbeit am Konzert für Violoncello und Orchester entstanden sind. Das sei an einem kleinen Detail verdeutlicht: Unter den
Skizzen findet sich ein Blatt (Abb. 1), auf dem Lutosławski mehrere Einzelideen festhielt. Oben in der Mitte ist eine einfache Entwicklung notiert – zwei, drei, vier Impulse –, die fortzusetzen ist («etc»). Im Particell (Abb. 2) findet sich diese Idee in einen Verlauf eingefügt: Sie tritt, im Klavier («pf.», erkennbar in der Mitte des Blatts), zur langen Linie des Cellos hinzu. In der Partiturreinschrift (Abb. 3) ist die entsprechende Stelle detailliert ausnotiert. Die beschriebene Stelle, im vierten Abschnitt des Werks, ist stark geprägt vom wechselseitigen Ineinandergreifen unterschiedlicher Klanggruppen (Soli, Ensembles, Tutti) und Gestalten (Blöcke, Linien). Innerhalb dieser Gestaltung spielt die erwähnte Figur eine formdramaturgische Rolle. Sie kontrapunktiert einerseits die lange Linie des Cellos, andererseits leitet sie im weiteren Verlauf eine Entwicklung ein: Der Impulszunahme schliesst sich ein Crescendo von Pauken und Tom-Toms an, was in einen scharfen Blechbläser-Akkord mündet, der die Cellolinie unterbricht. Auch wenn es in solcher Beschreibung scheint, als habe sich die Stelle aus einer losen Idee über ihre Anordnung hin zu einem formdramaturgischen Bestandteil entwickelt, ist Vorbehalt angebracht. Denn Skizze, Particell und Partitur zeigen lediglich, was ein Komponist festgehalten hat. Ob aber Lutosławski bereits zu Beginn der Arbeit eine solche Formkonzeption im Kopf hatte und daraufhin die umzusetzenden Details (er-)fand, geht aus den Manuskripten nicht hervor. ●
Bilder: Paul Sacher Stiftung, Basel, Sammlung Witold Lutosławski
Witold Lutosławski: Konzert für Violoncello und Orchester (1969 / 70) Abb. 1: Skizze, Abb. 2: Particell, Abb. 3: Partitur
18
Beat Furrer: strane costellazioni für grosses Orchester
Orchester-Kaleidoskop von Horst A. Scholz
D
er Dichter Dino Campana (1885–1932) ist eine der eigenwilligsten Gestalten im Umfeld der italienischen Moderne – ein Grenz überschreiter, den der unbändige Erfahrungsdurst bis nach Argentinien verschlug und der die letzten vierzehn Jahre seines kurzen, früh schon von anomalen ‹Auffälligkeiten› gezeichneten Lebens in einer psychiatrischen Anstalt bei Florenz verbrachte. Der literarischen Welt ist er mit dem einzigen Werk in Erinnerung geblieben, das er veröffentlicht hat: den 1914 auf eigene Kosten gedruckten Canti orfici (Orphische Gesänge), deren so bildmächtige wie soghafte Dichtung ihn als einen Nachfahren der ‹poètes maudits› (neben anderen François Villon, Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud) ausweist. Dino Campanas Leben ist, so Beat Furrer, «der Archetypus eines Künstlerschicksals im frühen 20. Jahrhundert und eines Pathos des Sich-Verschwendens an die Welt, das sofort von der Gesellschaft durch verschiedenste Massnahmen der Resozialisierung im Irrenhaus oder Gefängnis beantwortet wird. Dino Campana hat vielleicht als erster zum Ausdruck gebracht, dass es keine Flucht gibt, dass kein utopisches Amerika mehr existiert. Seine Reise ist nicht mehr eine Winterreise in ein fremdes zauberhaftes Land. Vielmehr liegt das Geheimnis in ganz alltäg lichen Phänomenen, im Wind, den er beschreibt, im Wasser … » Campanas Dichtung hat den Komponisten Beat Furrer mehrfach inspiriert: 2011/12 entstand der fünfteilige Liederzyklus Canti della tenebra; zurzeit arbeitet er an einer Oper, deren Libretto auf Campanas Gedichten basiert. Der Ausdruck strane costellazioni (Seltsame Konstellationen), den Campana im Zusammenhang mit seiner Argentinienreise verwendete und mit dem er, so Furrer, «seine Eindrücke und Zukunftshoffnungen umschrieb, die er mit dem unbe-
