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Optimiertes Laufen

Effektives Training muss anstrengend sein, stimmt das? Muss ich bei jedem Lauf alles geben? Wie sieht es dabei mit der Intensität aus? Entscheidet mein Trainingslevel über die Anstrengung? Oder reicht es, auf mein Körpergefühl

zu hören? TEXT_Johannes Langer//FOTO_New Balance

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Der Spruch „je härter, desto besser“ ist von vorgestern.

Achten Sie mehr auf Ihre Stärken und akzeptieren Sie gewisse Schwächen!

Fragen über Fragen! Meine Gehirnzellen rattern. Aber ein erfolgreiches Training beginnt nun mal im Kopf. Besser zu werden ist ein Bedürfnis, das die meisten Sportlerinnen und Sportler antreibt. Aber wie kann ich mein Training optimieren? Daher gleich eines vorweg, der Spruch „je härter, desto besser“ ist von vorgestern. Heute müssen wir auch aufgrund etlicher nützlicher Werkzeuge und digitaler Helferleins in der Lage sein, einen für uns differenzierten Prozess zu definieren und erfolgreich gestalten zu können.

Wir wissen, regelmäßiges Laufen verschafft Erfolgserlebnisse, kann beim Abnehmen helfen, ist eine Wohltat für unsere Psyche und erzeugt Glücksgefühle. Läuferinnen und Läufer sind – gerade in pandemischen Zeiten – widerstandsfähiger und konzentrierter. Wir schlafen tiefer, haben belastbarere Knochen, elastischere Gefäße, stärkere Sehnen, ein stabileres Herz-Kreislauf-System, einen attraktiveren Körper und eine lebhaftere Libido. Wer sich danach nicht sehnt, wird wohl ein abgehobener Flaneur sein.

Laufen ist ein ständiges Philosophieren. Die Zeit des Bewegens ist eine der besten Gelegenheiten, um in sich zu gehen, um über Vieles und speziell Neues nachzudenken. Um weiterzukommen können einige Prinzipien intuitiv verfolgt werden, die Ihnen bei einer individuellen Optimierung sehr hilfreich sein werden.

Bringen Sie eine auf Sie ausgerichtete Systematik in Ihr Training! Denn ad hoc-Entscheidungen funktionieren nicht. Einfach nach „Lust und Laune“ zu trainieren ist wenig effektiv. Und am schlimmsten sind überehrgeizige Trainingssessions: der Ertrag ist bei einem gleichzeitig hohen Verletzungsrisiko meist minimal. Gerade im Ausdauersport geht es um langfristige Ziele – man erreicht eine Optimierung nur, wenn man sie mit System macht. Es gilt, Optimierungspotentiale zu identifizieren, entsprechende Trainingseinheiten zu planen und in einen Zusammenhang bringen. So lässt sich ein effektives Training aufbauen.

Das Streben nach Perfektion ist allgegenwärtig. Für Erfolg im Sport ist das eine gute Herangehensweise, aber trotzdem schlage ich Ihnen vor, nicht zu versuchen, absolute Perfektion anzustreben. Während wir auf der einen Seite bestrebt sind, perfekt in allem zu sein, neigen wir auf der anderen dazu, uns mit anderen, meist deutlichen besseren Läuferinnen und Läufern zu vergleichen. Bringt uns das weiter? Achten Sie mehr auf Ihre Stärken und akzeptieren Sie gewisse Schwächen!

Führen Sie ein Workout-Tagebuch! Wer sich die täglichen Sportaktivitäten aufschreibt, sieht den Fortschritt bereits auf dem Papier, bevor er am Körper erkennbar wird. Das bringt einen zusätzlichen Motivationsschub. Praktischer Neben-

effekt: Ich kann im Verlauf erkennen, welche Reize wirken, zu welchen Zeiten sich meine Leistungen entwickeln oder welche Trainingseinheiten mir besonders liegen. Dadurch lässt sich die Dosis meines individuellen Optimums sehr gut regulieren.

Durchbrechen Sie die Routine! Viele Läuferinnen und Läufer betreiben nur einen Sport: Laufen. Dagegen ist im Grunde nichts einzuwenden. Wer aber jeden Tag die gleichen Übungen oder Läufe durchführt, langweilt nicht nur den Geist, sondern auch den Körper. Folge: Man verliert langsam die Lust und bricht das Training womöglich komplett ab. Fitness-Enthusiasten setzen daher schon immer auf ein sogenanntes Crossover. Dabei kombiniert man sein Lauftraining mit anderen Ausdauersportarten und achtet auf einen guten Mix mit Elementen aus dem Krafttraining und abwechslungsreicher Gymnastik.

Setzen Sie sich Grenzen! Dies ist wahrscheinlich die schwierigste Aufgabe: Erkennen, Festlegen und das Durchsetzen eigener Grenzen. Die Situation ist nur allzu vertraut. Obwohl wir schon kämpfen, um die stetig wachsende Zahl von Aufgaben zu bewältigen, bauen wir uns ein weiteres neues Projekt auf. Vermutlich kennen Sie diese oder ähnliche Situationen. Eine Zeit lang funktioniert das, aber ab einem gewissen Punkt wird der Druck zu groß und unsere Gesamtenergie leidet. Energie ist nun mal das, was alles in Bewegung setzt – und natürlich ergibt sich daraus der wesentliche Antrieb für unser Tun. Die Marathonlegende spricht in einem vom Marketing geprägten Begriff von „no human ist limited“. Denken Sie einmal darüber nach, was die Auswirkungen dieses Spruchs für Sie tatsächlich bedeuten würde!

