Programm-Magazin Sensemayá

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Programm-Magazin Nr. 5 Saison 15/16

Sensemayรก MITTWOCH, 3. FEBRUAR 2016


Basel erleben mit dem Pro Innerstadt Geschenkbon Einkaufen, staunen und geniessen

proinnerstadtbasel.ch


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Bild : Christian Aeberhard

Sinfoniekonzert ‹Sensemayá›

3 Programm 4 Interview mit Martin Grubinger 9 Tan Dun: The Tears of Nature 12 Interview mit Diego Matheuz 15 Silvestre Revueltas Sánchez: Sensemayá 18 Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 8 Intermezzo

22 Vorlaut – Eine Serie von Alain Claude Sulzer 24 Orchester-Geschichte(n), Teil 5 26 Ulrike Mann und David Schneebeli im Gespräch Vorschau

31 Vorschau

Liebes Konzertpublikum

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ie Bedrohung unseres blauen Planeten durch den Klimawandel hat inzwischen auch den klassischen Musikbetrieb erreicht. Der in New York lebende chinesische Komponist Tan Dun wurde bekannt als Oscar-Gewinner für den Soundtrack zum Film Tiger and Dragon. In seinem Schlagzeugkonzert The Tears of Nature aus dem Jahr 2012 setzt sich Tan Dun mit den Schrecken jüngster Naturkatastrophen wie Erdbeben, Tsunami und Hurrikans kompositorisch auseinander. Das komplexe Verhältnis zwischen Mensch und Natur verarbeitet er zu einem atemberaubenden Parcours durch die klangreiche Welt der Schlaginstrumente – bis hin zu Kuhglocken und Auto-Bremstrommeln. Doch am Ende sind die Tränen der Natur zu hören, die uns wachrütteln sollen und vor Augen führen, dass jeder von uns etwas ändern kann und muss, um die Schöpfung zu erhalten. Gewidmet ist The Tears of Nature dem gegenwärtig wohl virtuosesten Perkussionisten Martin Grubinger. Er wird, wie auch der Dirigent Diego Matheuz, in unserem Sinfoniekonzert ‹Sensemayá› zum ersten Mal im Stadtcasino zu erleben sein. Wir freuen uns sehr auf das Konzert hier in Basel sowie auf das Gastkonzert im Festspielhaus Baden-Baden. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre unseres neuen Programm-Magazins und freue mich sehr auf Ihren Besuch.

32 Agenda

Dr. Hans-Georg Hofmann Leiter Künstlerische Planung


Bild : Benno Hunziker

Vorverkauf und Preise Bider & Tanner, Ihr Kulturhaus in Basel, Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel, + 41 ( 0 )61 206 99 96, ticket@biderundtanner.ch

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Sinfoniekonzert SOB

Sensemayá

MITTWOCH, 3. FEBRUAR 2016 19.30 Uhr, Musiksaal Stadtcasino Basel 18.45 Uhr: Einführung durch Roland Fleig

Silvestre Revueltas Sánchez (1899–1940)

Sensemayá, Sinfonische Dichtung für Orchester (1939)

Tan Dun (*1957)

The Tears of Nature, Konzert für Schlagzeug und Orchester (2012) 1. Misterioso 2. Misterioso 3. Misterioso

Pause

Antonín Dvořák (1841–1904)

Sinfonie Nr. 8 G-Dur, Die Englische, op. 88 (1890) 1. Allegro con brio 2. Adagio 3. Allegretto grazioso 4. Allegro ma non troppo

Konzertende ca. 21.30 Uhr

Sinfonieorchester Basel Martin Grubinger, Perkussion Diego Matheuz, Leitung


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Interview mit Martin Grubinger

«Wir tauchen ein in die Welt der Rhythmen» von Rolf App

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er Schlagzeuger Martin Grubinger kombiniert in seinen Konzerten die unterschiedlichsten musikalischen Stile. Und er ist ein geradezu leidenschaftlicher Vermittler neuer Musik. Gelernt hat er das zuerst bei seinem Vater. Der Multiperkussionist hat sich in aussergewöhnlicher Weise darum verdient gemacht, das Schlagwerk als Soloinstrument ins Zentrum des klassischen Konzertbetriebs zu stellen. Sein Repertoire reicht dabei von solistischen Werken über kammermusikalische Programme bis hin zu Solokonzerten. Namhafte Orchester sind schon mit ihm aufgetreten, oft ist er zusammen mit seinem Ensemble ‹The Percussive Planet› unterwegs. Einen wesentlichen Teil seines Repertoires bilden dabei Auftragswerke zeitgenössischer Komponisten – wie Avner Dormans Frozen in Time, das Konzert für Schlagzeug und Orchester von Friedrich Cerha oder Tan Duns Schlagzeugkonzert The Tears of Nature, das in Basel erklingen wird. Rolf App: Martin Grubinger, oft sind Sie ja zu Ihren Konzerten mit grossen Lastwagen unterwegs. Was steckt da zum Beispiel so drin? Martin Grubinger: Zum einen sind da natürlich die traditionellen Schlaginstrumente, die man aus den Orchestern und aus der Blasmusik kennt – von Pauken über Basedrums, Becken bis hin zu Triangel und Tamburin. Zum andern aber zum Beispiel auch grosse Marimbaphone, die bis zu fünf Oktaven umfassen. Das sind die grössten Instrumente, die man in diesem Bereich haben kann. Weiter gehören zu unserem Arsenal Vibra-

phon, Xylophon, Glockenspiele, viele Trommeln bis hin zu Spezialinstrumenten wie ­Donnerblechen. Schliesslich sind da noch Drumsets und Cachons, Congas und Bongos. Oder, um es einmal abgekürzt zu sagen: Bei mir kann alles dabei sein, was man sich so als Schlagzeuger erwünscht und erträumt. Haben Sie denn zu Hause eine grosse Halle, in der Sie all diese Instrumente lagern? Lange lagerten diese Instrumente verstreut und mussten vor jedem Konzert mühsam eingesammelt werden. Dann habe ich mir vor ein paar Jahren ein Paradies erbaut, und zwar in der Nähe des Attersees bei Vöcklabruck in Oberösterreich. Es ist ein Haus mit einem richtig schönen PercussionZentrum. Mit einem grossen, schallgedämmten Übungsraum und Tonstudio. Und, was für uns Schlagzeuger besonders wichtig ist: Man kann mit dem Lastwagen ebenerdig hineinfahren und bequem alles laden. Weiter gibt es ein Klavierzimmer sowie ein grosses Instrumentenlager. Und natürlich auch Räume, wo meine Mitmusiker übernachten können, sodass wir sozusagen trainingslagermässig proben können. Auch einen Fussballplatz haben wir – weil wir begeisterte Fussballer sind und zwischen den Proben gerne kicken gehen. Und rundherum existiert so ein kleines Schlagzeuger-­ Imperium? Ein Grubinger-Familienunternehmen? Ja, da haben Sie Recht. Da ist zum einen mein Vater. Er ist selber Schlagzeuger und war mein erster


Bild : F. Broede


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Lehrer, bis ich dreizehn Jahre alt war. Mich hat das immer fasziniert, wenn er zu Hause die Studenten unterrichtet hat. So bin ich mit dem Schlagzeug aufgewachsen. Wie man das Essen lernt, das Trinken, die Sprache, so habe ich das Schlagzeugspielen gelernt. Und ich kann deshalb gar nicht so genau sagen, wann es damit losgegangen ist. Auch heute noch unterstützt mein Vater das alles sehr. Er ist immer dabei, baut das Instrumenta­ rium auf, arrangiert Dinge, bearbeitet Werke, stellt Programme zusammen, entwickelt neue Ideen. Er ist mein schärfster Kritiker. Manchmal streiten wir auch, wenn er nach einem Konzert sagt: Das hast du nicht so gut gespielt. Das gehört dazu. Und Ihre Mutter? Sie kümmert sich um all die logistischen Dinge. Zum Beispiel darum, dass die Instrumente an die richtigen Orte kommen. Wir spielen ja nicht nur in Europa, sondern oft auch in Übersee. Sie erledigt die ganzen Formalitäten, stimmt die Musiker-Probentermine aufeinander ab, regelt Honorarauszahlungen und all diese Dinge. Das ist auch deshalb so kompliziert, weil wir oft viele Musiker dabei haben: Bei ‹Percussive Planet› spielen oft 30 bis 35 Musiker zusammen. Und dann moderieren Sie ja auch noch einmal im Monat ‹KlickKlack›, eine Musiksendung im Bayerischen Fernsehen. Und strahlen dabei eine Energie und Begeisterung sondergleichen aus. Man spürt das Bedürfnis, den Menschen etwas zu zeigen von Ihrer musikalischen Welt. Warum? Ob ich im Konzert auftrete oder ‹KlickKlack› moderiere, ob ich in einer Probe bin, oder ob wir Workshops machen mit Schülern: Wer mit mir zu tun hat, soll spüren, dass ich die tiefste Begeisterung empfinde für mein Instrument und für diese Musik. Diese Begeisterung, die Leidenschaft und die Hingabe, das ist mir ganz, ganz wichtig. Und die Intensität, mit der ich in jeder Sekunde wirklich hundert Prozent gebe und so eintauche in ein Werk. All das versuche ich natürlich auch in ‹KlickKlack› zu vermitteln. Wobei Sie auch immer wieder zeitgenössische Werke präsentieren, die zum guten Teil Auftragskompositionen für