kannten Land verband», hatte hingegen rein instrumentale Folgen: ein gleichnamiges Orchesterwerk, das Furrer 2013 als Auftragswerk der Jungen Deutschen Philharmonie und der Alten Oper Frankfurt komponierte. Das Festival der Alten Oper zum 100. Jubiläumsjahr von Igor Strawinskys Le Sacre du prin temps, in dessen Rahmen die Uraufführung 2013 stattfand, regte ihn zudem dazu an, die musikalische Faktur in einer Art kubistischem Kontext anzusiedeln: «Die Entdeckung der Relativität, der Bewegung und der Zeit führen zur Polyfokussierung eines kubistischen Bildes. Es gibt nicht mehr einen Fluchtpunkt, sondern viele. Das ist etwas, das mich zu der Form des Orchesterstücks strane costellazioni für die Junge Deutsche Philharmonie inspiriert hat, zu einer für mich neuen Art von Montagetechnik. Diese vollzieht in der Art eines Kaleidoskops kleingliedrige Montagen aus ineinander geschnittenen Strukturen, die stark kontrastierende Bewegungsf ormen darstellen können.» Furrer knüpft damit an ein Verfahren an, das er in Stücken wie der Studie für Klavier (2011), Enigma V für Chor a cappella und linea
strane costellazioni Besetzung: 3 Flöten, 2 Oboen, Sopransaxophon, 3 Klarinetten, 2 Fagotte, Kontrafagott, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Klavier, Akkordeon, Schlagzeug, Streicher Entstehung: 2013 Uraufführung: 20. September 2013, Frankfurt (Junge Deutsche Philharmonie, Dirigent: David Afkham) Dauer: ca. 14 Minuten
19
Bild : Daniela Rodriguez
hältnis von Wiederholung und Prozesshaftigkeit. Es gibt Wiederholungen, Verschiebungen und Transformationen von Schichten, die sich zunächst in verschiedenen Tempi und mit verschiedenen rhythmischen Mustern überlagern. Mit der Zeit treten dann die einzelnen Temposchichten immer mehr allein hervor, indem sie kaleidoskopartig ineinander geschnitten werden. Die Gleichzeitigkeit wird also abgelöst durch ein Nacheinander.» Was sich nüchtern liest, aber ein faszinierendes Hörerlebnis darstellt. ●
Beat Furrer
Beat Furrer
dell’orizzonte für Ensemble (beide 2012) erkundet hat. «In der Komposition für Orchester», führt Furrer aus, «wird all dies viel komplexer, weil es mir die Möglichkeit gibt, das Orchester in all dem klanglichen Reichtum vom Tutti bis zum Solistischen in den Griff zu bekommen. Ich empfinde das Orchestertutti immer wieder als eine besondere Herausforderung: zu verhindern, dass alles zur grauen Masse verschmilzt.» Und daher ist es ihm stets um eine kammermusikalische Auflichtung des orchestralen Geschehens zu tun, das einem klar disponierten Formprinzip folgt. «Es geht im Prinzip um das dialektische Ver-
Furrer wurde 1954 in Schaffhausen geboren und er hielt an der dortigen Musikschule seine erste Ausbil dung in Klavier. Später studierte er in Wien Dirigieren und Komposition. Im Jahr 1985 gründete er das Klangforum Wien, das er bis 1992 leitete und dem er seitdem als Dirigent verbunden ist. Im Auftrag der Wiener Staatsoper schrieb er seine erste Oper, Die Blinden. Furrer schrieb mehrere Opern und Musik theaterwerke, u.a. auch Wüstenbuch, das 2010 am Theater Basel uraufgeführt wurde. Seit Herbst 1991 ist Furrer ordentlicher Professor für Komposition an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Graz. 2004 erhielt er den Musikpreis der Stadt Wien, seit 2005 ist er Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. 2006 wurde er für FAMA mit dem Goldenen Löwen bei der Biennale Venedig ausgezeichnet. 2014 wurde ihm der Grosse Österreichische Staatspreis zuerkannt.
