Basler MĂźnster
29. 30. Programm-Magazin Nr. 1 | Saison 18/19
Aug. 19.30 Uhr
M i r ja M G i n s b e r G • f i n e a rT j ew e l l e ry
„ i T ’ s M o r e TH a n a Prof e s sio n – i T ’ s a Passio n “
G e r b e r G ä s s l e i n 1 6 • 4 0 0 1 ba s e l Telefon 061 261 51 10 • Mobile 076 370 65 00 w w w. g i n s b e r g j ew e l . c h
Liebes Konzertpublikum
Wir wünschen Ihnen einen unvergesslichen Saisonauftakt und viel Vergnügen bei der Lektüre des Programm-Magazins.
Hans-Georg Hofmann Künstlerischer Direktor
Bruckner+ Brahms und Berio 3 Konzertprogramm 4 Soyoung Yoon und Antoine Lederlin im Gespräch 8 Johannes Brahms Konzert für Violine, Violoncello und Orchester 12 Johann Sebastian Bach/ Luciano Berio Contrapunctus XIX 14 Aus der Paul Sacher Stiftung Partiturbetrachtungen Bach/Berio 18 Anton Bruckner Sinfonie Nr. 5 Intermezzo 23 Kolumne von Benjamin Herzog 24 Premierengeschichten, Teil 9 26 Vorgestellt Christian Vaucher 30 In English Counterpoint Vorschau 31 Im Fokus 32 Demnächst
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Herzlich willkommen zur neuen Spielzeit! Dieser Saisonbeginn markiert gleichzeitig Gipfel und Bergfest auf unserer gemeinsamen Wanderung während der Bauarbeiten am Stadtcasino Basel. Wir nähern uns jetzt mit immer schnelleren Schritten dem Tag der Wiedereröffnung des Musiksaals. Im Münster erwartet Sie mit Bruckners 5. Sinfonie ein Gipfelwerk zwischen klarer Orchesterpolyfonie und transzendental schwebenden Choralmelodien. Bruckners Fünfte lässt uns erfahren, dass es neben der irdischen Mühsal auch eine höhere (göttliche) Ordnung geben kann. Wir freuen uns, dass wir Ihnen im Doppelkonzert von Johannes Brahms eine Solistin und einen Solisten aus den eigenen Reihen präsentieren können. Die südkoreanische Geigerin Soyoung Yoon ist unsere Konzertmeisterin. 2011 gewann sie die Goldmedaille des renommierten Henryk-Wieniawski-Violinwettbewerbs in Polen. Als Solistin gastiert sie weltweit in den grossen Konzertsälen. Unseren Solo-Cellisten Antoine Lederlin konnten Sie schon in der letzten Saison als Solisten kennenlernen. Er ist Mitglied des Belcea Quartet, das heute zu den weltweit besten Streichquartetten zählt. Wir möchten Ihnen in Zukunft vermehrt Solistinnen und Solisten aus den eigenen Reihen vorstellen. Unsere Musikerinnen und Musiker können Sie ausserdem in den verschiedenen Kammermusikformationen solistisch erleben.
SINFONIEKONZERT
Bild: Benno Hunziker
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VORVERKAUF, PREISE UND INFOS Bider & Tanner – Ihr Kulturhaus in Basel Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel +41 (0)61 206 99 96 ticket@biderundtanner.ch oder auf www.sinfonieorchesterbasel.ch Zugänglichkeit Das Basler Münster ist rollstuhlgängig; bitte benutzen Sie den Eingang rechts neben dem Hauptportal. Das Mitnehmen von Assistenzhunden ist erlaubt.
Preise CHF 70/50/30/20 3. Kategorie-Plätze nur mit eingeschränkter Sicht 4. Kategorie-Plätze nicht nummeriert und mit sehr eingeschränkter Sicht Im Hoch-Chor sind Liegestühle aufgestellt, welche als nicht nummerierte Plätze gelten. Ermässigungen Studierende, Schüler, Lehrlinge und mit der KulturLegi: 50% AHV/IV: CHF 5 mit der Kundenkarte Bider & Tanner: CHF 5 Assistenzpersonen von Menschen mit Behinderungen erhalten Freikarten, Rollstuhl-Plätze sind über das Orchesterbüro oder an der Abendkasse erhältlich (ticket@sinfonieorchesterbasel.ch).
SINFONIEKONZERT SOB
Bruckner+ Brahms und Berio Mittwoch, 29. August 2018 Donnerstag, 30. August 2018 19.30 Uhr 18.30 Uhr: Konzerteinführung mit Hans-Georg Hofmann am Mittwoch, 29. August, in der Allgemeinen Lesegesellschaft Basel am Donnerstag, 30. August, im Restaurant Isaak ca. 9’
ca. 35’
Johann Sebastian Bach (1685–1750)/Luciano Berio (1925–2003): Contrapunctus XIX aus Die Kunst der Fuge, transkribiert für 23 Spieler (1750/2001)
PAUS E ca. 80’
Anton Bruckner (1824–1896): Sinfonie Nr. 5 B-Dur, WAB 105 (1877) 1. Adagio – Allegro 2. Adagio 3. Scherzo: Molto vivace 4. Finale: Adagio – Allegro moderato Konzertende: ca. 22.10 Uhr (Konzert mit Überlänge)
Sinfonieorchester Basel Soyoung Yoon, Violine Antoine Lederlin, Violoncello Ivor Bolton, Leitung
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Johannes Brahms (1833–1897): Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a-Moll, op. 102 (1887) 1. Allegro 2. Andante 3. Vivace non troppo
INTERVIEW Soyoung Yoon und Antoine Lederlin im Gespräch
Heimspiel von Elisabeth Baureithel
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Die südkoreanische Geigerin Soyoung Yoon und der französische Cellist Antoine Lederlin treten international solistisch und in kammermusikalischen Formationen auf. Auch in Basel sind sie keine Unbekannten. Seit 2012 ist Soyoung Yoon 1. Konzertmeisterin des Sinfonieorchesters Basel, Antoine Lederlin kam 2003 als Solo-Cellist zum Orchester. Für einmal schlüpfen die beiden jetzt in eine neue Rolle. Sie eröffnen die Saison 2018/19 mit einem Doppelkonzert. Elisabeth Baureithel: Sie beide sind normalerweise selbst Teil des SOB, jetzt werden Sie als Solistin und Solist mit Ihren Kolleginnen und Kollegen auftreten. Gehen Sie darum anders an die gemeinsame Arbeit heran? Antoine Lederlin: Nein, nicht wirklich. Es ist natürlich toll, wenn man als Solist mit seinem Orchester arbeiten darf, mit Musikerinnen und Musikern, die man kennt und die einen unterstützen. Und ich möchte natürlich auch selbst mein Bestes geben, weil ich Teil dieses Orchesters bin. Das ist schon eine andere Rolle, die ich jetzt einnehme, aber es stört mich nicht. Soyoung Yoon: Bei mir ist das anders. Ich bin immer so nervös, wenn ich vor Freunden oder der Familie spielen muss. Und das SOB ist wie eine Familie für mich. Als ich das erste Mal ein kleines Solo – nur drei Takte – spielen musste, das war furchtbar. Aber mit der Zeit wurde das besser. Darum freue ich mich jetzt auch sehr auf das Konzert!
Sie werden das Konzert für Violine, Violoncello und Orchester von Johannes Brahms spielen. Was ist das für ein Stück? SY: Ich habe das Konzert noch nie zuvor gespielt, das wird also eine ganz schöne Herausforderung. Aber ich finde, es ist ein wunderschönes Konzert. Antoine hat es schon oft gespielt, und ich freue mich riesig, dass ich es zusammen mit ihm spielen darf, denn ich bewundere ihn sehr, er inspiriert mich. Wir haben zusammen geprobt, und ich habe viel von ihm gelernt. AL: Das Kompliment kann ich nur zurückgeben: Soyoung ist eine aussergewöhnliche Musikerin. Sie beherrscht ihre Geige, wie ich mein Cello nie beherrschen werde. Wir kennen uns seit sieben Jahren, und das hilft natürlich, wenn man sich gut kennt. Es gibt viele Dialoge im Konzert, da spiele ich lieber mit jemandem, den ich gut leiden kann. Aber ja, das stimmt, was Soyoung sagt: Ich kenne dieses Konzert. Das erste Mal habe ich es im Alter von achtzehn Jahren gespielt. Die Form ist schon besonders und irgendwie kompliziert, es gibt ja auch nicht viele Doppelkonzerte. Es ist schwieriger, als Solistin und Solist herauszustechen. Sie beide können sich also offenbar gut leiden, aber wie ist Ihre Beziehung zu Brahms? AL: Brahms fasziniert mich. Er hat viel geschrieben und viel wieder zerstört. Es gibt wenige Werke von ihm, die
Bild: Benno Hunziker
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erhalten sind. Vielleicht fasziniert mich ja das. SY: Ich mag Brahms auch gerne, aber seine Musik ist für mich schwierig zu spielen. Ich meine, er war immer liebeskrank, er liebte Clara Schumann so sehr, aber er wusste, dass diese Liebe niemals eine Zukunft haben würde. Und das spürt man: Diese Geschichte zwischen ihm und Clara ist immer präsent in seiner Musik. Wenn man einen Komponisten liebt, ist es umso schwieriger, seine Musik zu spielen.
