Programm-Magazin 1, Saison 19/20, Bruckner+ Gabrieli

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Basler Münster

BRUCKNER+ GABRIELI Ivor Bolton, Leitung 21. 22. Programm-Magazin Nr. 1 | Saison 19/20

August 19.30 Uhr


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SINFONIEKONZERT

Liebes Konzertpublikum

Bruckner+ Gabrieli

Mit einem monumentalen Gipfelwerk starten wir im Basler Münster in unsere letzte Saison vor der Wiedereröffnung des Stadtcasinos. Bruckner selbst nannte seine 8. Sinfonie «ein Mysterium». Hugo Wolf schwärmte nach der Uraufführung: «Diese Symphonie ist die Schöpfung eines Giganten». Gigantisch ist nicht nur die Dauer von achtzig Minuten. Bruckners Achte bannt den Zuhörer mit ihrer aussergewöhnlichen emotionalen Energie. Wenn etwa im Adagio Themen von gegensätzlichem musikalischem Ausdruck miteinander verbunden werden, vereinigen sich Schmerz, Verzweiflung und Trauer mit Zuversicht und Trost – so etwas schafft nur die Musik. Im Interview mit unserem Chefdirigenten (auf Seite 4) können Sie mehr darüber erfahren. Am 13. September möchten wir mit Ihnen gemeinsam den 200. Geburtstag von Clara Schumann feiern. Romantisch verklärt stand sie als ideale Ehefrau lange Zeit im Schatten ihres Mannes Robert Schumann. Als Konzertpianistin hat sie immer wieder in Basel konzertiert, wobei sie auch ihre eigenen Werke zur Aufführung brachte, und nach dem frühen Tod Roberts für den Unterhalt ihrer vielköpfigen Familie gesorgt. Wenn Sie eine moderne Frau des 19. Jahrhunderts kennenlernen möchten, sind Sie ganz herzlich zu unserem 1. Cocktailkonzert ins Grand Hotel Les Trois Rois eingeladen. Mehr über die Konzerte und Aktivitäten unseres Orchesters finden Sie auf den folgenden Seiten. Wir freuen uns ausserdem, dass wir Elke Heidenreich für unsere Kolumnen gewinnen konnten. Ich wünsche Ihnen bei der Lektüre viel Vergnügen.

3 Konzertprogramm

Hans-Georg Hofmann Künstlerischer Direktor

4 Ivor Bolton im Gespräch 8 Giovanni Gabrieli/Bruno Maderna In ecclesiis 12 Anton Bruckner Sinfonie Nr. 8 c-Moll 16 Anmerkungen zur Aufnahme geschichte von Bruckners Achten Intermezzo 20 Kolumne von Elke Heidenreich 22 Ortsgeschichten, Teil 1 24 Vorgestellt Alejandro Núñez 29 Verein ‹Freunde SOB› 30 In English In ecclesiis in the Basler Münster Vorschau 31 Im Fokus 32 Demnächst


Bild: Benno Hunziker

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VORVERKAUF, PREISE UND INFOS Bider & Tanner – Ihr Kulturhaus in Basel Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel +41 (0)61 206 99 96 ticket@biderundtanner.ch oder auf www.sinfonieorchesterbasel.ch Zugänglichkeit Das Basler Münster ist rollstuhlgängig; bitte benutzen Sie den Eingang rechts neben dem Hauptportal. Das Mitnehmen von Assistenzhunden ist erlaubt.

Preise CHF 70/50/30/20 3. Kategorie-Plätze nur mit eingeschränkter Sicht 4. Kategorie-Plätze nicht nummeriert und mit sehr eingeschränkter Sicht Im Hoch-Chor sind Liegestühle aufgestellt, welche als nicht nummerierte Plätze gelten. Ermässigungen Studierende, Schüler, Lehrlinge und mit der KulturLegi: 50% AHV/IV: CHF 5 mit der Kundenkarte Bider & Tanner: CHF 5 Assistenzpersonen von Menschen mit Behinderungen erhalten Freikarten, Rollstuhl-Plätze sind über das Orchesterbüro oder an der Abendkasse erhältlich (ticket@sinfonieorchesterbasel.ch).


SINFONIEKONZERT SOB

Bruckner+ Gabrieli Mittwoch, 21. August 2019 Donnerstag, 22. August 2019 19.30 Uhr 18.30 Uhr: Konzerteinführung in der Allgemeinen Lesegesellschaft Basel mit Hans-Georg Hofmann Das Konzert findet ohne Pause statt. Giovanni Gabrieli (1557–1612) / Bruno Maderna (1920–1973): In ecclesiis, nach der Motette für Doppelchor, Orgel und Instrumente, bearbeitet für grosses Orchester (1965)

ca. 80’

Anton Bruckner (1824–1896): Sinfonie Nr. 8 c-Moll, WAB 108 (2. Fassung von 1892) 1. Allegro moderato 2. Scherzo: Allegro moderato – Trio: Allegro moderato 3. Adagio: feierlich langsam, doch nicht schleppend 4. Finale: feierlich, nicht schnell Konzertende: ca. 21.00 Uhr

Sinfonieorchester Basel Ivor Bolton, Leitung

Wegen des Openair Cinemas beginnt das Konzert pünktlich um 19.30 Uhr.

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ca. 10’


INTERVIEW Ivor Bolton im Gespräch

«Sowohl Wagner als auch Bruckner haben diese im positiven Sinne toxische Wirkung» von Hans-Georg Hofmann und Daniela Majer (Transkription)

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Hans-Georg Hofmann: Drei Jahre als Chefdirigent beim SOB. Was hat sich aus deiner Perspektive geändert? Ivor Bolton: Unser Orchester ist voller unglaublich talentierter Musikerinnen und Musiker. Als ich das SOB vor drei Jahren übernommen habe, standen wir vor der Herausforderung, wegen einer grösseren Umbauphase erst einmal nicht in unserem Stammhaus, dem Stadtcasino, spielen zu können. Also mussten wir unsere Konzerte in drei akustisch sehr verschiedenen Sälen bestreiten, unter anderem auch im Basler Münster, das inzwischen zu einem unserer bevorzugten Spielorte geworden ist. Diese Situation erforderte vor allem auch ein hohes Mass an Flexibilität, weil man sich immer wieder an unterschiedliche akustische Verhältnisse anpassen musste. Gleichzeitig ergab sich in dieser Zeit die Möglichkeit einer verstärkten Aufnahmetätigkeit, womit wir unser internationales Profil enorm gestärkt haben. Dies zeigt nicht zuletzt auch das grosse internationale Medienecho auf die erste Folge unserer Gabriel-Fauré-Serie, The Secret Fauré, erschienen im August 2018 bei Sony Classical. Insgesamt kann man konstatieren, dass wir in dieser Zeit an Stabilität und künstlerischer Reife enorm gewonnen haben. Was macht das Profil des SOB aus? Durch die Nähe zu Frankreich, nicht zuletzt auch durch zahlreiche französische Orchestermusikerinnen und

-musiker sehe ich einen Schwerpunkt des SOB im französischen Repertoire, daher auch unser grosser Fauré-Aufnahmezyklus, der sich auch den unbekannten und selten gespielten Werken widmet. Aber auch Berlioz und Saint-Saëns gehören zu unserer DNA. Für mich ist es wichtig, dass wir uns mit dem SOB einem Repertoire widmen, das man nicht unbedingt bei den grossen Orchestertankern findet, sei es bei den Wiener und Berliner Philharmonikern, dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks oder den amerikanischen Spitzenorchestern. Alle diese Orchester fussen oft auf einer alten Tradition, und man erwartet von ihnen natürlich eine Leistungsshow des grossen sinfonischen Kernrepertoires. Wir müssen hier eigene Wege gehen und uns auch mit einem anderen Repertoire beschäftigen, wenn wir ein eigenes Profil entwickeln wollen. Der Weg mit Naturinstrumenten bei den Blechbläsern und mit klassischen Bögen bei den Streichern ist eine Herausforderung. Es gibt ja zahlreiche Spezialensembles der Alten Musik. Lohnt sich dieser Weg trotzdem? Unbedingt. Um ein Beispiel zu nennen: Wir nutzen gerne die leichteren und schmaleren Streicherbögen und Naturhörner, die zwar immens schwierig zu spielen sind, dafür aber ganz neue Klangfarben ermöglichen. Wir wollen so nah wie möglich an das ursprüngliche Konzept des Komponisten. So kommt es


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Bild: Benno Hunziker


vor, dass wir im gleichen Werk einmal die modernen und dann wieder alte Instrumente einsetzen, wie bei Brahms, der in der gleichen Sinfonie einmal das Ventilhorn und dann das Naturhorn nutzt.