Sie sind. Warum ist Ihnen das derart wichtig? Die Menschen sollen merken: Das ist die Musik unserer Zeit, sie reflektiert unser gesellschaft­liches Umfeld, und wir sehen uns in ihr selber wie im Spiegel. Zeitgenössische Musik handelt von unserem Leben, warum sollen wir uns also fürchten? Niemals darf das Publikum das Gefühl bekommen, wir präsentieren Musik gewissermassen von oben herab. Im Gegenteil. Es sollte stolz darauf sein, dass es etwas ganz Neues erlebt, vielleicht sogar eine Uraufführung. Und dann den Enkeln einmal sagen können: Damals bin ich dabei gewesen. Aber ein Risiko existiert, zeitgenössische Musik ist ja neu, unbekannt. Aber sicher. Der Fehlschlag ist einkalkuliert. Es kann sein, dass Menschen sagen: Ich finde keinen Zugang. Aber vielleicht fügen sie dann hinzu: Ich habe etwas Neues entdeckt. Ob es uns aber gelingt, Begeisterung zu wecken für das Nischenprogramm zeitgenössischer Musik, das hängt von uns ab. Was immer wir machen, ob zeitgenössische Musik, ob Salsa, Tango, African Drumming, Funk, Rock, Fu­ sion: Es muss immer Leidenschaft zu spüren sein. Warum lesen denn Menschen zwar ganz selbstverständlich neue Bücher, hören aber alte Musik und nicht, wie noch zu Beethovens Zeiten, zeitgenössische? Ist das nicht seltsam? Da haben Sie vollkommen Recht. Schauen Sie mal die Malerei an, da erzielen zeitgenössische Werke die höchsten Preise. Nur in der Musik ist diese Barriere entstanden, ein Abstand zwischen der Musik und dem Publikum. Ich glaube, dass es an uns Musikern liegt. Wir müssen diese Musik den Menschen erklären, und zwar auf Augenhöhe mit ihnen. Wenn wir das schaffen, dann wird es uns auch gelingen, ein neues, junges Publikum für die klassische Musik zu gewinnen. Denn Relevanz erzeugt man ja auch, indem man mit Musik unsere Zeit reflektiert. Die grossen Meister unserer Zeit sind da, wir müssen sie nur mit letzter Hingabe interpretieren und spielen. Gehören zu diesem Aufbruch in eine neue, jüngere Generation auch neue Konzertformen – weil die Konzertsituation doch auch eine gewisse Distanz schafft? Ich bin ja mit


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L­ eonard Bernstein aufgewachsen, der in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts in New York Konzerte für Tausende von Kindern gegeben hat, die dann in alle Welt übertragen wurden. Absolut. Ich habe Aufzeichnungen der Konzerte mit Leonard Bernstein gesehen, der Mann war revolutionär. Auch in meinen Konzerten gibt es Überraschungen, da wird getanzt, und es herrscht eine grosse Offenheit. Denn die Trennung von Eund U-Musik ist nicht nachvollziehbar. Im Gegenteil: Man kann beides wunderbar zusammenführen, ohne beliebig oder oberflächlich zu werden. Aber es braucht immer wieder Musiker und Komponisten, die den Menschen Musik erklären. Und welche Rolle könnten die Schulen spielen? Ich träume ja vom total integrativen Schulansatz: Dass Musiker vor dem Konzert in die Schulen kommen und dass die Schüler dann ein Werk wie zum Beispiel Le Sacre du printemps von Igor Strawinsky mit anderen Ohren hören. Der Geschichtsunterricht könnte dann noch erklären, in welcher Welt dieses Werk entstanden ist. Es gäbe Workshops, in denen sich die Schüler selber mit solchen Themen befassen. Alles zusammen wäre dann jene wahre integrative Bildung, die ein junges Publikum auch an die klassische Musik heranführt. Täuscht der Eindruck, dass die klassische Musik in der Krise ist? Geht man in Wien ins Konzert, dann muss man sagen: Die klassische Musik ist definitiv nicht in der Krise. Da läuft so vieles zur gleichen Zeit, und es gehen mehr Menschen ins Konzert, in die Oper und ins Theater als zum Fussball. An anderen Orten aber denkt man sich: Mag sein, dass da ein Bruch entsteht. Es kommt also sehr darauf an, wo man sich befindet. Zurück zu Ihnen: Haben Sie eigentlich genügend Repertoire? Oh, es wird mehr und mehr. Ich bin in regem Kontakt zu Komponisten. Gerade komponiert Olga Neuwirth ein Schlagzeugkonzert, das nächstes Jahr am Lucerne Festival uraufgeführt wird. Es kommen Schlagzeugkonzerte von Wolfgang Rihm, von H.K. Gruber und von anderen dazu. Das

Repertoire ist nicht das Problem, auch nicht das Publikum. Aber der eine oder andere Veranstalter denkt immer noch: Schlagzeug, ob des wos is? Aber auch diese Vorbehalte lösen sich mehr und mehr auf. Das Schöne an Ihrer Musik ist ja das Weltumspannende. Es ist keine rein westeuropäisch-klassische Angelegenheit. Hat das einen Einfluss auf Ihr Publikum? Ich denke schon. Unsere Zuhörer sind im Schnitt ein gutes Stück jünger. Sie lieben es, dass das Schlag­zeug ein derart multikulturelles Instrument ist. Salsa, Tango, afrikanische Stammesmusik – das hat alles ganz zwanglos nebeneinander Platz. Und die Menschen lieben es, ins Konzert zu kommen und eine Art Weltreise zu unternehmen. Und wir Schlagzeuger tauchen ein in die Welt der Rhythmen, das heisst in das, was uns täglich umgibt. Ausserdem glaube ich, dass die Menschen das Optische schätzen. Schlagzeug ist ein ganzkörperliches Instrument, oft geht es richtig zur Sache. Wir erleben in Deutschland und Österreich, dass das Instrument extrem boomt. Wer einen Schlagzeuglehrer sucht, muss teilweise Jahre warten, mein Vater hat zweihundert Kids auf der Warteliste. Das freut uns natürlich. Unterrichten Sie selber auch? Nein. Das wäre zeitlich zu schwierig. Ich bin zu oft unterwegs. Ein Lehrer sollte als Vertrauensperson präsent sein, sollte Ratgeber, manchmal auch Psychologe sein. Ich hatte dieses Glück mit meinen beiden Lehrern. Was bedeutet so ein Konzert eigentlich körperlich für Sie? Gutes Training. Ich esse gern und viel, und auf der Bühne kann ich dann abspecken. Mein Puls liegt bei 165, 170, ich brauche Ausdauer und Kraft. Schlagzeug ist ein physisches Instrument. Und vor dem Konzert, sind Sie da nervös? Nervös nicht, nein. Ich bin freudig-angespannt. Wie ein Fussballer, der unten in den Katakomben steht und die Fans draussen schon hört mit ihren Schlachtgesängen. ●


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Tan Dun: The Tears of Nature

Eine Studie über die Begegnung des menschlichen Geistes mit der Kraft der Natur von Ilja Stephan

