Programm-Magazin Nr. 7 Saison 15/16
Missa Solemnis MITTWOCH, 20. APRIL 2016 DONNERSTAG, 21. APRIL 2016
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Sinfoniekonzert ‹Missa Solemnis›
3 Programm 4 Interview mit Hans-Christoph Rademann 8 Ludwig van Beethoven: Missa Solemnis 12 Gesangstext Missa Solemnis 14 Guillaume Connesson: Flammenschrift 20 Die Gächinger Kantorei und die Solisten Intermezzo
22 Vorlaut – Eine Serie von Alain Claude Sulzer 24 Orchester-Geschichte(n), Teil 7 26 Megan McBride und Rahel Leuenberger im Gespräch Vorschau
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Liebes Konzertpublikum
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eethovens Missa Solemnis gehört, wie auch die späten Streichquartette des Komponisten, zu jenen Meisterwerken der Musik, die von einer Aura des Geheimnisvollen umgeben sind. Komponiert im Zustand der fast vollkommenen Taubheit, sprengt sie alle Konventionen einer liturgischen Messkomposition. Für Sir Simon Rattle ist die Missa Solemnis eines «der Stücke, die ich bis heute nicht verstehe». Umso stärker berührt die Unmittelbarkeit ihrer musikalischen Ausdruckskraft. Wir freuen uns deshalb sehr auf eine Wiederbegegnung mit der Gächinger Kantorei aus Stuttgart. Besonders gespannt sind wir auf das Basler Debüt ihres neuen künstlerischen Leiters Hans-Christoph Rademann, der für seine Arbeit als Chefdirigent des NDR-Chors und des RIAS-Kammerchors mehrfach ausgezeichnet wurde. Beethoven selbst bezeichnete seine Missa Solemnis als sein bestes Werk. In einem Brief bat er Goethe, sich für eine Aufführung am Weimarer Fürstenhof einzusetzen. Doch dieser war mit anderen Dingen beschäftigt, unter anderem mit seiner Marienbader Elegie – das Bekenntnis der (unerwidert gebliebenen) Liebe des 74-jährigen Dichters zu der 19-jährigen Ulrike von Levetzow. Die Erinnerung an sie sei ihm «mit Flammenschrift ins treue Herz geschrieben». Der französische Komponist Guillaume Connesson hat diese Worte zum Anlass genommen, um mit seinem Werk Flammenschrift Beethoven und Goethe seine Reverenz zu erweisen. In unserem Abonnementskonzert können Sie die Schweizer Erstaufführung dieses Werks erleben. Mehr über das Konzert, die Solisten und weitere Aktivitäten unseres Orchesters finden Sie auf den folgenden Seiten. Ich wünsche Ihnen viele interessante Hörerfahrungen und freue mich auf Ihren Konzertbesuch.
32 Agenda
Dr. Hans-Georg Hofmann Leiter Künstlerische Planung
Bild : Benno Hunziker
Vorverkauf und Preise Bider & Tanner, Ihr Kulturhaus in Basel, Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel, + 41 ( 0 )61 206 99 96, ticket@biderundtanner.ch
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Preise Sinfoniekonzerte SOB : CHF 90/75/60/45/30 Ermässigungen : Studierende, Schüler und Lehrlinge : 50 %, AHV/IV: CHF 5, mit der Kundenkarte Bider & Tanner : CHF 5
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Sinfoniekonzert SOB
Missa Solemnis MITTWOCH, 20. APRIL 2016 DONNERSTAG, 21. APRIL 2016 19.30 Uhr, Musiksaal Stadtcasino Basel 18.45 Uhr: Einführung durch Florian Hauser, Hans Huber-Saal
Guillaume Connesson (*1970) Flammenschrift für Orchester (2012, Schweizer Erstaufführung)
Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Missa Solemnis für Soli, Chor und Orchester D-Dur, op. 123 (1823) 1. Kyrie 2. Gloria: Gloria in excelsis Deo. Qui tollis. Quoniam tu solus sanctus.
Pause
3. Credo: Credo in unum Deum. Et incarnatus est. Et resurrexit. 4. Sanctus: Sanctus. Benedictus. 5. Agnus Dei: Agnus Dei. Dona nobis pacem.
Konzertende ca. 21.30 Uhr
Sinfonieorchester Basel Gächinger Kantorei Hanna-Elisabeth Müller, Sopran Lioba Braun, Mezzosopran Brenden Gunnell, Tenor Günther Groissböck, Bass Hans-Christoph Rademann, Leitung
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Interview mit Hans-Christoph Rademann
«Ich gestalte die Musik vom Wort her» von Christian Fluri
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ans-Christoph Rademann, Gründer und langjähriger Leiter des Dresdner Kammerchors, danach Leiter des RIAS-Kammerchors Berlin und heute Leiter der Bachakademie Stuttgart, dirigiert erstmals das Sinfonieorchester Basel und bringt die Gächinger Kantorei mit. Der Vertreter der historisch informierten Aufführungspraxis arbeitet aber auch immer wieder gerne mit modernen Orchestern zusammen. Christian Fluri: Sie sind in erster Linie Chordirigent, haben früh den heute bekannten Dresdner Kammerchor gegründet: Was unterscheidet den Chor- vom reinen Orchester dirigenten? Hans-Christoph Rademann: Gesagt wird, dass Chordirigenten einen etwas weicheren Schlag haben. Ich selbst kann das nicht genau benennen. Andererseits hat ein Chorleiter manchmal den Eindruck, dass ein Orchesterdirigent bei der Arbeit mit Chören die stimmphysiologischen Voraussetzungen zu wenig berücksichtigt, dass er zu wenig mit dem Chor atmet. Das ist aber unterschiedlich
von Dirigent zu Dirigent. Es gibt Orchesterleiter, die leisten mit Chören vorzügliche Arbeit. Sind denn Chöre anders zu leiten als Orchester? So unmittelbar reagieren, wie das ein Orchester in der alltäglichen Arbeit tut, das kann nur ein extrem gut erzogener oder sehr gut geführter Chor. Was unterscheidet Sänger von Instrumentalisten? Der Sänger hat kein Instrument, auf dem er mit Hilfe eines Tasten- oder Klappendrucks einen Ton produzieren kann. Sein Instrument ist sein Körper. Deshalb reagiert der Sänger viel empfindlicher auf äussere Umstände, zum Beispiel auf Stress. Sie haben als Sohn eines Kantors in Dresden und als Mitglied des Kreuzchors Ihre musikalische Sozialisierung über den Gesang erfahren – über grosse sakrale Werke, vor allem jene Johann Sebastian Bachs? Ja, vollkommen über den Gesang. Ich sang bereits als Kind im Vorschulalter sehr viel. Schon als kleiner Schüler trat ich solistisch auf. Im Alter von
Bild : Holger Schneider