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Als Chefdirigent braucht man viel Selbstvertrauen und Durchsetzungsvermögen. Wo nimmt man das her, und wie kommuniziert man das am besten gegenüber dem Orchester? Selbstvertrauen ist die Voraussetzung, um zu dirigieren. Das Schöne an meinem Beruf ist, dass es immer wieder Dinge zu entdecken gibt. Selbst wenn ich Werke dirigiere, die ich schon vor zwanzig bis dreissig Jahren erarbeitet habe, komme ich heute vielleicht zu einer anderen Interpretation. Und diese Überzeugung muss ich meinen Musikerinnen und Musikern vermitteln. Der Bruckner-Zyklus geht in die letzte Runde mit der 8. und der 9. Sinfonie. Seine Achte eröffnet die Saison 2019/20. Du hast mit dem Mozarteumorchester den gesamten Zyklus aufgenommen. Was machen die Basler anders als die Salzburger? Den Bruckner-Zyklus habe ich mit dem SOB innerhalb einer kurzen Zeitspanne von drei Jahren geprobt und aufgeführt. Eine unheimlich intensive Phase, in der wir diese höchst anspruchsvollen Werke erarbeitet haben. In Salzburg gab es nicht den dezidierten Plan eines Bruckner-Zyklus. Es hat sich einfach so ergeben über einen Zeitraum von zehn bis elf Jahren, eine Entdeckungsreise in Sachen Bruckner sozusagen.

Bruckner hat oft an sich gezweifelt, und seine Werke wurden immer wieder heftig kritisiert, was dazu geführt hat, dass er seine Sinfonien immer wieder überarbeitet hat. Es gibt eine Fülle an Fassungen. Welche Fassung der Achten werden wir in Basel hören und warum? Das ist richtig. Bruckner hat seine Sinfonien oft mehrfach überarbeitet. Während die ursprüngliche Anlage in einer 2. Fassung meist sehr gut verändert wurde, waren alle weiteren Überarbeitungen eher schwächer. In Basel werden wir daher auch die 2. Fassung der 8. Sinfonie hören. Die Achte wird oft als ‹Mysterium›, manchmal auch als ‹Apokalypse› bezeichnet. Warum? Die 8. Sinfonie ist in der Tat eine epische Sinfonie mit einer Länge von achtzig Minuten. Die zentralen Motive, geradezu apokalyptische Klangsuggestionen, rufen ein Gefühl von Schicksalshaftigkeit hervor. Hier werden auf eine philosophische Weise Dinge ausserhalb unserer Kontrolle verhandelt, die dann im Finale zu einer transzendentalen Ebene streben. Kann Musik auch die Darstellung menschlicher Abgründe zu einem ästhetisch-kathartischen Erlebnis machen? Viele Menschen empfinden Bruckners Musik als enorm suggestiv. Eine Musik, die von inneren Kämpfen und Dämonen handelt und seelischen Trost bietet.


Dem Einfluss der Musik auf unsere Seele wird immer wieder auch ein Suchtpotenzial zugeschrieben. Kann Musik zur Droge werden? Bruckner wurde vom Wagnerfieber infiziert – liegt darin auch eine Gefahr? Das ist richtig. Sowohl Wagner als auch Bruckner haben diese im positiven Sinne toxische Wirkung. Wenn man sich auf diese Musik ganz und gar einlässt, kann man in einen enormen musikalischen Strudel gerissen werden, gerade wenn wir an die letzte halbe Stunde in Wagners Götterdämmerung denken.

Musik erfüllt mein ganzes Leben. Alles konzentriert sich um die Organisation optimaler Proben, der Aufführungen und Reisen. Es ist nicht immer einfach, hier ein emotionales Gleichgewicht zu finden. Wo und wie findest du deine Work-Life-Balance?

Musik benötigt volle Konzentration und Hingabe. Sie füllt einen so sehr aus, dass man im Moment des Musizierens keinerlei Gedanken an private Probleme und Dämonen verschwenden kann. Wenn man so will, ist dies die therapeutische Wirkung der Musik. Wenn man ein Orchester mit 104 Musikerinnen und Musikern dirigiert, spürt man dann auch eine Art von Macht? Wenn wir schon von Macht sprechen wollen, sehe ich das eher als die Macht der Musik. Was mich persönlich betrifft, würde ich eher von einem Verantwortungsgefühl gegenüber meinem Orchester und den Werken, die wir aufführen, sprechen. Die Rückkehr ins Stadtcasino verspricht nach den Jahren des Wanderns und des Gewöhnens an verschiedene akustische Orte ein Ereignis zu werden. Worauf freust du dich am meisten?

Mir hilft meine Familie, immer wieder Wenn ich daran denke, dass ich das wichtige emotionale Auszeiten vom erste Mal das SOB in diesem Saal mit Beruf zu nehmen. In meiner zweiten seiner fantastischen Akustik dirigiert Position als Chefdirigent der Oper habe, freue ich mich sehr, dort bald Madrid wurde mir zuletzt ein Jahresabonnement von Real Madrid geschenkt. wieder mit meinem Orchester musizieren zu dürfen. Wir planen besondere Ich habe es in der vergangenen Saison Schwerpunkte für das Casino. So aber gerade zwei Mal geschafft, ein wird es Konzerte mit Mahler, Brahms Spiel zu sehen! und Beethoven geben, aber auch Liederabende und Kammermusik. g Kann Musik auch ein Erfahrungsfeld für das eigene Leben sein? Kann man durch die Musik und ihre InterpretaDas Interview wurde auf Englisch geführt.

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Gibt es für dich überhaupt ein Privatleben?

tionsansätze auch Antworten auf alltägliche Probleme finden?


ZUM WERK Giovanni Gabrieli/Bruno Maderna In ecclesiis

Ein lustvoller, überwältigender Klang

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von Michele Chiappini

Der Interpret Maderna ist, mehr noch als der Komponist, ein ‹Wanderer› in den unendlichen Dimensionen der Musik und der ständigen Verweise auf entdeckte und neu entdeckte Zeichen: «Ich habe immer gedacht», schreibt er in einem Epigraf zu seinem letzten Werk, «dass die Musik bereits existiert, dass sie schon immer existiert hat. Auch die, die ich schreibe. Es bedarf nur eines tiefen Glaubens an sie, eines Bekenntnisses, um sie um sich herum, in sich selbst wahrzunehmen und sie dann in Noten zu setzen.» Und es ist ebenjener Bearbeiter Maderna, der wiedergefundene, frisch zum Leben erweckte Dimensionen in neue Formen kleidet – wiederentdeckt, doch ohne Neues zu erfinden, würde Malipiero sagen –, derjenige Maderna, der zu immer neuen Betrachtungen der Musikgeschichte bereit ist, denn «alle Musik», sagt er, «von Monteverdi bis in unsere Tage, ist im Grunde nur die zeitgenössische Musik»; er, der sich am Ende so ausdrückt: «Ich möchte die Musiken unserer Vorfahren möglichst in ihrer spirituellen Qualität, mehr noch als in ihrer philologischen Qualität, wieder aufleben lassen, und zwar um zu zeigen, dass sie so antik gar nicht sind; oder wenn, dass sie mindestens so antik wie die eine Wahrheit sind, die da lautet: Neues zu machen, bedeutet nichts anderes, als Altes nochmal zu machen – nur eben besser.»

Das venezianische Element Unter all den von Maderna wiedergefundenen und wiederbelebten Musiken nimmt die Orchesterbearbeitung der Motette In ecclesiis benedicite Domino aus dem Zweiten Buch der Symphoniae sacrae von Giovanni Gabrieli (1615) ohne Zweifel einen zentralen Platz ein, und sie ist ein beredtes Beispiel für jene besondere Sensibilität, die er der Historie entgegenbringt. Manchmal kommt es ja vor, dass sich die Umstände, unter denen die Dinge geschehen, als erhellend für den gesamten Sinn des betreffenden Unternehmens erweisen – und so war es im Falle der Premiere der Komposition am 10. Oktober 1965 in Brüssel. Die Dokumente berichten von einem von Maderna selbst ins Leben gerufenen und schon im Herbst 1964 geplanten Konzert, in dem der Gabrieli-Bearbeitung zwei der Hauptwerke von Igor Strawinsky zur Seite gestellt werden sollten. Dies waren die Symphonies d’instruments à vent (1920) und jenes Canticum sacrum ad honorem Sancti Marci nominis, das 1956 beim Festival Internazionale di Musica Contemporanea in Venedig aufgeführt wurde: «... nicht nur Strawinskys Hommage an die Venezianer, an ihre Stadt und an ihren Heiligen», erklärte Robert Craft im Programmheft des Venezianischen Festivals 1956, «sondern auch an ihren musikalischen Ruhm». Kehren wir zurück nach Brüssel, zu dem von Maderna erdachten Programm.


