R t i m
t p e ez
Nr.3 / Januar-Februar 2013 / Gratis
Die neusten Nachrichten der Sinnvoll Gastro Luzern / R eussbühl
Seit Jahren verschwinden immer mehr klassische Restaurants
Warum sterben Beizen?
Beizen? Gibt es zu viele Beizen und zu wenig Gäste? Hast du überhaupt noch genug Zeit, um in eine Beiz zu gehen? Oder liegt es gar am Angebot? Dies ist nur ein kleiner Querschnitt der Fragen, die ich mir als «Beizer» beim Lesen des Artikels «Warum sterben Beizen?» stelle. Nun gut, sagst Du vielleicht, dieser Artikel datiert aus dem Jahr 1990. Recht hast Du ja, aber er könnte ebenso gut mit dem heutigen Datum versehen sein. Ein Blick in die
Wöchentlich erhalten wir (Sinnvoll Gastro) An-
ländlichen Regionen genügt, um sich klar zu
fragen, Restaurants zu unterstützen oder zu mie-
werden, dass in naher Zukunft noch manche
ten. Viele Wirtsleute verlieren ihre Gäste und ha-
Beiz sterben wird.
ben keine Chance, ihr geliebtes Geschäft weiter
Die Umwelt verändert sich und Einflüsse
zu führen. Bei der Recherche zu diesem Thema
vermehren sich. Uns gibt es jetzt bereits drei
bin ich auf einen Artikel im Nebelspalter gesto-
Jahre. Ich bin stolz darauf, dass wir in den
ssen, welcher sich schon früher mit diesem The-
letzten drei Jahren gegen den Trend schwim-
ma beschäftigt hat.
men konnten und sechs Gastronomie-Betrie-
Wichtige Anmerkung: Eine Beiz ist weder ein ed-
be neu eröffnet oder übernommen haben.
les Restaurant noch eine verrufene Spelunke. Eine
Doch wieso können ausgerechnet wir dem
Beiz ist ein Betrieb des Gastgewerbes, in dem man
Trend entgegenhalten? Haben wir den Nerv
sich wohl fühlt. Damit ein Betrieb des Gastgewer-
der Zeit getroffen? Womit gewinnen wir
bes zu einer Beiz wird, müssen verschiedene Be-
Dich als unseren Gast?
dingungen erfüllt sein. Es sind das die folgenden:
Vielleicht, und darüber kann ich nur mutma-
1. Eine Beiz muss den richtigen Namen haben.
ssen, ist es dies: Wir alle sind jung und jung
Er darf national sein: Wilhelm Tell, Weisses Kreuz,
geblieben, setzen uns mit Trends und neuen
Rütlistube oder so. Ungeeignet sind Gessler usw.
Medien auseinander. Wir erleben hektische
Beliebt sind Tiernamen: Ochsen, Löwen, Bären,
Tage, doch wir mögen es, in entspannter, ge-
Rössli. Jedoch weniger Hyäne, Kreuzotter, Vogel-
mütlicher Atmosphäre als Gast empfangen
spinne oder Bandwurm. Bei den Vögeln schwin-
und verwöhnt zu werden. Unsere Mitarbei-
gen obenauf die Adler, nicht jedoch die Geier.
ter haben wir nicht nur nach «Beizerkriteri-
2. Eine Beiz muss einen Wirt oder eine Wirtin
haben, der/die gesetzt ist und es beherrscht, mit al-
Jawohl! Wir arbeiten in einer Beiz! Wieso verschwinden seit Jahren so viele
Dinge gibt’s auf Erden, die werden einem erst dann lieb und interessant, wenn sie gestorben sind. Dazu gehören Erbtanten und vorsintflutliche Riesentiere, vorzugsweise Dinosaurier. Aber auch Beizen.
Editorial
Geschlossen 2012: Gasthaus Sonne, Römerswil, und Landgasthof Mühleholz, Retschwil.
len richtig umzugehen, vorwiegend aber mit Ran-
en» ausgesucht, vielmehr auch danach, ob sie herzhaft lachen können und Freude an ihrer Berufung haben. Auch haben wir alle
dalierern, Depressiven, Zechprellern und Ange-
men in der jeweiligen Landesgegend leicht aus-
fristige Kredite zu mikroskopisch kleinen Zinsen
trunkenen. Wer es vermag, einen Besoffenen aus
sprechbar sind. Am besten verlegt man sich auf
bekommen, sechs Sprachen für den mündlichen
der Beiz zu befördern, ohne die anderen Gäste
Dôle, Kottdüronn, Boscholä, Feschi und Fangdang.