Man hat höhere Erwartungen an sich selbst, man will alles richtig machen. Darum war ich nie ganz zufrieden mit meinen Brahms-Interpretationen. Unsere Beziehung ist also nicht ganz einfach. Und wie ist die Beziehung zu Ihren Instrumenten? Soyoung, Ihr Instrument ist die ‹ex-Bückeburg› von J. B. Guadagnini aus dem Jahr 1773. Sie spielen Sie jetzt seit dreizehn Jahren. Sie kennen sie sicher gut?
Bild: Benno Hunziker
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SY: Ja, meine Geige ist wie ein sehr guter Freund für mich. Auch sehr sensibel und manchmal ganz schön launisch. Dann weiss ich gar nicht, was ich mit meiner Geige anfangen soll. Aber in der Regel sind wir ein gutes Team. Und wie ist das bei Ihnen, Antoine? AL: Ich spiele ein Instrument von Matteo Goffriller aus dem 18. Jahrhundert. Es ist ein wunderbares Instrument, aber ich kenne es noch nicht so
gut, ich habe mein Cello nämlich erst seit sechs Monaten. Trotzdem hat die Beziehung zu meinem Instrument etwas sehr Sinnliches, ich habe es oft im Arm. Also würde ich sagen es ist wie eine anspruchsvolle Geliebte. Als Musikerin und Musiker erleben Sie sicher dann und wann verrückte Geschichten … AL: Das stimmt. Aber ich sollte besser keine Namen nennen, die Musikerwelt in Basel ist sehr klein (lacht)!
SY: Ich hatte einmal einen extrem peinlichen Moment auf der Bühne. 2014 war das, während eines wichtigen Konzerts in Korea. Der Verschluss meines Neckholder-Kleides hatte sich gelöst, und ich hätte beinahe mein Kleid verloren. Ich war gezwungen mitten im Konzert abzubrechen. Der Dirigent kam vom Podest zu mir herunter und musste mir das Kleid wieder schliessen. Das Publikum und das Orchester applaudierten, es war eigentlich lustig, aber natürlich auch sehr peinlich ... Seitdem trage ich keine Neckholder-Kleider mehr, aber auf die Bühne gehe ich trotzdem noch gerne. Zum Glück! Wollten Sie beide denn schon immer Musikerin und Musiker werden?
AL: Ich gehöre auch nicht zu den Menschen, die mit sechs Jahren eine Erleuchtung hatten. Ich hätte mir auch gut vorstellen können, etwas anderes zu machen. Reporter zum Beispiel. Ich habe mich immer für Geschichte, Politik und Journalismus interessiert. Aber Sie sind beide Musikerin und Musiker geworden. Was mögen Sie am meisten an Ihrem Job, und was mögen Sie überhaupt nicht? SY: Vor ein paar Jahren hätte ich noch gesagt: Reisen. Aber seit kurzem geniesse ich das Reisen sehr. Natürlich ist es immer noch ermüdend, man verbringt viel Zeit in Flughäfen, und ich mag Flughäfen überhaupt nicht. Aber ich liebe es, immer wieder an unbekannten Orten anzukommen, neue Menschen kennenzulernen. Eine
AL: Was ich liebe: Unser Beruf ist eine endlose Suche, man kommt nie an. Und was ich hasse: Genau das. Die Arbeit mit einem Instrument ist grossartig und ermüdend zugleich (lacht). Wie würden Sie sich selbst in drei Worten beschreiben? SY: Nur drei Worte (lacht)? Ich würde sagen: Geige, sensibel, asiatisch. Das klingt langweilig, aber … na ja. AL: Mhm … anspruchsvoll, verrückt und empfindlich. Und was ist Musik für Sie? SY: Musik ist eine wunderschöne Sprache, die ganz ohne Worte auskommt. AL: Für mich ist Musik einfach alles. Meine Leidenschaft, eine Obsession. Musik ist schon ein bisschen wie eine Droge. Eine Droge, von der Sie sich für ein Jahr verabschiedet haben, Soyoung Yoon. Sie haben sich eine Auszeit genommen vom Sinfonieorchester Basel. Was haben Sie jetzt vor? SY: Eigentlich hatte ich vor, ein Jahr Pause von der Geige zu machen. Nach Italien zu gehen und Italienisch zu lernen, weil ich die Sprache und das Leben dort liebe. Also etwas völlig anderes zu machen. Aber im Moment ist mein Kalender ziemlich voll mit Solokonzerten (lacht). g Das Interview wurde auf Englisch und Französisch geführt.
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SY: Nein, nicht unbedingt. Ärzte und der menschliche Körper faszinieren mich. Wenn ich nicht Geigerin geworden wäre, dann wäre ich wahrscheinlich Ärztin geworden. Aber ich glaube für einen Berufswechsel wäre es jetzt zu spät.
Musikerin zu sein, die viel reist – das weiss ich heute – ist ein Luxus. Was ich nicht mag, ist vielleicht das Alleinsein, das kommt in unserem Beruf oft vor. Darin bin ich nicht gut.
ZUM WERK Johannes Brahms Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a-Moll
Ein Versöhnungswerk
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von Sebastian Urmoneit Als «drolligen», «lustigen», ja «kuriosen» Einfall kündigte Brahms in Briefen 1887 sein Konzert für Violine, Violoncello und Orchester, sein Doppelkonzert, an. Dem Verleger Fritz Simrock gegenüber bezeichnete er es gar als «letzte Dummheit». Schon 1878, während der Komposition seines Violinkonzerts, hatte er es als heikel empfunden, für ein Instrument zu komponieren, dessen «Art und Klang» er «nur so beiläufig im Kopf» habe und darum «nur im Geist» höre, wie er Clara Schumann damals wissen liess. Knapp zehn Jahre später, während seines Sommeraufenthalts in Thun, hat er im Solo eines Konzerts gleich zwei Instrumente miteinander verbunden, die er nicht beherrschte und für deren Kombination sich kein Vorbild in der Kompositionsgeschichte finden lässt. Eine «achtsaitige Riesengeige» Hatte er sich zu der Komposition eines Violinkonzerts noch durchgerungen, scheute er ganz davor zurück, ein Konzert für Violoncello und Orchester zu schreiben, obwohl er bereits zwei Sonaten für Violoncello und Klavier vorgelegt hatte. Erst als er in den letzten Jahren seines Lebens Antonín Dvořáks zwischen 1894 und 1895 komponiertes Violincellokonzert kennenlernte, bekannte er, dass er selbst längst ein solches Konzert geschrieben hätte, wäre ihm nur bewusst gewesen, dass es sich so gestalten liesse, wie es Dvořák gelungen sei. In seinem letzten vollendeten Konzert, das sein letztes abgeschlossenes Orchesterwerk bleiben sollte, lässt sich eine Bevorzugung des
Violoncellos vor der Violine zwar nicht überhören, allein schon, weil alle thematischen Hauptgedanken von ihm eingeführt werden. Dennoch ist sein Opus 102 kein verkapptes Konzert für Violoncello und Orchester. Brahms verwob im Solo des Konzerts Violoncello und Violine so eng miteinander, dass sie fast zu einem einzigen Instrument zusammenzuwachsen scheinen. Nach Max Kalbeck, Brahms’ erstem Biografen, soll der Komponist sogar von einer «achtsaitigen Riesengeige» gesprochen haben. Als der letzte Enzyklopädist der Musikgeschichte blickt Brahms auch in seinem Doppelkonzert weit in die Kompositionsgeschichte zurück – bis zu Vivaldis Concerto con molti istromenti. In diesem ist die Praktik des Konzertierens insofern potenziert, als schon die Instrumente des Solos miteinander in Wettstreit treten, was in den Konzerten mit einem Soloinstrument auf das Gegenüber von Solo und Tutti beschränkt bleibt. Doch lässt Brahms im Solo seines Doppelkonzerts die beiden Soloinstrumente keinen Wettstreit miteinander führen. Wie Theodor Fontane es 1879 Mathilde von Rohr gegenüber betonte, sei «der Anfang immer das entscheidende»: Habe «mans darin gut getroffen, so muss der Rest mit einer Art von innerer Nothwendigkeit gelingen, wie ein richtig behandeltes Tannenreis von selbst zu einer geraden und untadeligen Tanne aufwächst». Brahms eröffnet das Konzert wuchtig im Orchester und lässt sehr deutlich den für ihn so typischen