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ine gute Metapher ist wie eine weit geöffnete Eingangstür, sie führt auf dem direkten Weg hinein in die Welt eines Kunstwerks. Für sein 2012 für Martin Grubinger geschriebenes Schlagzeugkonzert The Tears of Nature lieferte der chinesische Starkomponist und Oscar-Gewinner Tan Dun gleich eine ganze Reihe solcher Einstiege in seine persönliche Klang- und Erlebniswelt. «Die Natur», so schreibt Tan, biete das «einzige passende Modell für den Reichtum der Schlagzeugklänge und -instrumente». Klänge im Rohzustand, die so stofflich und sinnlich sind, dass man meint, sie anfassen zu können, zählen zu den Lieblingsmaterialien des Komponisten. So verwendet Tan in seiner ‹Organic Music› klappernde Steine, tröpfelndes Wasser oder das Rauschen des Windes. Und in dem Ritual The Pink zeichnet er mit den Klängen raschelnden, reis­ senden und knisternden Papiers die Erregungskurve eines Liebesakts nach. Dieser emotional aufgeladene Klangsensualismus prägt auch Tans Duns Schlagzeugkonzert. Eine Studie über die Begegnung des menschlichen Geis-

tes mit der Kraft der Natur sei sein Konzert, schreibt Tan. Jeder der drei Sätze sei von einem Naturereignis und den menschlichen Reaktionen darauf inspiriert: Im 1. Satz beschwört Tan das Bild der Erdbebenkata-

THE TEARS OF NATURE, KONZERT FÜR SCHLAGZEUG UND ORCHESTER Besetzung: 3 Flöten, 3 Oboen, 3 Klarinetten, 3 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug Entstehung: 2012 Widmung: Martin Grubinger Uraufführung: 18. August 2012 in Lübeck, NDR Sinfonieorchester unter der Leitung des Komponisten Dauer: ca. 30 min


Bild : Tan Dun


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strophe in Sichuan 2008 herauf. So steht am Anfang des Satzes das rein naturhafte Geklapper der Steine. Um die «explosive Kraft», aber auch die Sanftheit der Natur zum Klingen zu bringen, greift Tan im SoloPart dann auf die Pauken, also mit Fell bespannte Instrumente, zurück. Martin Grubinger streichelt diese Felle mit den Fingerspitzen, er donnert darauf mit harten Holz- und mit weichen Filz-Schlägeln, er kitzelt sie mit dem Jazz-Besen oder beklopft sie mit den Fingerknöcheln, und jede dieser Kombinationen aus Berührungsart und Materialien erzeugt einen Klang, in dem sich der Impakt der Hervorbringung und die Stofflichkeit des Instrumentariums unmittelbar mitteilen. Die ersten metallischen Klänge des Solisten, hervorgebracht von zwei kleinen Becken, setzen eine Zäsur und leiten zugleich über zum 2. Satz. Tan erinnert hier an die Tsunamikatastrophe in Japan 2011. Doch schildere der elegische Satz nicht das Naturereignis selbst, sondern die menschliche Reaktion darauf, die Betroffenheit und Trauer. Der Klang dieses Satzes wird vom Marimbaphon bestimmt, und das klingt ebenso warm und dunkel, wie das braune Holz, aus dem seine Klangplatten gefertigt sind. Im Hintergrund ist dazu der obertonreiche Klang von mit dem Geigenbogen gestrichenen tibetischen

Klangschalen zu hören, die die Aura einer buddhistischen Zeremonie heraufbeschwören. Die Athletik des Spielers ist einer der wesentlichen Aspekte und Reize der Schlagzeugmusik. Einen Percussion-Virtuosen umgibt stets auch die Aura ­eines Spitzensportlers. Diese Körperlichkeit des Schlagzeugspielens kostet Tan im 3. Satz voll aus. Er nennt den Satz einen «Tanz der Natur» und widmet ihn seiner Wahlheimat, der vor Aktivität vibrierenden Metropole New York. Im Jahr 2012 wurde der ‹big apple› vom Hurrikan Sandy getroffen, doch die Vitalität der Stadt habe auch über dieses Verhängnis gesiegt, so Tan. Martin Grubinger ‹tanzt› im 3. Satz des Konzerts also durch einen Parcours, der den ganzen Reichtum der Schlagzeugklänge abbildet. Er klöppelt auf den Metallplatten von Vibraphon und Glockenspiel, trommelt auf den Fellen von acht Tomtoms, rasselt durch Bambusstäbe, drischt auf Kuhglocken, Gongs und Woodblocks ein und schüttelt Sand im Rainstick – manches davon sogar gleichzeitig. Seine Schlagzeuger-Kollegen im Orchester mischen dazu noch den Klang stählerner Auto-Bremstrommeln und ganz am Schluss den leisen Klagelaut eines Aquaphons ein. Nahezu unhörbar begleiten so einige jener ‹Tränen der Natur›, die dem Konzert seinen Namen gaben, das letzte Solo von Martin Grubinger. ●


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Interview mit Diego Matheuz

«‹El Sistema› ist meine Familie, mein Zuhause» von Christian Fluri

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er Venezolaner Diego Matheuz dirigiert erstmals das Sinfonieorchester Basel. Er ist ein Kind von ‹El Sistema›. Er spricht über die Organisation in Venezuela, die Kindern – auch jenen der Strasse – eine breit angelegte musikalische Ausbildung ermöglicht und sie in Jugendorchestern arbeiten und auftreten lässt. Er äussert sich über die soziale Wirkung von ‹El Sistema› und erklärt den Geist dahinter. Christian Fluri: Ihre musikalische Sozialisation und erste Ausbildung erlebten Sie mit ‹El Sistema›. Was bedeutet das soziale Musikprojekt für Sie? Diego Matheuz: ‹El Sistema› bedeutet für mich sehr viel. Hier erhielt ich meine ganze musikalische Bildung und Ausbildung. Das Projekt bot mir alle Möglichkeiten, mich künstlerisch zu entwickeln und zu verwirklichen. ‹El Sistema› ist meine Familie, mein Zuhause. Und was bringt ‹El Sistema› Venezuela und seiner Jugend? Wir haben derzeit 700 000 Kinder in unserem Programm der musikalischen Ausbildung. In den kommenden drei oder vier Jahren werden es eine Million Kinder sein. ‹El Sistema› holt Knaben und Mädchen von der Strasse und ermöglicht ihnen

eine Entwicklung in einer Welt ohne Gewalt und ohne Drogen. Es gibt ihnen eine Zukunft, verleiht ihrem Leben Perspektiven. Sie erhalten so in einer friedlichen, geistig anregenden Umgebung Gelegenheit, darüber nachzudenken, was das Leben eigentlich ist. ‹El Sistema› ist für unser ganzes Land eine grosse Hoffnung. Gerade nach den schrecklichen Attentaten in Paris wird die verlorene Jugend in den Banlieues von Paris und Brüssel thematisiert. Wäre ‹El Sistema› auch ein Ausweg aus der Sackgasse in Frankreich, Belgien oder England? Hier muss ich zuerst einschränken, dass wir ‹El Sistema› nicht von Venezuela unbesehen auf ein anderes Land, einen anderen Kontinent übertragen können. Jedes Land, jeder Kontinent ist in seiner Struktur und in der Mentalität der Menschen anders. Aber gewiss bietet ‹El Sistema› eine Möglichkeit, der Jugend überall auf der Welt zu helfen, ihr Perspektiven und Hoffnung zu geben. Und Musik ist eine universelle Sprache, die alle verstehen können. In Venezuela ersetzen die Instrumente die Waffen einer Strassenjugend. Könnten Instrumente nicht auch die Waffen der Banlieue-Jugend ersetzen?