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zehn Jahren wurde ich Mitglied des Kreuzchors. Ich sang acht Jahre im Chor, mit täglichen Proben von vier Stunden. So lernt man sehr viel. Mehrere Lektionen in der Schule plus vier Stunden Chorprobe am Tag, das ist sehr anstrengend für ein Kind? Ja, da bleibt pro Tag maximal eine Stunde Freizeit. Da ich zudem noch Geige spielte, übte ich in dieser Stunde. Was bedeutet Ihnen der Gesang in der Musik? Es ist die natürlichste Form der Entäusserung. Im Gegensatz zu anderen, die sagen, Bachs vokale Musik sei instrumental komponiert, bin ich davon überzeugt, dass sie vom Gesang, vom Wort her zu verstehen ist. So dirigieren Sie nach dem Motto ‹Prima la parola, poi la musica›? Die Chorwerke bauen meist auf sehr gute, sehr gehaltvolle Texte. Das ist für mich als Dirigenten, der vom Wort her die Musik gestaltet, ein grosses Privileg. Es geht darum, in der Musik dieses Wort zu verlebendigen. Sie haben sich früh schon als Chorleiter profiliert und bereits als Student im Alter von zwanzig Jahren den Dresdner Kammerchor gegründet. Ich erkannte früh und instinktiv richtig, dass meine Berufung das Dirigieren ist. Ich gründete zu Beginn des Studiums – vorher musste ich in der damaligen DDR noch eineinhalb Jahre zur Armee – mit Studienkollegen den Kammerchor. Es gelang uns, den Chor schnell fest zu etablieren. Es waren auch sehr gute Sänger mit dabei, zum Beispiel der junge René Pape, mit dem ich schon in der gleichen Schulklasse sass. Seit 2013 leiten Sie die Internationale Bachakademie Stuttgart. Worin sehen Sie deren Bedeutung? Konzentrieren Sie sich ganz auf Bach? Das Werk Johann Sebastian Bachs und das Oratorium sind die Schwerpunkte der Bachakademie. Unter anderem bieten wir Meisterkurse an – zum Beispiel für Dirigenten. Eine zentrale Aufgabe ist die Vermittlung von Bachs Werk. Wir begleiten
unsere Konzerte mit einem attraktiven Programm, zum Beispiel mit musikalischen Salons. Wir wollen Bachs Musik so, wie wir sie verstanden haben, weitergeben. Das tat bereits mein Vorgänger, der Akademiegründer Helmuth Rilling. Ich selbst habe nun die Vermittlung im Bereich der Jugend stark weiterentwickelt. Unter dem Motto ‹Bach bewegt› realisieren wir aufwendige, anspruchsvolle Projekte – so die Verbindung von Musik und Tanz – dies mit hervorragenden Resultaten. Wir beziehen verschiedene Schulen Stuttgarts mit ein und arbeiten mit Behinderten. Wir haben das gesamte Weihnachtsoratorium aufgeführt. Dann brachte ich auch eine kindergerechte Bearbeitung des Magnificats mit Jugendlichen und mit Tanz auf die Bühne. Nun haben Sie Furore gemacht mit der Einspielung der h-Moll-Messe – mit der Gächinger Kantorei, die Sie auch nach Basel mitbringen. Was ist das Neue an Ihrer Einspielung? Ich habe hier erstmals mit dem Freiburger Barockorchester zusammengearbeitet. Im musikalischen Zugriff bin ich wiederum ganz vom Wort ausgegangen. Und wir haben uns auf die neue kritische, von Ulrich Leisinger beim Carus-Verlag herausgegebene Ausgabe der h-Moll-Messe gestützt, die auf die originalen Handschriften von Bach zurückgreift. Die neue Ausgabe enthält an die hundert kleine Veränderungen, das kommt einer Revolution gleich. Was reizt Sie als Vertreter der historisch informierten Aufführungspraxis an der Arbeit mit einem auf modernen Instrumenten spielenden Orchester wie dem Sinfonieorchester Basel? Ich arbeite immer wieder gerne mit modernen Orchestern. Und bei einem Werk wie Ludwig van Beethovens Missa Solemnis ist die Entscheidung gar nicht so klar, ob man es mit modernen oder historischen Instrumenten spielt. Ich habe die Messe in Berlin mit dem RIAS-Kammerchor und der Akademie für Alte Musik aufgeführt. Nun werde ich von diesen Erfahrungen in Basel einiges einfliessen lassen. Ich hoffe, so einen geschmeidigeren, transparenteren Klang zu erreichen.
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Kennen Sie das Sinfonieorchester Basel bereits, das Sie nun erstmals dirigieren? Nein, aber ich habe gehört, dass es ein sehr gutes Orchester ist. Ich freue mich sehr auf die Arbeit. In Basel ist die Missa Solemnis zusammen mit einem Werk der Gegenwart, mit Guillaume Connessons Flammenschrift, programmiert. Was bewegt Sie zu diesem Dialog der Klassik mit heute? Dies ist der Wunsch des Orchesters. Die Flammenschrift baut auf einer Auseinandersetzung mit Beethoven auf. Das finde ich eine interessante Verbindung. Und ich erachte es auch als sehr wichtig, das Heute nicht ausser Acht zu lassen. Beethovens Missa aufzuführen, war schon länger der Wunsch der Gächinger Kantorei. Ich denke, der Chor ist dafür gut aufgestellt. Die Kantorei ist ein energetischer Chor, der mit sehr starker Überzeugung singt und einen ehrlichen Klang kreiert. Wie bringen Sie die Erkenntnisse der historisch informierten Aufführungspraxis ein, wenn Sie mit einem Orchester mit modernen Instrumenten arbeiten?
Ich habe bereits dem Orchester mitgeteilt, dass ich mir historische Blechblas-Instrumente oder Instrumente mit einer kleineren Mensur wünsche. Wir müssen die Übermacht des Blechs brechen und es dämpfen. Trotzdem müssen wir einen aggressiven Klang erhalten, den es manchmal braucht. Das ist eine Sache der Phrasierung. Ich denke, wenn der Chor die Messe ganz vom Wort her gestaltet, erreiche ich eine Beweglichkeit, die sich auf das Orchester übertragen wird. Haben Sie als Chordirigent, der sich auf die sakralen Werke fokussiert, schon Beethovens Fidelio oder eine seiner Sinfonien dirigiert? Ich habe einmal in bescheidenem Rahmen die 8. Sinfonie dirigiert. Aber leider noch nie den Fidelio. Jedoch habe ich in regelmässigen Abständen die C-Dur-Messe dirigiert, dann mit der Kammerphilharmonie Bremen die erste Wiederaufführung der Kantate zum Tod von Joseph II. Nun studiere ich zum zweiten Mal die Missa Solemnis ein. ●
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Ludwig van Beethoven: Missa Solemnis
«Von Herzen – möge es wieder – zu Herzen gehn!» von Andreas Friesenhagen
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eistliche Musik war nicht die Domäne Ludwig van Beethovens. Was er auf diesem Gebiet schrieb, lässt sich rasch aufzählen: Es sind die sechs Lieder op. 48 (1802) nach Gedichten aus der Sammlung Geistliche Oden und Lieder von Christian Fürchtegott Gellert, das Oratorium Christus am Oelberge, op. 85 (1803), schliesslich die beiden Vertonungen des Ordinarium missae, die Messe C-Dur, op. 86 (1807), und die Missa Solemnis D-Dur, op. 123 (1819 –1822). Die Gellert-Lieder mit ihren aus der Mitte des 18. Jahrhunderts stammenden, zu Beethovens Zeit aber längst unmodernen Texten und das Oratorium, das die Ölbergszene aus der Passionsgeschichte Christi zum Gegenstand hat, sind durch die zugrunde liegenden Sujets geistliche Musik, wenngleich sie freilich nicht für die Kirche beziehungsweise die Liturgie gedacht waren. Beide Werke stehen in engem Zusammenhang mit Beethovens grosser Lebenskrise der Jahre 1801/02, die durch die Verschlimmerung seines Gehörleidens ausgelöst worden war. Die Messen gehören in einen anderen Kontext. Sie sind die einzigen Werke Beethovens, die auf die katholische Liturgie bezogen sind, also Kirchenmu-
sik im engeren Sinne darstellen. Beide verdanken ihre Entstehung repräsentativen Anlässen. Die Messe C-Dur wurde von Fürst Nikolaus II. Esterházy zur Feier des Namenstags seiner Frau Maria Hermenegild in Auftrag gegeben. Sie steht damit in der Tradition der letzten sechs Orchestermessen Joseph Haydns, die ebenfalls für diesen Tag entstanden.