Impressum Sinfonieorchester Basel, Steinenberg 14, 4051 Basel, +41 ( 0 )61 205 00 95, info@sinfonieorchesterbasel.ch www.sinfonieorchesterbasel.ch, www.facebook.com/sinfonieorchesterbasel, twitter.com/symphonybasel Geschäftsleitung : Franziskus Theurillat Künstlerische Planung, Dramaturgie und Vermittlung : Dr. Hans-Georg Hofmann Konzeption und Redaktion Programm-Magazin : Simon Niederhauser, Simone Staehelin Gestaltung : Neeser & Müller, Basel Druck : Schwabe AG, B asel/Muttenz Auflage : 5000 Exemplare
20
Vorlaut – Eine Serie
Der Komponist als Alpinist von Alain Claude Sulzer
D
ie Landschaft in ihrer Urform ist erst spät dazu erkoren worden, in Romanen, Gedichten, Epen und Berichten bestaunt und bewundert, beschrieben und gefeiert zu werden. Eine unüberschaubare Karawane von reisenden Schriftstellern und Reiseschriftstellern – darunter nicht wenige Frauen – machte sich ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts aus allen Winkeln Europas auf, um die Natur als ästhetisches Abenteuer zu erobern. Was lag näher als die Schweiz, in der sich die Berge nur so häuften, wo das beschauliche Kleine, das biedermeierlich Rustikale bestenfalls als Vorwand dazu dienten, den majestätischen Hintergrund hervorzuheben und damit den Menschen ins richtige Verhältnis zur Macht der Natur zu setzen? Pferd und Wagen führten die kontinentalen Entdecker zu den gigantischen Naturdenkmälern, von denen die beeindruckendsten die Berge waren: Aus Eiseshöhen, von Wolken verhangen oder in strahlender Klarheit wies schiere Erhabenheit den Menschen in seine Schranken – und forderte die Mutigsten heraus, sie zu überwinden. So bedeutsam, so heilig war seit dem verhältnismässig lieblichen Olymp das Gebirge nicht mehr gewesen. Wenn hier auch keine Götter wohnten, so hatte doch unzweifelhaft ein Gott etwas geschaffen, was dem Menschen seine Nichtigkeit zeigte. Wer solche Gipfel auch nur annähernd erreichen wollte, musste ihnen die Stirn bieten. Nicht wenige fanden dabei den Tod. Lieblich an diesem Naturbild waren allenfalls die Alphornklänge, Kuhreihen und Jodelweisen, die angenehm ans Ohr des Reisenden drangen, der, vertieft in den Anblick des Sonnenuntergangs, die unverdorbene Sennerin im Augenwinkel, vor einer Alphütte
sass. Das 19. Jahrhundert hat diese unüberhörbaren Naturtöne als musikalische Reisebegleiter in eine Vielzahl von Liedern, Arien, Klavierstücken und Sinfonien integriert. All jene Tyroliennes, Schalmeienklänge und Hornrufe aufzuzählen, die die Komponisten in ihren Werken zum Ausdruck brachten, um ihre Nähe zur Natur zu dokumentieren, die sie als Geburtsstätte ihrer Kunst entdeckt hatten – was noch einem Mozart nicht in den Sinn gekommen wäre –, würde Bände füllen. Ob Brahms, Schumann oder Mendelssohn, ob Mahler oder Strauss, ihrer sinfonischen Musik haftet unzweifelhaft etwas Alpinistisches an. Hier wird bei Nacht und Nebel aufgebrochen, geklettert, gestürzt und gerettet, das scheinbar Unvereinbare versöhnt und mutig ewiges Eis betreten, mit Gefahr und Tod gerungen und ins gähnende Nichts geblickt und dabei ständig jene dünne Luft geatmet, in der nur das Genie zu überleben versteht. Gipfelstürmer sind hier am Werk, die Schicht um Schicht ihre eigenen Berge auftürmen, ohne je das Ziel aus den Augen zu verlieren: Was es auch kosten möge, den Gipfel zu erreichen, den keiner sonst erreicht, um dann vom Denkmal, das man selbst erschaffen hat, gebieterisch ins Tal hinabzublicken. Aus Blöcken wird ein Gefüge gefertigt, das die Welt als etwas Einheitliches erklärt. Den überall lauernden Gefahren – Felsvorsprüngen, Gletscherspalten, bröckelndem Gestein, meuternden Trägern – begegnet der Komponist, den Kontrapunkt beherrschend, indem er die Übersicht bewahrt. Er ist der Baumeister, der das Gebäude errichtet. Gott gleich, der sich den eigenen Thron zusammenzim mert. Ist es ein Wunder, wenn nach 1918 das scheinbar sichere Gebäude zusammenbricht? ●
