Programm-Magazin Nr. 6 Saison 15/16
Viva Ginastera DONNERSTAG, 31. MÄRZ 2016 FREITAG, 1. APRIL 2016
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Bild : Christian Aeberhard
Sinfoniekonzert ‹Viva Ginastera›
2 Programm Entdeckerkonzert ‹Ginastera 100› 3 Programm Sinfoniekonzert ‹Viva Ginastera› 4 Interview mit Xavier de Maistre 8 Alberto Ginastera: Harfenkonzert 12 Georgina Ginastera über ihren Vater 14 Alberto Ginastera: 4 Danzas de la Estancia 18 Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 2 D-Dur Intermezzo
22 Vorlaut – Eine Serie von Alain Claude Sulzer 24 Orchester-Geschichte(n), Teil 6 26 Yolena Orea Sánchez und Andrés Gabetta im Gespräch
Liebes Konzertpublikum
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ir kennen alle die Tangos von Astor iazzolla, aber wer spricht heute noch P von Alberto Ginastera? In Argentinien wurde er als Komponist, der aus dem Arbeitermilieu von Buenos Aires kam, gefeiert. Ginastera brachte die Musik der Gauchos in die Opernhäuser und Konzertsäle. Doch mit dem politischen Aufstieg der Familie Peron geriet er immer stärker mit dem System in Konflikt. Ginastera emigrierte nach Amerika und übersiedelte später nach Genf, wo er 1983 starb. Sein musikalischer Nachlass befindet sich heute in der Paul Sacher Stiftung. Am 11. April hätte er seinen 100. Geburtstag gefeiert. Wir möchten dieses Jubiläum zum Anlass nehmen, Ihnen unter dem Motto ‹Viva Ginastera› diesen hochinteressanten Künstler nicht nur in unserem Sinfoniekonzert, sondern auch im Rahmen unseres 2. Entdeckerkonzerts und in unserem neuen Programm-Magazin näher vorzustellen. Wir freuen uns auf Ihren Besuch.
Vorschau
31 Vorschau 32 Agenda
Dr. Hans-Georg Hofmann Leiter Künstlerische Planung
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Entdeckerkonzert
Ginastera 100 DONNERSTAG, 31. MÄRZ 2016 ab 16.00 Uhr, Hans Huber-Saal, Stadtcasino Basel
16.00 Uhr
Alberto Ginastera (1916–1983) Streichquartett Nr. 1, op. 20 (1948) Sonate für Gitarre, op. 47 (1976) Andrés Gabetta, Violine Yi-Fang Huang, Violine Cornel Anderes, Viola Yolena Orea Sánchez, Violoncello Stephan Schmidt, Gitarre Dr. Hans-Georg Hofmann, Moderation
17.00 Uhr
Podiumsgespräch ‹Ginastera und sein musikalisches Erbe› Cecilia Scalisi, Musikjournalistin aus Buenos Aires Xavier de Maistre, Harfenist Dr. Felix Meyer, Direktor Paul Sacher Stiftung Dr. Hans-Georg Hofmann, Moderation
Eintritt frei
Vorverkauf und Preise für das Sinfoniekonzert Bider & Tanner, Ihr Kulturhaus in Basel, Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel, + 41 ( 0 )61 206 99 96, ticket@biderundtanner.ch
oder auf www.sinfonieorchesterbasel.ch
Preise : CHF 90/75/60/45/30 Ermässigungen : Studierende, Schüler und Lehrlinge : 50 %, AHV/IV: CHF 5, mit der Kundenkarte Bider & Tanner : CHF 5
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Sinfoniekonzert SOB
Viva Ginastera
DONNERSTAG, 31. MÄRZ 2016 FREITAG, 1. APRIL 2016 19.30 Uhr, Musiksaal Stadtcasino Basel 18.15 Uhr: Englischsprachige Einführung durch Jessica Horsley 18.45 Uhr: Deutschsprachige Einführung durch Benjamin Herzog
Alberto Ginastera (1916–1983) 4 Danzas de la Estancia, op. 8 (1941)
1. Los trabajadores agrícolas 2. Danza del trigo 3. Los peones de hacienda 4. Danza final (malambo)
Alberto Ginastera
Konzert für Harfe und Orchester, op. 25 (1956) 1. Allegro giusto 2. Molto moderato 3. Liberamente capriccioso – Vivace
Pause
Johannes Brahms (1833–1897) Sinfonie Nr. 2 D-Dur, op. 73 (1877)
1. Allegro non troppo 2. Adagio non troppo 3. Allegretto grazioso (quasi Andantino) 4. Allegro con spirito
Konzertende ca. 21.30 Uhr
Sinfonieorchester Basel Xavier de Maistre, Harfe Dennis Russell Davies, Leitung
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Interview mit Xavier de Maistre
«Mehr Power, als man glaubt» von Benjamin Herzog
Benjamin Herzog: Sie spielen ein Instrument, das zu den grösseren in der Musikwelt zählt. Wie transportieren Sie das? Xavier de Maistre: Anfangs habe ich meine Harfe immer im Auto transportiert, in einem grossen Kombi. Mittlerweile lasse ich das Instrument in einer Kiste per Lastwagen verschicken. Wenn ich in Übersee spiele oder etwa in Lappland oder China, dann tue ich das auf fremden Instrumenten, auf Orchesterharfen meist. Genau so, wie viele Pianisten ja auch nicht immer ihr eigenes Instrument spielen können. Ich habe dann ein paar Stunden Zeit vor dem Auftritt, die jeweiligen Harfen zu spielen und so kennenzulernen. Und haben Sie mit diesen fremden Harfen gute Erfahrungen gemacht? Ja. Die neue Generation von Harfenisten passt meist recht gut auf ihre Instrumente auf. Da ist vieles im Vergleich zu früher viel besser geworden; was die Besaitung betrifft, die Regulierung und so weiter.
Mit dem Harfenkonzert von Alberto Ginastera waren Sie im Januar auf Tournee in Asien zu hören. Dort haben Sie unter anderem auch in der Suntory Hall in Tokio gespielt, einem Konzertsaal so gross wie die Berliner Philharmonie. Wurde Ihre Harfe da verstärkt? Die Harfe hat viel mehr Power, als man glaubt. Wenn ich solo spiele, wird die Harfe in der Regel nie verstärkt. Bei manchen Stücken aber, wie etwa beim Konzert von Ginastera oder bei anderen gros sen romantischen Konzerten, wo das Orchester gross besetzt ist oder wo massives Schlagzeug beteiligt ist, da ist die Harfe verstärkt. Asien gilt immer noch als neuer Markt für die klassische Musik. An welchem Punkt steht Asien dort, auf welchem Weg befindet sich der Kontinent im Vergleich zu Europa? In Japan ist Klassik schon seit vierzig Jahren ein grosses Thema. Da ist viel Interesse zu spüren vom Publikum, der Presse und von den Veranstaltern. Die Leute bekommen in Japan alles zu hören bis zu den Wiener oder Berliner Philharmonikern. Das Publikum ist entsprechend auch sehr gebildet.