Bild : Lucas Dawson


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Ja, ich denke, auch das ist sehr wohl möglich. Je mehr Menschen Musik machen, desto besser! Inwiefern hat Musik eine integrative Wirkung? Ein Orchester ist eine perfekte Gemeinde. Jeder muss auf den anderen hören, auf ihn eingehen. Im Orchester lernen die Jugendlichen die friedliche, verständnisvolle Kommunikation, es ist eine bessere Welt im Kleinen. Sie sind heute auch ein Wanderer zwischen den Kulturen, zwischen Lateinamerika und Europa, und werben um den interkulturellen Dialog? Ja, ich fühle mich glücklich, als Lateinamerikaner so viele Kulturen kennengelernt zu haben, spe­ ziell die europäische mit ihrer jahrhundertealten Musiktradition. Es ist eine einmalige Chance, diesen künstlerischen Reichtum nach Lateinamerika zu bringen und unsere Kultur wiederum nach Europa. Schon die Barockmusik in Lateinamerika war nicht einfach europäischer Import, sondern verarbeitete auch Elemente der indianischen Musik. Wie erfolgt der kulturelle Austausch mit der aus Europa stammenden Konzertmusik? Gewiss, Europa und seine Künste sind für uns eine Referenz. Aber gerade in den vergangenen fünfzig Jahren hat sich die lateinamerikanische Musik stark entwickelt. Es gibt viele herausragende Komponisten, nicht nur in Venezuela, sondern in ganz Lateinamerika. Ihre Werke werden in der ganzen Welt gespielt. Ihre Musik steht natürlich unter dem Einfluss der europäischen, aber sie ist zugleich in der lateinamerikanischen Kultur verankert. Worin unterscheiden sich venezolanische Orchester von denjenigen Europas? Die Musikerinnen und Musiker in den venezolanischen Orchestern arbeiten sehr hart. Es spielen sehr viele junge Menschen in den Orchestern. Sie müssen sich das europäische klassisch-romantische Repertoire zuerst erarbeiten, und sie vergrös­ sern es stetig. Wir lieben es, die grossen S ­ infonien einzustudieren. Charakteristisch ist die enorme Energie unserer Musikerinnen und Musiker.

Gerade die Jugendorchester aus Venezuela – wie das S­ infónica de la Juventud Venezolana Simon Bolivar – spielen in fast überdimensionierter Besetzung, verfremdet das nicht den Klang der Werke? Ich denke nicht. Natürlich ist es schwieriger, in einem grossen Orchester Beethoven zu spielen. Aber umso mehr muss jeder auf den anderen hören. Es muss eine intensive Kommunikation unter den Musikern geben. Auch Ihr Basler Programm mit dem SOB ist eine Wanderung zwischen Kulturen und Zeiten, zwischen Mexiko, dem Osteuropa des 19. Jahrhunderts und China. Das Programm habe ich gemeinsam mit HansGeorg Hofmann vom Sinfonieorchester Basel zusammengestellt. Das Eröffnungsstück Sensemayá des Mexikaners Silvestre Revueltas Sánchez und The Tears of Nature, das Konzert für Schlagzeug und Orchester von 2012 des Chinesen Tan Dun, sind rhythmisch komplexe Stücke mit vielen Perkussionsinstrumenten, mit einem Reichtum an ­Farben und fantastischen Melodien. AntonÍn ­Dvořáks 8. Sinfonie ist eines meiner Lieblingswerke. Sie kennen das Werk Tan Duns? Ja, ich kenne und schätze Tan Dun, ich habe sein Stück schon früher aufgeführt. Es ist sehr schöne Musik. Integriert Tan Dun auch Elemente der traditionellen chinesischen Musik in seine Komposition? Ja, so manche Passage greift auf die chinesische Musik zurück. Ursprünglich sind Sie Violinist, hat das Einfluss auf die Art und Weise, wie Sie an ein musikalisches Werk herangehen? Da ich selbst vor einiger Zeit noch als Violinist in einem Orchester gespielt habe, kenne ich dessen Innenleben genau. Das ist für mich in der Zusammenarbeit mit den Musikerinnen und Musikern sehr wichtig und hilfreich. ●


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Silvestre Revueltas Sánchez: Sensemayá

Musikalische Landschaften Mittelamerikas von Harald Hodeige

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Meine Musik ist funktionale Architektur, was nicht die Emotion ausschliesst. Melodische Fragmente leiten sich von dem gleichen Impuls, der gleichen Emotion ab, wie in meinen anderen Werken. Sie singen in beharrlichen Rhythmen, immer in Bewegung …» Silvestre Revueltas ist zwei-

SENSEMAYÁ, SINFONISCHE DICHTUNG FÜR ORCHESTER Besetzung: 4 Flöten, 4 Oboen, 3 Klarinetten, 4 Fagotte, 4 Hörner, 4 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug, Harfe, Streicher Entstehung: 1937 zunächst in einer Fassung für Chor und kleines Orchester, 1938 Bearbeitung für Sinfonieorchester Uraufführung: 18. Dezember 1938, Mexiko Symphony Orchestra Dauer: ca. 7 Minuten

fellos einer der bedeutendsten Komponisten Mexikos, wenngleich er noch heute, 75 Jahre nach seinem Tod, den meisten Konzertbesuchern unbekannt sein dürfte. Am 31. Dezember 1899 in Santiago ­Papasquiaro geboren, erhielt er als Achtjähriger ersten Violin­ unterricht. Von 1913 bis 1916 absolvierte er ein Violinstudium am Nationalkonservatorium in Mexiko-­Stadt, wo der angehende Geiger bald auch Komposition studierte. Anschliessend ging Revueltas für vier Jahre in die USA, um seine musikalische Ausbildung zu vervollständigen. Nach seiner Rückkehr in die Heimat befreundete er sich mit Carlos Chávez, der mit seinen Kompositionen, bei denen er folkloristische Rhythmen, traditionelle Schlaginstrumente sowie – als vermeintliches Merkmal der Indio-Musik – die pentatonische Skala einsetzte, zu den Begründern einer mexikanische Nationalmusik gehörte. Chávez bot ihm die stellvertretende Leitung des neu gegrün­ deten Sinfonieorchesters sowie die Stelle eines Geigenlehrers und Leiters des Studentenorchesters am Konservatorium von Mexiko-Stadt an: «Das alte Konser­vatorium brach unter der Tradition, den Motten und der glorreichen Melancholie zusammen»,


Bild : elmiradornocturno


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beschrieb Revueltas die Aufbruchstimmung jener Jahre. Mit der Zeit kam es allerdings mit Chávez zu künstlerischen Differenzen, welche schliesslich zum Bruch zwischen den beiden starken Persönlichkeiten führten. Hierbei entfernte sich der überzeugte Sozialist Revueltas immer mehr von den akademisch geprägten, artifiziellen und stilisierten ‹Mexikonismen› des Konservatoriumsdirektors Chávez, da sich sein Interesse immer stärker auf die authentische und lebendige Folklore seines Landes fokussierte. Allerdings steigerte Revueltas die primitiven Ostinati und repetitiven Rhythmen seiner unmittelbaren Umwelt zu gewaltigen Orchesterausbrüchen und schichtete die von ihm verwendete volkstümliche Melodik so lange übereinander, bis komplexe polytonale Strukturen entstanden. Auf diese Weise schuf er ein authentisches Klangbild der mexikanischen Kultur, welche selbst ein schillerndes Amalgam der unterschiedlichsten ethnischen Einflüsse ist. «Meine Rhythmen», schrieb er, «sind schwungvoll, taktil, visuell, ich denke in Bildern aus melodieführenden Akkorden und dynamischen Bewegungen.» Die sinfonische Dichtung Sensemayá, von der 1937 eine Fassung für Chor und Ensemble vorlag, bevor im Mai des folgenden Jahres die bekanntere Version für grosses Orchester vollendet war, ist Revueltas wohl meistaufgeführtes Stück. Die Uraufführung am 18. Dezember 1938 durch das Sinfonieorchester von Mexiko-Stadt war ein bedeutendes kulturelles Ereignis; die USA-Premiere erfolgte nach dem Tod des Komponisten am 26. Februar 1945 durch das New York Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Leopold Stokowski. Das Werk basiert auf dem gleichnamigen Gedicht des kubanischen Poeten Nicolás Guillén, das von den rituellen Gesängen beim Töten einer Schlange erzählt – der Untertitel von Guilléns Werk lautet Lied zum Töten einer Schlange. Das Gedicht, welches auf eine Zeremonie mit afrikanischen Ursprüngen zurückgeht, handelt von Lucero, einer Prinzessin, die von dem Zauberer ihres Stamms in eine Schlange verwandelt wurde, weil sie ihn zurückgewiesen hatte. Anschliessend machen die Männer Jagd auf die Schlange, die schliesslich vom Zauberer getötet wird. Allerdings stirbt nicht Lucero, sondern der Zauberer selbst, während die Prinzessin ihre ursprüngliche Gestalt zurückerhält.