Bild: Wikimedia Commons
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Das Joachim-Quartett mit Heinrich de Ahna (links, Violine), Robert Hausmann (oben, Violoncello), Emanuel Wirth (rechts, Violine) und Joseph Joachim (unten, Violine) um 1884
‹Konfliktrhythmus› 2 gegen 3 erklingen. Dann setzen Violoncello und Violine getrennt ein. Sie bewegen sich allmählich aufeinander zu, ihre Figuren werden immer ähnlicher bis sie schliesslich im Unisono miteinander parallel geführt werden. Die das Eingangs-Solo beschliessende Kadenz darf mit Johannes Forner als ein «musikalisch vollzogener Händedruck» gehört werden. All dies vernahm offenbar auch Clara Schumann, als sie am 21. September 1887 in ihr Tagebuch notierte, dass dieses «Concert
gewissermassen ein Versöhnungswerk» sei. Zwist und Versöhnung mit Joseph Joachim Die fast dreissig Jahre währende Freundschaft zwischen Brahms und Joseph Joachim war Anfang der 1880er-Jahre erkaltet, weil sich Brahms im Ehezerwürfnis zwischen Joachim und der Altistin Amalie Weiss auf die Seite der Frau gestellt hatte, was ihm Joachim nicht verzeihen wollte. Erst mit einer künstlerischen Frage gelang
dirigierte das Gürzenich-Orchester Joachim und Robert Hausmann spielten die Solopartien. Nach der Uraufführung stand Brahms im Künstlerzimmer und wusste sich kaum vor den wohlgemeinten Komplimenten zu retten. Da soll ihm Margret Ross, eine Verwandte des mit ihm befreundeten Regierungsrats Robert von Schnitzler, gönnerhaft auf die Schulter geklopft und gesagt haben: «Recht talentvoll, Herr Brahms, aus Ihnen kann noch mal was werden.» Dem Entsetzen aller Umherstehenden stand eine grosse Heiterkeit bei Brahms gegenüber. g
Konzert für Violine, Violoncello und Orchester Besetzung 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, Pauken, Streicher Entstehung 1887 Uraufführung 18. Oktober 1887 im Kölner Gürzenich mit dem Gürzenich-Orchester (Johannes Brahm, Leitung; Joseph Joachim, Violine; Robert Hausmann, Violoncello) Widmung Joseph Joachim Dauer ca. 35 Minuten
Bild: Benno Hunziker
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es Brahms, das Schweigen zu brechen. Wie in alten Zeiten wandte er sich an den Geiger mit der Bitte um Korrektur der ersten Solostimme seines Doppelkonzerts und schrieb ihm: «[…] mache Dich auf einen kleinen Schreck gefasst! Ich konnte nämlich derzeit den Einfällen zu einem Konzert für Violine und Violoncello nicht widerstehen, so sehr ich es mir auch immer wieder auszureden versuchte. Nun ist mir alles Mögliche an der Sache gleichgültig, bis auf die Frage, wie Du Dich dazu verhalten möchtest. Vor allem bitte ich in aller Herzlichkeit und Freundlichkeit, dass Du Dich nicht im geringsten genierst. Wenn Du mir eine Karte schickst, auf der einfach steht: ‹Ich verzichte›, so weiss ich mir selbst alles Weitere und genug zu sagen. […] Ich sage nicht laut und ausführlich, was ich leise hoffe und wünsche.» Joachim hatte offenbar auf Brahms nur gewartet, denn er schlug sofort ein. Einer möglichen Enttäuschung darüber, kein zweites Violinkonzert zu erhalten, sondern ein Werk, das ihn zwang, den Solopart mit dem Violoncello zu teilen, beugte Brahms mit kleinen Empfehlungen vor: So ging er im Seitenthema des Kopfsatzes auf das Hauptthema des 22. Violinkonzerts Giovanni Battista Viottis zurück, das beide häufig gemeinsam aufgeführt hatten. Im Rondo spielte er sogar auf Joachims eigenes Violinkonzert in ungarischer Weise, op. 11, an. Als 1888 die gedruckte Partitur vorlag, übersandte Brahms ein Exemplar an Joachim mit folgender Widmung: «An den[,] für den es geschrieben[,] mit herzlichen Grüssen J. B.» Die Uraufführung fand am 18. Oktober 1887 in Köln statt. Brahms
Ivor Bolton. Biografie auf www.sinfonieorchesterbasel.ch/de/orchester/chefdirigent
ZUM WERK Johann Sebastian Bach/Luciano Berio Contrapunctus XIX aus Die Kunst der Fuge, transkribiert für 23 Spieler
Ein Cluster auf B-A-C-H
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von Michael Preis Johann Sebastian Bach ist gestorben, bevor er den Contrapunctus XIX für den Druck hätte freigeben können. Über den Schluss dieser Fuge wird viel gerätselt. Hat Bach ihn noch aufgeschrieben? Möglich. Aber ein entsprechendes Notenblatt ist nicht überliefert. Wer dieses letzte Stück aus Bachs Kunst der Fuge aufführen möchte, hat mehrere Möglichkeiten: Manche Interpreten spielen den Zyklus nur bis zu dem Punkt, an dem die letzte der Fugen plötzlich abbricht. Andere halten sich an Versionen, die am Schluss nicht mehr der Bach’schen Vorlage entsprechen. Von Anton Webern zu Luciano Berio Der italienische Komponist Luciano Berio hat das unvollendete ‹Finale› aus der Kunst der Fuge insgesamt einer Bearbeitung unterzogen. Das dem Andenken Giuseppe Sinopolis gewidmete Stück erinnert entfernt an Anton Weberns berühmte Adaption des 2. Ricercars aus Bachs Musikalischem Opfer. Webern hütete sich, Bach dort noch übertreffen zu wollen, wo er kaum zu überbieten war: in der Kunst des Kontrapunkts, wo sich voneinander unabhängige Melodien zu bezwingenden Harmonien ineinanderfügen. Webern hatte die von ihm ausgesuchte Komposition Bachs im Jahr 1935 nach ganz eigenwilligen Regeln neu instrumentiert. Die Tonfolgen, die bei Bach von einer Stimme oder Gruppe gespielt werden, erklingen bei Webern zwar noch als eigenständige Melodien. Allerdings spaltet Webern diese in einzelne Motive auf. Letztere wiederum
lässt er von jeweils unterschiedlichen Instrumenten wiedergeben: Durch dieses sukzessive Zusammenwirken verschiedener Instrumente entsteht innerhalb von Bachs ursprünglichen Melodien immer wieder etwas gänzlich Neues: eine «Klangfarbenmelodie» (Arnold Schönberg). Kaleidoskop aus Klangfarben Knapp siebzig Jahre nach Weberns Kabinettstück hat sich Luciano Berio an Bachs Contrapunctus XIX gewagt. Seine Bearbeitung besteht im Wesentlichen ebenfalls darin, die bereits vorhandene Musik nach neuen Gesichtspunkten zu instrumentieren. Ähnlich wie Webern setzt Berio die unveränderten Melodien in ihren Klangfarben neu zusammen, indem er die einzelnen Motivpartikel kaleidoskopartig von verschiedenen Instrumenten hervorbringen lässt. Allerdings klingt Berios Stück dabei weniger intellektualistisch als Weberns Auseinandersetzung mit Bach. Berio hat die von ihm gewählte Komposition für ein Ensemble aus 23 Stimmen gesetzt. Den grössten Anteil darin haben die Holzbläser inklusive zweier Saxofone. Berio gewinnt in seiner Instrumentation einen ganz eigenartig getragenen und dabei in sich flexiblen Mischklang, der hin und wieder an die festlichen Töne einer Orgel erinnert, manchmal aber auch an die Melancholie eines Akkordeons. Wie beim Musikalischen Opfer hat man sich in der Forschung gefragt, für welches Instrument Bachs Kunst der Fuge ursprünglich vorgesehen war.