Bild : Gregor Hohenberg
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In Japan gibt es viele Konzerthäuser. Allein Tokio hat sechs Säle mit 2000 Plätzen, jede grosse Stadt hat zwei bis drei Konzerthäuser. Das ist schon einzigartig. In China ist klassische Musik etwas relativ Neues. Da gab es vor zehn Jahren noch nichts. China holt stark auf, aber das Publikum ist noch wenig gebildet. Da ist ein grosser Nachholbedarf zu spüren. Die neue Generation in China will, dass ihre Kinder Musik lernen. Darum ist das Publikum dort in der Regel auch deutlich jünger. Das Harfenkonzert von Ginastera verdankt sich einem Harfenisten aus dem Baskenland, Nicanor Zabaleta. Sie haben ihn noch persönlich kennengelernt. Ja, ich habe Zabaleta am Ende seines Lebens bei einem Wettbewerb in Israel getroffen. Das war für mich ein wichtiges Ereignis, weil ich damals noch gar nicht wusste, ob ich Musiker werden will oder dem Wunsch meiner Eltern gemäss einen anderen Beruf wählen sollte. Nach diesem Wettbewerb ist Zabaleta zu mir gekommen und hat gesagt, es gebe schon viele gute Anwälte, aber nicht so viele Harfenisten. Das hat mich sehr ermutigt. Was mich an Zabaleta auch sehr beeindruckt hat, ist, wie er versucht hat, das Repertoire zu erweitern, und dass er es geschafft hat, Komponisten von unserem Instrument zu überzeugen. Werden in Ginasteras Harfenkonzert spezielle Spieltechniken gefordert? Ja, Ginastera hat die Klangsprache der Harfe sehr erweitert. Zabaleta hat dafür mit dem Komponisten viel Zeit verbracht. Die Harfe wird hier wie ein Schlagzeug behandelt. Speziell ist auch, dass der Solist etwa mit den Fingernägeln spielt oder Glissandi mit dem Pedal erzeugt. Das heisst, man spielt die Saite an und tritt anschliessend das Pedal, womit sich die Tonhöhe verändert. Mit diesen Effekten lassen sich Klangfarben erzeugen, die man zu Ginasteras Zeiten nicht für möglich gehalten hat. Sie haben als Orchestermitglied bei den Wiener Philharmonikern gespielt – im Jahr 2010 dann fiel Ihre Entscheidung, das Orchester zu verlassen. Der Solist de Maistre und der Orchestermusiker, wo liegen da die Unterschiede?
Während des Studiums hat man mir immer gesagt, als Harfenist könne man keine Solokarriere machen. Das Beste, was man erreichen könne, sei eine anständige Stelle in einem Orchester. Wien hat mich damals sehr glücklich und stolz gemacht. Ich dachte aber auch: jetzt kommt nichts mehr. Jetzt geht es für die nächsten vierzig Jahre so weiter. Darum habe ich immer wieder Möglichkeiten für Soloauftritte gesucht. Ich habe auch versucht, neue Konzepte für die Harfe zu finden, das Instrument attraktiver zu machen. Und ich glaube, das ist mir gelungen. Ich bin jemand, der nicht sehr gerne wartet. Im Orchester aber wartet man zu achtzig Prozent und zählt Takte. Ich will nicht warten, sondern ein Leben führen, das meinem Temperament entspricht. Die Entscheidung, Solist zu werden, ging also einher mit der Entscheidung, das Repertoire für Harfe zu erweitern? Der Mangel an Repertoire war sicher ein Grund, warum ich anfangs nur wenige Anfragen hatte und warum viele Harfenisten keine Solokarriere machten. Das ist jetzt anders. Die Harfe steht im Rampenlicht, und das eröffnet uns Harfenisten viele Möglichkeiten. Die Leute haben die Harfe wahrgenommen, haben gemerkt, dass man mit einer Harfe viel mehr machen kann, als man für möglich hielt. Dass die Harfe jetzt vermehrt in den Programmen auftaucht, macht mich glücklich. Sie spielen neben dem bestehenden Repertoire Arrangements für Ihr Instrument. Welche Musik eignet sich da besonders gut? Gut eignet sich Musik für Klavier. Allerdings darf es dabei nicht zu viele schnelle Wiederholungen haben. Auch nicht zu viele tiefe Töne, denn in der Tiefe klingt die Harfe schnell mulmig. In den oberen Lagen hingegen, da kommt sie viel besser durch. Sie haben auch Solokonzerte mit Orchester oder Musik für ganzes Orchester alleine in Ihrem Repertoire, etwa die Moldau von Smetana. Arrangieren Sie alles selbst? Musik für Klavier oder Gitarre arrangiere ich selbst, ja. Bei den Konzerten von Vivaldi, da hat mir ein Arrangeur geholfen, und Smetanas Moldau
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hatte schon ein tschechischer Harfenist um 1900 arrangiert. Wichtig ist beim Arrangement, dass man ein Gespür für Klangfarben hat. Ein Arrangement muss der Musik auch dienen. Es soll nicht bloss dem Spieler Spass machen. Der polnische Komponist Krzysztof Penderecki sowie die finnische Komponistin Kaija Saariaho haben für Sie je ein Konzert geschrieben. Wie war da die Zusammenarbeit? Mit Penderecki war es nicht ganz unproblematisch, eine schwierige Geburt. Saariahos Konzert werde ich im kommenden August in der Suntory Hall uraufführen und es später auch in Zürich mit dem Tonhalle-Orchester spielen. Die Idee zu dem Konzert kam von mir, und es ist mir zum Glück gelungen, Saariaho davon zu überzeugen. Sie kennt die Harfe gut. Das ist ein Instrument, das sie gerne auch sonst verwendet. Sie hat mir die Noten geschickt, und wir werden uns nächsten Monat für Korrekturen treffen. Sie waren während Ihres Studiums der einzige Harfenist in einer sonst weiblichen Klasse. Wie sieht es in Ihrer Klasse an der Musikhochschule Hamburg aus, wo Sie seit 2001 unterrichten?
Auch dort studieren bei mir nur Frauen. Aber generell hat sich schon viel getan. Heute spielen viel mehr Männer die Harfe als noch vor ein paar Jahren. Und manche gewinnen auch grosse Wettbewerbe. Dass die Harfe ein weibliches Instrument sein soll, ist ein historisches Missverständnis. Sie leben in Monaco, haben Sie dort Musiker als Nachbarn oder eher Rennfahrer? Meine Nachbarschaft ist gemischt und vor allem sehr international. Meine Tochter geht in eine Schule, wo 54 verschiedene Nationalitäten unterrichtet werden. Die Entscheidung für Monaco hängt damit zusammen, dass ich gerne am Meer lebe. Hier kann ich mich am besten erholen. Die Harfe sei ein «besonderer Leckerbissen des Orchesters» sagte Richard Strauss. Haben Sie sich je an diesem Leckerbissen überessen? Strauss sagte das und meinte, die Harfe sei eine Art Kirsche auf dem Kuchen. Zu seiner Zeit wurde die Harfe als Schmuck angesehen und nicht als Instrument. Dagegen habe ich gekämpft. Ich glaube: mit Erfolg. ●
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Alberto Ginastera: Konzert für Harfe und Orchester
Ein Klassiker des modernen Konzertrepertoires von Felix Meyer, Paul Sacher Stiftung
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it seinem 1956 in Angriff genommenen Harfenkonzert, op. 25, tat sich Alberto Ginastera schwer: Zweimal, 1958 und 1961, musste die geplante Uraufführung verschoben werden, da die Partitur noch nicht fertig war. Erst knapp neun Jahre nach der Auftragserteilung durch die Harfenistin Edna Phillips und ihren Ehemann Samuel R. Rosenbaum, im Dezember 1964, vermochte der Komponist sein Werk zu vollenden; doch da Phillips inzwischen ihre aktive Karriere beendet hatte, wurde die Uraufführung (am 18. Februar 1965 mit dem Philadelphia Orchestra unter der Leitung von Eugene Ormandy) nicht von ihr, sondern – mit ihrer Billigung – von Nicanor Zabaleta bestritten. Dieser hatte den Komponisten zuvor in Buenos Aires besucht, ihn zur Fertigstellung des Werks gedrängt und ihm wichtige harfentechnische Ratschläge gegeben. Es waren sowohl äussere als auch innere, kompositionstechnische Faktoren, die den Abschluss der Komposition verzögerten. Zum einen beanspruchten in jenen Jahren auch mehrere andere Aufträge, insbesondere das Grossprojekt der Oper Don Rodrigo, Ginasteras Aufmerksamkeit. Zum anderen aber wollte der Komponist in seinem ersten Instrumentalkonzert die Ressourcen der Harfe voll und ganz ausschöpfen, was laut seiner eigenen Aussage eine besondere Herausforderung darstellte: «Die Möglichkeit, auf nur sieben Saiten mit zwölf Tönen zu