MISSA SOLEMNIS Besetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 3 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauke, Streicher Entstehung: 1819–1823 Widmung: Rudolph Erzherzog von Österreich Uraufführung: 7. April 1824 in St. Petersburg Dauer: ca. 80 min
Bild : Österreichische Nationalbibliothek
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Im Fall der Missa Solemnis war der Entstehungsanlass die auf den 9. März 1820 festgesetzte Inthronisation des Erzherzogs Rudolph (1788–1831) zum Erzbischof der mährischen Stadt Olmütz. Beethoven erfuhr Ende Januar 1819 von der Ernennung Rudolphs und fasste daraufhin den Entschluss, eine Messe für den Gottesdienst zu schreiben. Am 3. März 1819 teilt er Rudolph mit: «der Tag, wo ein Hochamt von mir zu den Feyerlichkeiten für I.[hro] K.[aiserliche] H.[oheit] soll aufgeführt werden, wird für mich der schönste meines Lebens seyn, u. Gott wird mich erleuchten, dass meine schwachen Kräfte zur Verherrlichung dieses Feyerlichen Tages beytragen.» Rudolph, Sohn Kaiser Leopolds II., Bruder Kaiser Franz’ II., war seit 1804 Beethovens Klavier-, später auch Kompositionsschüler. Im Jahr 1809 gewährte er zusammen mit anderen Adligen dem Komponisten eine jährliche Pension. Beethoven widmete ihm einige seiner bedeutendsten Werke, neben der Missa Solemnis zum Beispiel die Klavierkonzerte Nr. 4 und 5, die Klaviersonaten op. 81a (Les Adieux) und op. 106 (Hammerklavier) sowie das Klaviertrio op. 97 (Erzherzog-Trio). Ganz selbstlos scheint Beethovens Messeprojekt jedoch nicht gewesen zu sein: Möglicherweise verband er mit der Komposition die Hoffnung auf eine Kapellmeisterstelle im Dienst des Erzherzogs. In diesem Zusammenhang ist die Widmungsformel «Von Herzen – möge es wieder – zu Herzen gehn!» zu sehen, mit der Beethoven das Autograph des Kyrie überschrieb. Sie ist als Chiffre der Freundschaft zwischen Beethoven und Rudolph zu deuten, nicht als Adresse an die gesamte Menschheit, wie oft behauptet wird. Dass Beethoven alles andere als ein Kirchenkomponist war, ja dass ihm dieses Metier bis zum Ende seiner Komponistenkarriere fremd blieb, wird durch die intensive Vorbereitung verdeutlicht, die er in die Missa Solemnis investierte. Hier ging es tatsächlich um Grundfragen. Beethoven befasste sich mit der katholischen Liturgie, vergegenwärtigte sich den Sinn und die Bedeutung der lateinischen Texte und informierte sich über deren richtige Akzentuierung. Darüber hinaus studierte er ältere Kirchenmusik, die er in der gut bestückten Bibliothek des Erzherzogs fand. Seinem Tagebuch vertraute er hierzu einen Gedanken an, der wie ein Programm anmutet: «Um wahre Kirchenmusik zu schreiben, alle Kirchencho-
räle der Mönche etc. durchgehen, wo auch zu suchen wie die Absätze in richtigsten Uibersetzungen nebst vollkommener Prosodie aller christkatholischen Psalmen und Gesänge überhaupt.» Kein in einer lebendigen kirchenmusikalischen Tradition stehender Komponist hätte einen solchen Aufwand zur Vertonung des Messtextes betrieben oder dies überhaupt für nötig befunden. Im April oder Mai 1819 notierte Beethoven erste Entwürfe zur Missa, vielleicht schon im Spätsommer 1819, spätestens aber Anfang des Jahres 1820 stellte er das Kyrie in einer ersten Fassung fertig. Bis März 1820 hatte er jedoch erst einen Teil des Gloria zu Papier gebracht, während zum Credo vermutlich nur einige Skizzen existierten. Zu diesem Zeitpunkt war längst klar, dass die Missa zu Rudolphs Inthronisation nicht würde erklingen können. Es scheint, als habe Beethoven danach das Interesse an ihrer raschen Fertigstellung verloren, denn die Weiterarbeit ging nur mehr schleppend voran und wurde ausserdem von der Komposition der Klaviersonaten op. 109–111 unterbrochen. Nachdem Beethoven bis August 1822 als letzten Teil das Dona nobis pacem komponiert hatte, schloss er die Partitur der Messe erst Ende 1822 ab. Am 19. März 1823, fast genau drei Jahre nach Rudolphs Inthronisation, überreichte Beethoven dem Erzherzog das Widmungsexemplar. Das zuerst komponierte Kyrie entspricht noch am ehesten der kirchenmusikalischen Konvention. Sein feierlicher Gestus, der hier kaum problematisiert wird, und die Befolgung traditioneller Gestaltungsmuster hätten den Anforderungen des Inthronisations-Gottesdienstes durchaus entsprochen. Die folgenden Sätze jedoch gehen über das hinaus, was man von einer in der Liturgie verwendbaren Messvertonung erwarten konnte. Dies ist nicht zuerst eine Frage der Dimensionen, die für die gottesdienstliche Verwendung des Werks freilich impraktikabel sind, sondern vielmehr der formalen Disposition und der von Beethoven gewählten gestalterischen Mittel. Wie schon in der Messe op. 86 war es Beethovens Anliegen, jeder Textaussage für sich eine ihrem Gehalt adäquate musikalische Form zu geben. Das Ergebnis von Beethovens Art der Textvertonung ist, besonders in den wortreichen Sätzen Gloria und Credo, eine Fragmentierung des Satzverlaufs, die von
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anderen Möglichkeiten der musikalischen Vereinheitlichung, etwa über motivische Beziehungen, kaum aufgefangen wird. Aus der musikalischen Gegenüberstellung der einzelnen Textglieder entsteht andererseits eine Dramatisierung des Texts, wie sie es in dieser Form auf dem Gebiet der Ordinariumsvertonung zuvor nicht gegeben hatte. Die Dramatisierung seiner Vorlage eröffnete Beethoven die Möglichkeit, bestimmte Passagen in geradezu theatralischer Manier umzusetzen. Im Gloria wäre hierfür das «miserere nobis» anzuführen, dessen Aussage durch die von Beethoven in den Text eingefügten Interjektionen «o» und «ah» subjektiviert wird, im Credo das nur sechs Takte umfassende «Et resurrexit», das im historisierenden A-cappellaSatz den Satzverlauf unterbricht. Im Agnus Dei wird die «Bitte um innern und äussern Frieden» des Dona nobis pacem durch anschauliche ‹Kriegsmusik› und ein Rezitativ der Vokalsolisten mit der Anweisung «timidamente» unterstrichen. Diese Art der Gestaltung zielt nicht auf die Funktionalität der Komposition im Rahmen der Liturgie ab. In den auf das Kyrie folgenden Sätzen schlägt Beethoven vielmehr den Weg der künstlerischen Sublimierung des Texts für eine Aufführung ausserhalb der Kirchenmauern ein. Zur Gewährleistung eines ‹kirchlichen› Tonfalls setzt Beethoven an einzelnen Stellen seiner Messe jedoch bewusst traditionelle Gestaltungsmittel ein. So verwendet er im Credo bestimmte Kirchentonarten als Bedeutungsträger: Er verbindet im «Et resurrexit»
den altklassischen Vokalstil mit der mixolydischen Kirchentonart, während das «Et incarnatus», dessen Melodie ausserdem dem gregorianischen Choral nachempfunden ist, im dorischen Modus notiert ist. Verweise auf eine ältere Stilebene sind darüber hinaus die Rhythmusformeln der Sarabande im «Christe eleison» und des Siciliano im Benedictus. Der zwischen Sanctus und Benedictus als vermittelnde Überleitung eingefügte Instrumentalsatz (Praeludium) wiederum verweist auf die Tradition der in der katholischen Messe während der Wandlung üblichen Instrumentaleinlagen. Dass die Kontrapunktik in der Missa Solemnis einen hohen Stellenwert besitzt, ist vermutlich ebenfalls als Zeichen bewussten Historisierens zu verstehen. Im Lauf des Jahres 1823 richtete Beethoven an zahlreiche Fürstenhäuser und Persönlichkeiten das Angebot, handschriftliche Kopien der Missa Solemnis auf Subskription zu erwerben. Auch der russische Fürst Nikolai Galitzin kaufte ein Exemplar und betrieb daraufhin die Aufführung des Werks: In einem Konzert der Philharmonischen Gesellschaft von St. Petersburg am 7. April 1824 kam es zur ersten vollständigen Aufführung. Genau einen Monat später wurden Kyrie, Credo und Agnus Dei in einer grossen musikalischen Akademie Beethovens, in der unter anderem seine 9. Sinfonie uraufgeführt wurde, im Theater am Kärntnertor in Wien gegeben. Die erste nachweisbare Aufführung der Messe innerhalb der Liturgie fand 1824 in Brünn statt. ●
Impressum Sinfonieorchester Basel, Steinenberg 19, 4051 Basel, +41 ( 0 )61 205 00 95, info@sinfonieorchesterbasel.ch www.sinfonieorchesterbasel.ch, www.facebook.com/sinfonieorchesterbasel, twitter.com/symphonybasel Geschäftsleitung : Franziskus Theurillat Leitung Künstlerische Planung : Dr. Hans-Georg Hofmann Konzeption und Redaktion Programm-Magazin : Simone Staehelin und Cristina Steinle Titelbild : Christian Aeberhard, Basel Korrektorat: Ulrich Hechtfischer Gestaltung : Neeser & Müller, Basel Druck : Schwabe AG, Basel/Muttenz Auflage : 7000 Exemplare Partner:
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Gesangstext
Missa Solemnis
Kyrie Kyrie eleison. Christe eleison. Kyrie eleison.
Herr, erbarme Dich. Christus, erbarme Dich. Herr, erbarme Dich.