Contrapunctus XIX Besetzung 4 Flöten, Oboe, Englischhorn, 3 Klarinetten, Fagott, 2 Hörner, 2 Trompeten, Posaune, Harfe, Altsaxofon, Tenorsaxofon, Violine, 2 Violen, Violoncello, Kontrabass Entstehung 1750, bearbeitet 2001 Uraufführung 31. Mai 2001 in Spoleto mit dem European Orchestra of Teatro Lirico Sperimentale unter der Leitung von Marcello Bufalini Widmung «a Giuseppe Sinopoli, in memoriam» Dauer ca. 9 Minuten
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Historisch informierte Puristen wünschen sich aus guten Gründen eine Aufführung auf einem Tasteninstrument, Orgel zum Beispiel oder Cembalo. Daneben aber existieren heute Fassungen für Streicher, Blechbläserensemble oder gar Saxofonquartett. Luciano Berio dürfte solche Möglichkeiten im Ohr gehabt haben. Dass er mit Bachs Erbe entspannt umging, hört man seiner Musik an. Das Schlussstück aus der Kunst der Fuge bricht ab, nachdem die Töne B-A-C-H als Thema eingeführt worden sind. Berio lässt seine Version des Contrapunctus XIX mit einem die Töne B-A-C-H umfassenden Cluster enden. Die bei Bach nacheinander zu spielenden Noten erklingen in Berios Version also am Ende gleichzeitig. Das hört sich an, als wäre Bach kurz schwindlig geworden, während er an der Orgel sass. So schwindlig, dass der gebrechliche Mann sich mit der Hand auf den Tasten Halt verschaffen musste. g
AUS DER PAUL SACHER STIFTUNG Johann Sebastian Bach/Luciano Berio Patriturbetrachtungen
Eine «Meditation über die Vielgestaltigkeit der Welt»: Bach durch Berio durch Bach
«Wenn ich an Mozart, Wagner oder Debussy denke» – so schrieb Berio im Jahr 2001 – «rufe ich im Geist ganz bestimmte Werke auf, die sich mit meinen eigenen Werten und Interessen decken. Bei Bach aber reizt es mich nicht, die einzelnen Werke in eine lineare zeitliche Abfolge einzubetten. Die Tatsache, dass das offizielle Werkverzeichnis (BWV) anscheinend nicht immer mit den Kalenderdaten übereinstimmt, erhält so eine fast symbolische Bedeutung.»1 Im selben Jahr (2001) realisierte Berio ein ehrgeiziges ‹Progetto di trascrizione e rielaborazione› (Transkriptions- und Bearbeitungsprojekt) mit Bezug auf die Bach’sche Kunst der Fuge, das er im Jahr 1999 entwickelt hatte und das im Jahr 2000 von der Europäischen Kommission als ‹Special European and International Cultural Event of the year› ausgezeichnet worden war. Mit diesem ambitionierten Projekt sollte – ganz im Sinn und Geist der ‹Zeitlosigkeit› des BWV – eine Brücke zwischen dem Einst und dem Jetzt geschlagen werden bzw. ein Dialog und eine Verknüpfung zwischen Bach als dem Komponisten der Kunst der Fuge und unserer Zeit entstehen, um die Kontinuität, die Präsenz, die Aktualität und nicht zuletzt den ‹essenziellen Charakter› seines Werks aufzuzeigen. Ursprünglich hatte der Musikkritiker Michelangelo Zurletti angedacht, die Kunst der Fuge so aufzuführen, wie Bach sie hinterlassen hatte, und die vier
Teile des Werks Künstlerinnen und Künstlern aus verschiedenen europäischen Schulen zu überlassen. Nachdem das Projekt Luciano Berio anvertraut worden war, erfuhr es eine radikale Neuausrichtung in Form einer umfassenden Überarbeitung der Kunst der Fuge. Das Projekt wurde für freie Instrumentalensembles geöffnet und verstand sich als mehrhändiges Versuchsfeld. Die Transkription der einzelnen Contrapuncti wurde mehreren europäischen Komponisten anvertraut, die bereits einen gewissen Ruf hatten (unter anderem Louis Andriessen, Luis De Pablo, Aldo Clementi und Betsy Jolas), sowie Dozierenden und Studierenden im Fach Komposition an fünf europäischen Konservatorien: Lyon, Leipzig, London, Den Haag und Turin. Als Grundlage für das gesamte Transkriptionsprojekt diente die von H. Diener zusammengestellte kritische Ausgabe des Verlags Bärenreiter aus dem Jahr 1956, in welcher die Contrapuncti die Nummern I bis XVIII tragen. Bei der Besetzung hatten die Komponierenden weitgehend freie Hand – angefangen bei den ganz traditionellen Instrumenten eines klassischen Orchesters über Gesangsstimmen bis hin zu elektronischen Instrumenten. Die schwierigste Aufgabe, die Transkription und Vollendung der majestätischen und unvollendeten Schlussfuge, wurde von Berio selbst in Angriff genommen. Für seine Bearbeitung
1 Vgl. Luciano Berio, Il mio Bach (1985, rev. 2001), in: Scritti sulla musica, Hg. Angela Ida De Benedictis, Einaudi, Turin 2013, S. 324 –325. Idem für das Zitat am Ende des Textes.
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von Angela Ida De Benedictis
Seine Lesung und Interpretation, sein allmählicher Aufbau eines Klangfarben-Kontrapunkts im eigentlichen Sinne zeigen sich in jedem handschriftlichen Vermerk auf den gedruckten Seiten, auf den sich in nuce bereits die ersten Angaben für Instrumente und Dynamik finden, die anschliessend in der Reinschrift für die Drucklegung durch die Universal Edition fixiert wurden (auch diese findet sich in Basel im Nachlass des Komponisten). Als besonders wichtig erweist sich eine Anmerkung auf der Seite unmittelbar vor dem Abbruch der Fuge, wo sich die Noten B-A-C-H deutlich abzeichnen: «da qui prolungare le note quando possibile» («Noten ab hier sofern möglich lange halten») (Abb. 1, Ed.
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Bild: Paul Sacher Stiftung
nutzte Berio schliesslich jedoch nicht die Bärenreiter-Ausgabe, sondern die neuere Dover-Ausgabe aus dem Jahr 1992 von Alfred Dörffel und Wolfgang Graeser (The Art of the Fugue & A Musical Offering), in der diese unvollendete Fuge als Contrapunctus XIX bezeichnet wird. Berios Arbeitsexemplar ist Teil des Inventars der Paul Sacher Stiftung. Es enthält deutliche Verweise auf die endgültige Orchestrierung mit einer definitiven Besetzung für 23 Instrumente, die als erster Entwurf schon am oberen Rand der ersten Seite des Auszugs notiert ist. Die einzelnen Seiten sind übersät mit analytischen und propädeutischen Notizen für die Bearbeitung; sie illustrieren den engen Dialog, den Berio mit Bach eingeht:
Abbildung 1
der Partitur angibt («sparire») – findet eine Art metareferenzielle Hommage an die Kunst der Transkription statt, bei der Bach sowohl Vorbild als auch Grundlage ist. Contrapunctus XIX kann man daher als Denkmal für einen und über einen Komponisten verstehen, für den «die Transkription eine Funktion der schöpferischen Arbeit wird, der Archaismus eine Funktion der Entwicklung und der Synthese und die Strenge eine Funktion der Freiheit. Dies ist jedoch nicht alles. Der Bach’sche Kontrapunkt ist auch eine Meditation über die Vielgestaltigkeit der Welt: ein Blick, der die Vergangenheit und die Zukunft bis ins Innerste durchdringt und überwindet». g
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Bild: Paul Sacher Stiftung
Dover, S. 171). In diesem Vermerk verbirgt sich die von Berio gewählte Lösung zum Abschluss des von Bach nicht vollendeten Teils: Anstelle eines Finales, für das wie von Bach im Idealfall gewünscht ein viertes kontrapunktisches Thema geschaffen werden sollte oder in dem das bis anhin gegebene Material weiterentwickelt würde, entscheidet sich Berio für einen Abschluss der Fuge durch eine ‹Verlängerung› der Noten B-A-C-H in einem suspendierten Akkord, der zwingend nicht aufgelöst wird und absichtlich dissonant ausfällt (Abb. 2). Mit hochdramatischer Wirkung: Im Nachhall dieses letzten Clusters – der bis zum definitiven Verhallen im Raum stehen gelassen wird, wie Berio in
Abbildung 2
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ZUM WERK Anton Bruckner Sinfonie Nr. 5 B-Dur, WAB 105
Süsser Kern in harter Schale – Anton Bruckner und das Mysterium der 5. Sinfonie