arbeiten, der durch und durch diatonische Charakter des Instruments und andere seiner Eigenarten bewirken, dass das Komponieren für Harfe schwieriger ist als das Komponieren für Klavier, Violine oder Klarinette.» Ginastera meisterte diese instrumentenspezifischen Schwierigkeiten schliesslich ausser ordentlich souverän und stützte sich dabei unter anderem auf die Errungenschaften von Carlos Salzedo, dem Pionier des modernen Harfenspiels. Durch neue Spieltechniken und Spezialeffekte (z.B. Klopfen auf dem Resonanzkörper, Pedalglissando, Anzupfen der Saiten mit den Fingernägeln) erweiterte er das Ausdrucksspektrum der Harfe beträchtlich. Und in
KONZERT FÜR HARFE UND ORCHESTER Besetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken, Schlagzeug, Celesta, Streicher Entstehung: 1956–1964 Widmung: Nicanor Zabaleta Uraufführung: 1965, Philadelphia Orchestra, Nicanor Zabaleta: Harfe, Eugene Ormandy: Leitung Dauer: ca. 25 min
Bild : Sammlung Alberto Ginastera, Paul Sacher Stiftung Bild : Sammlung Alberto Ginastera, Paul Sacher Stiftung
Alberto Ginastera, Harfenkonzert op. 25, Solokadenz (Einleitung zum 3. Satz), Particell (Notizbuch, S. [43])
Alberto Ginastera, Harfenkonzert op. 25, 3. Satz, T. 84–96, Particell (loses Blatt 5 recto)
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gewisser Weise ‹vermännlichte› er dabei das in der Tradition der Kunstmusik stark ‹weiblich› konnotierte Instrument: dadurch etwa, dass er es gleich zu Beginn des eröffnenden Sonatensatzes in einem Malambo auftreten lässt – also jenem kompetitiven argentinischen Männertanz, der musikalisch durch den raschen Wechsel (bei Ginastera auch die Überlagerung) verschiedener Dreiermetren (insbesondere 6∕8 und 3∕4) geprägt ist. Überhaupt ist das dreisätzige Konzert, wie fast alle Werke Ginasteras, durch und durch von der argentinischen Volksmusik geprägt. Allerdings verzichtete der Komponist auf das Zitieren konkreter Volksmelodien; vielmehr schuf er, unter Verwendung typischer melodischer und rhythmischer Wendungen, eine Art ‹imaginäre Folklore› – und verhielt sich damit ganz im Sinne jenes ‹subjektiven Nationalismus›, den er selbst als charakteristisch für seine mittlere Schaffensperiode betrachtete (in Abgrenzung vom ‹objektiven Nationalismus› seiner Frühwerke). In dieser Hinsicht, ebenso wie in einigen kompositionstechnischen Aspekten, bewegte er sich unverkennbar in der Nachfolge Béla Bartóks, dessen Musik denn auch deutliche Spuren in seinem Harfenkonzert hinterlassen hat: etwa in den rhythmischen Irregularitäten und raschen Taktwechseln des Rondo-Finales, aber auch im langsamen Mittelsatz, der mit seinen mysteriösen Naturklängen und umgekehrten Punktierungen (kurz – lang) stark an Bartók und insbesondere an dessen Nachtmusiken erinnert. Der Nachlass Ginasteras in der Paul Sacher Stiftung enthält unter anderem das Particell und einen Klavierauszug des Harfenkonzerts, ausserdem die Partiturreinschrift, in der die letzte Revision des Werks von 1968/69 festgehalten ist. Von besonderem Interesse ist dabei das Particell, das eigentliche Arbeitsmanuskript des Komponisten. Es ist zu einem grossen Teil in einem Notenheft aufgezeichnet, das die ersten beiden Sätze sowie die den dritten Satz einleitende Solokadenz enthält (Abb. S. 9, oben, wo ganz zu Beginn auch der von Ginastera in vielen Werken verwendete ‹Gitarrenakkord› – d.h. die Tonfolge der leeren Gitarrensaiten – erscheint, hier um einen Halbton tieftransponiert). Danach, ab dem Hauptteil dieses Finales, setzt sich die Aufzeichnung auf losen Blättern fort, wobei ab Blatt 4 eine neue Pa-
piersorte verwendet wurde. Es ist nicht auszuschliessen, dass eine dieser beiden ‹Bruchstellen› in der Aufzeichnung den Moment markiert, in dem Ginastera seine Arbeit unterbrach, vielleicht weil er noch keine ganz klare Vorstellung vom Fortgang der Musik hatte. Doch zwingend ist diese Schlussfolgerung nicht, da im Prinzip auch eine abgeschlossene, nicht erhaltene Erstfassung des Finales vorgelegen haben könnte, die später ersetzt wurde. Auffallend an diesem Particell ist zudem, dass der Solopart an vielen Stellen wesentlich detaillierter ausgearbeitet ist als der oft nur rudimentär skizzierte Orchestersatz: Offensichtlich konzipierte Ginastera das Werk, wohl nicht zuletzt im Wissen um die heiklen Balanceprobleme beim Komponieren für Harfe und Orchester, ganz vom Soloinstrument aus und um dieses herum (Abb. S. 9, unten). Gerade die flüchtige Notation des Orchesterparts hatte jedoch zur Folge, dass vom Particell zur definitiven Partitur noch ein weiter Weg zurückzulegen war; denn um zum reich differenzierten Orchestersatz der endgültigen Fassung (samt ausgiebiger, im Particell nur punktuell angedeuteter Verwendung einer grossen Schlagzeuggruppe) zu gelangen, bedurfte es einer weit grösseren kreativen Anstrengung als der blossen Übertragung der ‹Urschrift›. Es ist durchaus denkbar, dass auch dieser aufwendige nachträgliche Arbeitsgang die Entstehung von Ginasteras Harfenkonzert in die Länge zog. Von den Geburtswehen ist der Komposition in ihrer vollendeten Form allerdings kaum etwas anzumerken. Ganz im Gegenteil: Das hochvirtuose, farbenprächtige und kräftig durchpulste Werk wirkt wie aus einem Guss geformt, und obwohl es noch nicht ganz die Individualität einiger späterer Werke Ginasteras erreicht, trägt es eine starke persönliche Handschrift. Mit gutem Grund ist es zu einem der meistgespielten Werke des Komponisten und zu einem Klassiker des modernen Konzertrepertoires geworden. ●
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Georgina Ginastera über ihren Vater
Von Vater zu Tochter aus dem Spanischen übersetzt von Sophia Simon
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m 29. April 1983 brachte das Orquesta Nacio nal de España in Madrid zum ersten Mal das Cellokonzert Nr. 2 auf die Bühne. Es war seiner [Alberto Ginasteras] zweiten Ehefrau, der argentinischen Cellistin Aurora Nátola gewidmet, die auch den Solopart interpretierte. Zu dieser Zeit ging es meinem Vater bereits sehr schlecht, doch dank einer ärztlichen Erlaubnis war es ihm möglich, der Uraufführung dieses Opus 50 beizuwohnen, in das er sich lange Zeit so sehr vertieft hatte. Der bewegende Applaus des Publikums verschaffte ihm die letzte grosse Genugtuung seines Musikerlebens. Kaum war das Konzert beendet, wurde er schnellstens ins Genfer
ALBERTO GINASTERA Alberto Ginastera wurde am 11. April 1916 in Buenos Aires geboren und starb am 25. Juni 1983 in Genf, wo er die letzten zehn Jahre seines Lebens verbracht hatte. Seine sterblichen Überreste ruhen auf dem Schweizerischen Friedhof von Plainpalais neben dem Grab von Ernest Ansermet und nur wenige Meter von der Ruhestätte seines berühmten Landsmannes Jorge Luis Borges.