Bilder: Paul Sacher Stiftung

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Brief über Bruno Maderna von Jacques Vaerewyck, Generaldirektor der Société Philharmonique de Bruxelles, wo am 10. Oktober 1965 die Uraufführung von In ecclesiis stattfand. Die hier geforderte Canzone a due Cori von Giovanni Gabrieli wird später von Maderna In ecclesiis benannt.


Bild: Wikimedia Commons

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Piazza San Marco in einem Gemälde von Giovanni Antonio Canal

Dabei handelte es sich um eine geniale Zusammenstellung, die ein ausgeklügeltes Spiel mit den zwischen den Werken bestehenden historischen Bezügen offenbarte – in der Uraufführung von 1956 folgte dem neuen Werk Strawinskys eben jenes In ecclesiis benedicite Domino von Giovanni Gabrieli (das Original) – und zur gleichen Zeit unterschwellige und unerwartete Parallelen aufscheinen liess. Wenn die beiden Strawinsky-Werke scheinbar durch die Besetzung und die Behandlung des Instrumentariums miteinander verbunden sind, oder durch die granitene Klanglichkeit einer Musik chorischen Typs, die von dem russischen Komponisten neu erfunden wurde (und daher einte sie auch jene Idee einer verdinglichten Ritualität, die diesem Musiktyp innewohnt), veranschaulichten die Berührungspunkte zwischen Strawinsky’schem Canticum und In ecclesiis auf fast nostalgische Weise die historische Präsenz eines Elements, das man als ‹venezianisch› bezeichnen könnte. Auf den

ersten Blick könnte sich das Ganze wie eine blosse symbolische Notwendigkeit ausnehmen – umso mehr, wenn man bedenkt, dass es sich bei dem Original von Gabrieli um eine die Herrlichkeit Venedigs preisende feierliche Motette handelt. In der Maderna-Tradition ruht die Verbundenheit zu seiner Stadt Venedig, dem Markusdom und ihrer musikalischen Tradition jedoch auf viel tieferen Fundamenten. Der Markusdom in der Musik Der Bezug zu den ursprünglichen akustischen Bedingungen im Dom und zu seinem rituellen Rahmen ist massgeblich für Madernas Fassung von In ecclesiis, und er steht am Ursprung einer bestimmten räumlichen Vorstellung von Musik, die sich in der von Maderna vorgegebenen szenischen Aufstellung der begleitenden Musiker und in der Entscheidung für eine Orchestrierung mit separaten Instrumentengruppen widerspiegelt. Es ist die Vorstellung von einer Musik, die in ihrem Inneren das Bild der äusseren


Christoph Bitter: [Haben Sie sich für die Bearbeitung von In ecclesiis] eventuell von der typischen Spielweise bei den Konzerten im Markusdom [...] inspirieren lassen? Bruno Maderna: Ja, da liegen Sie richtig, ich bin von diesen Voraussetzungen ausgegangen. Ausserdem wollte ich erreichen, dass die Zuhörer im Konzertsaal etwas haben, das in gewisser Weise den liturgischen Ritus ersetzt; denn für uns hat diese Musik ja eine ganz andere Funktion. Selbstverständlich; wir dürfen ja nicht vergessen, dass diese Musik während der Messe aufgeführt wurde [...] Ich denke, wenn man in gewisser Weise das ursprüngliche Ambiente erschaffen möchte, dann ist Ihr Vorgehen durch die Tatsache gerechtfertigt, dass auch damals in den Kirchen die Musik mit separaten Instrumentengruppen aufgeführt wurde. Ich glaube

sogar, dass es in San Marco vier verschiedene Podien für die Musiker gibt. […] Wenn man heute diese Kirche betritt, hat man unmittelbar den Eindruck von tiefer Dunkelheit, der durch den Kontrast zu der leuchtenden Helligkeit des Markusplatzes und des Meeres nur umso stärker ist. Gabrielis Musik ist meiner Meinung nach nicht so dunkel wie die Kirche, sondern vielmehr so goldglänzend und strahlend wie das Äussere. Sie haben völlig Recht […]. Ich glaube, dass Gabrieli den Himmel und die Farben der Plätze in das Dunkel der mysteriösen byzantinischen Kirche hineintragen wollte. Und in der Tat bemerkt man bei Gabrieli so etwas wie Wollust, ein fast libidinöses Verhältnis zum Klang. g Übersetzung: Sophia Simon

In ecclesiis Besetzung 3 Flöten, 2 Oboen, Englischhorn, 3 Klarinetten, Bassklarinette, 3 Fagotte, Kontrafagott, 4 Hörner, 4 Trompeten, 4 Posaunen, 2 Harfen, Glocken, Streicher Entstehung 1965 Uraufführung Am 10. Oktober 1965 in Brüssel im Palais des Beaux Arts durch das Orchestre National de Belgique unter der Leitung von Bruno Maderna Dauer ca. 10 Minuten

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Umgebung, die sie hervorbringt, birgt, und die gleichzeitig fähig ist, diese Umgebung zu beschreiben und wahrnehmbar zu machen. So kommt es zur Wiederentdeckung einer in der Geschichte einzigartigen Klangfülle: Es ist dieser lustvolle, überwältigende Klang, eben der ureigenste Klang des Markusdoms und der Musik, die für seine Kapelle komponiert wurde. Oder besser gesagt: So lebten in der Gegenwart die ganze Dimension ihres akustischen Reizes und ihre Aura wieder auf. In einem 1971 von dem Musikwissenschaftler Christof Bitter geführten Interview wurde Maderna aufgefordert, In ecclesiis zu erläutern, und so legte er den Ansatz seiner Bearbeitung wie folgt dar:


ZUM WERK Anton Bruckner Sinfonie Nr. 8 c-Moll, WAB 108

Depression und Triumph

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von Christoph Vratz

Kein «nachahmenswertes Musterexemplar» «Das gestrige (vierte) Philharmonische Conzert war ein in jeder Beziehung ungewöhnliches. Als kürzestes aller derartigen Conzerte brachte es die längste aller Symphonien und weiter nichts. Auf dem Programme prangte nur eine Nummer: Anton Bruckner’s achte Symphonie in C-moll.» An dieser Aufführungstradition hat sich bis heute nichts geändert. Wenn Bruckners längste Sinfonie aufgeführt wird, ist sie in der Regel einziger Programmpunkt. Max Kalbeck, der Autor der obigen Zeilen, ist ein Brahms-Vertrauter und zählt damit nicht gerade zum BrucknerLager. Von daher liest sich sein Lob von Beginn an etwas säuerlich. Kein Wunder, dass er am Ende Wasser in seinen Kritiker-Wein giesst: «Unter den bisher an die Oeffentlichkeit gelangten Werken des Componisten nimmt sie ohne Zweifel die erste Stelle ein; sie übertrifft die früheren Arbeiten Bruckner’s durch Klarheit der Disposition, Übersichtlichkeit der Gruppierung, Prägnanz des Ausdruckes, Feinheit der Details und Logik der Gedanken, womit indessen keineswegs gesagt sein soll, dass wir sie als ein nachahmenswertes Musterexemplar ihrer Gattung ansehen und empfehlen möchten.» Eine für die damalige Zeit bezeichnende Reaktion: Lob ja, aber allenfalls dosiert. Bruckners Sinfonien haben zu Lebzeiten des Komponisten polarisiert. Sie sind lange Zeit nicht verstanden worden – was sich auch an der komplizierten und bis

weit ins 20. Jahrhundert ragenden Aufführungsgeschichte ablesen lässt. Die 8. Sinfonie bildet da keine Ausnahme, obwohl Bruckner zum damaligen Zeitpunkt bereits seine Siebte erfolgreich uraufgeführt hatte. «Befremdet, ja abgestossen» Bruckner irritiert, als Mensch und als Künstler. Von Natur aus ein eigenartiger Kauz, etablierter Orgelspieler und Improvisator von Gottes Gnaden und Professor am Konservatorium durch späte Berufung, bringt Bruckner es erst nach quälend vielen Jahren zu Lob, Ruhm und Anerkennung – doch eine sachliche Auseinandersetzung mit seinem musikalischen Œuvre bleibt ihm auch im fortgeschrittenen Alter verwehrt. Nirgends wird dies so deutlich wie in den Reaktionen auf die Uraufführung der 2. Fassung von Bruckners 8. Sinfonie am 18. Dezember 1892 mit Hans Richter am Pult der Wiener Philharmoniker. Doch nicht alle reagieren wie Kalbeck. Hugo Wolf etwa zeigt sich begeistert, und auch Richard Heuberger schreibt für das Wiener Tagblatt wohlwollend: «In allem Wesentlichen unterscheidet sich die gestern gehörte achte Symphonie Bruckner’s nicht von ihren Vorgängerinnen, wohl aber sticht sie durch spärlichere Erfindung unvortheilhaft von den anderen ab. Den in der 1., 3., 4. oder 7. Symphonie oft so hoch aufspringenden Quell üppigster Melodik sehen wir hier nicht mit derselben Frische sprudeln. Es mag sein, dass die zuweilen, namentlich im ersten Satze,


Bild: Wikimedia Commons

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Beethoven und Bruckner. Fenster im Neuen Dom in Linz

fast ans Rhetorische streifende Ausdrucksweise das mit sich brachte. Am reichsten ist in diesem Punkte noch das Adagio bedacht, ein Satz, der trotz enormer Ausdehnung (er dauert 26 Minuten) ununterbrochen fesselt, herrliche Züge tiefsten Ernstes enthält und – von manchen steifen und eigensinnigen, mehr mechanischen als organischen Stücken abgesehen – zu dem Schönsten gehört, was Bruckner je geschrieben.»