Verkehr mit den Angestellten beherrschen, sechs
beim Trinken zu stören, versteht das Metier.
Dazu lokale Weine aus den Kellern von örtlichen
Gesetzbücher und 34 Sammlungen von Verordnun-
3. Eine Beiz benötigt eine Serviertochter. Im
Prominenten. Qualität ist Nebensache.
gen auswendig kennen (und befolgen), auf dem
Idealfall ist es eine gelungene Kreuzung zwischen
5. In der Beiz muss es so gemütlich sein, wie
Gebiet von Wein, Essen und Putzmitteln kompe-
Sofia Loren und Johann Heinrich Pestalozzi (1746-
es zu Hause nur sein kann, wenn die Hausfrau seit
tent sein und dazu die psychologischen Fähigkei-
1827) – in der heutigen Zeit wohl eher Michelle
drei Wochen abwesend ist und niemand inzwi-
ten eines Professors haben. In dörflichen Verhält-
Hunziker und Pfarrer Sieber, dem Schweizerischen
schen geputzt und aufgeräumt hat. Zugleich muss
nissen kommen dazu: Kenntnisse im Jassen,
Roten Kreuz und dem Jungfrau-Massiv. Sie muss
es aber so sauber sein, dass man vom Fussboden
Schiessen, Erste Hilfe, Ringen/Schwingen, ferner
ein untrügliches Gedächtnis haben (für die Ge-
essen könnte. Und das, obschon fast alle Gäste es
Unempfindlichkeit gegenüber Alkohol, Tabak-
wohnheiten der Stammgäste) und alles sofort ver-
vorziehen, von Tellern zu essen.
qualm und wüsten Witzen, ausserdem Passivmit-
gessen (was die ihr erzählen). Sie muss stets die
6. Eine Beiz muss so niedrige Preise haben,
gliedschaft in allen Vereinen und Parteien der Ge-
reine Wahrheit sagen (was sie als Politikerin unge-
dass es die Gäste reizt, mehr zu konsumieren, als
gend und zu guter Letzt eine passable Singstimme.
eignet macht) und in kritischen Fällen restlos
sie eigentlich vorhatten.
Wenn man das alles überlegt, muss man sagen: Es
glaubwürdig Notlügen äussern (wenn die Ehefrau-
Wenn Sie alle Bedingungen durchdenken, die von
ist ein Wunder, dass es überhaupt Beizer gibt. Kein
en über den Verbleib ihres Mannes nachfragen).
einer Beiz erfüllt werden müssen, wenn sie als
Wunder, dass sie an Zahl immer kleiner werden.
Ausserdem muss sie servieren – aber da sind kleine
Beiz empfunden und geliebt werden soll, so erken-
Anmerkung: Wenn Sie am Ort noch eine Beiz ha-
Fehler völlig erlaubt. Die seelischen Serviceleis-
nen Sie: Wer eine Beiz führt, muss ein selbstloser
ben (oder gar mehrere), so pflegen Sie die wie Ih-
tungen überdecken diese.
Zauberer sein, aufs Geldverdienen verzichten und
ren letzten Augapfel. Und danken Sie dem Zaube-
Scanne den Code, und
4. Eine Beiz muss das richtige Angebot haben:
sich von dem ernähren, was die Gäste auf den Plat-
rer (männlich oder weiblich), der/die dieses
wir halten Dich mit un-
Wurstsalat Spezial, Bratwurst mit Rösti, Schnipo-
ten übriglassen. Ausserdem muss er/sie täglich 14
Paradies führt, durch treue Kundschaft.
serem Newsletter sinn-
sa, Bündnerteller und dergleichen. Bei den Weinen
Stunden Zeit finden, um sich mit den Behörden he-
hat sie sich auf solche zu beschränken, deren Na-
rumzuschlagen, muss dazu von den Banken lang-
einen hohen Qualitätsanspruch. Und neben all dem geniessen wir unser Leben und die Zeit in und neben der Beiz. Wir sind eine neue Generation von «Beizern», welche sich mit den positiven Seiten der Gastronomie auseinandersetzen. Wir sind stolz, in einer Beiz zu arbeiten, eine solch abwechslungsreiche Tätigkeit ausüben zu können und täglich für Dich da zu sein. Bis bald
Philippe Giesser
voll auf dem Laufenden.
Auszüge aus dem Nebelspalter Nr. 13 (1990)