Krankenhaus eingeliefert, wo er seitdem verwahrt blieb und sich ständigen Intensivtherapien unterziehen musste, bis mir dann Ende Mai klar wurde, wie ernst sein Zustand war. Ich erhielt einen verzweifelten Anruf von Aurora, die mir sagte, dass meinem Vater nur noch wenig Zeit zu leben bliebe und dass er mich sehen wolle. Ich machte mich sofort auf den Weg nach Genf, und als wir uns sahen, geschah etwas ganz Erstaunliches. Papa schien in diesen Tagen wieder aufzuleben, neue Kraft und Hoffnung zu schöpfen und das Gefühl zu haben, dass er nur einen lästigen Albtraum durchlebte, aus dem er bald, mitten im Frühling, mit erfrischten Sinnen erwachen würde. Er versuchte in diesen Wochen, sich einzureden, dass er an irgend einem versteckten Ort seines Wesens die Kraft finden würde, sich selbst zu heilen, dass etwas falsch lief, aber dass es unmöglich war, mit nur 67 Jahren auf das Leben zu verzichten. Er sprach davon, eine vierte Oper zu komponieren – im Auftrag des spanischen Königshauses; sie sollte mit den Instrumenten der Paläste aufgeführt werden. Er fragte mich, was ich von diesem Stoff hielte, doch obwohl ich ihn eher für ein Oratorium als für eine Oper geeignet fand, liess er sich seinen Enthusiasmus nicht nehmen und überarbeitete die Handlung, sodass ich nicht anders konnte, als seine Willenskraft einfach nur zu bewundern. Er
Bild : Paul Sacher Stiftung
Alberto Ginastera (3. September 1980)
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sprach von Konzerten und den Projekten in den Vereinigten Staaten, die er nach seiner Genesung in Angriff nehmen würde, davon, wieder zu unterrichten. Er versteifte sich auf die Idee, eine Wohnung in Buenos Aires zu kaufen und so die Verbindung mit Argentinien, der Familie und den Freunden, die ihm so sehr fehlten, wieder zu stärken. Je mehr Tage nach unserem Treffen vergingen, desto mehr potenzierten sich seine Wünsche, und zwar mit einer derartigen Euphorie, dass ich einen Moment lang dachte, sein glühender Lebenswille könne zu einem Wunder führen. Jeden Morgen suchte ich ihn auf, und wir führten nicht enden wollende Gespräche, in denen er über die Zukunft und die Vergangenheit, aber niemals über diese unerbittliche Gegenwart sprach, die er mit aller Kraft ausblendete, um daran glauben zu können, dass seine Geschichte nicht in diesem tristen Krankenhauszimmer enden würde. Lieber wandte er sich, bei all dieser Ungewissheit, die ihm das Schicksal auf dem Weg in seine letzte Schlacht bereitete, einer lichten, glücklichen Zukunft zu, in der ihm all die Dinge wieder erreichbar schienen, denen er so schmerzlich nachtrauerte. Nie klagte er über körperliche Schmerzen, jedoch schien durch all seine Äusserungen das existenzielle Leid hindurch, das ihm, wie jedem menschlichen Wesen an dieser Schwelle zwischen den Welten, die unbeschreibliche Einsamkeit angesichts des Unbekannten bereitete, und in einem unserer Gespräche übergab er mir schliesslich mit einem nüchternen Satz, dessen wahre Dimension ich erst viel später erfasste, das wertvollste seiner Ideale. Er sagte zu mir: «Georgina, mein Werk gehört dir.» Und diese Worte umfassten nicht nur die Musik, die mein Vater fähig war zu erschaffen, und die mich bis zum heutigen Tag als Zeugin seines Genies begleitet, sondern auch den tieferen Sinn, aus dem mein Vater auf diese Erde gekommen war. ● Auszug aus dem Buch De padre a Hija von Cecilia Scalisi, Editorial Sudamericana (2012) Die Musikjournalistin Cecilia Scalisi wird am Entdeckerkonzert ‹Ginastera 100› am Donnerstag, 31. März, um 17.00 Uhr, im Stadtcasino Basel an einem Podiumsgespräch zu Gast sein. Der Eintritt ist frei.
Alberto Ginastera: 4 Danzas de la Estancia
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lberto Ginasteras Ballett Estancia – der Komponist schrieb es in seinen Zwanzigern – kündigte die Ankunft einer neuen, wichtigen künstlerischen Stimme an. Ginastera kombinierte die unregelmässigen Rhythmen argentinischer Tänze mit den expressiven Melodien im Stile traditioneller Lieder und verwob die Klänge seines Heimatlandes nahtlos in eine internationale Form. Die Entstehung des Stücks war jedoch von Schwierigkeiten geprägt. Nach dem Erfolg von Ginasteras erstem Ballett Panambí gab Lincoln Kirstein für seine American Ballet Caravan ein neues Werk in Auftrag, woraufhin Ginastera mit der Arbeit an Estancia begann. Da sich die Ballet Caravan jedoch auflöste, wurde das Stück damals nicht aufgeführt. Ginastera schuf mit der Auswahl von vier Tänzen eine Orchester-Suite, die 1943 im Teatro Colón in Buenos Aires ihre Weltpremiere hatte. Die 4 Danzas de la Estancia wurden ganz rasch zu einem Hauptbestandteil des OrchesterRepertoires. Das komplette Ballett wurde erst 1952 aufgeführt. ●
4 DANZAS DE LA ESTANCIA Besetzung: 3 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, Pauken, Schlagzeug, Klavier, Streicher Entstehung: 1941 Uraufführung: 12. Mai 1943 in Buenos Aires, Orchester des Teatro Colon unter der Leitung von Ferruccio Calusio Dauer: ca. 12 min
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Bild : Benno Hunziker
Der Chefdirigent des Sinfonieorchesters Basel, Dennis Russell Davies
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Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 2 D-Dur
Liebliches Ungeheuer von Julius Heile
«
Die neue Symphonie ist so melancholisch, dass Sie es nicht aushalten. Ich habe noch nie so was Trauriges, Molliges geschrieben: die Partitur muss mit Trauerrand erscheinen. Ich habe genug gewarnt.» – Meint Brahms mit diesen seinem Verleger Fritz Simrock gegenüber geäusserten Worten wirklich seine 2. Sinfonie? Handelt es sich nicht eher um eine treffende Charakterisierung seiner 3. oder 4. Sinfonie? Nein, Brahms spricht hier allen Ernstes von seiner Zweiten. Oder, genauer genommen, eben nicht ‹allen Ernstes›, denn der für seinen spröden Charakter bekannte Brahms verwirrte seine Briefpartner nur zu gern mit bitterer Ironie, insbesondere wenn es um sehr ernste oder persönliche Angelegenheiten ging. Auf den ersten Blick scheint die weitgehend im Sommer 1877 im kärntnerischen Pörtschach am Wörthersee komponierte D-Dur-Sinfonie nämlich alles andere als melancholisch zu sein, vermeint man in ihr doch die Natureindrücke, die ihr Komponist auf seinen zahlreichen Spaziergängen empfing, und eine gänzlich heitere Stimmung heraus zuhören. Viel besser passt daher auch die Beschreibung, die Theodor Billroth an seinen Freund Brahms richtete: «Das ist ja lauter blauer Himmel, Quellenrieseln, Sonnenschein und kühler grüner Schatten! Eine glückliche wonnige Stimmung geht durch das Ganze und alles trägt so den Stempel der Vollendung und des mühelosen Ausströmens abgeklärter Gedanken und warmer Empfindung.» Und auch Brahms selbst schrieb in der Korrespondenz mit Simrock später vom «lieblichen Ungeheuer». «Lieblich» – das scheint doch überhaupt den Stimmungsgehalt dieser hellen, liedhaften Sinfonie ganz vortrefflich auf den Punkt zu bringen! Kein Wunder, dass das Werk schon bald als Brahms’ ‹Pastorale› bezeichnet wurde. Warum also doch das «Un-