Gloria Gloria in excelsis Deo. Et in terra pax hominibus bonae voluntatis. Laudamus te. Benedicimus te. Adoramus te. Glorificamus te. Gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam. Domine Deus, Rex coelestis, Deus Pater omnipotens. Domine Fili unigenite, Jesu Christe. Domine Deus, Agnus Dei, Filius Patris. Qui tollis peccata mundi, miserere nobis. Qui tollis peccata mundi, suscipe deprecationem nostram. Qui sedes ad dexteram Patris, miserere nobis. Quoniam tu solus Sanctus. Tu solus Dominus. Tu solus Altissimus, Jesu Christe. Cum Sancto Spiritu in gloria Dei Patris. Amen.
Ehre sei Gott in der Höhe. Und auf Erden Friede den Menschen, die guten Willens sind. Wir loben Dich, wir preisen Dich. Wir beten Dich an. Wir verherrlichen Dich. Wir sagen Dir Dank ob Deiner grossen Herrlichkeit. Herr und Gott, König des Himmels, Gott, allmächtiger Vater! Herr Jesus Christus, eingeborener Sohn! Herr und Gott, Lamm Gottes, Sohn des Vaters! Der Du hinwegnimmst die Sünden der Welt: Erbarme Dich unser. Der Du hinwegnimmst die Sünden der Welt, nimm unser Flehen gnädig auf. Der Du sitzest zur Rechten des Vaters, erbarme Dich unser. Denn Du allein bist der Heilige. Du allein der Herr. Du allein der Höchste, Jesus Christus. Mit dem Heiligen Geiste in der Herrlichkeit Gottes, des Vaters. Amen.
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Credo Credo in unum Deum, Patrem omnipotentem, factorem coeli et terrae, visibilium omnium et invisibilium. Credo in unum Dominum Jesum Christum, Filium Dei unigenitum. Et ex Patre natum ante omnia saecula. Deum de Deo, lumen de lumine, Deum verum de Deo vero. Genitum, non factum, consubstantialem Patri: per quem omnia facta sunt. Qui propter nos homines et propter nostram salutem descendit des coelis. Et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria Virgine. Et homo factus est. Crucifixus etiam pro nobis sub Pontio Pilato passus, et sepultus est. Et resurrexit tertia die secundum Scripturas. Et ascendit in coelum: sedet ad dexteram Patris. Et iterum venturus est cum gloria, judicare vivos et mortuos: cujus regni non erit finis. Credo in Spiritum Sanctum, Dominum, et vivificantem: qui ex Patre Filioque procedit. Qui cum Patre et Filio simul adoratur et conglorificatur: qui locutus est per Prophetas. Credo in unam sanctam catholicam et apostolicam Ecclesiam. Confiteor unum baptisma, in remissionem peccatorum. Et expect resurrectionem mortuorum. Et vitam venturi saeculi. Amen.
Ich glaube an den einen Gott. Den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde, aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge. Ich glaube an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn. Er ist aus dem Vater geboren vor aller Zeit. Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott. Gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch Ihn ist alles geschaffen. Für uns Menschen und um unsres Heiles willen ist Er vom Himmel herabgestiegen. Er hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist aus Maria, der Jungfrau. Und ist Mensch geworden. Gekreuzigt wurde Er sogar für uns; unter Pontius Pilatus hat Er den Tod erlitten und ist begraben worden. Er ist auferstanden am dritten Tage, gemäss der Schrift. Er ist aufgefahren in den Himmel und sitzet zur Rechten des Vaters. Er wird wiederkommen in Herrlichkeit, Gericht zu halten über Lebende und Tote: Und Seines Reiches wird kein Ende sein. Ich glaube an den Heiligen Geist, den Herrn und Lebensspender, der vom Vater und vom Sohne ausgeht. Er wird mit dem Vater und dem Sohne zugleich angebetet und verherrlicht; Er hat gesprochen durch die Propheten. Ich glaube an die eine heilige katholische und apostolische Kirche. Ich bekenne die eine Taufe zur Vergebung der Sünden. Ich erwarte die Auferstehung der Toten. Und das Leben der zukünftigen Welt. Amen.
Sanctus Sanctus, Sanctus, Sanctus Dominus, Deus Sabaoth. Pleni sunt coeli et terra gloria tua. Osanna in excelsis. Benedictus, qui venit in nomine Domini. Osanna in excelsis.
Heilig, Heilig, Heilig, Herr, Gott der Heerscharen. Himmel und Erde sind erfüllt von Deiner Herrlichkeit. Hosanna in der Höhe! Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosanna in der Höhe!
Agnus Dei Agnus Dei, qui tollis peccata mundi: miserere nobis. Agnus Dei: Dona nobis pacem.
Lamm Gottes, Du nimmst hinweg die Sünden der Welt: Erbarme dich unser. Lamm Gottes: Gib uns den Frieden.
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Guillaume Connesson: Flammenschrift
Die ungeheure Gewalt der Musik von Benjamin Herzog
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r hat dem Herrn der höllischen Feuer eine Ballettmusik gewidmet, Lucifer. Ein anderes Orchesterstück entlässt Feux d’artifice in den Klangraum. Und selbst seine Techno Parade trägt einen so explosiven Titel, wie die Klangmischung dieses Trios sprühend ist. Guillaume Connesson ist ein komponierender Feuerkopf. Die jüngste Orchesterkomposition des französischen Komponisten heisst Flammenschrift: 2012 für das Orchestre National de France geschrieben und unter der Leitung von Daniele Gatti
FLAMMENSCHRIFT Besetzung: 3 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 3 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauke, Streicher Entstehung: 2012 Widmung: Auftragswerk von Radio France Uraufführung: 8. November 2012, Paris, Théâtre des Champs-Élysées, Orchestre National de France unter der Leitung von Daniele Gatti Dauer: ca. 9 min
in Paris uraufgeführt. Flammenschrift – damit verweist Connesson auf Goethe und dessen Marienbader Elegie. Sommer 1821. Der 72-jährige Goethe reist in das böhmische Marienbad zu einem Kuraufenthalt. Krank und in Weimar allmählich verkrustend, blüht der Dichterfürst hier förmlich auf. Wie die Marienbader Luft durchströmt ihn das Gefühl, er wird weich und empfänglich. Für die Musik, der er dort seit langem wieder bewusst zuhört. «Nun aber doch das eigentlich Wunderbarste! Die ungeheure Gewalt der Musik auf mich in diesen Tagen! Die Stimme der Milder, das Klangreiche der Szymanowska, falteten mich auseinander», schreibt er an Freund Zelter. Und für die Liebe. Denn unter den Gästen, die sich an den Quellen des Kurbades erquicken, befindet sich auch eine Frau von Levetzow mit ihren drei Töchtern. Deren älteste, Ulrike, lässt mit ihren siebzehn Jahren in dem alten Single die grosse Liebe entbrennen. Zwei Sommer später soll diese Liebe nach Goethes Vorstellung feste Formen annehmen. Er hält schriftlich bei Ulrikes Mutter um die Hand der Tochter an. Unterstützt wird Goethe dabei von seinem Freund, dem Grossherzog Carl August von Sachsen-WeimarEisenach, der die Familie mit der Aussicht auf ein sorgenfreies Leben an seinem Hof ködert. Es kommt, wie es kommen muss: Goethe erhält einen Korb. Das Fräulein habe noch gar keine Lust zu heiraten, heisst es in der Absage. Goethe ist betrübt.
Bild : Wikimedia Commons
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In Marienbad entflammte Goethe für die junge Ulrike von Levetzow.