Bild : Wikimedia Commons
Gornergratbahn mit Matterhorn um 1900
22
Casino-Geschichte(n), Teil 3
1876 – ein wahres Schlüsseljahr
Bild: Staatsarchiv Basel (NEG_03209_b)
von Sigfried Schibli
Musiksaal Stadtcasino um 1878
E
s gibt Zufälle, die bei näherer Betrachtung gar keine sind. Ein solches Zusammentreffen im Basler Musikleben fällt aufs Jahr 1876. Damals wurde der neue Musiksaal des Stadtcasinos mit 1300 Plätzen eingeweiht. Im selben Jahr war die Allgemeine Musikgesellschaft Basel gegründet worden, ein Zusammenschluss von Concertgesellschaft und Capell-Verein, die bisher Konkurrenten gewesen
waren. Im gleichen Jahr löste der Dirigent Alfred Volkland den verstorbenen Orchesterleiter Ernst Reiter ab, der 36 Jahre lang den Capell-Verein geführt hatte. Zwar stand nicht Volkland, sondern der in Basel geborene Friedrich Hegar zuoberst auf der Berufungsliste, aber die Zürcher Tonhalle hatte Hegar ein Angebot gemacht, das dieser nicht ausschlagen konnte.
Man könnte meinen, die Gründung der AMG sei in der bürgerlichen Öffentlichkeit Basels als kapitales Ereignis gefeiert worden. Dem war aber nicht so. Die ‹Basler Nachrichten›, das Sprachrohr der Liberalen, vermeldeten die erste konstituierende Sitzung der AMG in ihrer Ausgabe vom 8. April 1876 mit einem Kurzbericht. Darin war zu lesen, dass die Versammlung «bloss von 19 Mitgliedern besucht» wurde und der designierte Präsident Johann Jacob Burckhardt – Staatsanwalt und später Regierungsrat – sanft zur Annahme dieses Amtes gedrängt werden musste. Nun hatte man gleichzeitig einen neuen repräsentativen Konzertsaal, einen neuen Chefdirigenten und einen neuen Orchesterträger beziehungsweise Konzertveranstalter – wahrlich ein Schlüsseljahr für das Basler Musikleben. Die Anregung zum Bau des Musiksaals war vom ersten Präsidenten der AMG ausgegangen. Johann Jacob Burckhardt nannte in seinen Memoiren ökonomische, soziale und künstlerische Motive für seine Idee: «Ich wollte die Konzerte billiger und einem grössern Publikum zugänglich machen und gleichzeitig die Einnahmen aus denselben mehren, um Besseres bieten zu können.» Der an den alten Berri-Bau angebaute Musiksaal war architektonisch ein Werk von Johann Jakob Stehlin d. J., der auch das Bernoullianum, die Hauptpost, die Kaserne, das Stadttheater, die Kunsthalle und noch viele weitere Gebäude entworfen hatte. Da sein Vater Johann Jakob Stehlin-Hagenbach Bürgermeister in Basel war, liess der Vorwurf der Vetternwirtschaft nicht lange auf sich warten. Qualitativ erfüllen die Bauten des fleissigen Architekten Stehlin aber hohe Ansprüche. Insbesondere der nach dem klassischen ‹Schuhschachtel-Prinzip› gebaute Musiksaal – länger als breit und breiter als hoch, mit parallelen Seitenwänden – gilt bis heute als akustisches Meisterwerk und ist zu Recht denkmalgeschützt. Neben Orchesterkonzerten veranstaltete die AMG Kammermusikabende, meist mit dem Basler Streichquartett, das aus den Stimmführern des Orchesters zusammengesetzt war. Im AMG-eigenen Orchester spielten damals neben 38 Berufsmusikern 14 sogenannte Dilettanten mit. Damals kam es noch häufig vor, dass ein Musiker mehrere Instrumente beherrschte. So wechselte der erste Oboist Johannes
Bild: Peter Schnetz
23
Johann Jacob Stehlin (Maler unbekannt)
