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VORGESTELLT
«ICH MACHE SCHNITTSTELLENMANAGEMENT»
VON ROBIN KELLER Der gebürtige Deutsche Jonas Beckmann hat bereits für einige gewichtige Namen der Musikbranche gearbeitet, ehe er im September 2019 als stellvertretender Leiter für Projekte und Produktionen zum Team des Sinfonieorchesters Basel stösst. Im Interview spricht er über Orchesterreisen, Starallüren und kleine Missgeschicke, die seinen Puls kurz vor einem Konzert höher schlagen lassen.
RK Wie kommst Du mit dem Schweizerdeutsch zurecht? JB Anfangs war es recht schwierig. Abends habe ich immer gemerkt, wie schnell die Konzentration nachlässt. Nach zwei, drei Monaten ist das Hörverständnis viel besser geworden. Es gibt aber immer noch Situationen, in denen ein Schalter umkippt und ich nichts mehr verstehe.
Wie sieht’s mit dem ersten Rheinschwimmen aus?
Das war eine der ersten Sachen, die ich im letzten September gemacht habe. Zu meinem Geburtstag kurz davor habe ich einen Wickelfisch bekommen.
Auf der Website des Sinfonieorchesters steht unter deinem Namen
«Stellvertretende Leitung Projekte & Produktionen». Was kann man darunter verstehen? Ich bin zusammen mit Frieda Müller verantwortlich dafür, dass die geplanten Projekte durchgeführt werden können. Das reicht von der Kommunikation mit Agenturen der Gastkünstler über deren Reisepläne bis hin zu deren Unterbringung. Ausserdem stehen wir im ständigen Kontakt mit den verschiedenen Spielstätten, mit denen wir koordinieren, wann geprobt wird und welche anderen Abläufe zu beachten sind. Soviel zu den externen Kommunika
VORGESTELLT tionswegen. Intern sehe ich uns als eine Art Schnittstelle. In Abstimmung mit der Leitung Orchestertechnik koordinieren wir, wann aufgebaut wird, welche Transporte anstehen, welches Klavier wir nehmen und ähnliche Feinheiten. Auch mit der künstlerischen Leitung und der Marketingabteilung arbeiten wir eng zusammen und stehen stets im Kontakt mit den Musikerinnen und Musikern. Ich denke, die gleichzeitige Nähe zum künstlerischen sowie zum organisatorischen Prozess sind essenziell für den Erfolg eines Projekts. Ich nenne das Schnittstellen-Management.
Ich stelle mir vor, dass Orchestertourneen oder Gastspiele am schwierigsten zu organisieren sind. Immerhin muss man für achtzig Musikerinnen und Musiker Reise, Unterkunft und alles Weitere organisieren.
Es stimmt, da gibt es viel zu organisieren, es macht aber auch sehr viel Spass. Man antizipiert die bevorstehende Reise in theoretischer Form und stösst so auf die wichtigen organisatorischen Fragen. Dann hoªt man, dass es in der Praxis auch wirklich so aufgeht.
Auf Orchesterreisen kann so einiges schieflaufen. Kannst Du uns eine
Anekdote aus Deinem Reisetagebuch erzählen?
Als ich noch für ein anderes Orchester arbeitete gab es in Brüssel eine stressige Situation. Wir mussten morgens sehr früh
© Christian Aeberhard JONAS BECKMANN 26 los, um mit dem Bus an den Flughafen zu fahren. Trotz genügend eingeplanter Zeit wurden wir von einem unnatürlich grossen Stau aufgehalten. Die Fluggesellschaft hat freundlicherweise auf uns gewartet. Kurz bevor wir am Flughafen ankamen, hat der Busfahrer auch noch den Parkplatz nicht gefunden. Wir mussten also noch eine Extrarunde drehen, da pumpt das Herz noch einmal am Anschlag. In solchen Situationen kommt Stress auf, aber man kann nichts steuern, man kann nur gelassen auf die Gegebenheiten reagieren.
Es geht bei Deinem Job auch um die
Kommunikation mit Solistinnen, Solisten, Dirigentinnen und Dirigenten. Ist die Zusammenarbeit zuweilen schwierig? Es gibt ja zahlreiche
Klischees von extravaganten Künstlerinnen und Künstlern mit Extrawünschen.