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von Jürgen Ostmann «Der letzte Sinfoniesatz bei Bruckner ist wohl durchgängig eine harte Nuss, an der man sich die Zähne ausbeissen kann […]. Das sind alles Töne aus anderen Welten, abgrundtiefe Mysterien, die man wohl schaudernd ahnen, aber niemals enträtseln wird», bemerkte Hugo Wolf, wenige Monate nach dem Tod seines Kollegen, in einem Brief. Und der Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick schrieb 1890 anlässlich einer Aufführung der 3. Sinfonie: «Wie helle Blitze leuchten hier vier, dort acht Takte in eigenartiger Schönheit auf; dazwischen liegt wieder verwirrendes Dunkel, müde Abspannung und fieberhafte Überreizung. […] Es bleibt ein psychologisches Rätsel, wie dieser sanfteste und friedfertigste aller Menschen […] im Moment des Komponierens Anarchist wird, der unbarmherzig alles opfert, was Logik und Klarheit der Entwicklung, Einheit der Form und der Tonalität heisst. Wie eine unförmige glühende Rauchsäule steigt seine Musik auf, bald diese, bald jene groteske Gestalt annehmend.» Von «eigenartiger Schönheit» Bruckners Sinfonik erschien den meisten Zeitgenossen rätselhaft. Gegnern wie Hanslick oder Brahms ohnehin, ebenso aber auch den Anhängern. Gerade die Freunde und wohlmeinenden Kollegen drängten Bruckner
immer wieder dazu, seine Werke zu überarbeiten und zugänglicher zu gestalten. Oder sie griffen, wie beispielsweise Franz Schalk oder Gustav Mahler im Fall der 5. Sinfonie, selbst massiv in seine Partituren ein. In der Originalfassung hat Bruckner dieses zwischen 1873 und 1877 entstandene Werk nie zu hören bekommen. Lediglich eine Bearbeitung für zwei Klaviere konnte er 1887 erleben. Als Schalk die Fünfte 1894 in Graz erstmals mit Orchester aufführte, war Bruckner bereits zu krank, um anzureisen. Was ihm immerhin einige Aufregung ersparte: Er hätte das von seinem Schüler neu instrumentierte und gekürzte Werk womöglich nicht wiedererkannt. So wie Bruckner seine Sinfonie tatsächlich komponiert hatte, erklang sie überhaupt erstmals 1935; allerdings wird sie heute fast immer in der authentischen Fassung aufgeführt, die seit 1951 in der Neuen Bruckner-Ausgabe vorliegt. Wäre die originale Fünfte schon dem zeitgenössischen Publikum zugänglich gewesen, es hätte sie wohl kaum anders beurteilt als die ‹verwirrende› Dritte. Bereits der Beginn des Kopfsatzes macht das deutlich: Über kontinuierlichem Pizzicato der tiefen Streicher setzen die Geigen und Bratschen sehr zart und ruhig mit einem altertümlich-polyfonen
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vierstimmigen Satz ein. Zweifellos ist macht. Auch wenn sich ihre volle das eine dieser Stellen von «eigenKomplexität erst nach oftmaligem artiger Schönheit», doch nach wenigen Hören und Partiturlesen erschliesst, Takten schon ist sie vorüber. Auf eine lassen sich doch einige Anhaltspunkte Generalpause folgt ein Fortissimo des geben. Im 1. Satz schliesst sich an ganzen Orchesters: ein gebrochener die beschriebene Einleitung sogleich Ges-Dur-Dreiklang, weit von der Grund- das Hauptthema an; Bratschen und tonart entfernt, gespielt in zackig Celli spielen es zum Tremolo der punktiertem Rhythmus. Wieder eine Geigen. Es prägt den Satz weit stärker Generalpause. Dann die kraftvolle, als die beiden folgenden Themen: eine hymnische Antwort der Blechbläser. synkopisch rhythmisierte GeigenkantiVon weiteren Pausen abgetrennt erneut lene über Pizzicato-Begleitung und Tutti-Dreiklang und Bläserhymne. eine Unisono-Melodie der Holzbläser. Pause und Tempowechsel. Rascher Neben diesen drei Gedanken bleiben und in dreifachem Piano nehmen die weiterhin auch die Motive aus der zweiten Geigen das Motiv der tiefen Introduktion präsent: Sie eröffnen Blechbläser auf, eine Gegenmelodie der beispielsweise den Durchführungsteil. ersten Geigen tritt hinzu, und ihr Wechselspiel, dem sich immer mehr Adagio und Scherzo Instrumente anschliessen, schaukelt Der 2. Satz beginnt ganz wie der 1. mit sich hoch bis zu einem Fortissimoeinem leisen Pizzicato-Puls – nicht Höhepunkt. All diese scheinbar isoumsonst erhielt das Werk von Musilierten Ereignisse, die zusammen die kern bald den Beinamen ‹PizzicatoAdagio-Introduktion bilden, spielen sich Sinfonie›. Über der triolischen Begleiinnerhalb von kaum mehr als zwei tung entfaltet sich eine Oboenmelodie Minuten ab. So ähnlich könnte man sie in duolischem Rhythmus, was eine sich wohl vorstellen – Hanslicks eigentümlich schwebende Wirkung «unförmige glühende Rauchsäule […], ergibt. Sie steht in deutlichem Kontrast bald diese, bald jene groteske Gestalt zum folgenden «sehr kräftig, markig» annehmend». Dass solche Musik zu spielenden Streicherthema. Aus anfangs auf Unverständnis stossen dem Wechsel beider Charaktere musste, mag einleuchten. entwickelt sich die fünfteilige Form des Satzes. An das Adagio schliesst sich Adagio – Allegro wiederum der 3. Satz, das Scherzo, sehr Wie soll man Bruckners Fünfte also eng an: Er beginnt mit der gleichen hören? Sich auf «schöne Stellen» und Begleitfigur, allerdings in einer beeindrucksvolle Steigerungen zu schleunigten Fassung und gestrichen konzentrieren wäre eine einfache statt gezupft. Zwei Themen bestimmen Möglichkeit, die dem Werk indes nicht den Hauptteil des Scherzos. Das erste ist wirklich gerecht wird. Angemessener bereits nach wenigen Takten in den ist es fraglos, sich den überwältigenden Holzbläsern zu hören, das zweite, Beziehungsreichtum zu vergegenwärti- «bedeutend langsamer» vorgetragen, gen, der die Sinfonie über alle Brüche wenig später in den Violinen; es lässt an hinweg zu einem sinnvollen Ganzen einen gemütlichen Ländler denken.
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Finale Einzigartig in der gesamten Sinfonik ist womöglich der Beginn des Finales: Er wiederholt einfach die Eröffnung der Sinfonie, das gleiche Bass-Pizzicato, den gleichen vierstimmigen Violinund Bratschensatz. Hinzu kommt lediglich ein Oktav-Motiv der Klarinette, das den Einsatz des Final-Hauptthemas vorbereitet. Bevor dieses nun in einem ersten kleinen Fugato ausgearbeitet wird, hört man allerdings noch weitere Reminiszenzen an die vorangegangenen Sätze: das Hauptthema des Kopfsatzes in Bratschen und Celli oder die Oboenmelodie aus dem Adagio. Auf das Fugato folgt ein zweites Thema, das an die Ländlermelodie des Scherzos erinnert, und als dritter Gedanke ein Blechbläserchoral. Den sonst üblichen Durchführungsteil ersetzt sodann eine weiträumige Doppelfuge: Die Bratschen beginnen sie leise mit dem Choralthema, und bald tritt das erste Thema (erkennbar an Oktavsprung und punktiertem Rhythmus) hinzu. Die beiden Themen und diverse Kontrasubjekte sind oft simultan zu hören, wobei Bruckner Engführung (rasche Folge der Themeneinsätze), Umkehrung (Aufwärtsbewegung wird zu entsprechender Abwärtsbewegung und umgekehrt) und andere polyfone Künste der Vergangenheit virtuos zum Einsatz bringt. Nach der Fuge spielt noch einmal das Hauptthema aus dem Kopfsatz eine wichtige Rolle, bevor der Choral zu einer triumphalen Schlusssteigerung geführt wird.
Überwältigender Beziehungsreichtum Dieses Netzwerk aus Bezügen und Kombinationen, Vorwegnahmen und Rückbesinnungen, Ableitungen und Kontrasten hat Bruckner natürlich noch weit feiner ausgesponnen, als es hier angedeutet werden konnte. Themen und Motive, die zunächst unverbunden nebeneinanderstehen, erweisen sich bei näherer Betrachtung als Teile einer grossen, satzübergreifenden Einheit. Sie zu ergründen, verlangt dem Orchester und Publikum ein hohes Mass an Hör- und Erinnerungsarbeit ab, gerade angesichts der gewaltigen Dimensionen des Werks. Doch es lohnt die Anstrengung, sich dem Mysterium der Fünften anzunähern. Wie schwärmte doch Hugo Wolf im eingangs zitierten Brief: «Welch süsser Kern steckt in dieser harten Schale! Man darf sich nur nicht die Mühe verdriessen lassen dahinter zu kommen.» g
Sinfonie Nr. 5 Besetzung 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauke, Streicher Entstehung 1873 – 1877 Uraufführung 9. April 1894 in Graz durch das Städtische Orchester Graz unter der Leitung von Franz Schalk Widmung Dr. Karl Ritter von Stremayr (Minister für Kultus und Unterricht) Dauer ca. 80 Minuten
Bild: Ă–sterreichische Nationalbibliothek
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Anton Bruckner Kupfertiefdruck nach einer Fotografie von W. Jerie, Marienbad 1873
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Von Kopf bis Schwanz. Und von der Wurzel bis zum Blatt. Konsequent regional und saisonal.