Guillaume Connesson
In seinen Sternstunden der Menschheit schildert Stefan Zweig die Abfahrt des Geknickten aus dem plötzlich kühl gewordenen Marienbad. «In der Kalesche sitzen drei Männer, der grossherzoglich sachsen-weimarsche Geheimrat v. Goethe und die beiden Getreuen, Stadelmann, der alte Diener, und John, der Sekretär. Keiner von beiden spricht ein Wort, denn seit der Abfahrt von Marienbad, wo junge Frauen und Mädchen mit Gruss und Kuss den Scheidenden umdrängten, hat sich die Lippe des alternden Mannes nicht mehr geregt. In der ersten Relaisstation steigt er aus, die beiden Gefährten sehen ihn hastig mit der Bleifeder Worte auf ein zufälliges Blatt schreiben, und das gleiche wiederholt sich auf dem ganzen Wege bis Weimar bei Fahrt und Rast.» Das so entstehende Gedicht hat als Marienbader Elegie Weltruhm erlangt. Goethe schildert darin sein Erleben mit der jungen Frau als Ankunft im Paradies:
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Wie zum Empfang sie an den Pforten weilte Und mich von dannauf stufenweis beglückte; Selbst nach dem letzten Kuss mich noch ereilte, Den letztesten mir auf die Lippen drückte: So klar beweglich bleibt das Bild der Lieben Mit Flammenschrift ins treue Herz geschrieben. Umso grösser dann die Ernüchterung, zurückgestossen zu sein in eine graue Welt. Das Gefühlte wird nach der Enttäuschung in Kunst umgewandelt. Ja, es entflammt den Dichter und in der Folge Künstler wie den Autor Stefan Zweig oder den Komponisten Guillaume Connesson. Interessant, wie Connesson in seinem knapp zehnminütigen Orchesterstück das Menetekel, das eine solche Flammenschrift seit dem Gastmahl des Belsazar, bei dem ihm die brennenden Buchstaben an der Wand den Untergang prophezeien, in einen Triumph der Erinnerung über die reale Niederlage ummünzt. Wie das Stück zielbewusst ‹per aspera ad astra› strebt. Eine wahrlich Beethoven’sche Strategie. Und, gewissermassen Seite an Seite mit Goethe, wird Beethoven von Connesson auch gleich zu Beginn zitiert. Pause und drei auftaktige Noten auf den c-Moll-Dreiklangstönen c und es: Beethovens Fünfte zündet die Rakete von Flammenschrift in den ersten zwei Takten. Bald stürzen schon die Holzbläser in Sextolen und Quintolen über das Geschehen herab, bald vollführt das Hauptthema in den Geigen fortissimo und «brutal», so Connessons Spielanweisung, einen wahren Höllenritt. In der Marienbad verlassenden Kalesche muss dem Dichter des Faust seine Walpurgisnacht noch einmal gehörig durch den Kopf gespukt sein. Aber nicht nur sie. Erinnerungen, ob minder höllisch oder nicht, sei dahingestellt, scheinen auf im folgenden Teil «Un peu plus lent». Klarinetten und die beiden Fagotte zeichnen das Bild eines komischen Alten, eines ‹puer senex›, der sich mit seiner Marienbader Liebe lächerlich gemacht hat. Und dessen tapsende Schritte ein elegantes Dolce-Thema wie auf Seidenschuhen geradezu ad absurdum führen. Ein ungleicher Tanz jedenfalls. Doch – man ist ja schliesslich Geistesmensch – die Erinnerung verklärt auch dieses unschöne Bild. In einem zweiten langsameren Teil, «détendu/entspannt», steigt die erinnerte Liebesgeschichte in schwelgerische Sphären auf. Die
Klarinette singt «von draussen», eine Geige antwortet. Der Gedanke an das leichtfüssige Turteln brennt nun schon weniger. Man schafft Distanz und vernebelt das Geschehen schliesslich «mysterieux» in Flageolettklängen und rosa Wolken. Womit der Weg frei wäre zum «très intense» zu spielenden Finale, in welches zwar so etwas wie letzte Posaunen hinein-blasen dürfen, das aber dennoch einen Triumph für Herrn Goethe bereithält, und zwar «très vif et joyeux». Einen Triumph für den Verfasser einer der schönsten Liebes-Elegien (und vielleicht auch für die 19-jährige Ulrike, die einer wohl kaum als ausbalanciert zu bezeichnenden Ehe entging). Doch weicht Connesson hier schon deutlich vom Ton der Elegie ab, die mit den Zeilen schliesst: Mir ist das All, ich bin mir selbst verloren, Der ich noch erst den Göttern Liebling war; Sie prüften mich, verliehen mir Pandoren, So reich an Gütern, reicher an Gefahr; Sie drängten mich zum gabeseligen Munde, Sie trennen mich – und richten mich zu Grunde. Zurück in Weimar scheint Goethe tatsächlich einen Zusammenbruch erlitten zu haben. Er konsultiert den Doktor Rehbein, der ihm Pflaster auf der Herzseite verordnet, sich mit ihm aber auch über die Geschehnisse in Marienbad unterhält, was in Goethe «angenehmste Empfindungen» weckt, wie sein Vertrauter, der Schriftsteller Johann Peter Eckermann, notiert. Ein weiteres Remedium verspricht sich Goethe von seinem Musikfreund Karl Friedrich Zelter. An ihn waren die schwelgerischen Briefe gerichtet aus Marienbad mit seinen musikalischen Soiréen («Die ungeheure Gewalt der Musik auf mich in diesen Tagen!»). Nun soll Zelter dem Kranken zwar keine Musik vorspielen, dafür aber öfters die Marienbader Elegie vorlesen. Klang der eigenen Worte also, an deren Wohllaut, immerhin, sich Goethe gerne etwas berauscht. ●
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Die Gächinger Kantorei und die Solisten
Bild : Holger Schneider
zusammengestellt von Cristina Steinle
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ie Gächinger Kantorei Stuttgart steht seit August 2013 unter der künstlerischen Leitung von Hans-Christoph Rademann, dem Leiter der Internationalen Bachakademie Stuttgart. Unter der Trägerschaft der Bachakademie gestaltet der Chor eine Vielzahl an Konzerten und Gastspielen, Hörfunk- und CD-Aufnahmen entscheidend mit. Im Zentrum der Chorarbeit steht neben vielfältiger Mitwirkung am Musikfest Stuttgart eine grosse Konzertreihe mit oratorischen Programmen von Heinrich Schütz bis zu zeitgenössischen Auftragswerken. Einen besonderen Fokus bildet seit jeher die Interpretation der Vokalwerke von Johann Sebastian Bach. Nach einem kleinen Dorf auf der Schwäbischen Alb benannt und 1954 von Helmuth Rilling gegründet, gilt die Gächinger Kantorei Stuttgart seit Jahrzehnten als einer der herausragenden Konzertchöre der Welt. Neben regelmässigen Auftritten mit dem Partner-Ensemble Bach-Collegium Stuttgart arbeitet sie auch vielfach mit Orchestern wie den Wiener Philharmonikern, New York Philharmonic
oder Israel Philharmonic zusammen. Eine besonders enge Partnerschaft besteht zum Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR. Am Pult des Chores stehen regelmässig Gastdirigenten wie Masaaki Suzuki, Krzysztof Penderecki, Alexander Liebreich oder Sir Roger Norrington. Gastspiele führten das Ensemble unter anderem nach China, Lateinamerika und zu den grossen Festspielen in Salzburg, Luzern, Prag, New York, Paris, London, Wien und Seoul. Hunderte von CD-Einspielungen umfassen neben dem gesamten Vokalwerk Bachs unterschiedlichste oratorische Literatur vom 18. Jahrhundert bis hin zu etlichen Uraufführungen, darunter Werke von Penderecki, Pärt oder Rihm. Die erste CD-Einspielung unter der Leitung von Hans-Christoph Rademann erschien im Juni 2015 beim Stuttgarter Carus-Verlag und präsentierte eine neue Lesart von Johann Sebastian Bachs h-MollMesse: basierend auf einer Neuedition auf Grundlage der Dresdner Quellen von Kyrie und Gloria und erstmalig mit dem Freiburger Barockorchester. ●
Bild : Susie Knoll
Bild : Chris Gonz
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Hanna-Elisabeth Müller ist gebürtige Mannheimerin und erhielt bereits mit elf Jahren ihren ersten Gesangsunterricht. Die junge Sopranistin ist vielfach ausgezeichnet, so zum Beispiel mit dem Festspielpreis zur Förderung der Münchner Opernfestspiele (2013) und mit dem Musikpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft (2010). Hanna-Elisabeth Müller studierte bei Rudolf Piernay an der Musikhochschule Mannheim, seit der Saison 2012/13 gehört sie dem Ensemble der Bayerischen Staatsoper an. Mit ihrer Vielseitigkeit ist die junge Sopranistin regelmässiger Gast auf den Lied- und Konzertpodien. Im nächsten Jahr gibt sie ihr Debüt an der MET in New York als Marzelline in Beethovens Fidelio.
Die Mezzosopranistin Lioba Braun hat sich vor allem mit den Werken von Richard Wagner einen Namen gemacht: Als Kundry, Fricka oder Ortrud gastiert sie auf den wichtigen Bühnen, und mit ihrem letzten Partiedebüt als Isolde ersang sie sich grosse Erfolge – unter anderem in Florenz unter Zubin Mehta. Lioba Braun arbeitet mit Dirigenten wie Riccardo Chailly, Riccardo Muti, Daniel Barenboim, Christoph Eschenbach oder Christian Thielemann und hat mehrere Werke auf CD oder DVD aufgenommen. An der Hochschule für Musik und Tanz in Köln ist sie Professorin für Gesang.