Fischer – der Vater des später berühmten Pianisten Edwin Fischer – 1860 als Stimmführer zu den zweiten Violinen. Im Festkonzert zur Eröffnung des neuen Musiksaals am 2. Dezember 1876 spielten und sangen drei Basler Chöre mit Solisten und dem Orchester unter anderem die 9. Sinfonie von Beethoven. Schon im Januar 1877 konnte man mit Joseph Joachim einen äusserst renommierten Solisten begrüssen, der mit dem Orchester das Violinkonzert in e-Moll von Mendelssohn sowie ein eigenes Adagio in A-Dur spielte. In den nächsten Jahren hörte man – um nur wenige illustre Namen zu nennen – Johannes Brahms, Clara Schumann, Camille SaintSaëns, Anton Rubinstein, Eugen d’Albert und Pablo de Sarasate mit dem Basler Orchester. Sie logierten nicht im Hotel, sondern privat bei den Kommissionsmitgliedern der AMG. Da dürfte sich manche Gelegenheit zu einem Hauskonzert ergeben haben. ●
24
Raphael Blechschmidt und Franziskus Theurillat im Gespräch
«Der Verein Freunde ist die Lobby des Orchesters»
Raphael Blechschmidt, Präsident des Vereins ‹Freunde Sinfonieorchester Basel›, und Franziskus Theurillat, Geschäftsleiter des Orchesters, unterhalten sich über die Notwendigkeit eines starken Freundeskreises. aufgezeichnet von Simon Niederhauser
Franziskus Theurillat: Bei der letzten Jahresversammlung des Vereins ‹Freunde Sinfonieorchester Basel› wurdest du einstimmig zum Präsidenten gewählt. Herzliche Gratulation! Was genau hat dich dazu bewogen, dieses Amt zu übernehmen? Raphael Blechschmidt: Barbara Schneider, die Präsidentin der Stiftung Sinfonieorchester Basel, hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, das Amt des Präsidenten zu übernehmen. Die Anfrage hat mich natürlich sehr gefreut. Mir war bewusst, dass einiges auf mich zukommen würde. Aber ich habe sehr gerne zugesagt. Was mich daran reizt, ist das: Ich gehe gerne in die Konzerte des Sinfonieorchesters. Ich mag dieses Orchester, und oft kommen mir während der Konzerte auch gute Ideen. Zudem haben ich und mein Partner viele Musiker in unserem Bekanntenkreis. Und nicht zuletzt habe ich das Gefühl, ich könnte etwas dafür tun, dass sich der Freundeskreis erweitert. Den Verein Freunde gibt es seit rund zehn Jahren. Das Jubi läum wäre also ein guter Moment, die Fahne neu zu hissen. Worin siehst du denn konkret das Entwicklungspotenzial? Ich bin überzeugt davon, dass wir noch viel mehr Leute an Bord holen können, allein durch die Kontakte, die jeder in seinem persönlichen Umfeld hat. Mehr Mitglieder heisst dann auch mehr Mitgliederbeiträge. Und das wiederum heisst, dass wir das Orchester besser unterstützen können. Über die rein
finanzielle Unterstützung hinaus sehe ich den Freundeskreis auch als wichtige Lobby für das Orchester. Es soll darum gehen, neue Interessenten zu finden, die vielleicht mit dem Orchester noch wenige Berührungspunkte haben. Ich denke zum Beispiel, dass man das Orchester auch einmal an einer Tagung des Gewerbeverbands vorstellen könnte. Es gibt immer noch viele Leute in Basel, die sich nicht bewusst sind, wie gut dieses Orchester ist, wie stark es sich verjüngt hat und wie motiviert die Musikerinnen und Musiker sind. Der Verein kann helfen, das Sinfonieorchester noch bekannter zu machen. Andere Orchester haben riesige Freundeskreise, die das seit mehreren Jahrzehnten erfolgreich tun und substanzielle Stützen ihres Orchesters sind. Unser Verein ist, wie gesagt, erst zehn Jahre alt und somit auch noch relativ klein. Das stimmt. Das hat damit zu tun, dass die Geschichte des Orchesters in regelmässigen Abständen immer wieder von vorne begann. Gegründet wurde das Orchester 1876, als der Musiksaal gebaut wurde. Über Jahrzehnte war das Orchester fest mit der Allgemeinen Musikgesellschaft (AMG)
Raphael Blechschmidt ist seit September 2014 Präsident der Freunde des Sinfonieorchesters Basel. Er ist Couturier und führt seit 25 Jahren ein eigenes Geschäft an der Bäumleingasse.