Ich kenne einige Personen, auf die diese Klischees zutreªen. Einige bauen eine gewichtige Aura um sich herum auf, andere sind hingegen sehr lässig und zugänglich. Meist spürt man sehr schnell, wie jemand drauf ist, und kann dementsprechend kommunizieren. Am besten, man verstellt sich nicht, denn letzten Endes sind auch die Künstlerinnen und Künstler nur Menschen. Mit der Zeit entwickelt man auch ein Gespür, in welchen Momenten es gut ist, in der Nähe oder besonders vorsichtig zu sein.
VORGESTELLT
Hast Du schon Erfahrungen mit abstrusen Eigenheiten gemacht?
Mit ganz absurden Wünschen hatte ich noch nie zu tun. Ich habe mal für ein Festival gearbeitet und musste Klaus Maria Brandauer von einer Probe abholen, wobei er mir ganz heimtückisch zeigte, dass er gerade Essen geklaut hatte. Er kam mir vor wie ein kleiner, frecher Junge. Aber es gibt auch Situationen, die, im Nachhinein betrachtet, recht absurd sind. Wenn der Dirigent fünf Minuten vor Konzertbeginn bemerkt, dass er keine Schuhe hat. Dann hat man kurz Stress und muss schnell jemanden finden, der dieselbe Schuhgrösse hat und die Schuhe entbehren kann, sodass wenigstens der Dirigent Schuhe anhat.
Vor Deiner Anstellung beim Sinfonieorchester Basel warst Du in Berlin und hast unter anderem für den
Mandolinisten Avi Avital, das Balthasar-Neumann-Ensemble und das
«Schleswig-Holstein Musik Festival» gearbeitet. Wie hat es Dich jetzt hierher verschlagen?
Berlin wurde mir nach sechs Jahren zu gross. Ich war früher öfter in Basel und mag den Rhythmus der Stadt sehr. Schliesslich habe ich die Stellenausschreibung gesehen und mich entschieden, die Herausforderung, für so ein programmatisch und inhaltlich breit aufgestelltes Orchester arbeiten zu können, anzunehmen.
Gibt es trotz allem Dinge aus Deiner
Berliner Zeit, die Du vermisst?
Mein ganzes soziales Netzwerk ist in Berlin, das fehlt schon manchmal.
Wie kommt man eigentlich in dieses
Berufsfeld hinein? Es gibt ja keine spezifische Ausbildung für diesen Job.
Da für mich Kultur und die Organisation von kulturellen Veranstaltungen immer eine wichtige Rolle spielten, habe ich mich dazu entschlossen, diese Richtung weiterzuverfolgen. In Hildesheim habe ich den Studiengang ‹Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis› besucht, wo es vor allem darum geht, aus der Praxis heraus –selbst musizierend, selbst Konzerte organisierend oder kleinere Filmprojekte produzierend – die Theorie zu erfahren.
JONAS BECKMANN 27 Hast Du auch mal mit dem Gedanken geliebäugelt, Musik zu studieren?
Die ursprüngliche Überlegung war, Cello zu studieren. Aber es war recht schnell klar, dass das für mich keine passende Option ist – zu wenig Talent. Trotzdem machte ich weiterhin viel Musik. Orchester, Strassenmusik, Rock, Pop, HipHop bis hin zu Experimenten mit Loop - Stations; ich habe alles ausprobiert.
Hast Du auch neben dem Job Zeit,
Musik zu machen?
Momentan recht wenig, da es sehr viel zu tun gibt. Aber wenn es wieder ruhiger wird, will ich das Cello wieder öfter auspacken.
Was machst Du denn in Deiner Freizeit, wenn Du nicht Cello spielst oder im Rhein schwimmst?
Ich finde es grossartig, in der Natur zu sein, und gehe gerne wandern. Früher habe ich nebenbei Handball gespielt und mich rege sportlich betätigt. Auch das wird hier noch kommen.
Zum Abschluss noch zwei Speed-Fragen; die erste Frage gehört zum Thema Orchesterreisen: Flugzeug, Zug oder Bus? Zug.
Wieso?
Weil es immer recht schnell geht – gerade bei Distanzen wie von hier ins Ruhrgebiet, wo man fliegen könnte, aber nicht wirklich schneller ist. Wenn es keine Verspätungen gibt, ist der Zug definitiv das angenehmste Transportmittel.
Basel oder Berlin? Auf jeden Fall Basel.