Predigerhofstrasse 172 4153 Reinach +41 61 262 21 12 willkommen@restaurant-predigerhof.ch restaurant-predigerhof.ch Mittwoch bis Samstag: 10 bis 23 Uhr Sonntag: 10 bis 21 Uhr Montag und Dienstag Ruhetag
KOLUMNE
Am Schreibtisch mit Anton Bruckner von Benjamin Herzog und erst die Kunst gebe ihnen ihr höchstes Ansehn. Da mag auch meine Nuss ein roh Sämlein sein. Doch ist es meine Aufgabe nicht, dies Sämlein zum Keimen und Erblühen zu bringen? Das soggetto der zwölf canones, dieser Dreiklang in d-Moll, ist gewiss keine musikalische Galanterie, wie sie heute Mode ist. Das soggetto ist wie eine Nuss. Und diese Töne aus allen ihren perspectiva zu beleuchten, wie es nur die hohe Kunst der Fuge kann, das ist mein Sinnen, das ist meine Pflicht. Daran mahnet mich die Nuss in meiner Rechten. Ah, bevor ich mir ein letztes Pfeiflein gönne: Der kleine Christoph Friedrich fragte mich doch heute Nachmittag, warum er die Stimmen als Partitur setzen solle. Ob diese Musica denn für ein consortium instrumentalis gedencket sei? Der Gute, der Liebe ... Ich musste ihm die alte Tradition des Intavolierens in Erinnerung rufen. Wo der Organist aus vier Stimmen vocaliter einen Orgelsatz zusammensetzt. Die canones sind daher für’s Clavier gedacht, punktum. Doch wer weiss ... Wenn mein Nüsslein einst zum Baum geworden und jener wieder neue Nüsslein auf die Erd’ geworfen und so weiter – was werden sie dann mit meinen Fugen anstellen? Sie im Quartette spielen? Gar sie setzen für neuartige instrumenta? Mir schweisst’s in der Hand bei dem Gedanken. Es kratzt mich unter der Perücken. Nun gut, solange mir mein Nüsslein bleibet, solange mögen solche Gedanken in dessen Furchen schwinden. g
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Die Nuss hier, die darf niemand sehen. Normalerweise halte ich sie ja auch im Tobacksbeutel verborgen, zusammen mit meiner Pfeife. Doch wenn ich mich an die canones setze, dann lasse ich sie nur zu gerne in der rechten Hand liegen. Sie ist mir ein symbolum geworden seit jener Fahrt auf’s Land zu seiner Gnaden Carl Heinrich von Dieskau. Wie lange mag das nun her sein? Deren sechs Jahre bestimmt. Jedenfalls, seine Gnaden geruhte damals meine Wenigkeit anlässlich ihres Geburtstags mit einer Kantate zu beauftragen. Ich schrieb ein derbes Bauernstück. Während des Feuerwerks hernach rollte mir dies runde Ding vor die Füsse. Ich kam darob ins Sinnen. Eine Nuss, daraus erspriesset wohl ein Baum, so Gott es zulässt. Und dieser treibet Blüten, und daraus fallen wieder Nüsse. Und alles mag von vorne beginnen. Ich hob sie also auf, die Nuss. Und jetzt, während mir der gute Johann Christoph Friedrich die Noten der canones aufschreibt, ruht sie in meiner Hand. Sehen kann ich sie kaum mehr. Seit der letzten Operation bei Taylor geht’s mir mit dem Augenlicht bachab. Doch ist sie mir vertraut, die Nuss, mit jeder ihrer Furchen. Ich drehe sie ein wenig, und schon fällt mir ein neuer contrapunctus ein, schon weiss ich jene Stimme auf noch wohlklingendere Weise zu setzen. Ja, die voces der neuen Clavierübung sollen allesamt miteinander tätig werden und dabei in vollkommener harmonia aufgehen. Magister Birnbaum mag schon recht gehabt haben, wenn er meinte, die Natur liefere die Dinge höchst ungestalt,
PREMIERENGESCHICHTEN Teil 9
Eheberater Brahms
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von Sigfried Schibli Als am 18. Oktober 1887 im Kölner Gürzenich-Saal die Uraufführung des Doppelkonzerts von Johannes Brahms mit den Solisten Joseph Joachim (Violine) und Robert Hausmann (Violoncello) unter der Leitung des Komponisten über die Bühne ging, atmeten einige Betroffene spürbar auf. Denn dieses Konzert war nicht nur ein künstlerisches Event. Es war auch das klingende Dokument einer Versöhnung – der Versöhnung von Brahms mit seinem langjährigen Freund Joseph Joachim. Der enge freundschaftliche Kontakt zwischen den beiden Männern war 1881 zerbrochen und lag sechs Jahre lang auf Eis. Wie so oft in Männerfreundschaften war eine Frau die Ursache – aber von einem Beziehungsdrama kann keine Rede sein. Vielmehr konnte es Brahms, der erzprotestantische Moralist, nicht hinnehmen, dass sein Freund und Berater Joachim sich von seiner Frau Amalie Joachim geborene Weiss (eigentlich Schneeweiss) trennen wollte. Sie war eine Sängerin, die schon in jungen Jahren grosse Erfolge feierte. 1863 hatte sie den Geiger Joseph Joachim geheiratet; im gleichen Jahr widmete ihr Brahms seine Vier Duette, op. 28. Amalie und Joseph Joachim bekamen bis 1881 nicht weniger als sechs Kinder. Angeblich war Joseph Joachim krankhaft eifersüchtig, speziell auf den Verleger Fritz Simrock. Ob er dazu Gründe hatte, wissen wir nicht. Jedenfalls konnte Brahms dieses in seinen Augen unsinnige Misstrauen und den Trennungswunsch seines Freundes nicht akzeptieren. Das Scheitern der
Joseph Joachim und Amalie Weiss
Bild: Wikimedia Commons
war, lässt sich im Nachhinein nicht entscheiden. Wie viele Unverheiratete hatte Brahms ein unrealistisches, idealisiertes Bild von der Ehe. Dass in einer langjährigen Beziehung die Fetzen fliegen können und es sogar zur Trennung kommen kann, wollte ihm nicht in den Kopf. Mit dem Doppelkonzert für die beiden Soloinstrumente Geige und Cello schuf er so etwas wie ein klingendes Bild für die gelungene Beziehung von Frau und Mann. Ein Sopran- und ein Tenor-Streichinstrument – sind das nicht Symbole für die beiden Geschlechter? Dennoch blieb über diesem Werk ein Schatten. Freunde und Kritiker taten sich gerade mit dem Doppelkonzert schwer. Clara Schumann hielt die Idee eines Konzerts für Violine und Violoncello für «keine ganz glückliche». Obwohl die Komposition interessant und geistvoll sei, wehe «nirgends ein so frischer warmer Zug als in Vielen andern seiner Sachen». Und der Brahms-Freund Theodor Billroth nannte das Werk gar «trostlos, langweilig, die reine Greisenproduktion». Er kenne, so der Chirurg Billroth gegenüber dem Musikkritiker Eduard Hanslick, «kein unbedeutenderes Werk unseres lieben Freundes». Auch Hanslick selbst, sonst ein flammender Brahms-Anhänger, äusserte künstlerische Zweifel: «So ein Doppelkonzert ähnelt einem Drama, das anstatt eines Helden deren zwei besitzt, welche [...] einander nur im Wege stehen.» g
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Ehe von Joseph und Amalie Joachim zog auch die langjährige Freundschaft zwischen Brahms und Joachim in den Abgrund. Gerade Brahms, der es im eigenen Leben nie zu einer Eheschliessung brachte und zeitlebens Junggeselle blieb, betätigte sich als Experte in Ehefragen! Als selbsternannter Eheberater mischte er sich in eine Angelegenheit ein, die ihn im Grunde nichts anging. Und Brahms scheute sich nicht, seine Parteinahme für Amalie auch noch schriftlich zu dokumentieren. Im Ehestreit mit ihrem Mann liess Amalie – eine von vielen bewunderte und umschwärmte Sängerin – vor Gericht einen Brief von Brahms an sie verlesen, in welchem der Komponist sein volles Vertrauen in die eheliche Treue Amalies zum Ausdruck brachte. Ohne Erfolg übrigens – die Ehe wurde 1884 nach 21 Jahren geschieden. Seit diesen Ereignissen war die Freundschaft der beiden Männer getrübt. Erst während des Entstehens seines Doppelkonzerts fanden sie in vorgerücktem Alter wieder Kontakt zueinander. «Joachim und Brahms haben sich seit Jahren zum ersten Mal wieder gesprochen», hielt Brahms’ Freundin Clara Schumann im September 1887 in ihrem Tagebuch fest, nachdem die beiden Musiker endlich wieder über musikalische Fachfragen korrespondiert und in Baden-Baden eine Klavierprobe und eine Orchesterprobe mit dem Kurorchester absolviert hatten. Mit der Uraufführung des neuen Werks war die Versöhnung geleistet. Ob sie auch restlos geglückt
VORGESTELLT Christian Vaucher, Bratschist im Sinfonieorchester Basel
«Ein vergängliches Glück»
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von Cristina Steinle Die Saison 2018/19 ist für den Fribourger Christian Vaucher die 27. Spielzeit im SOB. Doch seine Orchestertätigkeit reicht viel weiter zurück: Bereits mit elf Jahren trat er ins Orchestre des Jeunes de Fribourg ein. Hier wechselte er auch von der Geige zur Bratsche – wie so oft, weil Bratschistinnen und Bratschisten im Orchester untervertreten waren. Für seine Reifeprüfung zog es ihn dann nach Amsterdam, wo er sich auch als fester Zuzüger seine Sporen im Concertgebouw-Orchester verdienen musste. Im Gespräch kamen wir allerdings sehr schnell auf sein langjähriges Hobby, die Ornithologie, zu sprechen ... Christian Vaucher: Schon als Jugendlicher beobachtete ich in Estavayerle-Lac, wo ich aufgewachsen bin, die Ornithologen, welche Beringungen durchführten. Das hat mich sehr fasziniert. Aber erst als ich anfing, mit meinen Kindern wieder öfters in die Natur zu gehen, kam dieses Interesse erneut so richtig auf – und seit zehn Jahren bin ich nun aktiv im ornithologischen Kreis tätig. Cristina Steinle: Welches sind dort deine Aufgaben? Vor fünf Jahren startete die Vogelwarte Sempach eine grosse Zählung für den Schweizer Brutvogel-Atlas. Zwischen 2013 und 2016 wurden jedes Jahr alle Vögel in der Schweiz gezählt. Ich war für ein Gebiet von zehn auf zehn Kilometern zuständig. So oft wie möglich musste ich dieses Gebiet
ablaufen und die Vögel melden, die ich zu Gesicht bekam oder hörte. Dafür gibt es einen Brutsicherheits-Code von zwanzig Stufen: Wenn du einen Vogel siehst oder hörst, heisst das ja noch nicht, dass er da auch brütet. Hingegen wenn du ein Pärchen entdeckst, ist die Wahrscheinlichkeit schon höher. Die höchste Stufe ist dann, wenn du einen erwachsenen Vogel auf dem Nest sitzen siehst oder flügge Junge beobachten kannst. Zwei weitere Mandate, die ich für die Vogelwarte ausübe, sind die jährliche Kontrolle, ob die Waldschnepfe in den Gastlosen noch brütet, und die Winterzählungen am Schiffenensee. Diese Zählungen finden schweizweit an allen Seen am gleichen Tag statt. Das ist leider nicht immer mit meinem Job vereinbar: Bei der Zählung im Januar 2019 wird das Orchester mit Jonas Kaufmann auf Tournee sein. Das geht dann natürlich vor. Musstest du für diese Mandate eine Ausbildung absolvieren? Nein. Ich habe mir alles selbst beigebracht. Anfangs noch auf geführten Ausflügen, aber unterdessen kenn ich mich gut aus. Es bleibt jedoch eine Herausforderung, die Vögel klar zu unterscheiden, denn viele Vogelarten – so zum Beispiel die Stare – imitieren andere, sodass es nicht immer eindeutig ist, wer da wirklich singt.