Bild : Jean François Taillard
25
Raphael Blechschmidt und Franziskus Theurillat
v erbunden, und dort war dann auch der eigentliche Freun deskreis angesiedelt. Später wurde es in die Basler Orches tergesellschaft (BOG) überführt, wo es ebenfalls eine relativ grosse Community aufbauen konnte und auch politisch gut verankert war. Als dann 1988 die BOG von der Stiftung Basler Orchester abgelöst wurde, hat man wieder einmal bei Null angefangen. In dieser Situation war es unmöglich, einen Freundeskreis zu etablieren, weil die Stiftung ein rein technisches Gefäss war, ein Trägerorgan der Nutzer des Orchesters. Das Orchester war Zudiener der AMG, des Theaters und anderer Veranstalter, die jeweils ihre eige nen Freundes- und Gönnerkreise hatten. Der Verein, der 2004 gegründet wurde, hatte so gar keine Möglichkeit zu wachsen. Das sehe ich auch so: Erst seit der Loslösung von der AMG vor drei Jahren wird das Sinfonieorchester als autonomer Klangkörper mit eigenem künstlerischen Profil wahrgenommen. Vorher hat man sich gefragt: Wen unterstütze ich nun genau, wenn ich Mitglied der Freunde bin? Jetzt ist es klar: Wir unterstützen das Sinfonieorchester Basel. Und wir wollen
Franziskus Theurillat ist seit 2000 Geschäftsleiter des Sinfonieorchesters Basel. Zuvor spielte er als Hornist mehrere Jahre im Radio-Sinfonieorchester Basel, für das er ab 1993 auch als Präsident des Or chestervorstands tätig war.
das in Zukunft noch verstärken, indem wir sagen: Wir unterstützen nicht nur das Orchester als Institution, sondern dieses oder jenes konkrete Projekt, das sich das Orchester von sich aus vielleicht nicht leisten kann. Das ist ein wichtiger Punkt. In vielen Köpfen herrscht die Vorstellung, dass das Orchester ja subventioniert wird und somit keine zusätzliche Unterstützung braucht. Tatsächlich wird das Orchester zur Hauptsache von staatlichen Mitteln getragen, aber eben nicht nur. Das ist anders als früher oder wie zum Beispiel heute noch in Deutschland,
26
wo es immer noch Orchester gibt, die zu 100 Prozent staatlich finanziert werden. Die Subventionen müssen wir zielgerichtet gemäss unserem Leistungsauftrag einsetzen. Wir sind zum Beispiel rege tätig im edukativen Bereich und in der Musikvermittlung. Ebenso wird von uns eine breite Palette im E-Musik-Bereich erwartet. Für Sachen, die nicht zuoberst auf der Prioritätenliste stehen, haben wir dann oft kaum mehr Mittel zur Verfügung.
für die Institution selber zu engagieren. Mit ihrem Spirit stecken die jungen Musiker auch jene Orchestermitglieder an, die schon etwas länger dabei sind. Und so ist das Orchester für Sachen zu haben, die vor fünfzehn oder zwanzig Jahren kaum zu realisieren gewesen wären. Wir können zum Beispiel für unsere Freunde Sonderevents veranstalten, in grösseren oder kleinen Formationen, in besonderem Ambiente oder an besonderen Orten.
Welche Sachen sind das zum Beispiel?