geheuer» und warum die Warnung vor der Traurigkeit der Sinfonie? Brahms, der skrupulöse Meister, hatte sich gerade erst ein Jahr zuvor nach jahrelang gescheiterten Ansätzen zur Vollendung seiner 1. Sinfonie durchgerungen. Zu lange hatte der Schatten Beethovens auf ihm gelastet. Nun schien das Eis gebrochen. Dem Ringen um den heroischen Tonfall Beethovens in der Ersten folgte die entspannte und zügige Komposition der Zweiten. Und gerade deshalb mussten schon bald Selbstzweifel aufkommen: «Sie wird jedenfalls gehörig durchfallen, und die Leute werden meinen, diesmal hätte ich mir’s leicht gemacht», schrieb Brahms an Simrock im September 1877. Die Warnung vor der Melancholie im eingangs angeführten Zitat muss also zugleich als Aufforderung verstanden werden, das Werk nicht zu oberflächlich zu beurteilen. Und tatsächlich sind (selbst im für Brahms so untypisch ausgelassen wirkenden Finalsatz) nicht nur höchst kunstvolle Ausarbeitung, sondern auch emotionale Brechungen unter der idyllischen Oberfläche verborgen. Konsequenter noch
SINFONIE NR. 2 D-DUR Besetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Streicher Entstehung: 1877 Uraufführung: 30. Dezember 1877 in Wien unter der Leitung von Hans Richter Dauer: ca. 45 min
Bild : Österreichische Nationalbibliothek
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als in seiner Ersten verfolgte Brahms hier das Prinzip, aus einem einzigen Motivkern heraus alle Gedanken der Sinfonie in ständiger Variierung wachsen zu lassen – jenes Prinzip, das Schönberg später als «entwickelnde Variation» enthusiastisch bewundern sollte. Wer den ersten Takt der Sinfonie verpasst, dem fehlt – so kann man deshalb sagen – ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis des gesamten Werks. Dem von den Hörnern, also den ‹Natur›-Instru menten schlechthin, vorgestellten Hauptthema des 1. Satzes ist nämlich eine beinahe unscheinbare Dreitonfigur in den Bässen vorgeschaltet, die man sich (als eine Art Urzelle des Werks) gut merken sollte. Sie findet sich – in Grundform oder Umkehrung – in fast jedem Thema und Motiv der Sinfonie wieder. Den Celli, die bereits im 1. Satz das an Brahms’ berühmtes Lied Guten Abend, gute Nacht erinnernde Seitenthema vortrugen, ist die berührende Kantilene im 2. Satz anvertraut, der man ihre kunstvolle Machart mit gegenläufig aufwärts gerichtetem Kontrapunkt kaum anmerkt. Der 3. Satz – kein Scherzo, sondern ein kurzes Intermezzo – ist formal ganz bemerkenswert gebaut: Die Oboenmelodie im wiegenden Dreivierteltakt wird in den Zwischenspielen zuerst im raschen Zweiertakt,
später im Dreiachteltakt variiert. Wenn aber ein Satz dieser Sinfonie beispielhaft für ihren heiteren Tonfall herhalten müsste, so ist es der 4. Satz, dessen aus dem Dreitonmotiv entwickeltes Thema in einen wahren Freudentaumel gestürzt wird. Kurz vor Eintritt der Reprise lässt eine Stelle aufhorchen: Diese absteigenden Quarten sollte Gustav Mahler später zum Kern und Ausgangspunkt seiner 1. Sinfonie machen! Die Steigerungen in der Coda unter Verwendung des Dreitonmotivs lassen dann aber erkennen, welches die Urzelle der vorliegenden Sinfonie ist, und dass sie bis in ihren Finalsatz relevant bleibt. Über das Orchester hinausdröhnende Blechbläserskalen und das im schmetternden Hörnerklang erstrahlende Seitenthema beenden die Sinfonie im Triumph. Als das Werk am 30. Dezember 1877 im Wiener Musikverein uraufgeführt wurde, sollten sich alle Befürchtungen des Komponisten als unnötig erweisen: Die Sinfonie war einer der grössten Erfolge in Brahms’ Laufbahn, und tatsächlich war ihm hier der Geniestreich gelungen, einem intellektuell bis ins letzte Detail sorgfältig durchkonstruierten Werk gleichzeitig einen äusserlich so spontanen und unbeschwerten Anstrich zu verleihen. ●
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Vorlaut – Eine Serie
Eine Lanze für Goliath von Alain Claude Sulzer
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iele Menschen heissen David, keiner heisst Goliath. Den Siegreichen gehört die Welt. Goliath unterlag mit dem ganzen Gewicht seiner Kraft und Grösse. Dabei war der Mann vom Stamme der Philister gewiss ein ehrenwerter Krieger, den das Schicksal dazu bestimmte, im Dienst seiner Herren von einem schlauen Wicht mit einer Steinschleuder niedergestreckt zu werden, wonach dieser ihm – mit dem eigenen Schwert! – auch noch den Kopf abschlug. So kennt man ihn: besiegt, bedauernswert, doch nicht bedauert. Sein Ende ist von unschlagbarer Symbolkraft, denn wer gibt dem schwachen, aber cleveren David nicht den Vorzug vor dem tumben Rambo, der nichts als seine Muskeln ins Feld zu führen weiss? «Sechs Ellen und eine Handbreit» hohe Männer «mit Schwert, Spiess und Schild (...), mit einem ehernen Helm auf dem Haupt und einem schuppendichten Panzer an» gelten wenig in einer Welt, die kluge Knaben bevorzugt, wie David einer war, der den staatstreuen Riesen übrigens – zu dessen Ehrenrettung sei es gesagt – nicht völlig uneigennützig herausforderte. Wer Goliath bezwang, den wollte «der König sehr reich machen und ihm seine Tochter geben und (...) seines Vaters Haus freimachen in Israel». David war «bräunlich. Mit schönen Augen und guter Gestalt», wie Goliath verächtlich meinte. Von seiner Hautfarbe ist auf den überlebensgrossen weis sen Skulpturen Michelangelos und Berninis nichts
übrig geblieben. Goliath dagegen, für dessen kopf loses Ende sich insbesondere Caravaggio interessierte, war ein grober Klotz. In bewährter Bud-SpencerManier schwafelte er davon, Davids Fleisch «den Vögeln unter dem Himmel und den Tieren auf dem Felde» zu geben. Er war ein Kerl von der etwas beschränkten Art wie sie in Thomas Meyers liebensund lesenswerten Roman Rechnung über meine Dukaten im Zentrum stehen und denen Meyers Sympathie in hohem Mass gehört. Von den ‹Langen Kerls›, die er im ganzen Land bei Nacht und Nebel unter gros sem logistischen Aufwand und meist mit Gewalt kidnappen liess, um sie dem 6. Infanterieregiment zuzuführen, war der Preussenkönig Friedrich Wilhelm geradezu besessen. Während feinere Geister Gemälde sammelten, galt des ‹Soldatenkönigs› Leidenschaft ‹seinen› Riesen, für deren Festnahme und Ausbildung er die Staatskasse gnadenlos ausplünderte. Regelrecht vernarrt in die Vorstellung, Hundertschaften Langer Kerls zu besitzen, dachte er – so jedenfalls stellt es Thomas Meyer dar – von morgens bis abends an nichts anderes als seine Sammel-Goliaths, denen, einmal gefangen, nichts anderes übrig blieb, als auf einen David zu warten, der sie befreien würde – was niemals geschah. Gegen Goliath war David zweifellos ein Feingeist von der Art Rousseaus oder Voltaires, wie ihn Friedrich Wilhelms Sohn Friedrich der Grosse später hofieren sollte. Ein Rousseau, der nicht nur komponierte
