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Toccata Festiva

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DEMNÄCHST

DEMNÄCHST

BARBERS ‹SUPER-ORGEL›

VON JOHN HENKEN Während grosse Orgeln in den neuen Konzertsälen des späten 19. Jahrhunderts immer häufiger zu hören waren, entwickelte sich gleichzeitig ein bescheidenes Repertoire an Festtagsmusik für Orgel und Orchester. Das vielleicht überschwänglichste dieser Stücke ist die Toccata Festiva, die Samuel Barber zur Einweihung einer neuen Orgel in der Academy of Music in Philadelphia komponierte. Mary Curtis Zimbalist, eine Freundin und Mäzenin des Komponisten seit dessen Jugendzeit am Curtis-Institut, finanzierte die Orgel und war Auftraggeberin des Werks. Paul Callaway, der Organist und Musikdirektor der National Cathedral in Washington, D.C., interpretierte die Uraufführung im September 1960 mit dem Philadelphia Orchestra unter der Leitung von Eugene Ormandy.

Barbers Stück entspricht in manchem Sinne dem 1. Satz eines typischen romantischen Konzerts. Der mutige Beginn mit einer provokanten, drängenden a-MollFanfare wird erst vom Orchester vorgestellt, danach von der Orgel übernommen. Am Ende dieses ersten Abschnitts präsentiert die Orgel eine punktierte Rhythmusfigur im 5/8-Takt, welche das ganze Stück hindurch grosse Bedeutung hat. Hier mündet sie in ein langsames lyrisches Thema, erst in den Streichern, danach in der Orgelstimme.

Die kleine punktierte Figur beginnt sich als leise tanzende Gegenmelodie bemerkbar zu machen – hören Sie erst auf die Orgelpfeifen, danach auf das Englischhorn im Orchester. Barber behandelt die Soloinstrumente des Orchesters wie die

Samuel Barber (1910–1981)

Soloregister der Orgel und umgekehrt: eine Art ‹Super-Orgel›.

Die wirbelnde Fanfare kehrt daraufhin zurück und läutet einen Abschnitt ein, der alle motivischen Elemente in einen Sog von metrischen und rhythmischen Spielereien hineinzieht, sie neu vermischt und entwickelt. Ein weiteres Beispiel für Barbers Umgang mit den Soloinstrumenten ist ein Trompetenruf in der Orgel – mit dem Hinweis in der Partitur auf die Trompetenstimme im Orchester zur Verstärkung, sollte es der Orgel an einem starken Trompetenregister mangeln.

Nach weiteren motivischen Verschmelzungen erhält der Organist eine aussergewöhnliche Kadenz für die Pedalstimme. Diese basiert auf thematischen Teilen in Bach’scher Manier und verbindet die Virtuosität der Pedalpassagen in Bachs frühen Toccaten mit dem Stil seiner Solocellosuiten, indem sie einer einzigen Zeile kontrapunktische Implikationen abringt.

Das Orchester kehrt leise zurück, Englischhorn und Klarinetten klingen wieder wie Soloregister, während Barber seine Themen in einem grossen lodernden Finale in A-Dur rekapituliert.

Aus dem Englischen übersetzt von Lea Vaterlaus. Verwendung mit Genehmigung der Los Angeles Philharmonic Association.

Toccata Festiva

BESETZUNG Orgel solo, Piccolo, 2 Flöten, 2 Oboen, Englischhorn, 2 Klarinetten, Bassklarinette, 2 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauke, Perkussion, Streicher

ENTSTEHUNG 1960 in New York und München

URAUFFÜHRUNG 30. September 1960 in Philadelphia mit dem Philadelphia Orchestra unter der Leitung von Eugene Ormandy, mit Paul Callaway als Solist

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