Revueltas hat die Geschichte mit rhythmischem Schwung und üppiger Instrumentation gekonnt in Musik gesetzt. Als rhythmische Keimzelle diente ihm hierbei der Refrain von Guilléns Gedicht, der seinerseits lautmalerisch die Rhythmen afrokubanischer Geisterbeschwörungen imitiert: «¡Mayombebombe-mayombé!» Innerhalb des rund sechsminütigen Werks verdichten sich kontinuierlich Textur und Orchestrierung, wobei die drei wichtigsten Themen kontrapunktisch geschichtet werden, was zu polyrhythmischen und bisweilen auch dissonanten Wendungen führt, bevor die Musik ihrem abschlies­ senden Höhepunkt entgegensteuert. ●


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Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 8 G-Dur

Auf dem Weg zur Tondichtung von Jürgen Ostmann

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ntonín Dvořáks 8. Sinfonie wird auch Die Englische genannt – ein Beiname, der in fast jeder Beziehung irreführend ist. Denn das Werk entstand nicht in England, sondern zwischen dem 26. August und dem 8. November 1889 im südböhmischen Vysoká, wo Dvořák einen Sommerwohnsitz hatte, sowie in Prag. Die Uraufführung fand auch nicht in London statt, sondern ebenfalls in Prag (am 2. Februar 1890 im Rudolfinum unter der Leitung des Komponisten). Und gewidmet wurde die Sinfonie der Böhmischen Kaiser-Franz-Joseph-Akademie für Wissenschaft, Literatur und Kunst, die Dvořák gerade als Mitglied aufgenommen hatte. Auch musikalisch zeigt das Werk keine englischen Züge; die Themenerfindung ist vielmehr folkloristisch-böhmisch geprägt. Immerhin jedoch führte Dvořák die Sinfonie mehrfach sehr erfolgreich in England auf, unter anderem im Juni 1891, am Vorabend seiner ­Ernennung zum Ehrendoktor der Universität Cambridge. Und er veröffentlichte sie beim Londoner Verlagshaus Novello & Ewer, weil er sich mit seinem Hauptverleger Simrock vorübergehend überworfen hatte. Dieser war mehr an kürzeren, leicht verkäuf­ lichen Gelegenheitswerken interessiert und wollte für eine Sinfonie kein Honorar zahlen, das dem wachsen­ den internationalen Ruhm des Komponisten gerecht geworden wäre. Mit seiner Achten plante Dvořák, wie er in einem Brief mitteilte, «ein von den anderen Sinfonien verschiedenes Werk zu schreiben, mit individuellen, in neuer Weise ausgearbeiteten Gedanken». Zwar wähl-

te er wie in den vorangegangenen Sinfonien die traditionelle vierteilige Satzfolge, aber im Vergleich zur Sechsten oder Siebten füllte er dieses Schema auf ganz unorthodoxe Art mit Leben. Der zeitgenössische Musikforscher Hermann Kretzschmar sprach sogar von einem Werk, das «den Begriffen nach, an die die europäische Musikwelt seit Haydn und Beethoven gewöhnt ist, kaum noch eine Symphonie zu nennen [ist]; dafür ist sie viel zu wenig durchgearbeitet und in der ganzen Anlage zu sehr auf lose Erfindung begründet. Sie neigt zum Wesen der Smetana’schen Tondichtungen und dem von Dvořáks eigenen ‹Slawischen

SINFONIE NR. 8 G-DUR, DIE ENGLISCHE Besetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug, Streicher Entstehung: 26. August bis 8. November 1889 im südböhmischen Vysoká Widmung: Kaiser-Franz-Joseph-Akademie für Wissenschaft, Literatur und Kunst, Prag Uraufführung: 2. Februar 1890, im Rudolfinum in Prag unter der Leitung des Komponisten Dauer: ca. 40 min


Bild : Österreichische Nationalbibliothek


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Rhapsodien›.» Tatsächlich fällt in allen vier Sätzen die grosse Zahl und Buntheit der thematisch-motivischen Ideen auf – kein Wunder, schliesslich beklagte sich Dvořák im August 1889 bei seinem Freund Alois Göbl, sein Kopf sei so voll von Melodien, dass er sie kaum schnell genug zu Papier bringen könne. Diese Melo­ dien reihte er in der Achten allerdings nicht willkür­lich aneinander; vielmehr knüpfte er vielfältige Motiv­ beziehungen, teils auch über die Satzgrenzen hinweg. Dennoch mutet die Entwicklung der Musik stellenweise fast improvisatorisch an – oder wie von aussermusikalischen Vorstellungen geleitet. Man denkt an Programmmusik, in der «Wiederkehr, Wechsel, Veränderung und Modulation der Motive durch ihre Beziehung zu einem poetischen Gedanken bedingt» sind – so formulierte es Franz Liszt 1855 in seinem Aufsatz Berlioz und seine Harold-Symphonie. Dvořák wandte sich ab Beginn der 1890er-Jahre immer mehr dem Konzept der Programmmusik zu, so zum Beispiel in den drei Konzertouvertüren In der Natur op. 91, Karneval op. 92 und Othello op. 93 (1891/92). Zur Achten gab er allerdings kein Programm bekannt. Wollte man Dvořáks Achte nach den «Begriffen» analysieren, «an die die europäische Musikwelt seit Haydn und Beethoven gewöhnt ist», dann wäre vor allem an die sogenannte Sonatenhauptsatzform zu denken: Im Charakter kontrastierende Themen – ein Hauptthema in der Grundtonart, das Seitenthema auf der fünften Stufe – werden in der Exposition vorgestellt, in der Durchführung in Motive aufgespalten, verarbeitet und harmonisch umgedeutet und in der Reprise nochmals aufgegriffen; Introduktion und Coda können einen Rahmen bilden. Dass sich Dvořáks Musik nicht in dieses traditionelle Formschema pressen lässt, zeigt schon der Beginn des 1. Satzes. Hier hört man eine Melodie in Cello, Fagott und Klarinette, die nicht das Hauptthema sein kann, da sie in g-Moll – und nicht in der Grundtonart G-Dur – steht. Ein ‹passenderes› Hauptthema in ­G -Dur erscheint tatsächlich bald in der Flöte. Ist das Mollthema also einer Sonatensatz-Introduktion zuzuordnen? Dagegen spricht wieder, dass die Melodie zu Beginn der Durchführung nochmals auftaucht und erneut, mit triumphierenden Trompeten, vor der Reprise. Am ehesten könnte man vielleicht von einem ‹Mottothema› sprechen, das Dvořák zur Gliederung einsetzt. Im Grunde

erscheinen solche Diskussionen über Begriffe aber müssig, weil die Formen in Dvořáks 8. Sinfonie weitgehend von den melodischen Ideen abgeleitet und somit nicht wiederholbar sind. Ebenso wenig voraussehbar ist der Verlauf des 2. Satzes. Abrupt abgebrochene Themen, kurze, originelle Durchführungsabschnitte und unerwartete Kontraste kennzeichnen dieses Adagio in Es-Dur. Manchen Kommentator hat das Stück an eine kleine Sinfonische Dichtung erinnert; ihr Inhalt wäre dann wohl das böhmische Landleben – einschliesslich Vogel­rufen und Dorfkapelle. Im folgenden Scherzo (g-Moll) transformiert Dvořák das Eröffnungsthema des ­Adagios in einen ⅜-Walzer, und der zentrale Trio­ abschnitt (G-Dur) bringt ein Melodiezitat aus seinem heiteren Operneinakter Die Dickschädel. Nach einer wörtlichen Wiederholung des Hauptteils endet der Satz mit einer molto vivace zu spielenden Coda. Festliche Trompetenfanfaren kündigen das Finale an, dessen tanzartiges Hauptthema dem des Kopf­ satzes verwandt ist: Beide beginnen mit einem gebrochenen G-Dur-Dreiklang. Was folgt, ist eine originelle Verbindung aus Sonaten- und Variationssatz. Die zweite Variation ist eine energische Tutti-Version der ersten Themenhälfte in schnellerem Tempo. Sie wird nach der dritten Variation wiederholt, bevor ein Seitenthema und eine kurze Durchführung folgen. Der Wiedereintritt des Hauptthemas (fast in Originalgestalt) lässt zunächst an eine Reprise denken, führt dann aber zu weiteren Variationen. Nach nochmaliger Wiederholung der zweiten Variation endet der Satz in einer mitreissenden Stretta (also einer Schlusssteigerung in schnellerem Tempo). Was genau Dvořák seinen Hörern innerhalb dieser merkwürdigen und sehr individuellen Satzform mitteilen wollte, wird sich kaum ergründen lassen. Und doch möchte man jenem englischen Kritiker recht geben, der nach der Londoner Erstaufführung am 24. April 1890 schrieb, es sei «unmöglich, nicht zu fühlen, dass die Musik versucht, sehr verständlich von Geschehnissen aus­ serhalb ihrer selbst zu sprechen». ●