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(wie Rousseau es tat), sondern auch die Harfe schlug; womit wir bei dem anderen Instrument sind, das David nebst der Schleuder mit so viel Meisterschaft beherrschte, dass er selbst Könige damit in seinen Bann schlug. Warum nicht Goliath? Warum liess David ihn nicht nach seiner Harfe tanzen wie Papageno den Monostatos und seine Vasallen, die er mit seinen Zauberglöckchen in eine psychede-
lische Trance versetzte, die jede weitere Verfolgung aminas und Papagenos glücklich verhinderte? P Weshalb vertraute David nicht der Musik? Warum nahm er die Steine statt der Harfe? Warum spannte er die Schleuder statt der Saiten? Hätte David Goliath mit seiner Harfe besiegt wie Orpheus einst den Tod, wäre ihm ein Ehrenplatz als Schutz patron der Musiker sicher. ●
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Orchester-Geschichte(n), Teil 6
Das Orchester als Instrument von Sigfried Schibli
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as ist eigentlich ein Orchester? Die alten Griechen setzten diesen Begriff gleich mit der Bühne, mit dem Raum zwischen dem Publikum und dem Spielhaus. Noch im 18. Jahrhundert bezeichneten deutsche Musikgelehrte als Orchester den «Platz, wo die Musicanten sitzen» (Universal-Lexicon, 1740). Heute verstehen wir darunter nicht mehr einen Raum, sondern ein grösseres Ensemble von Musikerinnen und Musikern – ein Verständnis des Begriffs Orchester, welches auf das französische Barockzeitalter zurückgeht. Und wir nehmen ein Orchester nicht mehr als Addition von einzelnen Instrumenten wahr, sondern als ‹Klangkörper›, als Kollektiv, in welchem jeder Musizierende zugunsten des einheitlichen Ganzen darauf verzichtet, mit Einzelaktionen wie zum Beispiel Improvisationen seine persönliche Vision eines Werks darzustellen. Man möchte hier Aristoteles zitieren: «Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile». Die Grösse eines Orchesters ist geschichtlich variabel und hängt nicht zuletzt von den räumlichen und finanziellen Gegebenheiten ab. In der Regel erwartet man von einem Orchester chorische Besetzung der Streicher und mindestens doppelte Bläserbesetzungen. Ein kammermusikalisches Ensemble von acht oder neun Spielern ist noch kein Orchester. Die definitorischen Grenzen zum Begriff Kammer orchester sind dagegen fliessend. Ein heutiges Sinfonieorchester zählt in der Regel mindestens sechzig, meist neunzig oder hundert Mitglieder. Nach oben sind keine Grenzen gesetzt. Aus der Geschichte sind
Beispiele von wahrhaften Riesenorchestern bekannt. So wurde Händels Messias anlässlich der HundertJahr-Feier seines Geburtstages in der Westminster Abbey von einem Orchester mit 251 Spielern begleitet. Allein die Anzahl der Violinen soll die Zahl 90 überschritten haben. Der wortmächtigste Theoretiker des Orchesters war zugleich der grösste Freund von Riesenbesetzungen: Hector Berlioz (1803–1869). Der französische Komponist hat mit seiner Instrumentationslehre (Traité d’instrumentation et d’orchestration modernes, Paris 1844) ein Kompendium geschaffen, das in weiten Teilen bis heute Gültigkeit besitzt. Noch Richard Strauss berief sich darauf und setzte sich im frühen 20. Jahrhundert für die Verbreitung dieses Standardwerks ein. Berlioz’ Verständnis des Orchesters ist ausserordentlich aktuell. Er versteht es als «ein gros ses Instrument». (Ganz in diesem Sinne nannte Richard Wagner die Sächsische Staatskapelle Dresden eine «Wunderharfe».) Berlioz organisierte das Orchester für seine Messe des Morts ganz neu, indem er es durch vier kleinere Orchester von Blasinstrumenten ergänzte, die er quadrophon an den Ecken des grossen Klangkörpers aufstellte. Obwohl gerade dieses riesenhafte Requiem gelegentlich im Freien aufgeführt wird, war sein Schöpfer davon überzeugt, dass es «keine Musik im Freien» geben könne, weil eine solche aus akustischen Gründen wirkungslos bleiben müsse. Auf dem Höhepunkt seines Buches schwelgt Berlioz förmlich in Fantasien über sein Wunsch-Or-
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Händels Gedenkfeier in der Westminster Abbey, 1784
chester. Dieses solle aus 120 Violinen, 40 Bratschen, 45 Celli und 33 Kontrabässen bestehen, ergänzt durch eine Vielzahl von Blasinstrumenten, darunter 12 Fagotte und 16 Hörner sowie nicht weniger als 30 Harfen und ebenso viele Klaviere. Wie ein Buchhalter des Visionären rechnet Berlioz aus, dass dieser Klangkörper aus 467 Instrumentalisten bestehe, die man aus allen Pariser Orchestern zusammenziehen könne. Hinzu solle ein Chor von 360 Stimmen kommen. Berlioz schwieg sich darüber aus, welche Musik dieser gigantische Klangkörper spielen und singen
sollte. Doch er zweifelte nicht daran, dass die Wirkung dieses Riesenapparats alles bisher Dagewesene weit übertreffen würde. «Seine Ruhe wäre majestätisch wie die Ruhe des Ozeans, seine Bewegungen würden an die Orkane in den Tropen, seine Ausbrüche an das Getöse der Vulkane erinnern (…), sein Schweigen würde durch seine Feierlichkeit Furcht einflössen; und die widerspenstigen Naturen würden schaudern beim Anwachsen seines wie ein ungeheurer erhabener Brand sich prasselnd ausbreitenden Crescendos.» ●
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Yolena Orea Sánchez und Andrés Gabetta im Gespräch
«In Südamerika gibt es einfach überall Musik» Yolena Orea Sánchez, Cellistin, und Andrés Gabetta, Violinist, beide im Sinfonieorchester Basel, unterhalten sich über ihre Heimat, ihre Liebe zu Basel und lateinamerikanische Komponisten. aufgezeichnet und übersetzt aus dem Französischen von Cristina Steinle
Cristina Steinle: Ihr seid beide aus Südamerika. Yolena, du kommst aus Venezuela, Andrés, du bist in Argentinien aufgewachsen – wie ja auch der Komponist Ginastera, der dieses Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. Erzählt doch mal, weshalb ihr eure Heimat verlassen habt und nach Europa gekommen seid.
Yolena Orea begann ihre musikalische Ausbildung im Rahmen von ‹El Sistema› in Venezuela bei William Molina am Instituto Universitario de Estudios Musicales von Caracas. Als Mitglied des berühmten Simon Bolivar Youth Orchestra hat sie Konzerte in den wichtigsten Sälen und Theatern Südamerikas und Europas gegeben. In Europa führte sie ihre Studien an der Académie de musique Tibor Varga in Sion und an der Hochschule für Musik der Stadt Basel bei Marcio Carneiro und Rafael Rosenfeld weiter. Yolena Orea ist Preisträgerin des internationalen Cello-Wettbewerbs ‹Carlos Prieto› (Mexiko) und war Stipendiatin der renommierten Lyra Stiftung. Nach einem Praktikum im Tonhalle-Orchester Zürich gewann Yolena Orea eine Stelle im Orchestre philharmonique de Strasbourg, und seit 2009 ist sie festes Mitglied des Sinfonieorchesters Basel.