Das nehmen wir natürlich sehr gerne an! Zusammen mit den Generalprobenbesuchen im Theater und unseren eigenen Anlässen haben wir unseren Mitgliedern einiges zu bieten. Und nicht zuletzt bietet der Verein Freunde auch die Gelegenheit, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Aber es ist mir auch wichtig, dass der eigentliche Zweck des Vereins nicht vergessen geht: Man sollte nicht primär Mitglied werden, um eine Gegenleistung zu erhalten, sondern weil man unserem Basler Orchester jene Unterstützung zukommen lassen möchte, die es verdient. ●
Wir sind ja viel unterwegs, allein schon in der Stadt selber. Wir pendeln nicht nur zwischen Theater und Stadtcasino, sondern haben auch Proben, Konzerte und Aufnahme sessionen in anderen Lokalen, wie im Volkshaus, im Münster oder im Landgasthof Riehen. Für den Materialtransport müssen wir jedes Mal einen Kleintransporter mieten. Das ist für unsere Orchestertechniker sehr umständlich und kostet auch relativ viel Geld. Ein Transporter, der mit einem PW-Ausweis gefahren werden kann, würde uns also sehr entlasten. Ein anderer Punkt sind Instrumente. Es gibt immer mal wieder Instrumente, die in die Jahre kommen und ersetzt werden müssen: Harfen, Kontrabässe, Pauken und Schlagzeug oder zum Beispiel ein Kontrafagott. Das kann teuer werden, eine Harfe kostet schnell einmal 80 000 Franken. Genau hier könnte der Verein Freunde dem Orchester unter die Arme greifen. Wenn wir mehr Mitglieder haben, werden solche Projekte auch sehr bald möglich sein. Um mehr Mitgliederbeiträge zu erhalten, haben wir an der letzten Vereinsversammlung zudem die Struktur der Mitgliedschaft überarbeitet: Die bisherige Mitgliederkategorie mit einer Einzelmitgliedschaft für 100 Franken bleibt zwar bestehen, neu wird es aber möglich sein, für einen höheren Betrag auch eine Gönnermitgliedschaft oder eine Firmenmitgliedschaft zu erwerben. Wir sind der Meinung, dass es viele Leute gibt, die gerne etwas mehr geben, wenn sie wissen, wofür das Geld konkret eingesetzt wird. Das Orchester ist ja auch sehr gerne bereit, für diese Unterstützung etwas zurückzugeben. Inzwischen haben wir im Orchester eine junge Musikergeneration, die weiss, wie wichtig es ist, sich nebst den Diensten im Orchester auch
Der Verein ‹Freunde Sinfonieorchester Basel› setzt sich zum Ziel, das Sinfonieorchester Basel ide ell und finanziell zu unterstützen. Entsprechend der Beitragshöhe profitieren die Mitglieder des Vereins von verschiedenen Angeboten: vom Besuch einer Generalprobe im Theater Basel für alle Mitglieder bis hin zum exklusiven Konzert mit Apéro für Gönner.
Mitgliedskategorien Kategorie
Beitrag in CHF (Einzelmitglied / Paar)
Freundschaft
100 / 150
Gönnerschaft Andante
500 / 750
Gönnerschaft Allegro
800 / 1200
Gönnerschaft für Firmen
3000
Details entnehmen Sie bitte www.sinfonieorchesterbasel.ch/freunde
27
Vorschau Familienkonzert: Jingle all the way
Weihnachtsstimmung in Basel
Das letztjährige Weihnachtsspektakel ‹Klingelingeling›
Das traditionelle Weihnachtskonzert des Sinfonie orchesters Basel zugunsten der Stiftung ‹BaZ hilft› wird neu vom Sinfonieorchester Basel selber veranstaltet, und auch die Programmgestaltung liegt in der Verantwortung des Orchesters. Das heisst jedoch nicht, dass das beliebte Format völlig auf den Kopf gestellt wird. Denn auch dieses Jahr wird der Hauptteil des Programms aus erlesenen Opernarien und Orchesterstücken bestehen, und wie bisher werden die Solopartien von hervorragenden Sängerinnen und Sängern des Opernstudios OperAvenir gesungen. Mit von der Partie ist auch wieder die Mädchenkantorei Basel, die im letzten Teil des Konzerts gemeinsam mit den Solisten und dem Publikum ein Medley der schönsten Weihnachtslieder singen wird. Geleitet wird das Benefizkonzert von Alexander Liebreich.
