3 minute read
Bittere Erkenntnisse aus der Vogelperspektive
Ein Gespräch mit Regisseur Gustav Rueb über die Schauspielpremiere ‚Welcome to Paradise Lost‘
In einem Satz: Um was geht es in ‚Welcome to Paradise Lost‘?
Um die Lücke zwischen Wissen und Handeln. Wir wissen, dass wir unsere Welt zerstören, wenn wir so weitermachen, dennoch tun wir nichts. Oder definitiv zu wenig. Warum?
Vielleicht weil wir uns lieber hinter unseren Smartphones verstecken und Stories auf Instagram posten, als uns der harten Realität von Klimawandel und sozialer Ungerechtigkeit zu stellen. So schreibt es Falk Richter zumindest in seinem Text. Hat er Recht? Das Stück spitzt natürlich zu und will provozieren. Aber ja, natürlich hat er Recht. Wir wollen unsere Ruhe haben und wir haben ja auch unsere Ruhe verdient. Viele Menschen haben einen anstrengenden Alltag und ein Recht darauf, das Leben zu genießen. Aber Richter (und viele Wissenschaftler:innen) machen darauf aufmerksam, dass unser Planet dann vielleicht nicht mehr lange gut bewohnbar ist.
Wir bekommen den Abend aus der Sicht von fünf Vögeln erzählt. Wie kann man sich das vorstellen?
Das Stück basiert auf dem persischen Märchen ‚Die Konferenz der Vögel‘ von Farid ud-Din Attar. Darin machen sich Vögel auf den
Weg, um ihren König zu finden. Sie werden bei Richter zu einem Symbol für unsere gefährdete Umwelt. Sie fliegen über die Erde und betrachten, wie sie durch uns Menschen zerstört wird. Von ihrer Vogelperspektive aus können Sie sehr gut erkennen, was alles schief läuft. Wir sehen also uns selber durch die Augen der Vögel. Die Darstellerinnen wechseln aber auch die Perspektive: Von den Vögeln zu den Menschen und wieder zurück. Diese Multiperspektivität ist es, die den Inhalt immer wieder in neue Zusammenhänge stellt. Dazu können wir anhand der Vögel über Schwarmintelligenz, vernetztes Denken und Artensterben nachdenken. Und sie bieten choreographisch und musikalisch ein schier unerschöpfliches Inspirationsmaterial.
Die Vögel verstehen nicht, wieso die Menschen sich nicht zusam- menschließen, um die Probleme in der Welt gemeinsam anzugehen. Demnach wären Institutionen wie die Europäische Union oder die Vereinten Nationen gescheitert?
Die Vögel lernen durch ihre Reise auf jeden Fall, dass sie sich nur selber retten können und nicht darauf vertrauen sollten, dass das jemand Anderes für sie tut. So wie es immer mehr gesellschaftliche Gruppen gibt, die sich lautstark
Wie Gemälde laufen lernen
und manchmal auch anstrengend einmischen, um eine Veränderung zum Guten anzustoßen, weil das Vertrauen in politische Institutionen gesunken ist, so werden auch unsere Vögel aus lauter Verzweiflung immer radikaler. Die Inszenierung beschäftigt sich mit solchen Vorgängen.
Das Stück ist eine Übernahme aus dem Staatstheater Kassel. Das heißt, du hast es dort bereits schon einmal mit der gleichen Bühne und den gleichen Kostümen inszeniert, nur das Ensemble war ein anderes. Inwiefern unterscheidet sich dieser Probenprozess von einem, bei dem man ganz von vorne anfängt? Das ist auch für uns eine ungewohnte Situation. Das Stück ist wegen Corona nie wirklich vor Publikum gekommen, und jetzt haben wir noch einmal die Chance, es den Menschen zu präsentieren. Das ist toll und auch unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten sinnvoll. Wir möchten mit dem Ensemble in Oldenburg aber nicht einfach etwas kopieren, wir haben viele neue Ideen und wollen die Inszenierung hier weiterentwickeln. Die Welt hat sich ja auch weitergedreht.
Das Interview führte Anna-Teresa Schmidt
Über den Umgang mit den Bildern Franz Radziwills in der kommenden Premiere von Radziwill oder der Riss durch die Zeit‘
Ein Himmel voller Flugzeuge, dazwischen eine fliegende, fallende Standuhr. Den Maler Franz Radziwill beschäftigten Zeit seines Lebens die Errungenschaften der Technik und ihre Auswirkungen auf die vermeintlich romantische Natur. Für ihn bevölkerten nicht mehr Engel den Himmel, sondern diese fliegenden Geschöpfe aus Glas und Metall.
Doch was hier aussieht wie ein wiederentdecktes Gemälde des 1983 verstorbenen Dangaster Künstlers, ist lediglich eine BildStudie für das Theaterprojekt Radziwill oder der Riss durch die Zeit‘. Angefertigt hat die Collage der Schweizer Videograph Stefan Bischoff, der für das Bühnenbild des Projektes die Bilder des Künstler in den dreidimensionalen Raum überführt und animiert. „Franz Radziwills Bilder eignen sich hervorragend für die Übertragung auf eine Videoebene. Er arbeitete immer mit verschiedensten Bildebenen: Himmel, Häuserfassaden oder Wälder. Es gibt viele Objekte, Flugzeuge, merkwürdige Himmelserscheinungen und kleinere Figuren“, so der 49-jährige Schweizer. „Das ist alles sehr detailreich und sehr atmosphärisch. Eine perfekte Vorlage für eine Übertragung.“ Dabei sei es immer Ziel, den Bildern mit allen Mitteln des Theaters „Leben einzuhauchen“.
Die Arbeit mit Bildender Kunst ist dabei im Theater nichts Neues. Schon vor hunderten Jahren mal- te man italienische Landschaften oder griechische Bergdörfer auf sog. „Prospekte“ und nutzte diese als Hintergrund für Schauspiele oder Opern. Dabei griff man häufig auf berühmte Werke aus der Kunstgeschichte zurück oder ließ eigens neue anfertigen. Das kennt man also.
Neu ist allerdings, dass diese Bilder nun in Bewegung geraten –dass sie animiert werden. „Wir versuchen diese Bilder zum Leben zu erwecken“, so Bischoff. „Wir suchen uns z. B. ein Segel oder einen Vorhang, Dinge die flexibel sind, Äste im Wind beispielsweise, sich schließende Schleusentore oder untertauchende U-Boote. Die werden dann mittels digitaler Bearbeitung in Bewegung gebracht.“
Das ist allerdings nur ein Teil der Inszenierung. Für die Bühne werden diese animierten Gemälde, dann noch weiter ergänzt. Die Berliner Regisseurin Luise Voigt erweitert sie um Texte, Zitate, Töne und Figuren aus der schwierigen und ereignisreichen Epoche
Franz Radziwills – der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – jener Zeit, in der er sein Hauptwerk schuf. Die Künstlerin selbst hierzu: „Wir wollen ein Theater für alle Sinne schaffen, das weniger ein Schauspiel ist, als ein Erlebnis auf vielen verschiedenen Ebenen. Damit glauben wir, den häufig collagenartigen und zitatreichen Bildern des Malers am ehesten gerecht zu werden.“ JH