Bild: Jean-François Taillard
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Wie viele Vogelarten kennst du denn? Ich kenne fast alle Vogelarten, die es in der Schweiz gibt, das sind rund 300. Gesehen habe ich aber nicht alle. Besonders freue ich mich, wenn ich einen Gartenrotschwanz, eine Zaunammer,
eine Klapper- oder Dorngrasmücke sehe. Die sind alle nicht sehr häufig bei uns. Aber mir geht es nicht darum, möglichst viele Vögel gesehen zu haben und dann beim nächsten wieder ein Strichlein machen zu können. Vielmehr finde ich es spannend zu wissen, was es
in meiner Umgebung alles gibt. Hier in Basel entdecke ich immer wieder neue Orte. So gerade eben, als ich die Teiche in der Nähe der Alten Ziegelei in Allschwil entdeckte und da – eigentlich mitten in der Stadt – Teichrohrsänger hörte. So was finde ich wunderbar!
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Es geht dir also nicht nur darum, Vögel zu beobachten, sondern auch einfach darum, draussen in der Natur zu sein? Ja, durchaus. Es lässt sich auch eine Parallele ziehen zwischen dieser Freizeitbeschäftigung und meinem Beruf: Die Musik ist eine vergängliche Kunst, sie hinterlässt keine Spuren. Im Gegensatz zum Beispiel zur bildenden Kunst. Bei den Vögeln ist das ganz ähnlich: Sie bleiben nie lange da, wo sie sind. Es ist ein kurzer Augenblick, in dem du sie entdeckst und dich freust. Dann entschwinden sie wieder deinem Blick, oder sie haben kein Bedürfnis mehr zu singen, sodass du sie nicht mehr hörst. Es ist also auch ein vergängliches Glück, das man im Moment selbst geniessen muss. Das gefällt mir. Du beobachtest die Schweizer Vogelwelt nun seit vielen Jahren. Ist dir dabei aufgefallen, dass sie sich verändert hat? Ja, ich finde schon, dass es zum Teil weniger Vögel gibt. Der Rückgang von Insekten hat natürlich einen Einfluss auf die Vogelwelt. So ist zum Beispiel die Feldlerche fast verschwunden. Das habe ich in der Region Delémont beobachtet: Da gab es auf einer schönen Wiese sehr viele Feldlerchen. Bis die Autobahn gebaut und das Land zum Industriegebiet umgezont wurde … Klar, je mehr Grünfläche wir verbauen und je mehr Pestizide eingesetzt werden, umso weniger Platz und Futtermöglichkeiten gibt es für die Vögel.
Genau. So sind zum Beispiel viele der Samen, die heute in der Landwirtschaft verwendet werden, nicht wiederverwertbar. Sie werden quasi unfruchtbar gezüchtet, damit die grossen Konzerne wie Monsanto ihren Umsatz steigern können. Dazu kommen diverse Pestizide, mit denen diese Pflanzen behandelt werden müssen, damit sie gut gedeihen. Welche Auswirkungen diese Art von Landwirtschaft längerfristig hat, steht in den Sternen. Die heutigen Neonikotinoide wirken viel perfider als früher zum Beispiel das DDT. Unterdessen finden sich solche Moleküle sogar im Trinkwasser, da sie nicht einfach filtrierbar sind. Die Auswirkungen zeigen sich erst. Insekten vermehren sich nicht mehr oder aber werden zur vergifteten Nahrung von Vögeln und anderen Lebewesen. So wie damals der Wanderfalke – der schlussendlich wegen des DDT hierzulande fast ausgestorben wäre. Konntest du solche Auswirkungen auch schon persönlich feststellen? So etwas habe ich zum Glück noch nicht beobachten können. Aber bei meiner dritten Tätigkeit für die Vogelwarte Sempach sah ich schon sehr Spannendes: Hier geht es darum, dass ich dreimal jährlich eine Fläche von einem Quadratkilometer genau auszähle und die Reviere der Vögel in eine Karte einzeichne. Je nachdem, was auf den Feldern angebaut wird, verschieben sich auch die Vogelreviere. Gewisse Vögel bevorzugen hochgewachsene Pflanzen, andere eher Wiesen. Ich habe beobachtet, dass seltene Vögel immer rarer werden. So ist der Kuckuck seit zwei Jahren ganz verschwunden. Oder von den ehemals drei Pirol-Paaren brütet nur noch eines auf diesem Grundstück. g
Musical Theater Basel
IMPRESSUM Sinfonieorchester Basel Steinenberg 19 4051 Basel +41 (0)61 205 00 95 info@sinfonieorchesterbasel.ch www.sinfonieorchesterbasel.ch Möchten Sie das Programm-Magazin abbestellen? Schreiben Sie eine E-Mail an marketing@sinfonieorchesterbasel.ch
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Orchesterdirektor: Franziskus Theurillat Künstlerischer Direktor: Hans-Georg Hofmann Konzeption und Redaktion Programm-Magazin: Simone Staehelin und Cristina Steinle Titelbild: Elephant Trunk Nebula im Sternbild Kepheus (IC 1396), aufgenommen 14. – 16.10.2017 in Riehen, Ha, OIII, SII total ca. 18h © Nightskyphoto – Basler Privatsternwarte Korrektorat: Ulrich Hechtfischer Gestaltung: eyeloveyou.ch, Basel Druck: Schwabe AG, Basel/Muttenz Auflage: 6000 Exemplare Partner:
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FILM MIT LIVE-ORCHESTER
September 2018
19.30 Uhr
IN ENGLISH
Counterpoint
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by Bart de Vries Most people have learnt to sing Brother John as a child. One person starts to sing and after a couple of bars, the second person enters from the beginning while the first continues. This simple canon is a basic form of counterpoint where the melody gets repeated or imitated at fixed intervals. In other forms of counterpoint, the interacting melodies may be different from each other. In general, the more voices or instruments join, the more complex the texture of the music becomes. Harmonies are a result of the overlapping melodies, not just in support of one melodic line. Bach’s Die Kunst der Fuge (The Art of Fugue) is probably the best-known and most in-depth study of counterpoint – a fugue also being a form of counterpoint – where a melody or subject is pitched against another and then further developed. The Art of Fugue is a cycle of 19 fugues and canons. The nineteenth was still a work-in-progress when Bach died and was planned to consist of four different subjects, the third, with the notes B, A, C and H as the theme, being the composer’s ‹signature›. (In German B-flat and B are called B and H respectively.) The fourth subject is unknown. As the cycle isn’t written for a specific group of instruments or voices, there are many different renderings, for example by string and recorder quartet. Luciano Berio (Italy, 1925–2003) has orchestrated the last contrapunctus. During the exposition, at the beginning of the piece, you can hear how the first theme is introduced, shortly thereafter
repeated and slightly altered by a second instrument. Berio didn’t finish the piece, but instead let the music fade away in a dissonant chord. Rather than the use of counterpoint, which he also employs, the connection between Bach and Brahms’s double concerto (composed in Switzerland) is both composers’ achievement to integrate concerto (a musical form in which one or more solo-instruments are pitted against the orchestra) and symphony. Just as Bach in his Brandenburg concertos, Brahms managed to compose a work in which the soloinstruments and the orchestra are equal partners. As Bruckner himself considered his fifth symphony his contrapuntal masterpiece, it forms a fitting continuation to this month’s program. It is in particular the finale that explores all possibilities of counterpoint. The symphony’s last movement has no less than four main subjects, of which the first and fourth are worked into a double fugue in which two subjects are interwoven. To hold the different movements of the symphony together, the finale starts by quoting the beginning of the first and second movements by the strings and the oboe respectively. In between, the clarinet introduces the first theme. Further into the finale, the second subject is played by the brass section and softly repeated by the strings. From here on, as the word ‹fugue› literally means, the two themes chase each other, creating a musical experience that will haunt you until long after the concert is over. g
Bilder: Benno Hunziker
IM FOKUS
Picknick-Konzert: ‹Teuflisch›
So, 26. Aug. 2018 11.00 Uhr Eintritt frei, Kollekte
MUSEUM DER KULTUREN BASEL, INNENHOF
Im ersten Familienkonzert der Saison begleiten wir Peterchen und Anneliese auf ihrer abenteuerlichen Reise zum Mond, wo sie gemeinsam mit dem Maikäfer Sumsemann dessen verlorenes Beinchen suchen. Untermalt von der Musik von Ali N. Askin führt Vincent Leittersdorf als Erzähler des Kinderbuchklassikers durch eine fantastische Welt voller Komik und Spannung. Für grosse und kleine Kinder ab 6 Jahren.