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Vorlaut – Eine Serie

Wechselbad der Gefühle von Alain Claude Sulzer

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und zwei Wochen, nachdem die letzten Paukenschläge unter den Bläsern und Streichern in Dvořáks 8. Sinfonie verklungen sind, wird in Basel auch die Fasnacht beendet sein. Mit den sich abschwächenden, gegen die unerbittliche Zeit ankämpfenden Trommel- und Piccoloklängen wird sie, wie jedes Jahr, den Beteiligten den Weg in eine ungewisse Zukunft gewiesen haben; eine Zukunft, in der nur eines sicher ist: dass die nächste Fasnacht wiederkommt, einige Teilnehmer jedoch fehlen werden. Je heller es am Donnerstag nach Fasnacht wird, desto weiter fallen die vergangenen drei Tage in die Dunkelheit des allmählichen Vergessens zurück. Was war, verliert an Kontur, wenngleich nicht an Bedeutung; was übrig bleibt, ist Substanz; eine Erinnerung nicht an Details, sondern an ‹alles›, was war, oder zumindest an das, was wir – wie undeutlich auch immer – sahen oder hörten: auf jeden Fall das Pfeifen, das Trommeln. Das Schlagen. Das abrupte Abrücken von bestimmten Rhythmen. Hell neben dunkel, schrill neben dumpf. Wie oft ist man eingekehrt, wie oft wieder ins Freie getreten? Wie viele Stunden war man wach, wie viele Stunden in einem Zustand zwischen Wachen und Träumen, zwischen Tagtraum und Erleuch­tung, zwischen Erschöpfung und Hellsichtigkeit, zwischen Wahn, Trug und Täuschung? Kaum etwas war in diesen drei Tagen alltäglich, weder die vierundzwanzigstündige Freiheit, sich musikalisch zu äus­ sern, noch der Weisswein morgens um drei. Anders als sonst war die Nacht, durch die man in einem trance­ähnlichen Zustand taumelte, wichtiger als der helllichte Tag; nachts kehrte man gewissermassen

bei sich ein, ohne Rücksicht auf jene Zuschauer zu nehmen, denen man tagsüber noch ausgesetzt war, wo sie am Strassenrand den Maskierten ihre Gesichter preisgaben. Auf dem Trommelfell bleibt der Nachhall von Piccolos und Tambouren. Bis schliesslich der Alltag endgültig zurückgekehrt sein wird, dauert es noch zwei, drei Tage. Masken und Kostüme hängen wieder im Schrank. Der Spuk ist vorbei. Kaum anders, wenngleich innerhalb eines zeitlich beschränkten Rahmens, der die Intensität des Gefühlten noch verstärkt, ergeht es dem, der ein Konzert verlässt. Auch er war eben noch in etwas einund abgetaucht, das sich entschieden von seinem Alltag unterschied. Ihn umgab ein sich ständig neu formierender Raum aus Klang, gemacht aus vielen Tönen, ein Raum, der Aufmerksamkeit erfordert und zugleich willkommene Abschweifung befördert. Hinund hergerissen nahm ihn der Klangraum gefangen, der sich in allem unterscheidet, was draussen ist. Auch wenn er zu wissen glaubte, was auf ihn ­zukommt, wurde er einmal mehr überrascht und ­betört. Das Wechselbad der Gefühle hat ihn ergriffen und bewegt, es hat ihn irritiert, vielleicht sogar verstört, es hat ihn an unerwarteter Stelle getroffen, vielleicht – auch damit muss man rechnen – befremdet oder kaltgelassen. Dies aber alles nur, wenn wir bereit sind, den Schritt zu wagen und die Trennlinie zwischen innerem und äusserem Raum, zwischen architektonischer Realität und musikalischem Leben, zwischen Strasse und Konzertsaal, zwischen Gesicht und Maske, äusserer Stille und innerem Aufruhr zu überwinden. Im Grunde reicht es, hin und wieder in ein Konzert zu gehen, man muss nicht auf die Fasnacht warten. ●


Bild : Alain Claude Sulzer


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Orchester-Geschichte(n), Teil 5

Pleiten, Pech und Pannen von Sigfried Schibli

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ahrscheinlich ist die Anfälligkeit für Vorkommnisse, die man als Pannen bezeichnet, bei einem Orchester nicht grösser als bei einer Fussballmannschaft oder in einem Russischkurs. Hier wie dort rutscht mal jemand auf dem Parkett oder auf dem Rasen aus oder lässt ein unbedachtes Wort fallen. Meistens geht das glimpflich aus, aber ganz ungefährlich sind solche kleinen Versehen nicht immer. Ich war einmal Zeuge, als einem übereifrigen Dirigenten der Taktstock aus der Hand fuhr und mitten im Orchester landete. Zum Glück ohne Blutvergiessen. Anders als bei Jean-Baptiste Lully, der sich 1687 beim Taktstampfen zu seinem Te Deum den langen Stab in den Fuss rammte und an den Folgen einer Blutvergiftung starb. Und nochmals anders als beim Dirigenten Eliahu Inbal, der sich vor Jahren bei einer Opernaufführung mit dem Taktstöckchen ins Auge stach. Aber nicht alles, was während eines Konzerts he­ rumfliegen kann, ist ein Taktstock. Ein Schlagzeuger vom Sinfonieorchester Basel erzählt, dass ihm bei einer Aufführung der Oper Der Alte vom Berge von Klaus Huber einmal der Kopf des Schlägels für die Grosse Trommel davonflog – direkt in die Noten des Dirigenten Francis Travis. Zum Glück war das Flugobjekt aus weichem Filz und richtete keinen Schaden an. Dafür gab es Sonderapplaus, weil manche Theaterbesucher glaubten, es handle sich um einen Regie-Gag. Dirigenten sind in der Regel auf eine Partitur angewiesen, aus welcher sie dirigieren. Ausser sie ge-

hören zur Fraktion der Auswendig-Dirigierer, die ein Werk schon so oft gespielt haben, dass sie es ‹par cœur› kennen und keiner Krücken bedürfen. Die meisten Dirigenten tragen Dinge, die ihnen wichtig sind und die sie bei der Live-Aufführung nicht übersehen wollen, in die Noten ein: Taktwechsel, plötz­ liche Änderungen in der Dynamik oder im Tempo, Soli, die hervorgehoben werden sollen. Pech, wenn dann die falsche Partitur auf dem Pult liegt! Das passierte einmal Horst Stein, dem früheren Chef der Allgemeinen Musikgesellschaft Basel. Er wollte (oder sollte, denn er war kein Freund der Neuen Musik) ein Stück von Robert Suter aufführen, aber leider hatte er dem Orchesterwart eine falsche, nicht von ihm beschriftete Partitur in die Hand gedrückt. Er soll, erzählen Augen- und Ohrenzeugen, beim Dirigieren mächtig ins Schwitzen gekommen sein. Manche Pannen im Orchesterleben fallen in die Kategorie der Streiche, die gelegentlich von Orchestermusikern gespielt werden. Einen solchen Streich leisteten sich Musiker einmal – es war noch im alten Basler Stadttheater – während einer Aufführung der Nacht in Venedig mit dem unvergessenen Max Knapp. In einer Szene, da einer Sängerin eine Ohrfeige – natürlich eine schmerzlose Theaterohrfeige – verpasst werden musste, betätigten Musiker gleichzeitig eine Kuhglocke und eine Kuckucksuhr. Die Sängerin soll vor Schreck verstummt sein, worauf der Dirigent Harri Rodmann einige Takte lang die Sopranpartie weiter sang. Ein anderer Streich der Schlagzeuger