Andrés Gabetta: Ich bin fürs Musikstudium nach Europa gekommen. Ich war 14 Jahre alt, als ich in Spanien ankam. Drei Jahre lang habe ich mit meiner Mutter und meiner kleinen Schwester Sol in Madrid gewohnt. Nach einem Aufenthalt in den USA bin ich dann nach Basel gekommen. Europa ist nach wie vor das Zentrum der klassischen Musik, hier hat diese Musik ihre Wurzeln, und Madrid beispielsweise verfügt mit der Escuela Superior de Música Reina Sofía über eine ausgezeichnete Musikhochschule. Nach Basel sind wir gezogen, weil unser Professor hierher kam, aber auch, weil es so nah an Frankreich und meine Mutter ja Französin ist. Nach einiger Zeit verliess dann auch der Rest meiner Familie, mein Vater und meine beiden anderen Geschwister, Argentinien, um nach Europa zu kommen. Ich habe mich hier in Basel sofort wohlgefühlt und dann auch das Vorspiel beim Sinfonieorchester Basel gemacht. Weil meine Familie ja jetzt hier ist, kehre ich nur noch alle drei bis vier Jahre für Besuche nach Argentinien zurück. Oder um Konzerte zu spielen. Yolena Orea Sánchez: Auch ich bin für das Studium nach Europa gekommen. Schon als Kind habe ich davon geträumt, nach Europa zu gehen. Und als mein Cellolehrer nach Paris ging, hat es sich eben ergeben. Man könnte fast
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Yolena Orea Sánchez und Andrés Gabetta auf der Suche nach neuen Abenteuern
sagen, nach Europa zu gehen, war für mich das Natürlichste der Welt. Dass ich nach Genf gekommen bin, war eher Zufall, denn ich hatte hier Bekannte. Ich wusste zwar nicht ganz genau wo Basel auf der Karte liegt, aber ich wollte unbedingt in dieser Stadt leben und studieren, denn die Celloklassen der Hochschule sind auch international sehr bekannt. Also habe ich den Zug nach Basel genommen und das Vorspiel an der Hochschule gemacht. Und wirklich, obwohl ich nicht genau wusste, wo ich war, habe ich sofort gefühlt, dass dies meine Stadt ist. Umso glücklicher war ich, als ich an der Hochschule aufgenommen wurde und mich hier niederlassen konnte. Während und nach meinem Studium habe ich Praktika in verschiedenen Orchestern gemacht: in Basel, in Zürich und in Strasbourg. Weil es mir aber in Basel so gefallen hatte, entschloss ich mich, hierher zurückzukommen. Glücklicherweise wurde ich dann im Sinfonieorchester Basel aufgenommen. Mein Traum, hier zu leben, zu arbeiten und eine Familie zu gründen ging also voll und ganz in Erfüllung! Nun bin ich seit 13 Jahren in Eu-
ropa. Als ich kam, war ich ganz alleine, ohne Familie. Aber zurück nach Venezuela gehe ich kaum mehr, weil die politische Situation dort sehr schwierig ist. Für mich ist das Leben hier genau umgekehrt im Vergleich zum Leben in Venezuela.
Andrés Gabetta, wuchs als Sohn französisch-rus sischer Eltern in Argentinien auf. Mit 14 Jahren kam er mit seiner Mutter und seiner Schwester nach Spanien, wo er sein Musikstudium weiterführte. Seit 1998 ist er Mitglied des Sinfonieorchesters Basel und seit 2010 leitet er die von seiner Schwester Sol Gabetta gegründete ‹Cappella Gabetta›, die sich auf Programme aus Barock und Frühklassik konzentriert. Ausserdem führt Andrés Gabetta das Orchestre Baroque de Limoges unter der Leitung von Christophe Coin als Konzertmeister an.
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Die Situation in Argentinien ist ein bisschen anders. Südamerika ist ja bekanntlich riesig, und jedes Land hat so seine Eigenheiten. Argentinien ist ein Land europäischer Migranten; ein grosser Teil der Bevölkerung kommt aus Italien, Spanien, Deutschland, Frankreich, Portugal – ein bisschen von überall. Natürlich ist es total anders als hier, denn es ist ein Chaos! Korruption ist leider sehr verbreitet, und vieles funktioniert nicht wirklich gut. Aber was die Musik betrifft, so kann man ohne Probleme studieren, es gibt wunderbare Professoren und Professorinnen, Theater, Musiksäle und sehr schöne Produktionen. Aber man ist eben weit entfernt von diesem kulturellen Zentrum in Europa. Und es ist schon so, da ist Basel aussergewöhnlich. Einerseits hat man aufgrund seiner Grösse nicht die Nachteile einer Grossstadt, und andererseits bietet es kulturell doch erstaunlich viel. Und wenn man verreisen möchte oder für Konzerte unterwegs ist, so sind mehr oder weniger alle europäischen Grossstädte innerhalb von wenigen Stunden mit dem Zug erreichbar. Klar, die Leute sind anders hier als in Argentinien, aber ich habe nun schon so lange hier gewohnt, dass ich zwar die Mentalität verstehe, wenn ich in Argentinien bin, jedoch oft Mühe habe, Dinge und Abläufe zu akzeptieren, die nicht funktionieren. Aber das ist wohl normal. In Argentinien lässt es sich durchaus gut leben, es ist ein sympathisches Land, hat ein grosses musikalisches Bouquet und viele grossartige Musiker und Komponisten vorzuweisen, wie etwa Ginastera. Ich bin auch nicht hierhergekommen, weil es in Venezuela keine Möglichkeit zu musizieren gegeben hätte. Im Gegenteil, Venezuela verfügt über ein in vielen Teilen der Welt bewundertes Erziehungssystem! Mich hat vielmehr der persönliche Wunsch nach neuen Erfahrungen nach Europa gelockt; die Lust, eine andere Art zu leben kennenzulernen. Aber man hat in Südamerika durchaus die Chance, eine musikalische Bildung zu erhalten. Auch wenn es nicht hauptsächlich um die akademische Lehre und die klassische Musik geht, sondern vor allem um den Fakt, dass es überall Musik gibt! Man macht überall Musik, man tanzt und die Leute haben den Rhythmus einfach im Blut. Die südamerikanischen Komponisten haben die Möglichkeit, aus einer Quelle gewaltiger musikalischer Vielfalt zu schöpfen. Unsere Musik ist beeinflusst durch europäische und afrikanische
Musik – und dieser Reichtum begleitet mich jeden Tag. In Europa ist der Zugang zur Musik völlig anders. Beispielsweise kann ein studierter venezolanischer Musiker genauso gut auch populäre Musik spielen, ohne dass er schräg angeschaut wird – im Gegenteil! Das ist normal, und das machen alle. Es gibt auch keinen Unterschied des Respekts gegenüber den unterschiedlichen Komponisten, ob sie klassische oder populäre Musik komponieren. In der Schweiz ist alles ein bisschen regulierter und eingeschränkter. Ein weiterer grosser Unterschied zwischen Südamerika und Europa ist das Alter des Publikums. Während das Publikum hier an klassischen Konzerten eher fortgeschrittenen Alters ist, so ist es in Südamerika viel durchmischter. Ja, auch viele junge Leute besuchen klassische Konzerte. Warum dieser Unterschied? Ich weiss es nicht. Vielleicht deshalb, weil es in Südamerika eher schwierig ist – oder zumindest war, als ich jung war –, an Partituren, an gute Instrumente etc. zu kommen. Alles konzentrierte sich auf die USA und Europa. Und natürlich gab es noch kein Internet. Ich bin zwar in einer 3-Millionen-Stadt aufgewachsen, aber für meinen Violinunterricht musste ich dennoch alle zwei Wochen nach Buenos Aires fahren – 900 Kilometer hin, 900 Kilometer zurück! Also die Leute, die wirklich Musik machen möchten, müssen dafür auch Aufwand betreiben. Hier gibt es ein so grosses kulturelles Angebot, dass die jungen Leute vielleicht einfach zu wenig Interesse haben, klassische Konzerte zu besuchen. Das hat mich ehrlich gesagt etwas schockiert. Da gebe ich dir Recht. Es ist hier eben normal, dass ständig tolle Konzerte mit speziellen Solisten stattfinden. Vielleicht ist es auch einfach unsere Zeit, dass die Jungen zu sehr mit Facebook beschäftigt sind ... (lacht) Es gibt viele Privilegien hier, und die Leute können ohne Mühe an den unterschiedlichsten Veranstaltungen teilnehmen oder die unterschiedlichsten Dinge unternehmen. In Venezuela hingegen ist alles, was man machen möchte, extrem mühsam. Jede Kleinigkeit wird da zum Abenteuer. Also braucht es für alles, was man unternimmt, viel mehr Passion. Hier ist im Supermarkt immer alles erhältlich, es gibt keine Gewalt etc. – das ist ja alles wunder-
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bar, aber mir scheint, die Leute sind dadurch etwas weniger aktiv. Aber vielleicht ist es auch das Bild, das den Jungen von der klassischen Welt gegeben wird: sehr seriös und fast etwas bourgeois. In Venezuela ist es häufig genau umgekehrt. Die Leute, die Musik machen oder Musik hören, leben oft in prekären Situationen und benötigen die Musik, um zu träumen und ihrer Realität etwas entfliehen zu können. Ja, um ihr Leben etwas farbiger zu machen, denn es ist oft fade, traurig oder von Gewalt geprägt. Die Musik ist farbig, fröhlich, und sie vermittelt Freiheit. Das ist es, was mich hier etwas erstaunt hatte – dieses Elitäre. Naja, das Konzert ist ja offen für alle – aber die Jungen gehen dann doch lieber ins Kino als ins Konzert. Sie nutzen das Angebot kaum. Dabei war diese Musik doch auch mal Popmusik in der jeweiligen Epoche! Was ich auch sehr interessant finde, ist, dass man hier nicht etwas häufiger Musik südamerikanischer Komponisten spielt. Denn in dieser Musik hat es viele Elemente der populären Musik, und ich denke, dieser Mix könnte die Leute hier auch interessieren. Denn die südamerikanische Musik ist total anders, als was man hier sonst kennt – nur schon die Rhythmen. Es wäre bestimmt auch für das europäische Publikum spannend, Einblick in Kompositionen anderer Kulturkreise zu erhalten. Das ist natürlich ein weltweites Problem, dass die Leute jene Stücke hören wollen, die sie bereits kennen. Es ist also immer schwierig, Musik aufzuführen, die dem Publikum neu ist.