Am konsequentesten zieht Grosskritiker Eduard Hanslick gegen Bruckner zu Felde. Doch bei aller Vehemenz, mit der er Bruckner verurteilt: Hanslick erweist sich dennoch als genauer Beobachter, als messerscharfer Analytiker. Wenn man die ideologischen Vorbehalte, die er als Anwalt klassischer Vorbilder gegen Bruckner hegt, einmal ausser Acht lässt, so seziert er Bruckners Stärken und Schwächen mit professionellem Scharfsinn. Er fühlt sich von


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gekommen sein muss, das Adagio an die dritte Stelle zu rücken. Etwa zur gleichen Zeit, im Herbst 1885, stockt dann die Arbeit. Bruckner ent- und verwirft mehrere Adagio-Skizzen, die er erst im September 1886 zur Partitur ausformuliert. Das Finale schliesst er am 22. April 1887 ab. Bruckner war nach dem grossen Erfolg, den seine Siebte unter der Leitung Hermann Levis in München gefeiert hatte, davon überzeugt, dass dort auch eine Aufführung der Achten möglich sei. Tatsächlich bittet Levi um eine rasche Übersendung der neuen Partitur, der Bruckner dann, mehr naiv als geschickt taktierend, die Worte beifügt «Die Freude über die zu hoffende Aufführung durch Hochdesselben Meisterhand ist allgemein eine unbe«Instrumentation unmöglich» schreibliche.» Als aber Levi das Werk Wie so oft bei Bruckner ist der Entstein Händen hält, dominiert Skepsis. An hungsweg zu dieser Sinfonie äusserst mühsam gewesen. Zwischen den ersten Bruckners Edel-Helfer Josef Schalk Skizzen und dem vorläufigen Abschluss schreibt er: «Tagelang habe ich studiert, aber ich kann mir das Werk nicht zu der Achten liegen rund drei Jahre. eigen machen. Fern sei es von mir, ein Die Entstehung keiner seiner bisheUrteil aussprechen zu wollen […], aber rigen Sinfonien hat sich über einen ich finde die Instrumentation unmögähnlich langen Zeitraum hingestreckt. lich und was mich besonders erschreckt Vermutlich bis in den Sommer 1884 hat, ist die grosse Ähnlichkeit mit der reichen die ersten Ideen zu diesem 7ten, das fast Schablonenmässige der Werk zurück. Im November bzw. Form. – Der Anfang des 1. Satzes ist Dezember ist er mit seinen Skizzen grandios aber mit der Durchführung bereits bis zum 2. Satz, der in seiner weiss ich gar nichts anzufangen. Und ursprünglichen Fassung noch ein gar der letzte Satz – das ist mir ein Adagio sein sollte, vorangeschritten. verschlossenes Buch.» Das Finale ist bis Mitte August 1885 in Bruckner verfällt in Depressionen. groben Zügen entworfen. Zur selben Dennoch entschliesst er sich, die ParZeit sitzt Bruckner bereits an der Austitur noch einmal zu revidieren. Am arbeitung der Partitur zum 1. Satz. 27. Februar 1888 lässt er Levi wissen: Bis Ende Oktober beschäftigt er sich «Freilich habe ich Ursache, mich zu mit der Niederschrift des Scherzos – schämen – wenigstens für dieses Mal den langsamen Satz hat er ausgelassen: – wegen der 8. Ich Esel!! Jetzt sieht sie wohl ein Indiz dafür, dass ihm irgendschon anders aus.» Da er zeitgleich an wann in dieser Zeit der Gedanke

Bruckners neuem sinfonischen Koloss «befremdet, ja abgestossen». Doch dann benennt Hanslick handfeste Kriterien, mit denen er sein Urteil zementiert. Es seien zum einen die permanenten Wiederholungen, mit denen sich Bruckner «auf immer höherer Tonstufe ins Endlose» katapultiere – er «bringt es vergrössert, verkleinert, in Gegenbewegung, solange, bis wir von diesem monotonen Jammer trostlos niedergedrückt sind» –, zum anderen macht er ihm seine Wagner-Anlehnungen zum Vorwurf: «das Tremolo der geteilten Violinen in höchster Lage, HarfenArpeggien über dumpfen PosaunenAkkorden, dazu noch die neueste Errungenschaft der Siegfried-Tuben».


Überarbeitungen seiner 3. und 4. Sinfonie sitzt, zögert sich die Neufassung hinaus. Erst im März 1890 meldet er Vollzug. Levi hingegen bleibt reserviert. Eine Uraufführung lehnt er abermals ab, allerdings empfiehlt er Felix Weingartner in Mannheim als AlternativDirigenten. Doch auch dieser sagt ab, da er eine Berufung nach Berlin erhalten hat. Zuletzt wendet sich Bruckner an Hans Richter – erfolgreich.

Sinfonie Nr. 8 c-Moll Besetzung 3 Flöten, 3 Oboen, 3 Klarinetten, 3 Fagotte/Kontrafagott, 8 Hörner/ Wagnertuben, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug, 3 Harfen, Streicher Entstehung 1884–1887 (1. Fassung); 1887–1890 (2. Fassung) Uraufführung 2. Fassung: 18. Dezember 1892 im Musikvereinssaal Wien mit den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Hans Richter 1. Fassung: 2. September 1973 in London unter der Leitung von H. H. Schönzeler Widmung Sr. k. u. k. Apostolischen Majestät Franz Joseph I. Kaiser von Österreich und Apostolischer König von Ungarn etc. in tiefster Ehrfurcht Dauer ca. 80 Minuten

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«Totenmarsch und Verklärung» Diese vielen Daten und der lange Entstehungszeitraum zeigen die Hartnäckigkeit, mit der Bruckner um sein Werk gerungen hat. Doch je genauer sich Bruckner erklärt, desto grösser werden die Angriffsflächen. In einem Brief an Felix Weingartner vom 27. Januar 1891 schreibt er: «Der 1. Satze ist der Tromp. und Cornisatz aus dem Rhythmus des Themas: die ‹Todesverkündigung›, die immer sporadisch stärker, endlich sehr stark auftritt, am Schluss: die Ergebung. [...] Finale: Unser Kaiser bekam damals den Besuch des Czaren in Olmütz; daher Streicher: Ritt der Kosaken; Blech: Militärmusik; Trompeten: Fanfare, wie sich die Majestäten begegnen. Schliesslich alle Themen; (komisch), wie bei Thannhäuser im 2. Akt der König kommend, so als der deutsche Michel von seiner Reise kommt, ist alles schon im Glanze. Im Finale ist auch der Totenmarsch u. dann (Blech) Verklärung.» Programme wie diese sind bekanntermassen immer heikel. Kaum ist die Uraufführung seiner 8. Sinfonie vorüber, breiten sich bereits drohend Anzeichen der todbringenden Krankheit über Bruckner aus. In weiser Voraussicht hatten die Ärzte ihm den Besuch des Konzerts

nur mit Rücksicht auf den ausserordentlichen Anlass gestattet. Der Komponist zieht sich in die Stille von St. Florian zurück. Ohne dass seine Wiener Freunde davon etwas erfahren. Auch das: typischer Bruckner. g