Bild : Wikimedia Commons

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bestand darin, dass sie einmal bei einer Vorstellung der Entführung aus dem Serail von Mozart in einer Pause heimlich und ohne Wissen der Dirigentin Julia Jones Perücken überzogen. So wurden aus Orchestermusikern ganz in Schwarz plötzlich bunte Perücken­ männer … Ebenfalls aus dem alten, 1975 gesprengten Stadttheater erzählen Musiker eine Anekdote, die nichts mit böser Absicht, sondern mit den Tücken der Technik zu tun hat. In der Oper L’heure espagnole von Mau-

rice Ravel gibt es einen Uhrmacher, dessen Frau sich gern mit Liebhabern vergnügt. Einer dieser Lover muss sich in einer Standuhr verstecken, weil der Hausherr überraschend heimkehrt. Als der Liebhaber in der Bühnenaufführung sein Versteck verlassen wollte, klemmte die Tür so stark, dass ein Bühnentechniker den Gefangenen befreien musste. Böse Zungen sagen: Das sind die Augenblicke, in de­nen das Theater wirklich echt und unvergesslich ist. ●


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Ulrike Mann und David Schneebeli im Gespräch

«Mit der Menschheit kommt es gut!» Ulrike Mann, Kontrabassistin, und David Schneebeli, Solo-Fagottist, beide im Sinfonieorchester Basel, unterhalten sich über ­Orchesterfusion, Willkommenskultur und Beschle-Pralinen. aufgezeichnet von Cristina Steinle

David Schneebeli: Wir haben tatsächlich beide vor dreissig Jahren angefangen … Ulrike Mann: Aber in verschiedenen ‹Bands›! Du im Radio-Sinfonieorchester und ich im Basler Sinfonie-Orchester. Als wir angefangen haben, waren wir natürlich mit Abstand die Jüngsten. Da hatte es um mich herum ganz viele Männer in Anzug und Krawatte, man hat sich untereinander gesiezt. Das waren definitiv andere Zeiten!

Ulrike Mann ist in Deutschland aufgewachsen, wo sie nach dem Abitur in Freiburg i.B. an der Musikhochschule ihr Studium abschloss. Bevor sie 1985 ihre Stelle als Tutti-Kontrabassistin im Basler Sinfonieorchester antrat, spielte sie im Philharmonischen Orchester Freiburg und in der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Sie war viele Jahre VPOD-Vertreterin des Orchesters und ist Mutter zweier erwachsener Kinder.

Hast du das Gefühl, dass du die jungen Kolleginnen und Kollegen, die heute ins Orchester kommen, auf eine andere Art empfängst, als du seinerzeit willkom­ men geheissen wurdest? Auf jeden Fall! Klar, bei mir war es vielleicht auch ein Spezialfall, weil ich ‹die Frau am Bass› war und eine so junge dazu. Zu dieser Zeit waren Bassistinnen quasi ein No-Go in den deutschsprachigen Ländern. Da habe ich leider sehr viel Ablehnung erlebt. Klar, es gab auch sehr nette Kollegen. Ich freue mich heute über alle jungen Kolleginnen und Kollegen, die zum Orchester stossen. Besonders nach der ­Fusion von Radio- und Sinfonie-Orchester, als es zu einer Art ‹Still­stand› kam, da einfach alle Stellen besetzt waren und ­später das Orchester noch weiter reduziert wurde. Der natürliche Ablauf der personellen Erneuerung des Orchesters konnte so nicht stattfinden. In den letzten Jahren kam das wieder in die Gänge, dadurch wurden wir wieder ‹aufgefrischt›. Das hat für mich einerseits positive ­Auswirkungen auf die Atmosphäre, andererseits ist es aber auch entlastend. Man kann sich nun ein bisschen mehr zurücklehnen, was in meinem Alter einfach notwendig ist. Und wie ist das bei dir? Das empfinde ich auch so. Ich finde es sehr schön und spannend, was in den letzten Jahren gegangen ist. Das heisst natürlich nicht, dass ich die pensio-


Bild : Jean-François Taillard

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Ulrike Mann und David Schneebeli

nierten Kolleginnen und Kollegen hätte weghaben wollen. Aber wir haben so viele tolle junge Leute gefunden. Mir gefällt es, am Anfang, wenn die Jungen starten, Gastgeber zu sein, sie willkommen zu heissen und zu schauen, dass sie sich wohlfühlen. Es ist schliesslich die Aufgabe derjenigen, die schon da sind, die Neuen gut aufzunehmen. So kommt auch wesentlich schneller etwas zurück. Im Gegensatz zu dir hatte ich damals allerdings einen sehr leichten Einstieg. Da gab es durchaus eine Art Willkommenskultur. Ich spürte einen starken Vertrauensvorschuss, den ich von den älteren Kollegen erhielt. Ich wurde

David Schneebeli, geboren 1961, stammt aus Zürich. Er studierte dort bei Manfred Sax sowie in Hannover bei Klaus Thunemann. 1985 wurde er als Solo-Fagottist im Radio-Sinfonieorchester Basel engagiert. Jahrelang wirkte er als Orchestervorstand und Vertreter des Schweizerischen Musikerverbandes. Gerne spielt er Kammermusik, vorzugsweise mit befreundeten Kolleginnen und Kollegen. Und ebenfalls gerne spielt er gar nichts, ausser Golf.


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sehr darin unterstützt, gut zu sein und mich noch weiter zu verbessern. Also optimale Umstände, oder? Ganz genau. Und entsprechend schön finde ich es, dass ich mich jetzt in dieser Situation befinde, es genauso tun zu können, wie die Älteren damals zu meiner Zeit. Schon verrückt, was in der Zwischenzeit alles passiert ist. Wie sich diese beiden Orchester zu einem formten und wie dieses nun auf dem Weg dazu ist, ein immer ‹normaleres› Orchester zu ­werden. Damit meine ich eines, wie es sich eben auch in vielen anderen Städten bewährt hat. Diese komplizierten Verhältnisse damals, als wir angefangen haben, kann man heute ja kaum mehr jemandem erklären! Ich kann dem nur zustimmen, was du gesagt hast: Wenn man auf die vergangenen dreissig Jahre zurückblickt, sieht man, dass permanent etwas im Wandel war. Es gab eigentlich nie einen Moment, in dem man in Ruhe arbeiten konnte. Wir waren ja auch beide in Vorstand und Gewerkschaft engagiert. Stimmt, das ist eine lustige Parallele! Wie viele Vertragsverhandlungen wir gemeinsam geführt haben! Natürlich war es auch sehr spannend, dass man mitwirken konnte, aber es kostete mich auch sehr viel Kraft. Darum habe ich mich jetzt von solchen Ämtern zurückgezogen und überlasse es der jüngeren Generation, aktiv zu werden. Diese Arbeit ist ja auch extrem wichtig. Ich habe mich nach einer sehr intensiven Phase auch vermehrt von diesen Aufgaben distanziert. Jetzt merkt man aber doch, dass es wieder eine neue Bewegung unter den Jungen gibt, was ich als sehr wertvoll empfinde. Es ist wichtig, dass auch Junge hin­ stehen und für ihre Anliegen kämpfen. Das kommt natürlich auch immer dem Kollektiv zugute. Und dadurch, dass immer wieder neue Leute aus den unterschiedlichsten Ländern und Kulturen zum Orchester stossen, wird es auch möglich, das Ganze aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, was einem selbst und dem Orchester meiner Meinung nach sehr guttut.