In Basel aber denke ich, hätte man gute Chancen, auch andere Musik zu spielen, denn das Publikum ist doch ein bisschen neugieriger als anderswo, so scheint mir. Ein gemischtes Programm von Bekanntem und Unbekanntem, wie es das Sinfonieorchester Basel häufig macht und wie es jetzt auch bei ‹Viva Ginastera› der Fall ist, sollte doch funktionieren. Das Publikum hier ist offen für solche Experimente. Dieses Konzert ist für uns, oder zumindest für mich, sehr speziell, denn es ist immer etwas Besonderes, Musik aus dem eigenen Land zu spielen. Ein lateinamerikanisches Stück zu spielen, berührt einen persönlich natürlich schon sehr. Obwohl dieses Stück von Ginastera ja fast mehr an Bartók erinnert als an Südamerika! (lacht) Ja, aber das ist ja auch das Interessante an den südamerikanischen Komponisten. Sie haben sich natürlich sehr von den europäischen Komponisten inspirieren lassen, aber lassen jeweils auch die südamerikanische Wärme in ihre Kompositionen einfliessen. Und dieser andere Zugang zur klassischen Musik ist bestimmt sehr interessant zu hören für das Publikum hier. Ja, jede Durchmischung bringt Reichtum – wie es ja übrigens auch in unserem Orchester ist. Wir haben Musikerinnen und Musiker aus der ganzen Welt vereint im Orchester. Für mich ist Musik wie ein Mosaik. Alle Stückchen zusammen machen erst das schöne Bild. Bei unserem Orchester, so finde ich, ist das der Fall, und das ist wirklich schön. ●
Impressum Sinfonieorchester Basel, Steinenberg 19, 4051 Basel, +41 ( 0 )61 205 00 95, info@sinfonieorchesterbasel.ch www.sinfonieorchesterbasel.ch, www.facebook.com/sinfonieorchesterbasel, twitter.com/symphonybasel Geschäftsleitung : Franziskus Theurillat Leitung Künstlerische Planung : Dr. Hans-Georg Hofmann Konzeption und Redaktion Programm-Magazin : Simone Staehelin und Cristina Steinle Titelbild : Christian Aeberhard, Basel Korrektorat: Ulrich Hechtfischer Gestaltung : Neeser & Müller, Basel Druck : Schwabe AG, Basel/Muttenz Auflage : 7000 Exemplare Partner:
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Vielfalt.
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Vorschau mini.musik: Bei der Olympiade
Promenade im Gare du Nord
Achtung, fertig, mini.musik!
Die Promenaden-Konzerte im wunderschönen Saal des Gare du Nord richten sich auch besonders an Familien mit Kindern – denn während des Konzerts ist für eine kostenlose Kinderbetreuung gesorgt. Mitglieder des Sinfonieorchesters Basel spielen Ludwig van Beethovens Septett in Es-Dur, op. 20. Vor und nach dem Konzert besteht die Möglichkeit, in der Bar du Nord zu brunchen. Für Kinderbetreuung und Brunch wird um Anmeldung gebeten: +41 61 683 13 13.
Hier geht es um Gold: In musikalischen Matches gewinnen unsere Spitzenmusiker mit klingenden Rekorden eine Medaille nach der anderen. Bei mini. musik bieten sie exklusiv ein Olympiatraining für Klein und Gross an. Mit treffender Musik, gespielt auf Trompete, Violoncello, Klavier und Schlagzeug. Nach dem Konzert können die gespielten Instrumente ausprobiert werden.
Bild : Kim Hoss
Bild : Benno Hunziker
Promenade: Beethoven-Septett
SONNTAG, 10. APRIL 2016 11.00 Uhr, Gare du Nord
SAMSTAG, 16. APRIL 2016 14.30 Uhr, Unionsaal im Volkshaus Basel
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Agenda SO 20.03.16 14.30
Familienkonzert: Symphonic Circus Mitglieder des Orchestre philharmonique de Strasbourg / Weepers Circus
Foyer Theater Basel
FR 25.03.16 17.00
Chorkonzert Jacqueline Fontyn: Méditation matinale für Sprechstimme, Chor und Orchester (Uraufführung) Antonín Dvořák: Stabat mater für Soli, Chor und Orchester, op. 58 SOB / Basler Gesangverein
Stadtcasino, Musiksaal
MI 30.03.16 12.00
Punkt 12: Offene Orchesterprobe SOB / Dennis Russell Davies
Stadtcasino, Musiksaal Eintritt frei
DO 31.03.16 ab 16.00
Entdeckerkonzert: Ginastera 100 Mitglieder des SOB / Cecilia Scalisi / Hans-Georg Hofmann / Xavier de Maistre / Dr. Felix Meyer / Stephan Schmidt
Stadtcasino, Hans Huber-Saal Eintritt frei
DO 31.03.16 FR 01.04.16 19.30
Sinfoniekonzert SOB: Viva Ginastera Alberto Ginastera: 4 Danzas de la Estancia, op. 8 Alberto Ginastera: Konzert für Harfe und Orchester, op. 25 Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 2 D-Dur, op. 73 SOB / Xavier de Maistre / Dennis Russell Davies
Stadtcasino, Musiksaal
SO 03.04.16 18.00
Zu Gast in Lörrach Ludwig van Beethoven: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5 Es-Dur, op. 73 Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 2 D-Dur, op. 73 SOB / Ingolf Wunder / Dennis Russell Davies
Burghof Lörrach VVK: www.burghof.com
SO 10.04.16 11.00
Promenade: Beethoven-Septett Ludwig van Beethoven: Septett Es-Dur, op. 20 Mitglieder des SOB
Gare du Nord
MI 13.04.16 18.30–20.00
Mix & Mingle Symphony Club – English speaking social event Theme: Paul McCartney
Hotel Euler, Basel everybody’s welcome!
FR 15.04.16 19.30
Macbeth – Premiere Oper in vier Akten von Giuseppe Verdi, Libretto von Francesco Maria Piave
Theater Basel VVK: Theaterkasse
SA 16.04.16 14.30
mini.musik: Bei der Olympiade Mitglieder des SOB / Irena Müller-Brozovic / Norbert Steinwarz
Volkshaus Basel, Unionsaal
Vorverkauf ( falls nicht anders angegeben ) : Bider & Tanner, Ihr Kulturhaus in Basel, Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel, 061 206 99 96 Detaillierte Informationen und Online-Verkauf : www.sinfonieorchesterbasel.ch
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