Bild : Ernst Kainerstorfer
Lioba Braun, Mezzosopran
Bild : zVg
Hanna-Elisabeth Müller, Sopran
Günther Groissböck, Bass Brenden Gunnell, Tenor Brenden Patrick Gunnell ist in Michigan, USA, aufgewachsen. Er war Ensemblemitglied am Tiroler Landestheater in Innsbruck und an der Norwegischen Oper in Oslo, wo er sich wichtige Rollen seines Fachs erarbeiten konnte. Seither singt er in den verschiedenen Opern- und Konzerthäusern auf der ganzen Welt. Zukünftige Engagements unter anderem bei den Münchner Opernfestspielen, an der Chicago Lyric Opera und der Beijing Opera.
Günther Groissböck wurde im niederösterreichischen Waidhofen an der Ybbs geboren und erhielt seine Gesangsausbildung an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Als Stipendiat des Herbert von Karajan-Zentrums war er in der Spielzeit 2002/03 Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, bevor er danach für vier Jahre als erster Bass ans Opernhaus Zürich wechselte. Seit 2007 ist er freischaffend tätig. Neben seiner umfassenden Operntätigkeit führte ihn sein breites Konzertrepertoire in die wichtigsten Konzertsäle Europas und der USA.
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Vorlaut – Eine Serie
Rosa im Chor von Alain Claude Sulzer
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ohe Stimmen tragen weit. Dazu müssen sie weder besonders schön noch besonders laut sein. Ihre Durchschlagskraft hängt, wenn ich die Physik ihrer Tragweite richtig verstehe, von der idealen Frequenz ab. Wenn Rosa sonntags in der Kirche sang, hörte man sie im ganzen Dorf, und die Leute sagten: «Ssi gixt», was aus dem lautmalerischen Elsässerdeutsch nicht leicht zu übersetzen ist. Unschwer zu erkennen ist, dass es nichts Schmeichelhaftes bedeutete. Während die Orgel in unhörbaren Tiefen brodelte und den Kirchenraum trotz ihrer Lautstärke kaum überwand, quietschte Rosas Stimme naturgewaltig himmelwärts. Auch mein Urgrossvater mütterlicherseits war Mitglied des Kirchenchors. Und mit ihm waren es auch viele andere Bewohner des Dorfs, das er nur ver liess, um die Rekrutenschule zu absolvieren und später, während des Ersten Weltkriegs, Aktivdienst zu leisten. Der Rest seines Lebens verlief in geordneten heimischen Bahnen. Er war Schneider und Chorsänger, und er spielte Trompete in der Blasmusik von Domdidier (Kanton Fribourg). Er galt als musikalisch, auch wenn er gewiss nie eine Musikschule besucht hat. Rosa hätte seine Tochter sein können, aber sie wuchs weit weg in einem anderen Land auf; zu einer Zeit, als dieses Land besetzt war. Nun sind beide schon lange tot. Meinen Urgrossvater kannte ich nicht, Rosa war unsere Nachbarin auf dem Dorf. Gemeinsam war beiden, über alle Grenzen hinweg, die Liebe zum Gesang. Ob sie ausser der Musik, die sie selber machten, je Musik hörten, ob sie überhaupt jemals Gelegenheit hatten, ein Konzert zu besuchen, bezweifle ich. Ausserhalb von Schule und Kirche war sie wohl eher ein Fremdkörper, der im täglichen Leben keine Rolle spielte, auch wenn er als dessen Begleitung zu Rosas Zeiten auch im Radio erklang.
Sie sangen während der Chorproben, sonntags und an hohen Feiertagen traten sie in der Kirche auf. Gemeinsam mit den anderen Mitgliedern ihres jeweiligen Kirchenchors standen sie dann erhobenen Hauptes auf der Orgelempore und warteten auf den Einsatz, den ihnen der Chorleiter gab, der seinerseits ständig zum Organisten schielte. Welches Repertoire sie beherrschten, weiss ich nicht. Was sonst als Kirchenlieder sangen sie? Bach’sche Choräle? Konnten sie überhaupt Noten lesen? Unbeirrt sangen sie gegen das beherrschende Gebläse der Orgel an. Feierlich war ihnen zumute. Mit ihren beseelten Stimmen erhoben sie sich über die gottesfürchtige Gemeinde, und ihr Glaube erfüllte das Kirchenschiff mit ihren Stimmen, zum Lob Gottes. Je älter sie wurde, desto schneller nahm die Zahl der Mitglieder des Chors um Rosa ab. Ihre Mitsängerinnen starben, und Nachwuchs wollte sich nicht einstellen, schon gar nicht männlicher. Nachdem auch der Chorleiter gestorben war, übernahm sie selbst die Leitung und sorgte unter den wenigen Verbliebenen für Unmut. Zwar war sie schon immer die Lauteste mit der durchdringendsten Stimme gewesen, aber vom Einstudieren mehrerer Stimmen hatte sie keine Ahnung. Am Ende ihres Lebens stand sie mit zwei gleichalterigen Chorsängerinnen allein auf der Empore. Als sie starb, war die Empore leer. Ihr zum Geleit sang die zahlreich erschienene Trauergemeinde – in der Hauptsache Frauen – mit dünnen Stimmen. Kein noch so hässlicher Diskant erhob sich über die zirpenden Greisinnensoprane. Hätte mein Urgrossvater noch gelebt und wäre er ein Zeit- und Dorfgenosse Rosas gewesen, hätte er seine Trompete hervorgeholt und ihr zum feierlichen Gedenken den letzten Zapfenstreich geblasen. ●
Bild : Alain Claude Sulzer
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Orchester-Geschichte(n), Teil 7
Wenn die Saite reisst …
Bild : Wikimedia Commons
von Sigfried Schibli
Antonio Stradivari
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ieser Augenblick im Saal der Frankfurter Musikhochschule ist mir unvergesslich, obwohl es schon etliche Jahre her ist: Die Mitglieder des Wiener Alban Berg Quartetts stiegen schwungvoll die kurze Treppe zum Konzertpodium empor. Da fiel einem der Musiker – ich glaube, es war der zweite Geiger – das Instrument aus der Hand, und er trat mit voller Kraft mit dem Fuss darauf. Be-
stürzung machte sich breit. Nach dieser Schrecksekunde war an einen Konzertbeginn nicht zu denken. Die vier Meistermusiker kehrten ins Künstlerzimmer zurück und kamen nach zehn Minuten wieder aufs Podium. Offensichtlich hatte der Geiger vorsorglich ein zweites Instrument mitgenommen. Das ist natürlich der ‹Worst Case› für einen Musiker. Viel häufiger sind kleinere Zwischenfälle etwa
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im Orchester. Streicher sind geübt darin, ihre Instrumente selbst zu warten. Den allermeisten von ihnen dürfte es keine Mühe bereiten, eine Saite zu ersetzen. Bei grösseren Problemen suchen sie einen Spezialisten wie den Geigenbauer Robert Schär am Nonnenweg in Basel auf. Ihn kann wahrscheinlich kein Problem mit einem Streichinstrument aus der Fassung bringen. Manchmal ist aber auch Robert Schär ein wenig ratlos. Zum Beispiel, wenn ein Musiker klagt, seine Bratsche klinge zu «sandig». Was heisst das dann genau? Und was lässt sich dagegen unternehmen? Oder, wenn ihm jemand sagt, diese oder jene Saite verhalte sich «lausbübisch». Dann muss der Instrumentenbauer Übersetzungshilfe leisten. «Streicher sind meist Individualisten und eher konservativ», sagt Schär. «Es gibt welche, die unentwegt am Stimmstock herumschlagen, und viele haben eine ganz eigene Kolophonium-Philosophie.» Dieses aus Baumharz gewonnene Produkt dient dazu, die Rosshaare der Bögen einzureiben, damit sich ein für die Tonerzeugung günstiger «Haftgleiteffekt» ergibt. Es gibt ganz unterschiedliche KolophoniumQualitäten, manchmal werden auch Zusatzstoffe wie Gold beigemischt. Und da Streicher oft sensible Menschen sind, kommen auch Allergien gegen das Kolophonium vor. Dann ist nicht mehr der Geigenbauer, sondern der Arzt gefragt. Einen solchen hätte es fast gebraucht, als einmal ein Geiger von seinem Podest fiel und über den Rand des Podiums in den Zuschauerraum purzelte – mitsamt seinem Instrument. Das sind Horrormomente für jede Musikerin und jeden Musiker, denn niemand ist gefeit vor einem Unglücksfall. Viel häufiger als solche dramatischen Zwischenfälle sind kleine Pannen wie ein Saitenriss. In Orchestern gibt es keine klare Regelung, was in einem solchen Fall zu tun ist. Streicher können zwar die Saiten selbst ersetzen und haben meist einen ganzen Saitensatz dabei, aber es fehlt die Zeit für eine Reparatur des Instruments. Als vor einem Jahr dem Zweiten Konzertmeister des Sinfonieorchesters Basel mitten in einer Schostakowitsch-Sinfonie eine Saite riss, eilte er kurzerhand nach hinten und lieh sich bei einem Kollegen vom hintersten Pult die Geige aus. In einer anderen Situation, als dem Ersten Konzertmeister dasselbe