Setzen Sie sich Zwischenziele! Überfordern Sie Ihren Körper nicht schon von Beginn an. Auch wenn sich einzelne Einheiten wie früher anfühlen, an einigen Gesetzmäßigkeiten im Trainingsprozess führt kaum ein Weg vorbei. Folgen wir lieber den Empfehlungen der Trainingswissenschaften. Eine Verbesserung des Ausdauerleistungsniveaus bedarf einer ständigen reizwirksamen Einwirkung auf den Organismus. Und dies bei systematischer Steigerung der Belastungsanforderungen. Natürlich ist es so, dass für den erforderlichen Sauerstofftransport zur Muskulatur bei sehr langen Strecken,

Denken Sie einmal darüber nach, was „no human is limited“ für Sie bedeuten würde!

Nur wer seine Zwischenziele erreicht, gelangt zu den ganz großen Zielen.

eine ökonomische Herzleistungsfähigkeit von erstrangiger Bedeutung ist. Gleiches gilt für die Belastungsreize auf die Muskulatur und den Energiestoffwechsel sowie die Organe. Bleiben sie zu gering, fehlt die positive Anpassung. Der einfache Trick: Sie steigern sich nach und nach.

Im wörtlichen Sinn gesprochen heißt das, Sie steigen Schritt für Schritt immer um eine Stufe höher. Und dazwischen verweilen Sie kurz auf den stabilen Plateaus, bevor Sie weiter nach oben wandern. Frisch regeneriert sieht gleich wieder alles leichter aus und lässt Sie auch motivierter ins nächste Training einsteigen. Nur wer seine Zwischenziele erreicht, gelangt zu den ganz großen Zielen. Das spornt an und motiviert zu neuen persönlichen Höchstleistungen.

Finden Sie den eigenen Weg! Jede und jeder von uns hat andere Begabungen, unterschiedliche Prioritäten im Leben und unterschiedliche Energiepotentiale. Der Druck in unserem sozialen Umfeld ist hoch, egal welchen Weg wir wählen, den einen richtigen gibt es nicht. Jeder Weg ist anders und zum Glück können wir unsere Richtung von Zeit zu Zeit ändern. Für unsere Trainingsmaßnahmen bedeutet das, nicht andere zu kopieren und sich permanent mit anderen zu vergleichen – auch nicht mit sich selbst. Denn jede Situation ist eine neue und Strategien, die einmal funktioniert haben, geben keine Garantie für das neuerliche Gelingen ab.

Regeln, die für den Hochleistungssport essentiell sind, gelten auch für uns. Das gilt für alle Altersstufen, egal ob Frau oder Mann. Klar! Adaptionen setzen ein quantitatives und qualitatives Belastungsminimum voraus. Die durch Training verursachte Ermüdung ist in Verbindung mit anschließender Erholung die Grundlage jedes Leistungsfortschritts. Das heißt aber nicht, dass wir auf der einen Seite wie die Weltmeister trainieren, auf der anderen jedoch auf erforderliche Rahmenbedingungen in einem erfolgreichen Trainingsprozess vergessen. Ausreichende Regenerationszeiten, vor allem Schlaf, und eine qualitativ hochwertige Kost bilden die Rückversicherung für unseren eigenen Weg.

Drücken Sie hin und wieder auf den Ausschaltknopf! Eines dürfen Sie auf keinen Fall vergessen. Nämlich von Zeit zu Zeit „Ausschalten“ – körperlich wie geistig und die Seele baumeln lassen. Brechen Sie mit Ihren gedanklichen Fesseln: Schalten Sie Ihren Laptop aus und legen Sie das Smartphone beiseite. Nur wer sich regelmäßig Zeit für sich selbst nimmt, bleibt produktiv, motiviert und für die nächste Herausforderung bereit.

Lernen Sie, auf Ihren Körper zu hören! „Optimiertes Laufen“ bedeutet für mich, die persönlichen biologischen Voraussetzungen auszunutzen, aber die eigenen Grenzen zu respektieren. Für uns Hobbysportler sollte das Laufen nicht dem Selbstzweck dienen, sondern als ein wunderbares Mittel zu Erhaltung der Gesundheit, zur Steigerung des körperlichen Wohlbefindens und zur Verbesserung der Lebensqualität verstanden werden. Bei so einem aktiven Lebensstil bleibt dann immer wieder genug Platz, um sich hin und wieder auch in einem Wettkampf zu prüfen. Dafür brauchen wir ein angepasstes Tagesregime und einen entsprechenden Trainingsplan, um praktisch beschwerdefrei und mit viel positiver Energie durchs Leben zu laufen.

Um die Balance dafür zu finden, kann kurzfristig ein Bewegen auf einem schmalen Grat bedeuten. Die Gefahr, leicht daneben zu treten ist immer da. Um nicht abzustürzen und um Verletzungen und Leistungseinbußen zu vermeiden, sollten wir lernen, gut auf uns zu hören. Dabei können Tracker oder andere technische Hilfsmittel ein feines Feedback liefern, aus dem wir lernen. Denn obwohl beim Kardiotraining die Intensität über Pulsuhren recht gut gesteuert werden können, ist immer noch das eigene Befinden der beste Indikator. Bei jeder sportlichen Herausforderung spielt das eigene Körpergefühl eine wichtige Rolle, da subjektiv entschieden werden muss, wie weit man noch zu gehen imstande ist. Den Spruch „nur die Harten kommen durch“ sollten wir schnellstens vergessen. Zumindest, wenn Sie weiterhin beschwerdefrei und erfolgreich trainieren wollen.

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