ZUM WERK Anmerkungen zur Aufnahmegeschichte von Bruckners Achten

Wider alle Weihrauch-Religiosität

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von Christoph Vratz «Bruckner komponiert wie ein Betrunkener», behauptet Gustav Dömpke in der Wiener Allgemeinen Zeitung vom 30. März 1886 nach der Wiener Erstaufführung der 7. Sinfonie. «In Bruckner’s Modulation und Periodenbau finden wir die zweckloseste Breite trotz der erschreckendsten Rücksichtslosigkeit und Verwegenheit.» Genau darin liegen einige Kernpunkte, die zum Ge- oder Misslingen einer Bruckner-Aufführung beitragen können. Das gilt auch und besonders für die Achte. Die Aufnahmegeschichte beginnt im Jahr 1924, als die Berliner Staatskapelle und Otto Klemperer den 3. Satz dieser 8. Sinfonie einspielen. Zwei Jahre später bringt Klemperer die Sinfonie in New York, 1929 schliesslich in London zur Aufführung – es ist für das Publikum bislang unbekannte Musik. Zu den wenigen Dirigenten, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts Bruckners Musik aufführen, zählt übrigens auch Richard Strauss. Doch noch sind die medialen Voraussetzungen nicht geschaffen, um ein so grosses Werk wie die Achte auf Tonträger zu bannen. Erst die Einführung der Langspielplatte bringt Bruckner einen neuen Schub. Trotzdem gibt es weiterhin Vorbehalte. So hat beispielsweise der berühmte EMI-Produzent Walter Legge nur ein stark eingeschränktes Vertrauen in die Verkäuflichkeit von Bruckner-Platten. Auch die unterschiedlichen Fassungen einiger Sinfonien dürften dabei nicht gerade als vertrauensbildende Massnahme gewirkt haben. So hat beispielsweise der knapp 86-jährige Klemperer mit

dem New Philharmonia Orchestra im Herbst 1970 eine Version aufgenommen, bei der er das Finale um 141 Takte gekürzt hat (EMI). Sein Produzent war fassungslos und sprach von Wettbewerbsverzerrung. Eugen Jochum hat im Januar und Februar 1949 mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg Bruckners Achte dokumentiert. Im Aufnahme-Protokoll wird unter Punkt 24 in der Rubrik ‹Bemerkungen› die ganze Problematik der Schellack-Ära erfasst: Man liest vom Eingeständnis, dass diese 8. Sinfonie leider auf «21 grosse Schallplattenseiten» verteilt werden müsse. Diese frühe Jochum-Aufnahme lebt von einer auffallend straffen Interpretation. Die Werk-Architektur erhält eine ganz eigene Statik, nie verweichlicht, nie süsslich. Im Rahmen zweier Gesamteinspielungen aller Bruckner-Sinfonien hat Jochum die Achte nochmals sowohl mit den Berliner Philharmonikern (1963, DG) als auch mit der Staatskapelle Dresden in den späten 80er-Jahren erneut festgehalten (EMI). Bei seinen Aufnahmen ist immer mitzudenken, dass Jochum ein Schüler Siegmund von Hauseggers war, der wiederum als einer der ersten Bruckner nach der jeweiligen Originalfassung spielen liess. Dresden ist seit vielen Jahrzehnten ein besonderer Ort der Bruckner-Pflege: So hat Fritz Busch in seinem letzten Konzert vor der Vertreibung aus Dresden im Februar 1933 Bruckners Vierte dirigiert. Karl Böhm hat dort ab 1936 alle Bruckner-Sinfonien in der


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das Boston Symphony Orchestra das Werk unter Koussevitzky festgehalten – mit einer Spieldauer von 50 Minuten, Originalfassung aufgeführt. 1946 die bereits alles über die Fragwürdigdirigiert Joseph Keilberth in Dresden die erste Aufführung der Urfassung der keit dieser Produktion aussagt (AS Disc). Schliesslich Wilhelm FurtwängDritten. Der Weg liesse sich weiterverler: Am 17. Oktober 1944 hat er Bruckfolgen über Bernard Haitink und ners Achte im Grossen Musikvereinssaal Giuseppe Sinopoli bis zu Christian Thielemann. Als dieser Bruckners Achte mit den Wiener Philharmonikern dirigiert. Ausserdem gibt es eine im Jahr 2007 binnen kurzer Zeit zwei Aufnahme des RIAS mit den Berliner Mal aufführte – zunächst mit den Philharmonikern vom März 1949 Münchner und wenig später mit den (audite) sowie einen Konzertmitschnitt, Wiener Philharmonikern konnte wiederum aus Wien, aus dem Jahr 1954 niemand ahnen, dass nur zwei Jahre (DG). Wer hier Deckungsgleichheit der später dieses Werk erneut zum Prüfstein für den Dirigenten werden würde: Interpretationen vermutet, liegt falsch. Zwar sind die Sätze 1, 3 und 4 vom als er, in Abänderung des Programms, Grundmass her ähnlich, und nur das Bruckners sinfonischen Koloss bei der Scherzo in der Berliner Aufnahme ist Staatskapelle Dresden dirigierte. hörbar zügiger, doch kommt FurtwängThielemann setzt bei diesem Bruckner-Dirigat nicht auf schwülstige Magie ler immer wieder zu abweichenden Detailbeobachtungen. oder Weihrauch-Religiosität, er ordnet Die Durchschnittsspielzeit bei der alles sehr klar, die Proportionen Achten Sinfonie liegt, von den unterzwischen Blech- und Streicherapparat schiedlichen Fassungen abgesehen, in überzeugen (Profil). einem Spektrum von 73 bis 87 Minuten Noch einmal in die Anfänge der – ein weites Feld also, das die unterAufnahmegeschichte: Aus dem Jahr 1941 stammt eine Aufnahme mit Bruno schiedlichsten Schwerpunkte möglich macht. Die Rekordeinspielung stammt Walter und der Philharmonic Society jedoch vom September 1993 aus of New York (Music & Arts), 1947 hat


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ist, dass er dennoch, wie die grosse Klimax zeigt, zu unterschiedlichen Ergebnissen findet. In der Kölner Aufnahme klingt das kühner, risoluto, strenger, mit den Berliner Philharmonikern ungleich seidiger und weniger schroff. Günter Wands Einspielungen sind im besten Sinne zeitlos, weil er die Grundpfeiler seiner Bruckner-Exegese immer mehr verfeinert hat: das Gefühl für zeitliche Abläufe ohne krampfhafte Dehnungen, eine tiefe Einsicht in Vorgänge wie Wiederholung, Verdopplung und Reduktion sowie ein organisches Architektur-Verständnis, was Klangblöcke, Tempi und die Gruppierung von Instrumenten betrifft. Im Juli 2005 endete nach sieben Jahren die Ära von Herbert Blomstedt als Chef des Leipziger Gewandhausorchesters. Auf dem Programm der Abschiedsveranstaltung stand die 8. Sinfonie von Anton Bruckner (Querstand). Im Laufe der Jahre hatte Blomstedt mit den Leipzigern einen wunderbar warmen, aber sich nie ins Mollig-Weiche verlierenden Bruckner-Ton entwickelt. Die grossen Bögen gelingen auch bei dieser Achten geschmeidig und doch gewaltig, die typischen Bruckner-Blöcke kantig. Es mag Dirigenten geben, die konsequenter, radikaler vorgehen als Blomstedt; doch der langjährige Wahl-Schweizer verfügt über einen natürlichen Atem. Bei ihm gibt es keine Sonderrechte für profilsüchtige Solisten, keine unscharfen Übergänge im Tutti, keine übertriebenen Pausenlöcher. Das macht seinen Bruckner so organisch und wertvoll. g

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München, als Sergiu Celibidache die dortigen Philharmoniker zu einer Aufführung von fast unglaublichen 105 Minuten animierte. Man kann über so viel Eigenwilligkeit sicher streiten, ignorieren darf man sie nicht (EMI). Denn jenseits nackter Zahlenwerte gelingt Celibidache ein sehr genau ausbalancierter, dramaturgisch klug gestaffelter Vortrag. Es gibt rund 200 Mitschnitte, Bild-Dokumente, Ton-Dokumente, legale Mitschnitte und Raubkopien von Bruckners Achter. Wer die wichtigsten Informationen mit Zeitangaben zu den jeweiligen Sätzen sucht, findet sie im Internet (http://www.abruckner.com/ discography/symphony8incminor). Man könnte nun die Diskografie zu Bruckners 8. Sinfonie nach Ländern sortieren und dabei feststellen, dass auffallend wenige französische Dirigenten sich dieser Musik angenommen haben. Man könnte genauso gut die zyklischen Bruckner-Aufnahmen auswerten und einzelne Produktionen ausklammern (von Solti bis Janowski, von Inbal bis Barenboim, von Haitink bis Karajan, von Maazel bis – derzeit – Nelsons, oder, natürlich, mit Ivor Bolton, dessen Gesamteinspielung mit dem Mozarteumorchester Salzburg als in vielerlei Hinsicht erfolgreiche Grenzerkundung des Bruckner’schen Schaffens gewertet werden darf). Zwei Dirigenten seien jedoch namentlich herausgestellt: Günter Wand und Herbert Blomstedt. Wand hat die 8. Sinfonie in Köln, beim NDR sowie bei den Berliner und Münchner Philharmonikern aufgeführt, genannt seien nur die WDR-Produktion von 1979 und der Berliner Auftritt von 2001 (Sony). Gerade ein Vergleich des langsamen Satzes zeigt, dass Wand zwar seinem grundsätzlichen Bruckner-Verständnis immer treu geblieben