Nach dem Erfolg von ‹Klingelingeling› geht das SOBWeihnachtsspektakel für Kinder und Erwachsene in die nächste Runde. Wiederum ist ein Besuch des weltweit einzigen Samichlaus’ mit Kontrabass angekündigt, und auch die Kinder der Streicherklasse Schulhaus Insel sind wieder mit von der Partie. Freuen Sie sich auf eine bunte Mischung aus klassischen und weniger bekannten Weihnachtsliedern mit Lilia Tripodi (Mezzosopran) und Thomas Herzog (Leitung).
Bild : Benno Hunziker
Bild : Jan Geerk
Weihnachtskonzert zugunsten der Stiftung ‹BaZ hilft›
Sonntag, 7. Dezember 2014 11.00 Uhr, Stadtcasino, Musiksaal
Samstag, 20. Dezember 2014 14.30 Uhr, Stadtcasino, Grosser Festsaal
28
Agenda FR 14.11. 16.00
Familienkonzert : Grille und Ameise SOB / Patricia Kopatchinskaja / Reto Bieri u.a.
SO 16.11. 17.00 (ausverkauft)
Kammerkonzert : Romanze mit einem Kontrabass Basler Papiermühle Musik von György Kurtág, Franz Schubert, Camille Saint-Saëns u.a., Texte von Max Frisch, Anton Tschechow und Christopher Zimmer Christian Sutter / Christopher Zimmer
DO 27.11. 21.00
Cube Session #9 : Digging for Schubert Franz Schubert : Der Tod und das Mädchen, Fassung für Streichorchester Mitglieder des SOB feat. Amped & Wired
Kuppel Basel VV: starticket.ch
DI 02.12. 12.00–12.30
Punkt 12 : Offene Orchesterprobe SOB / Alexander Liebreich
Stadtcasino, Musiksaal Eintritt frei
MI 03.12. 19.30
Sinfoniekonzert SOB : Hoch auf dem Berg Beat Furrer : strane costellazioni Witold Lutosławski : Konzert für Violoncello und Orchester Johannes Brahms : Sinfonie Nr. 1 c-Moll, op. 68 SOB / Miklós Perényi / Alexander Liebreich
Stadtcasino, Musiksaal
SO 07.12. 11.00
Weihnachtskonzert zugunsten der Stiftung ‹BaZ hilft› SOB / Solistinnen und Solisten des Theater Basel / Alexander Liebreich
Stadtcasino, Musiksaal
SA 20.12. 14.30
Familienkonzert : Jingle all the way SOB / Streicherklasse Schulhaus Insel / Thomas Herzog u.a.
Stadtcasino, Grosser Festsaal
SO 21.12. 17.00
Noël à Strasbourg SOB / Solistinnen und Solisten des Theater Basel / Alexander Liebreich
Palais de la Musique et des Congrès Strassburg
DI 06.01. 12.00–12.30
Punkt 12 : Offene Orchesterprobe SOB / Michal Nesterowicz
Stadtcasino, Musiksaal Eintritt frei
MI 07.01. DO 08.01. 19.30
Sinfoniekonzert SOB : Ostwärts Witold Lutosławski : Mała suita Krzysztof Pendercki : Concerto doppio Sergei Prokofjew : Sinfonie Nr. 5 B-Dur, op. 100 SOB / Julian Rachlin / Fumiaki Miura / Michal Nesterowicz
Stadtcasino, Musiksaal
Vorverkauf ( falls nicht anders angegeben ) : Bider & Tanner, Ihr Kulturhaus mit Musik Wyler, Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel, 061 206 99 96 Detaillierte Informationen und Online-Verkauf : www.sinfonieorchesterbasel.ch
Stadtcasino, Grosser Festsaal
Es geht um Verl채sslichkeit.
Trafina Privatbank AG, Rennweg 50, CH-4020 Basel, Telefon +41 61 317 17 17, www.trafina.ch