Missgeschick passierte, drückte ihm der Zweite Konzertmeister seine Geige in die Hand, damit er weiterspielen konnte. Beim Spielen können noch ganz andere Dinge passieren. Annemarie Kappus, seit vielen Jahren Geigerin im Sinfonieorchester Basel, erzählt: «Mir ist einmal mitten in einer Bruckner-Sinfonie der Bogen unter anstatt auf die Saiten geraten, wo er dann mit der Spitze zwischen zwei Saiten steckenblieb.» Mühsam versuchte sie, den Bogen zu befreien, was leider nicht auf Anhieb gelang – «und das quietschende Geräusch war natürlich rundherum zu hören». Ganz übel ist ein Orchestermitglied dran, wenn er oder sie das Instrument zu Hause vergisst und ‹blanko› in die Probe oder gar zur Aufführung geht. Meine Gewährsfrau aus dem Orchester erzählt noch eine andere Geschichte: Sie musste einmal mit Erschrecken feststellen, dass sie die Noten zu einem kurzen Mozartstück nicht auf dem Notenpult hatte. Da blieb ihr nichts anderes übrig, als die Spieler an den Pulten vor ihr zu bitten, ein wenig auseinanderzurücken, damit sie bei ihnen mitlesen konnte. «Zum Glück bin ich weitsichtig!», sagt die Geigerin dazu schmunzelnd. ●
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Megan McBride und Rahel Leuenberger im Gespräch
«Yoga hilft mir für die Konzentration beim Konzert» Megan McBride, Hornistin, und Rahel Leuenberger, Flötistin, beide im Sinfonieorchester Basel, unterhalten sich über Musikkassetten, Yoga und die Kunst in der Gegenwart. aufgezeichnet von Cristina Steinle
Megan McBride: Was mich immer wieder interessiert, ist, wie jemand dazu gekommen ist, Musiker oder Musikerin zu werden. Es gibt so unterschiedliche Beweggründe, und jede und jeder hat seine Geschichte. Wie war das bei dir? Rahel Leuenberger: Ich habe mit zehn oder elf Jahren angefangen, Querflöte zu spielen. Vorher habe ich Bambusflöten geschnitzt. Dann hiess es, jetzt wäre es doch an der Zeit, ein richtiges Instrument zu lernen. Meine Mutter hat mir Kassetten geschenkt: Debussys L’Après Midi mit diesem wunderschönen Flötensolo am Anfang und die Leonoren-Ouvertüre von Beethoven. Später kamen zwei weitere Kassetten mit Flötenkonzerten von Mozart und Vivaldi hinzu. Die habe ich tausende Male gehört und mir dabei gewünscht, auch so Flöte spielen zu können. Anfang Studium habe ich es vor allem genossen, dass ich den grössten Teil meiner Zeit nur mit Musik, meiner Lieblingsbeschäftigung, verbringen durfte. Denn bei den wenigen offenen Stellen wagte ich es natürlich kaum, von einer Zukunft als Flötistin im Orchester zu träumen. Erst Ende Studium habe ich den Mut ge-
fasst, alles daran zu setzen, dieses Ziel zu erreichen. Und wie war das bei dir? Meine Mutter hatte extrem viele Schallplatten, von Pop über Jazz bis zu klassischer Musik. Es war immer Musik zu hören in unserem Haus, zur klassischen Musik fühlte ich mich aber speziell hingezogen. Und der Hornklang hat mir gefallen, bevor mir bewusst war, was es eigentlich war. Besonders toll fand ich die Mozart-Aufnahmen von Dennis Brain, die 5. Sinfonie von Mahler und die Canadian and Empire Brass. In Amerika kann man mit neun oder zehn Jahren in der Schule mit einem Instrument beginnen. Als mir aber der Musiklehrer Trompete anstatt Horn vorgeschlagen hat, weil diese in der Band noch fehlte, war ich richtig verzweifelt. Zum Glück hat er dann aber meinem Wunsch nachgegeben. Und nach einem Jahr wusste ich, dass ich das beruflich machen möchte. Schon so früh? Ja, ich habe das Hornspielen von Anfang an einfach geliebt. Und dann hat es sich so ergeben, obwohl sich meine Eltern
Bild : Jean-François Taillard
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Megan McBride und Rahel Leuenberger
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gewünscht hätten, dass ich Mathematikerin werde. Nach meinem Studium hat mir mein Lehrer in Boston geraten, nach Europa zu reisen, denn in den USA gibt es noch weniger Stellen in klassischen Orchestern als hier. Um Erfahrungen zu sammeln und um zu sehen, was es in Europa an Orchestern gibt, bin ich also losgezogen – und habe dann die Stelle hier in Basel erhalten! Du hättest also auch irgendwo anders in Europa landen können? Der Beweis: Ich habe keinen Führerschein mehr! Denn ich hätte ihn innerhalb eines Jahres ummelden müssen. Ich dachte aber wirklich nicht, dass ich nach meinem Studium hier in der Schweiz bleiben würde. Ja, so ist das Schicksal! (lacht) Aber jetzt werde ich das nachholen, schliesslich bin ich nun schon seit neun Jahren hier! Warst du auch einmal im Ausland? Ich habe zuerst in Zürich, dann ein Jahr in Oslo und zwei Jahre in Stuttgart studiert. Nach dem Studium erhielt ich einen Zeitvertrag für ein Jahr in München und bin dann beim Sinfonieorchester Basel gelandet, wo es mir sehr gefällt. Gibt es denn etwas, was dir hier bei uns besonders gut gefällt? Ich finde es zum Beispiel schön, dass wir neben den grossen Orchesterwerken auch Opern und Ballette aufführen. Mir geht es genau gleich. Sowohl im Konzert als auch im Theaterbetrieb zu arbeiten – diese Möglichkeit haben nicht alle Orchester. Bei den Opern bereitet mir dieses Jahr be-
Megan McBride ist in den USA aufgewachsen, studierte bei Hornisten der Philadelphia und Boston Symphony Orchestras und dann anschliessend in Lugano. Sie ist seit 2009 Wechselhornistin des Sinfonieorchesters Basel.
sonders Die Zauberflöte viel Freude. Auch dass wir nun öfters mit alten Instrumenten spielen, gefällt mir sehr gut. Hast du eine Ausbildung für Naturhorn gemacht, oder kann man das als Hornistin für sich zuhause lernen? Ich habe eine zweijährige Ausbildung auf dem Naturhorn gemacht, denn wie in Basel gibt es auch in Boston eine grosse Szene für Alte Musik. Damals habe ich recht viel in dieser Richtung gemacht. Nun habe ich es wieder neu entdeckt. Wenn wir auf Naturblech spielen, gibt das dem Orchesterklang eine ganz andere Färbung. Wo wir beim Thema Farbe sind, worin siehst du eigentlich vor allem deine Aufgabe als Tuttibläserin? Als Tuttibläser haben wir eigenständige Stimmen mit solistischen Momenten. Meist dienen sie aber dazu, die Soli unserer Nachbarn klanglich und farblich anzureichern. Wir versuchen unsere Klangfarbe und Agogik möglichst anzupassen, um so einen gemeinsamen Klang zu finden. Dies gelingt natürlich nicht immer gleich perfekt, aber in guten Momenten hört man nicht mehr genau, ob jetzt nur eine oder zwei Flöten spielen, weil die tiefere Stimme grösstenteils als Farbbereicherung wahrgenommen wird. Am Piccolo hingegen ist die Aufgabe eine etwas andere. Oft hat man längere Pausen und plötzlich gibt es ein paar wenige, für alle hörbare Töne – die wie aus dem Nichts auftauchen – zu spielen. Das ist beim Horn ja auch so. Manchmal erfordert das schon Mut, und es braucht viel Konzentration und eine gute Körperspannung; gleichzeitig muss man aber auch entspannt bleiben können. Dieses Gleichzeitige ist nicht so einfach, finde ich. Das ist sehr spannend, denn es erinnert mich an ein gemeinsames Hobby, nämlich das Yoga. Da geht es doch genau um das: Man entspannt und spannt gleichzeitig und bleibt dabei immer fokussiert. Genau. Einfach mehr im Grobmotorischen! (lacht) Beim Instrument geht es dann eher um die Feinmotorik. Du machst schon lange Yoga, oder?