Bild: Bettina Flitner

KOLUMNE

Texte und Töne

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von Elke Heidenreich

Da orchestriert der italienische Avantgardist Bruno Maderna, 1920 in Venedig geboren, die Kirchenmusik des Giovanni Gabrieli, 1557 in Venedig geboren, und plötzlich denkt man: Jede Musik ist und war zu ihrer Zeit zeitgenössisch, modern. Und Maderna, grosser Kenner der alten Musik, wollte zeigen: So alt ist die gar nicht, die Wahrheit einer Musik, ihr spiritueller Wert – die sind zeitlos. «Ich war stets der Auffassung, dass die Musik schon vorhanden ist, dass sie immer schon da war», sagte Maderna 1973, «auch die Musik, die ich schreibe. Man braucht nur Vertrauen, um sie um sich herum und in seinem eigenen Inneren zu hören und ihr dann in einer Partitur Gestalt zu verleihen.» Alles hängt mit allem zusammen, quer durch die Jahrhunderte. Und wenn etwas geradezu ein Synonym für Musik ist, dann ist das Venedig. Friedrich Nietzsche seufzt in Ecce Homo: «Wenn ich ein anderes Wort für Musik suche, so finde ich immer nur das Wort Venedig.» Giovanni Gabrieli war einer von denen, die Venedig damals zum Zentrum der europäischen Musik machten. Sein Onkel Andrea, zurzeit von Giovannis Geburt zweiter Organist an San Marco, nahm sich des Jungen an, schickte ihn nach München, wo er auf Kosten der Fugger bei Orlando di Lasso lernte. Zurückgekehrt wurde er zunächst Hilfsorganist und dann unter dem inzwischen aufgestiegenen Onkel zweiter Organist, und er revolutionierte die damalige Kirchenmusik: Hatte bisher immer nur ein Chor gesungen, stellte Gabrieli vier Chöre auf vier

verschiedene Emporen – der vielstimmige Chor war geboren und wurde weltberühmt, und europäische Fürsten schickten nun ihre Musiker nach Venedig, damit sie dort lernen sollten. Der junge Heinrich Schütz wurde zum Beispiel 1609 Schüler von Gabrieli, entsandt und mit einem Stipendium versorgt vom Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel. Gabrieli hat beileibe nicht nur Kirchenmusik geschrieben. Auch Musik für Festbankette gibt es von ihm; enorm unterhaltend, und zum ersten Mal tauchte hier das Wort ‹concerto› auf, bei einer 1587 veröffentlichten Sammlung von Musikstücken Giovanni Gabrielis. Concerto! Das Konzert war in die Welt gekommen, jenseits der Kirchenmusik – Musik zur reinen Unterhaltung, ohne Text, ohne Gesang zum Lobe Gottes! Unerhört. Und ganz sicher gab es damals Gegner, so wie alles Zeitgenössische, Neue immer Gegner hat. Ein paar hundert Jahre später spielt das keine Rolle mehr. Was im Umkehrschluss nicht heisst: Alles Neue ist gut. Das Gute hält sich, das andere verschwindet in den Tiefen der Jahrhunderte. Gabrieli ist noch da. Venedig auch. Noch. Und in der Kirche San Stefano liegt Gabrieli begraben. Ich war an seinem Grab und habe eine Rose auf den Stein gelegt, auf dem steht: «Hier liegt Giovanni Gabrieli, ein zu lobender Mann, in vielen Künsten zum Erfolg geboren, dessen Geist und Leben im Monat August vollendet wurde, am 12. des Monats im Alter von 55 Jahren, im Jahre 1612.» g


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Bild: Tom Krausz


ORTSGESCHICHTEN Teil 1

Das Münster als Konzertraum

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von Sigfried Schibli Im Leben vieler Menschen ist Musik häufig an Orte gebunden – an Landschaften, von denen sie inspiriert ist, an Städte, in denen sie entstand, an Räume, in denen sie erklingt. Davon handelt unsere neue, auf die Programme des Sinfonieorchesters Basel bezogene Artikelfolge ‹Ortsgeschichten›. Viele Kirchen weisen eine für das Musikhören günstige sakrale Atmosphäre auf und sind als Konzertorte beliebt. Das gilt auch für das Basler Münster, diesen prächtigen, vor 1000 Jahren von Kaiser Heinrich geweihten romanischen Bau. Musikinteressierte erinnern sich nicht nur an zahlreiche Orgelkonzerte, sondern auch an denkwürdige Aufführungen etwa vom Basler Gesangverein, von der Münsterkantorei und seit einigen Jahren – bedingt durch den Umbau des Stadtcasinos – auch vom Sinfonieorchester Basel. Historiker wissen, dass Johannes Brahms im Basler Münster mehrere Aufführungen etwa der Bach-Passionen erlebt und dass Gustav Mahler 1903 hier seine Auferstehungssinfonie dirigiert hat (sie wird auch in unserem Konzert am 22. April 2020 wieder im Basler Münster erklingen). Ein Blick in die Chronik des Basler Gesangvereins zeigt, dass Konzertaufführungen in Basler Kirchen schon im 19. Jahrhundert Usus waren. Gern nutzte diese grosse Chorvereinigung die Predigerkirche, die Leonhards- und die Martinskirche. Zu den Sängern des Gesangvereins zählte auch der Kunsthistoriker Jacob Burckhardt, dessen Vater Pfarrer und später Antistes (Vorsteher) am Münster war. Als der

Gesangverein 1859 das Oratorium Christus am Ölberge von Ludwig van Beethoven aufführte, war Burckhardt als aktiver Sänger dabei. Er schwärmte in einem Brief an seinen Jugendfreund Hans Riggenbach, dieses Werk sei «unsäglich schön, wie alles, was ich von Beethoven gehört». Dieses Konzert fand in der Martinskirche statt. Andere Aufführungen des Basler Gesangvereins waren im Theater und im Stadtcasino. Die geistlichen Kantaten von Johann Sebastian Bach und Händels Messias wurden dagegen im Basler Münster gesungen und gespielt. Allerdings verliefen Konzerte im Basler Münster nicht immer reibungslos. Gelegentlich und bis in die jüngste Zeit gab es Spannungen zwischen der Geistlichkeit und dem Chor. Das Münster ist schliesslich ein Gotteshaus und kein Konzerttempel für Musikvirtuosen, die gegen Eintrittsgeld ihre Kunst präsentieren. Und es ist seit 1529 eine reformierte Kirche. Als der Gesangverein 1969 im Münster das Stabat Mater von Antonín Dvořák aufführen wollte, gab es Beschwerden seitens der Münstergemeinde: Ein katholisches Marienlob im reformierten Basler Münster, das darf doch nicht sein! Die Aufführung kam gleichwohl zustande, es war das erste Stabat Mater in diesem Gotteshaus nach der Reformation. Gewiss wurde das Münster nicht gebaut, um barocke Oratorien und spätromantische Messen zum Klingen zu bringen. Akustisch ist es am ehesten geeignet für Musik aus der Zeit, als das Bauwerk konzipiert wurde, für gregorianische Gesänge und getragene


Bild: Benno Hunziker

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mittelalterliche Musik. Aus gutem Grund bringt das Sinfonieorchester Basel in diesem Raum vorwiegend Werke zur Aufführung, die eher blockhaft und monumental als polyfon und filigran gehalten sind. Als geeignet haben sich über die Jahre die Sinfonien von Anton Bruckner erwiesen, weniger bewährt haben sich klassische Klavierkonzerte und fein verästelte zeitgenössische Partituren, die mehr klangliche Transparenz erfordern, als hier möglich ist. Immer wieder ein Thema war die Platzierung von Chor und Orchester. Es erwies sich als vorteilhaft, wenn

die Musizierenden unter der Orgelempore platziert sind. Allerdings verlangte diese akustisch günstige Lösung den Aufbau eines grossen Chorpodests, was mit viel Arbeit und Kosten verbunden war. Ausserdem empfand man es als unschön, wenn das Konzertpublikum mit dem Rücken zum Altar und zum Chorraum dasitzt. Daher ist man in den letzten Jahren dazu übergegangen, Chöre und Orchester im Chorraum zu platzieren. Heute favorisiert zumindest der Basler Gesangverein wieder die Lösung mit einem (neuen) Podest unter der Orgelempore. g