Richtig. Besonders in der Zeit vor der Fusion fühlte sich ja lange niemand wirklich verantwortlich für die Orchester, sondern jeder – egal aus welcher Institution – kämpfte nur für seine eigenen Interessen. Da gab es aber auch nie so etwas in der Art wie zum Beispiel dieses Programm-Magazin, für das wir jetzt plaudern, oder andere ernsthaft gute Werbung. Da habe ich damals dann auch mal auf den Tisch geklopft und gesagt, dass man doch auch das Beschle-Praliné nicht im Bebbi-Sagg verpackt und sagt: Ist es nicht wunderbar!? Es kommt doch nicht nur darauf an, was wir machen, sondern auch darauf, wie die Verpackung daherkommt! Das wär doch schon fast ein Titel für unser Gespräch! Damals in dieser Umbruchphase brauchte es wirklich manchmal Kraft, um diesen gewissen Berufsstolz noch zu wahren. Heute bin ich einfach froh, dass ich noch jung genug bin, um die Entwicklung seither wertzuschätzen. Abgeschlossen ist sie natürlich noch nicht, aber das ist ja wie beim Üben, das kann man auch nie einfach aufhören. Was ich noch mit dir thematisieren wollte, ist nicht nur unser Musikerleben, sondern auch wir als Menschen im Orchester – da haben wir nun auch dreissig Jahre Erfahrung. Heute gibt es das ja selten, dass Leute so lange an einem Arbeitsplatz bleiben – und dann erst noch an einem, an dem man sich so nahe ist. Man kann sich bei uns nie in Ruhe zurückziehen wie in einem Büro, man ist permanent dieser Gruppe ausgesetzt, im Guten wie im Schlechten. Wie ging dir das über die Jahre? Gut, dass du das ansprichst. Für mich ist ein Orchester ein Biotop – nicht als ein in sich geschlossener Raum, aber als einer mit einer gewissen Ökologie, die sich jeweils durch die gerade anwesenden Personen definiert. Ich muss sagen, dass es für mich über all die Jahre hinweg ein Ort war, an den ich gerne hinging. Das bedeutet mir auch heute noch viel. Ob man es unter den Kolleginnen und Kollegen gut hat oder nicht, merkt man besonders dann, wenn es im Privatleben mal nicht so rund läuft. Natürlich gab es aber auch Momente, wo mich die Probe langweilte oder ich lieber die Windeln meiner kleinen Kinder gewechselt hätte, anstatt mir unqualifizierte Bemer-


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kungen anzuhören. (lacht) Aber manchmal konnte man hier auch einfach sein – und heute gibt es im Orchester Leute, die meine Kinder sein könnten! Für manche bin ich doch auch ‹das Mami›! Und wenn ich die so anschaue, dann finde ich: Wow, mit der Menschheit kommt es gut! Für die Neuen gehören wir jetzt zum Gesicht dieses Orchesters. Und mir gefällt es, dass kaum jemand von ihnen wieder weg wollte. Unser Teamgeist hier ist schon sehr gross, das merkt man. Die neuen Leute bringen auch immer frischen Wind, gerade auch weil sie von überall herkommen … … und hier noch kein soziales Umfeld haben. Für sie ist dann das hier das soziale Umfeld. Da muss ich eine lustige Geschichte erzählen. Vor zwei Jahren spielten wir Lohengrin, was ja eine sehr lange Inszenierung mit zwei Pausen war. Da fanden wir Älteren, dass wir für die Generalprobe und die Premiere Essen für die Pausen mitbringen. In dieser Produktion waren viele neue Kolleginnen und Kollegen

mit uns im Stimmzimmer, die dann auch etwas mitbrachten – aber nicht nur dieses Mal! Sie hielten das für üblich, und so hatten wir während Monaten ein Buffet bei uns im Stimmzimmer – da wurde plötzlich eine neue Tradition geschaffen! (lacht) Was für eine herrliche Geschichte! Ich muss schon auch sagen: Es gibt einem immer etwas, in diesem Klub zu sein, in guten wie in schlechten Zeiten! Es kann manchmal extrem anstrengend sein, aber ich habe auch in allen schwierigen Situationen diese Solidarität gespürt, dieses Gefühl von Zusammengehörigkeit und dem zueinander Schauen. Egal, welche Nationalität man hat, egal, ob jung oder alt. Die Zeit nach der Fusion war schon eine schwierige Zeit – nicht für uns zwei, wir hatten es schon immer lustig! (lacht) –, aber es kostete das Orchester viel Kraft, diese Fusion zu verdauen. Bis man sich wieder aufeinander eingestellt hatte, vergingen Jahre. Aber das haben wir nun hinter uns gelassen. Vor allem auch durch die Jungen, die ja keine Ahnung mehr davon haben, dass wir mal zwei Orchester waren. ●

Impressum Sinfonieorchester Basel, Steinenberg 19, 4051 Basel, +41 ( 0 )61 205 00 95, info@sinfonieorchesterbasel.ch www.sinfonieorchesterbasel.ch, www.facebook.com/sinfonieorchesterbasel, twitter.com/symphonybasel Geschäftsleitung : Franziskus Theurillat  Leitung Künstlerische Planung : Dr. Hans-Georg Hofmann  Konzeption und ­Redaktion Programm-Magazin : Simone Staehelin und Cristina Steinle  Titelbild : Christian Aeberhard, Basel ­ Korrektorat: Ulrich Hechtfischer  Gestaltung : Neeser & Müller, Basel  Druck : Schwabe AG, ­Basel/Muttenz  Auflage : 5500 Exemplare Partner:


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Vorschau Familienkonzert: Symphonic Circus

Die Band Amped/Wired

Weepers Circus

An der letzten Cube Session dieser Saison werden die 8 Cellisten des Sinfonieorchesters Basel zusammen mit der Band Amped/Wired die Kuppel einheizen. Lassen Sie sich überraschen von einem Mix aus klassischer und elektronischer Musik – eine Entdeckungsreise der besonderen Art.

Weepers Circus bedeutet ‹Zirkus der Weinenden› und ist der Name einer Rockband aus Strasbourg. Seit 25 Jahren begeistert sie mit ihren französischen Songs Kinder und Erwachsene gleichermassen. Für ihr neuestes Programm haben sich Weepers Circus mit Mitgliedern des Orchestre philharmonique de Strasbourg zusammengetan; sie zeigen eine Kombination von klassischen Stücken und Rockmusik.

Bild : Weepers Circus

Bild : Benno Hunziker

Cube Session #15

DONNERSTAG, 11. FEBRUAR 2016 21.00 Uhr, Kuppel Basel

SONNTAG, 20. MÄRZ 2016 14.30 Uhr, Foyer Theater Basel


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Agenda DI 19.01.16 12.00

Punkt 12: Offene Orchesterprobe SOB / Michał Nesterowicz

Stadtcasino, Musiksaal Eintritt frei

MI 20.01.16 DO 21.01.16 19.30

Sinfoniekonzert SOB: Bilder einer Ausstellung Henryk Mikołaj Górecki: Drei Stücke im alten Stil Bohuslav Martinů: Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1, H. 196 Modest Mussorgski: Bilder einer Ausstellung – Erinnerungen an Viktor Hartmann, Orchesterfassung von Maurice Ravel SOB / Sol Gabetta / Michał Nesterowicz

Stadtcasino, Musiksaal

FR 22.01.16 ab 18.00

Museumsnacht: Nächtliche Kammerkonzerte Mitglieder des SOB

Basler Münster

DO 28.01.16 21.00

Cube Session #14 Mitglieder des SOB feat. Amped/Wired

Kuppel Basel

SA 30.01.16 14.30

mini.Musik: Im Zoo Mitglieder des SOB / Irena Müller-Brozovic / Norbert Steinwarz

Stadtcasino, Grosser Festsaal

MI 03.02.16 19.30

Sinfoniekonzert SOB: Sensemayá Silvestre Revueltas Sánchez: Sensemayá, Sinfonische Dichtung für Orchester Tan Dun: The Tears of Nature, Konzert für Schlagzeug und Orchester Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 8 G-Dur, Die Englische, op. 88 SOB / Martin Grubinger / Diego Matheuz

Stadtcasino, Musiksaal

DO 11.02.16 21.00

Cube Session #15 Mitglieder des SOB feat. Amped/Wired

Kuppel Basel

MI 17.02.16 18.30–20.00

Mix & Mingle Symphony Club – English speaking social event Theme: Fréderic Chopin

Hotel Euler, Basel Everybody’s welcome!

MI 24.02.16 DO 25.02.16 19.30

Drittes Coop-/Volkssinfoniekonzert Werke von Johannes Brahms und Johann Nepomuk Hummel SOB / Immanuel Richter / Marc Piollet

Stadtcasino, Musiksaal

MI 02.03.16 19.00

Zweites Cocktailkonzert: Belle Epoque – Paris Grand Hotel Les Trois Gabriel Fauré : Sonate für Violine und Klavier Nr. 1 A-Dur, op. 13 Rois, Salle Belle Epoque Maurice Ravel : Introduction et Allegro für Harfe, Flöte, Klarinette und Streichquartett ft Ernest Chausson: Konzert für Klavier, Violine erkau ausv und Streichquartett D-Dur, op. 21 rt ist e z n o Das K Mitglieder des SOB / Axel Schacher

Vorverkauf ( falls nicht anders angegeben ) : Bider & Tanner, Ihr Kulturhaus in Basel, Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel, 061 206 99 96 Detaillierte Informationen und Online-Verkauf : www.sinfonieorchesterbasel.ch


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