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Rahel Leuenberger ist in Bern aufgewachsen und studierte an den Musikhochschulen in Zürich, Oslo und Stuttgart Flöte und Piccolo. Nach einem Jahr im Rundfunkorchester in München spielt sie nun seit 2001 als 2. Flöte mit Piccolo im Sinfonieorchester Basel.
Seit etwa fünf Jahren, ja. Für mich ist es wirklich der optimale Ausgleich: entspannen, kräftigen und dehnen. Wie bist du denn dazu gekommen? Eine Freundin hat mich einfach mal mitgenommen. Und ich habe mich sehr gefreut, ein Training für Körper und Geist gefunden zu haben, das überall, ohne Trainingsgeräte oder sonstige aufwändige Ausrüstung, ausgeübt werden kann. Wie war das bei dir? Wie du, wollte ich schon immer etwas finden, das nicht einfach nur Sport ist, sondern etwas, das kräftigt und dem ganzen Wesen gut tut. Yoga hat mich dann gepackt! Eine schöne Überraschung war auch, wie hilfreich es für die Konzentration während den Konzerten ist. Dass viele Musiker Strategien entwickeln müssen, um mit einem erhöh-
ten Herzschlag auf der Bühne umgehen zu können, ist ja bekannt. Ich habe nun dank dem Yoga eine viel bessere Kontrolle darüber, als früher. Das gibt mir die Freiheit, auch auf der Bühne sehr präsent und ganz in der Gegenwart zu sein. Ja, dieses Wahrnehmen des Jetzt ... Musik ist ja auch eine Kunst, welche im Moment, in der Gegenwart stattfindet. Eine schöne Melodie kann nicht wie ein Bild minutenlang betrachtet werden. Sie ist immer gleich schon vorbei; und an der so vielfältigen Geschichte der klassischen Musik spazieren wir nicht einfach so vorbei, wie wir das zum Beispiel beim Stadtbummel machen. Da werden wir ja durch die Häuser und Kirchen ganz ohne unser Zutun von der Architektur- und Kunstgeschichte geprägt und stimuliert. Um die Musik als Kulturerbe bewahren zu können, muss sie aufgeführt und gehört werden; sie erblüht erst richtig durch diese Interaktion von Publikum und Musikerinnen und Musikern, die eben, wie gesagt, jeweils im Jetzt stattfindet. Darum glaube ich auch, dass Live-Konzerte so wichtig sind! Ja, zwar haben Tonträger die Musik einem extrem viel breiteren Publikum zugänglich gemacht und so viele Menschen inspiriert– uns ja auch! Dennoch bleibt eine gewisse Distanz, welche sich alleine im Moment der Aufführung aufheben kann, wenn Publikum und Orchester eins werden. ●
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Vielfalt.
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Vorschau Familienkonzert: The Young Person’s Guide to the Orchestra
Ein literarisches Kammerkonzert in der Papiermühle
Eine Orchesterlehre der lustigen Art
Mozart selbst spielte den Bratschenpart in seinem Divertimento für Streichtrio, das in seiner alle Dimensionen sprengenden Genialität als absoluter Höhepunkt der Kammermusik gilt. Auch der Basler Theologe Karl Barth spielte jahrelang «in der diskreten Form eines Bratschisten» in einem Streichquartett mit. Im Mozart-Jahr 1956, also vor sechzig Jahren, schrieb Karl Barth seinem Bratschenkollegen den berühmten Dankbrief an Mozart: «Wie es mit der Musik dort steht, wo Sie sich jetzt befinden, ahne ich nur in Umrissen. Ich habe die Vermutung, die ich in dieser Hinsicht hege, einmal auf die Formel gebracht: Ich sei nicht schlechthin sicher, ob die Engel, wenn sie im Lobe Gottes begriffen sind, gerade Bach spielen – ich sei aber sicher, dass sie, wenn sie unter sich sind, Mozart spielen und dass ihnen dann doch auch der liebe Gott besonders gerne zuhört … » Anschliessend Barbetrieb im Restaurant Papiermühle.
Wie hört man am besten in ein Orchester mit all den vielen Instrumenten hinein? Benjamin Brittens The Young Person’s Guide to the Orchestra, komponiert für ein junges Publikum, bietet dafür eine der originellsten Anleitungen. Am Anfang steht ein Thema seines Kollegen Henry Purcell, das in verschiedenen Variationen durch die einzelnen Orchesterinstrumente hindurchläuft. Da jagen die Geigen die Klarinetten, die Oboen singen, und die Bratschen klagen. Erst im Finale vereint eine gewaltige Fuge alle Instrumente. Durch das Programm führt der TheaterMusiker Jürg Kienberger. Für seine humorvollen Auftritte ist er mehrfach ausgezeichnet worden.
Bild : Kim Hoss
Bild : Benno Hunziker
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SONNTAG, 17. APRIL 2016 17.00 Uhr, Basler Papiermühle
SAMSTAG, 14. MAI 2016 14.30 Uhr, Stadtcasino Basel
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Agenda SO 10.04.16 11.00
Promenade: Beethoven-Septett Ludwig van Beethoven: Septett Es-Dur, op. 20 Mitglieder des SOB
Gare du Nord
MI 13.04.16 18.30–20.00
Mix & Mingle Symphony Club – English speaking social event Theme: André Previn
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Macbeth Oper in vier Akten von Giuseppe Verdi, Libretto von Francesco Maria Piave
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SA 16.04.16 14.30
mini.musik: Bei der Olympiade Mitglieder des SOB / Irena Müller-Brozovic / Norbert Steinwarz
Volkshaus, Unionsaal
SO 17.04.16 17.00
Schwarz auf Weiss: Der Kosmos singt Wolfgang Amadé Mozart: Divertimento Es-Dur, KV 563 Karl Barth: Ausschnitte aus Wolfgang Amadeus Mozart Mitglieder des SOB / Christian Sutter
Basler Papiermühle
DI 19.04.16 12.00
Punkt 12: Offene Orchesterprobe SOB / Hans-Christoph Rademann
Stadtcasino, Musiksaal Eintritt frei
MI 20.04.16 DO 21.04.16 19.30
Sinfoniekonzert SOB: Missa Solemnis Guillaume Connesson: Flammenschrift für Orchester (Schweizer Erstaufführung) Ludwig van Beethoven: Missa Solemnis für Soli, Chor und Orchester D-Dur, op. 123 SOB / Gächinger Kantorei / Hans-Christoph Rademann u.a.
Stadtcasino, Musiksaal
MI 27.04.16 DO 28.04.16 19.30
Viertes Coop-/Volkssinfoniekonzert Werke von Carl Maria von Weber, Wolfgang Amadé Mozart und Pjotr Iljitsch Tschaikowski SOB / Elena Bashkirova / Roman Kofman
Stadtcasino, Musiksaal
MI 04.05.16 19.00
Drittes Cocktailkonzert: Berlin – Budapest-Express Salonorchester des SOB / László Fogarassy
Grand Hotel Les Trois Rois, Salle Belle Epoque
SA 14.05.16 14.30
Familienkonzert: The Young Person’s Guide to the Orchestra SOB / Jürg Kienberger / Claudia Carigiet / Erik Nielsen
Stadtcasino, Basel
Vorverkauf ( falls nicht anders angegeben ) : Bider & Tanner, Ihr Kulturhaus in Basel, Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel, 061 206 99 96 Detaillierte Informationen und Online-Verkauf : www.sinfonieorchesterbasel.ch
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Vermächtnis
Testament Datum Mittwoch, 25. Mai 2016 18.30 Uhr (Apéro ab 19.30 Uhr)
Ort Das Neue Rialto Saal 2, Seminarzentrum Birsigstrasse 45, 4054 Basel
Kosten Die Teilnahme ist kostenlos und für Sie unverbindlich
Anmeldung Bis Mittwoch, 18. Mai an Tierschutz beider Basel, Rebecca Bannier, Postfach, 4020 Basel oder rebecca.bannier@tbb.ch, Tel. 061 319 20 58, Fax 061 378 78 00
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