Alejandro Núñez, Solo-Hornist im Sinfonieorchester Basel

Ein Solo-Hornist und Karatemeister von Cristina Steinle

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Seit 25 Jahren kennt das Basler Publikum den Hornisten Alejandro Núñez. Ein temperamentvoller und aufgestellter Mann, der mir im Gespräch nicht nur von seiner Heimat und seiner musikalischen Familie erzählt, sondern auch vom Sportclub, der als Kulisse für das Fotoshooting dieses Beitrags dient. Ich möchte von ihm wissen, um was für einem Sportclub es sich denn handelt. Alejandro Núñez: Im Karatekai Basel trainiere ich zwei- bis dreimal in der Woche Karate, wenn es der Konzertkalender zulässt. Zurzeit ist es etwas weniger, da ich ein Problem mit dem Radius im rechten Arm habe. Das kommt aber nicht vom Karate, sondern davon, dass ich in letzter Zeit viel mehr Orchestereinsätze übernommen habe. Cristina Steinle: Wie bist du dazu gekommen, dich mit Karate zu beschäftigen? Schon als Kind hat mich Karate fasziniert. Anfänglich aus dem Gedanken der Selbstverteidigung, doch schon bald hat es mir auch die Philosophie angetan. Im Karate gibt es kein Ziel, sondern ‹der Weg ist das Ziel›. Als ich 1978 ans Royal College of Music in London kam, verbot mir mein Lehrer sowohl Karate wie auch Fussball: Er hatte Angst um meinen Mund und meine Hände! Und weil ich damals erst sechzehn Jahre alt war und er für mich so etwas wie eine Vaterfigur, habe ich auf ihn gehört. Joggen war erlaubt; das

mache ich auch heute noch sehr häufig. Beim Laufen im Wald geniesse ich das Alleinsein. In deinem Beruf bist du umgeben von vielen Menschen und einer ständigen ‹Lärmbelastung› ausgesetzt. Suchst du deshalb den Ausgleich im Sport? Vermutlich! Ausserdem fehlt mir die Zeit zum Nachdenken, wenn ich ständig von Leuten umgeben bin. Wenn ich renne, kann ich meinen Gedanken nachgehen oder erlebe teilweise auch eine Art Trancezustand. Da ist es mir auch schon passiert, dass ich hingefallen bin, weil ich mich nicht mehr auf den Weg konzentriert habe. Dabei habe ich mir sogar einmal drei Rippen gebrochen! (lacht) Im Karate hingegen ist man extrem fokussiert, um niemanden zu verletzen und selbst nicht verletzt zu werden. Und dennoch gibt es auch da eine Art von Trance, man verliert das Zeitgefühl. Ein Training von neunzig Minuten geht wahnsinnig schnell vorbei, während einem eine Kata, also ein simulierter Kampf, von sechzig Sekunden vorkommen kann wie eine halbe Ewigkeit! Interessant. Das wirft natürlich die Frage auf, inwiefern dir das Karate in deinem Beruf als Musiker hilft? Es gibt viele Parallelen. So zum Beispiel die Vorbereitung einer Kata. Du machst eine Performance, eine Reihe von Bewegungen – das sind Angriffs- und Verteidigungstechniken. Eine Kata

Bild: Dominik Ostertag

VORGESTELLT


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bereite ich genau gleich vor wie ein Musikstück. Während die Bewegungen so korrekt wie möglich sitzen müssen, gibt es Elemente, die ich nach meinem Geschmack und meinen Fähigkeiten gestalten kann. Bei beiden Tätigkeiten ist eine enorme Fokussierung gefragt. Als Musiker habe ich einen Vorteil gegenüber vielen Kollegen im Karate wenn wir eine KATA vorstellen müssen. Ich bin es gewohnt, auf der Bühne zu stehen und kann diesen Moment ohne Nervosität geniessen. Und wie im Karate gilt in der Musik: Der Weg ist das Ziel. Egal, wie häufig man ein Stück gespielt hat – man kann es immer noch besser machen.

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Wie bleibst du auf dem Horn fit? Ich übe täglich, aber keine zehn Stunden mehr wie damals im Studium. Das Horn ist ein sehr physisches Instrument, ich trainiere also unter anderem den Ansatz – die Muskulatur meiner Lippen – und die Koordination zwischen Zunge und Finger, was ein konditionierter Reflex ist, der ohne Übung verloren gehen kann. Müssen die Lippen speziell trainiert und gepflegt werden? Du wirst lachen: Küssen ist das beste Training! Und Kälte ist besonders schlimm. Generell ist es eine Herausforderung, mit Klimawechseln umzugehen. Das habe ich beim Umzug von Venezuela nach London extrem zu spüren bekommen. Da musste ich die Lippen dick mit Vaseline einschmieren! Deine Jugend hast du in Venezuela verbracht. Warum ist deine Familie aus Uruguay ausgewandert?

Das war in der Zeit der Militärdiktatur Ende der 60er-Jahre. Mein Vater war ebenfalls Musiker, und als Künstler mit Bart und langen Haaren galt er – logisch! – als Kommunist. Als ich sieben Jahre alt war, musste er nach Venezuela ausreisen, wo er eine Stelle als Solo-Fagottist fand. Ein paar Monate später ist unsere ganze Familie nachgekommen. Während mein Bruder in die Fussstapfen meines Vaters trat und Fagott spielen lernte, habe ich als Dreizehnjähriger von Geige und Klavier auf Horn gewechselt. Mein grosses Vorbild und Lehrer war der ältere Bruder meines Vaters. Du kommst also aus einer sehr musikalischen Familie? Ja, mein Grossvater spielte professionell Klarinette. Sein Vater wiederum war Trompeter. Eine Tante und zwei Onkel spielten Horn, zwei Cousinen und ein Cousin Geige und mein Bruder ist SoloFagottist am Concertgebouw in Amsterdam. Unsere Familie ist verstreut in ganz Europa und Lateinamerika. Ursprünglich stammen wir aus Galicien. Während der Hungersnot Ende der 40er-Jahre ist die Familie nach Argentinien ausgewandert, und später fand mein Vater eine Anstellung als SoloFagottist in Montevideo – eine der schönsten Städte Lateinamerikas! Deine Frau Christina spielt seit 25 Jahren als Zuzügerin im Orchester – habt ihr euch hier in Basel kennengelernt? Nein, wir haben uns in Deutschland in der Philharmonia Hungarica – ein wunderbares Orchester – kennengelernt. Doch leider haben Bund und Land nach dem Mauerfall die Subventionen stetig reduziert, sodass das Orchester


aufgelöst werden musste. Wir haben uns deshalb frühzeitig entschieden, eine neue Stelle zu suchen, und ich habe hier in Basel vorgespielt. Lustigerweise gab es familiär viele Verbindungen zu Basel: Eine Grosstante von Christina lebte hier, ein früherer Konzertmeister des SOB war ein jüngerer Bruder meines Vaters und George Monch, er ist Solo-Tubist im SOB, hat in jungen Jahren in Caracas mit meinem Onkel, dem Hornisten, gespielt! Im ersten Konzert der neuen Saison werden wir dich auch spielen hören. Wie ist, als Hornist, dein Verhältnis zu Bruckner?

Sinfonieorchester Basel Steinenberg 19 4051 Basel +41 (0)61 205 00 95 info@sinfonieorchesterbasel.ch www.sinfonieorchesterbasel.ch Möchten Sie das Programm-Magazin abbestellen? Schreiben Sie eine E-Mail an marketing@sinfonieorchesterbasel.ch Orchesterdirektor: Franziskus Theurillat Künstlerischer Direktor: Hans-Georg Hofmann Konzeption und Redaktion Programm-Magazin: Cristina Steinle Titelbild: Ivor Bolton Korrektorat: Ulrich Hechtfischer Gestaltung: eyeloveyou.ch, Basel Druck: Die Medienmacher AG, Muttenz Auflage: 5300 Exemplare

Partner:

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Ich finde alle Bruckner-Sinfonien extrem anspruchsvoll und beeindruckend. Ich habe wirklich einen enormen Respekt vor diesen Sinfonien. Ich bin nicht religiös, aber diese Momente sind heilig, feierlich. Für Hornistinnen und Hornisten ist es eine grosse Herausforderung, den richtigen Ton, Klang und die richtige Farbe zu finden. Darauf bereite ich mich sehr gut vor. Es geht um ein sehr tiefes Gefühl, das ich jedoch mit zunehmendem Alter besser verstehe. Bruckner darf man nicht einfach laut spielen, wenn er drei ‹f› schreibt. Vielmehr ist eine Intensität im Klang gefragt ... Das hat Marek Janowski damals bei Bruckners Siebten sehr schön herausgearbeitet. Auch Ivor Bolton spürt dies wunderbar. Die 2. Sinfonie mit ihm war ein Genuss! Ivor braucht keinen Dirigentenstab, sondern nur seine Hände – er porträtiert die Musik in der Luft regelrecht! Ich spiele gerne mit ihm und freue mich auf die Achte, in der wir acht Hörner sind – eindrucksvoll, oder? g

IMPRESSUM


verlängert bis 18. 8.