Sa, 8. Sep. 2018 16.00 Uhr VVK über Bider & Tanner oder www.sinfonieorchesterbasel.ch
SCALA BASEL
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In vielen Kulturen ist die Person des Teufels als Gegenspieler des Guten verankert – und so verwundert es kaum, hat sich auch die Musik mit dem dunklen Verführer auseinandergesetzt. Luigi Boccherini vertonte in seiner Sinfonie La casa del diavolo wie der Schwerenöter Don Juan vom Höllenfeuer verschluckt wird, und Antonio Vivaldi lebte und komponierte im Zeitalter der sogenannten ‹Teufelsgeiger›. Ganz besonders teuflisch wird es dann, wenn das Streichensemble des Sinfonieorchesters Basel mit Avi Avital an der Mandoline die Werke von Boccherini, Vivaldi und die Volkstänze von Sulchan Zinzadse und Béla Bartók interpretiert. Das zweite Picknick-Konzert, ‹Mit Rhythmen um die Welt!›, findet am Sonntag, 16. September, statt. Der Eintritt ist frei. Bei schlechtem Wetter werden die Konzerte abgesagt.
Familienkonzert: ‹Peterchens Mondfahrt›
DEMNÄCHST SO 26.08.18 11.00
Erstes Picknick-Konzert: ‹Teuflisch› Werke von Vivaldi, Zinzadse, Bartók und Boccherini Streicher des SOB, Avi Avital
MUSEUM DER KULTUREN BASEL, INNENHOF EINTRITT FREI
SO 26.08.18 16.00
Arc-en-ciel: ‹Musique de Table› Werke von Telemann, Albinoni und Vivaldi Mitglieder des SOB
A1 / B1 Bruckner+ Brahms und Berio MI 29.08.18 DO 30.08.18 Werke von Bach/Berio, Brahms und Bruckner SOB, Soyoung Yoon, Antoine Lederlin, Ivor Bolton 19.30
MÜHLESTALL ALLSCHWIL EINTRITT FREI
BASLER MÜNSTER
SA 08.09.18 16.00
Familienkonzert: ‹Peterchens Mondfahrt› Ali N. Askin: Peterchens Mondfahrt Streicherensemble des SOB, Vincent Leittersdorf
SCALA BASEL
SO 09.09.18 16.00
Arc-en-ciel: ‹Libre comme le vent› Werke von Bach, Milhaud, Briccialdi Mitglieder des SOB
MÜHLESTALL ALLSCHWIL
Ivor lädt ein: ‹Fauré, Berio & Eroica› Gabriel Fauré: Masques et Bergamasques, op. 112, 4 Orchesterlieder, Ballade für Klavier und Orchester, op. 19 Manuel de Falla/Luciano Berio: Siete canciones populares españolas Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 3 Es-Dur, Eroica, op. 55 SOB, Sophia Burgos, Olga Peretyatko, Oliver Schnyder, Ivor Bolton, Hans-Georg Hofmann
MUSICAL THEATER BASEL
Zweites Picknick-Konzert: ‹Mit Rhythmen um die Welt!› Werke von Cage, Favre, Melchiorre, Kutterer u.a. Schlagzeugensemble des SOB, Domenico Melchiorre
MUSEUM DER KULTUREN BASEL, INNENHOF
En route: ‹Menasse› Werke von Gluck, Händel und Vivaldi Mitglieder des SOB, Silke Gäng, Eva Menasse
LITERATURHAUS BASEL
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MI 12.09.18 19.30
SO 16.09.18 11.00
MI 19.09.18 19.00
SA 22.09.18 Tag des Denkmals 13.00 / 14.20 Georg Friedrich Händel: Wassermusik, HWV 348–350 Blechbläserensemble des SOB
EINTRITT FREI
EINTRITT FREI
EINTRITT FREI
VVK: LITERATURHAUS-BASEL.CH
SCHIFFLÄNDE RHEINSCHIFF MS LÄLLEKÖNIG EINTRITT FREI
DO 27.09.18 Concert & Cinema: ‹Indiana Jones – Raiders of the Lost Ark› 19.30 Regie: Steven Spielberg, Musik: John Williams SOB, Ernst van Tiel
VVK
MUSICAL THEATER BASEL
Kulturhaus Bider & Tanner, Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel, 061 206 99 96 Detaillierte Informationen und Online-Verkauf: www.sinfonieorchesterbasel.ch
Bewährtes wiederholt Die Schaub AG Muttenz baut in Pratteln ein Bad um. Die Bauherren kannten die Firma bereits und haben sie genau deshalb wieder beauftragt. der definitiven Entscheidung hat uns Herr Bachofner beraten.
voriten. Ebenso das neue Waschtischmöbel mit der abgerundeten Kante – nun gibt‘s keine blauen Flecke mehr.
WÄHREND DES UMBAUS
Möchten Sie etwas besonders erwähnen? Wir waren während des Umbaus immer zu Hause, dabei ist uns die Harmonie aufgefallen. Nie ein böses Wort. Das entspricht ja nicht dem gängigen Bild der Handwerker.
Wie lange dauerte der Umbau? Es wurden zehn Arbeitstage terminiert und exakt eingehalten. Ein Umbau bedeutet meistens auch Staub. Wie war das bei Ihnen? Fast nichts! Alles Nötige wurde abgedeckt. Zum offenen Wohnzimmer hin wurden Staubwände gestellt sowie die Türen abgeklebt und mit Reissverschlüssen versehen.
Marianne und Gilbert Rochat sind auch bei der zweiten Zusammenarbeit mit der Schaub AG Muttenz vollauf zufrieden.
VOR DEM UMBAU Wie sind Sie auf die Schaub AG Muttenz aufmerksam geworden? Die Schaub AG hatte bereits unsere separate Toilette sehr zufriedenstellend saniert. Darum haben wir sie wieder angefragt. Was waren Ihre Ansprüche an die Schaub AG Muttenz? Zuerst wollten wir wissen, was technisch überhaupt machbar ist. Dann brauchten wir Hilfestellung beim Finden der besten Lösung. Auch dass alles von einer Person koordiniert wird, war uns wichtig. Hatten Sie eine Vorstellung davon, wie Ihr künftiges Badezimmer aussehen würde? Die Badezimmertüre, das Fenster und die Tür der neuen Duschtrennwand sollten geöffnet werden können, ohne sich gegenseitig zu berühren. Mit 3D-Visualisierungen hat uns Frau Bachofner dafür verschiedene Optionen aufgezeigt. Das hat bei der Entscheidung sehr geholfen. Wie haben Sie die Elemente Ihres neuen Badezimmers zusammengestellt? Um mal zu sehen, was es so gibt, waren wir zuerst alleine in Ausstellungen. Bei
«Eine angenehme Überraschung: Die Umgangsformen waren so gar nicht wie man sie von Handwerkern erwartet.»
Konnten Sie Ihr Bad in der Zeit benutzen? Nein. Wir hatten das separate WC und fürs Duschen sind wir zum Nachbarn gegangen. Das hat ein relativ aufwendiges Duschprovisorium im Keller erspart.
NACH DEM UMBAU Gab es mal Probleme? Erst beim Abhängen der bestehenden Warmwasserzuleitung wurde ersichtlich, dass der Waschtisch der separaten Toilette ebenfalls daran angeschlossen ist. Das wurde aber sofort gelöst. Sind Sie zufrieden mit Ihrem neuen Bad? Ja, wir sind sehr zufrieden. Das Ergebnis ist so, wie wir es uns vorgestellt hatten. Was gefällt Ihnen am besten? Auch wenn die Duschentrennwand etwas mehr Pflege braucht als der frühere Duschvorhang, ist die grosse Dusche einer der Fa-
SCHAUB AG MUTTENZ Birsstrasse 15 4132 Muttenz Telefon 061 377 97 79 www.schaub-muttenz.ch
Es geht um Verlässlichkeit.
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