28 Picasso vor dem Bild Mann, sich auf einen Tisch stützend in vollendetem Zustand, überarbeitet 1916 im Atelier an der Rue Schoelcher, Paris, 1916, undatierter Abzug, Musée national Picasso-Paris, achat succession Dora Maar 1998 © Succession Picasso / 2019 ProLitteris, Zurich


FREUNDE SINFONIEORCHESTER BASEL

Dabei sein lohnt sich. Auch in dieser Saison kommen die ‹Freunde Sinfonieorchester Basel› in den Genuss zahlreicher Extra-Angebote wie Künstlerbegegnungen, Gala-Dinners, Kulturreisen zu Gastspielen, Empfänge, Porträts von Musikerinnen und Musikern oder Vorträge zu Themen rund ums Orchester. Der Freundeskreis unterstützt mit den Beiträgen seiner Mitglieder das künstlerische Programm des SOB, die Realisierung von CDs und andere Extras.

Sie möchten mehr über die ‹Freunde Sinfonieorchester Basel› erfahren? Präsident Raphael Blechschmidt freut sich über Ihre Kontaktaufnahme unter freunde@sinfonieorchesterbasel.ch oder Tel. 061 271 25 26.

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Am 28. August 2019 unterstützt der Freundeskreis mit einem grosszügigen Beitrag ein ganz besonderes Konzertformat: ‹Ivor & Friends› richtet sich an Freundinnen und Freunde, Gönnerinnen und Gönner sowie Neugierige. Ivor Bolton und das SOB geben dabei Einblick in ihre aktuellen CD-Produktionen. In diesem Jahr nimmt das Orchester gemeinsam mit dem weltbekannten Balthasar-Neumann-Chor vokalsinfonische Werke des französischen Komponisten Gabriel Fauré auf. Neben dem bekannten Requiem wird es auch Ersteinspielungen geben. Das aussergewöhnliche Programm wird von Hans-Georg Hofmann moderiert und findet auf der Bühne des Goetheanums in Dornach statt.

Bild: Benno Hunziker

Ivor Bolton mit dem Präsidenten des Vereins ‹Freunde SOB› Raphael Blechschmidt

en & h c a Mitm deskreis n Freu rössern! verg


IN ENGLISH

In ecclesiis in the Basler Münster

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by Bart de Vries A well-known Italian conductor once said that two pieces sum up the entire history of western classical music: Bach’s Saint-Matthew’s passion and Mozart’s Don Giovanni. He must have thought along the same lines as his countryman Gian Francesco Malipiero, Bruno Maderna’s composition teacher at the conservatory of music in Venice, who said «nothing is invented, most things are discovered», by which he meant to say that innovation in music is no more than a renewed presentation of existing elements. For wunderkind Maderna – he performed the Bruch violin concerto and conducted the orchestra of La Scala at the age of seven – this could have been enormously daunting, but he nevertheless went on to become one of the twentieth century’s most respected composers. As a matter of fact, Maderna (1920–1973) may have considered Malipiero’s premise as an inspiration to make arrangements of existing pieces he admired. Apart from many original compositions, Maderna made no less than 33 of such adaptations, among which Gabrieli’s In ecclesiis. Gabrieli (1557–1612), just like Maderna, born in Venice, conceived the piece to be played in Saint Mark’s basilica, the world-renowned multidomed church of La Serenissima, where he was the principal organist. The location was ideal for his polychoral style of composing in which different choirs, groups of voices or instruments were placed in the vast space of the church in order to accentuate the different musical material or, vice versa, to be the musical reflection of the architecture. Playing the work in the Basler Minster could therefore not be

more fitting. As in other Bruckner+ concerts, the composition that is paired with a symphony of the Austrian master is archived at the Paul Sacher Foundation. In the case of Maderna we will also be commemorating his hundredth birthday this season. Bruckner’s 8th symphony is characterized by three extra-musical themes. The first movement is dominated by the Death Announcement, inspired by Brunnhilde’s prediction of Siegmund’s death and his inclusion into Valhalla from Wagner’s Walküre. As an arch that unites the entire symphony, a series of themes culminating into ten piercing notes in the trumpets and horns – the actual announcement – eventually returns in the Finale. At the core of the Scherzo lies the imaginary person of the German Michel who represents the character of the German people: good-hearted and hard-working, but forceful and courageous when affronted. The last movement envisions a meeting of the emperors of Russia (note the Ride of the Cossacks theme in the strings), Germany and Austria in 1884 near Brno in the current Czech Republic. Whether Bruckner admired Germany/the German Michel or saw the united German Empire as a threat to Austria is unknown, but the views do not mutually exclude each other. This will be the last season the SOB will be wandering between several locations. For next season’s opening concert, in exactly a year, we will be back again in the renovated and extended Stadtcasino. However, for this program a side trip to the Minster would always be the right choice. g


Bilder: Benno Hunziker

IM FOKUS

Erstes Picknickkonzert: ‹Auge, Ohr, Hand und Herz›

Vor exakt 200 Jahren erblickte Clara Schumann, geborene Wieck, in Leipzig das Licht der Welt. Konzertreisen führten die aussergewöhnlich talentierte Pianistin und Komponistin auch mehrfach nach Basel. Zu ihrem 200-jährigen Jubiläum präsentieren Mitglieder des SOB gemeinsam mit der Sopranistin Sheva Tehoval Lieder von Clara Schumann im traditionsreichen Grand Hotel Les Trois Rois.

Ein Ensemble, wie es beim ersten Picknickkonzert der Saison auf der Bühne steht, erlebt man nicht alle Tage: Sarah Chaksad arrangiert Stücke der Band Mix!t (bestehend aus dem Gebärdensprachpoeten Rolf Perrollaz und dem Mundartrapper Gaston), die Gebärden- und Lautsprache im Rap vereint. Gemeinsam präsentieren sie diese mit Mitgliedern des Sinfonieorchesters Basel. Ein Konzert für alle Sinne, für Gross und Klein, für Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen. Findet nur bei schönem Wetter statt.

Mo 16. September 2019 18.00 / 20.00 Uhr

Eintritt frei, Kollekte GRAND HOTEL LES TROIS ROIS

So 1. September 2019 11.00 Uhr MUSEUM DER KULTUREN, INNENHOF

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Erstes Cocktailkonzert: ‹Happy Birthday Clara Schumann›


DEMNÄCHST SO 25.08.19 16.00

Arc-en-ciel Mitglieder des SOB

MÜHLESTALL, ALLSCHWIL KOLLEKTE

MI 28.08.19 19.30

Ivor & Friends: ‹The Secret Fauré› SOB, Balthasar-Neumann-Chor, Ivor Bolton

GOETHEANUM DORNACH

SO 01.09.19 11.00

Erstes Picknickkonzert: ‹Auge, Ohr, Hand und Herz› Mitglieder des SOB, MIX!T, Sarah Chaksad

MUSEUM DER KULTUREN BASEL, INNENHOF KOLLEKTE

SO 08.09.19 16.00

Arc-en-ciel Mitglieder des SOB

MÜHLESTALL, ALLSCHWIL KOLLEKTE

ZeitRäume Basel Werke von Melchiorre und Xenakis Schlagzeugensemble des SOB

MÜNSTERPLATZ BASEL

Opernpremiere: Al gran sole carico d’amore SOB, Jonathan Stockhammer u.a.

THEATER BASEL

MO 16.09.19 18.00 / 20.00

Erstes Cocktailkonzert: ‹Happy Birthday Clara Schumann› Mitglieder des SOB, Sheva Tehoval

GRAND HOTEL LES TROIS ROIS, SALLE BELLE EPOQUE

MI 18.09.19 12.00

Musik über Mittag: Erste offene Probe SOB, Michał Nesterowicz

MUSICAL THEATER BASEL

FR 13.09.19 18.00

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SA 14.09.19

EINTRITT FREI

VVK: THEATERKASSE

EINTRITT FREI

MI 18.09.19 19.30

A2 Grooves & Grubinger Werke von Say und Mahler SOB, Iwona Sobotka, Martin Grubinger, Michał Nesterowicz

MUSICAL THEATER BASEL

DO 19.09.19 19.00

‹En route›: Faes Mitglieder des SOB, Urs Faes

LITERATURHAUS BASEL VVK: LITERATURHAUS-BASEL.CH

VVK

Vorverkauf (falls nicht anders angegeben): Kulturhaus Bider & Tanner, Aeschenvorstadt 2 , 4010 Basel, 061 206 99 96 Detaillierte Informationen und Online-Verkauf: www.sinfonieorchesterbasel.ch


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