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Digitales Leben

Fotos: pojoslaw – Fotolia.com

Wenn die Bürger am Wort sind

Direkte Demokratie, Liquid Democracy, E-Voting etc. – auf die Politik kommen große Hürden zu. ronische Unterstützung von Volksbegehren ermöglicht werden. In Österreich haben vor rund drei er arabische Frühling hat gezeigt, Jahren E-Government und E-Dedass sich Menschen online sehr mocracy Fuß gefasst. Ein Indiz dafür ist schnell formieren können und dazu unter anderem die Petitionsplattform keine strukturierte Interessenvertretung der Stadt Wien, auf der man mittels Bürbenötigen. „In Zukunft wird das der All- gerkarte Petitionen einbringen oder unterstützen kann. Auch die Stadt Salztag sein“, vermutet Peter Parycek. Der Leiter des Instituts für E-Govern- burg zeigt Ambitionen in Richtung Bürment an der Donau-Universität Krems spricht von einer „Bottom-up-Organisation der Bürger“. Also von einzelnen Initiatoren hinauf zum parlamentarischen Thema. „Die Mobilisierungskraft der Bürger ist sehr hoch“, so Parycek, „auch wenn wir uns noch in der Anfangsphase des europaweiten Strebens nach mehr Bürgerbeteiligung befinden.“ Mit der sinkenden Hürde für Bürger, Initiativen einzubringen, wird es zu einer großen Herausforderung für die Politik kommen. VON STEFAN TESCH

Foto: Behördenspiegel

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Erste Versuche in Österreich In Sachen direkter Demokratie hinkt Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Staaten nach. „Sobald aber das Demokratiepaket im Nationalrat beschlossen wird, ziehen wir nach“, erwartet Parycek. Mit dem Paket sollen unter anderem Vorzugsstimmen bei Nationalratswahlen stärker gewichtet und elekt102

Peter Parycek, Donau-Universität Krems: „Die Mobilisierungskraft der Bürger ist sehr hoch, in Zukunft wird Bürgerbeteiligung Alltag sein.“

GEWINN

gerbeteiligung. Dort können Bürger seit April mittels eines Dreistufenmodells leichter Anträge in die Stadtpolitik einbringen. Es bedarf mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten, um im Rahmen eines Volksentscheids sogar den Gemeinderat zu überstimmen. Blickt man über unsere Staatsgrenze, so gibt es – abgesehen von der Schweiz – bereits einige direkt-demokratische Versuche: In Island wurde 2010 bis 2011 ein Verfassungsentwurf aus Bürgervorschlägen erstellt, schlussendlich aber doch nicht vom Parlament gebilligt. In Hamburg können Bürger dank des fakultativen Referendums auf Landesebene Entscheidungen der Politik, ähnlich wie in Salzburg, über den Haufen werfen. Auch auf EU-Ebene kann eine Initiative ab einer Million Unterstützern (aus mindestens sieben von 27 Mitgliedstaaten) der Europäischen Kommission als Rechtsakt vorschlagen werden (Europäische Bürgerinitiative). Aktuell sind 14 laufende Initiativen gelistet. Volksbegehren sowie Initiativen wie transparenzgesetz.at zeigen, dass auch bei uns der Trend Fuß gefasst hat. Parycek warnt aber, das als Hype zu deuten. Langfristig werde stärkere Bürgerbeteiligung in der österreichischen und EU-Politik Usus sein. „Das politische Leben braucht Versuche“, gibt er zu bedenken. „Überwachung der Bürger durch die Behörden bedroht die Demokratie“, erMai 2013


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Digitales Leben läutert Parycek. Doch dem Überwachungsboom steht ein transparenter werdender Staat gegenüber. Transparenzgesetz.at ist hier ein Anfang. Wohin das führt, werde sich erst in zehn Jahren herauskristallisieren, findet er, da noch ethische und rechtliche Hindernisse überwunden werden müssen.

Liquid Democracy im Unternehmen Initiative, die eine Personalkürzung Dass Liquid Democracy auch in Unin der Führungsetage forderte – aber ternehmen funktionieren kann, zeigt sich beim deutschen IT-Dienstleister schließlich scheiterte. Synaxon. „Veto gibt es nur, wenn das Rund 600 Euro pro Monat kostet LiquidFeedback, das aus Gründen der Unternehmen in Gefahr ist“, entAnonymitätswahrung seit 2012 von schärft Frank Roebers, Vorstandsvorsitzender der Synaxon AG, die An- einer externen Firma betrieben wird. „Jetzt sind die wichtigsten Themen nahme, dass der Vorstand dadurch durch und es wird nur noch etwa eine nichts mehr zu sagen hätte. Initiative pro Monat geben“, schätzt Die rund 150 Mitarbeiter können Roebers, der das System als Erfolg anonym Vorschläge via LiquidFeedbetrachtet. Es wirke sich positiv auf back einbringen. Ab einem Quorum das Betriebsklima aus, und der Vorvon 50 Prozent wird mit bindendem stand könne ohne Risiko testen, auf Ergebnis darüber abgestimmt. Auch wenn in den bisher 70 Initiativen viel welches Echo Ideen im Unternehmen Belangloses auf den Tisch gekomstoßen. men ist – aus dem Aufruf, Ideen für „Ich sehe einen Trend zu partizipatoKosteneinsparungen und Umsatzrischen Systemen, weil Mitarbeiter steigerungen, konnten mehr als immer qualifizierter werden“, erklärt 200.000 Euro generiert werden. Roebers. „Man kann hochqualifizier„Wir haben LiquidFeedback in der te Mitarbeiter nicht wie eine SparHoffnung eingeführt, dass sich die gelkolonne führen.“ Mitarbeiter sind Leute was zu sagen trauen“, erinnert Partizipation aus dem Web 2.0 gesich Roebers. Neben dem bestehenwöhnt und erwarten sich dies bereits den Firmen-Wiki, in dem die Mitarjetzt von ihrem Arbeitgeber. In zehn beiter unter ihrem Klarnamen posten, Jahren, so vermutet Roebers, werist LiquidFeedback mittels Pseuden partizipatorische Systeme in donym anonymisiert. Dass diese Idee Unternehmen keine Ausnahme mehr aufging, zeigte unter anderem eine sein.

„Das politische Umfeld wird wesentlich dynamischer, aber es wird für die Politik auch zunehmend schwieriger zu regieren“, prognostiziert Parycek. Verantwortlich dafür sieht er einen rapiden Anstieg an sogenannten Ad-hoc-Gruppen, die herkömmliche Interessenvertretungen ersetzen werden. Zu viel direkte Demokratie könnte der politischen Diskussionskultur aber auch schaden. „Es besteht die Gefahr, dass es bei vielen Initiativen lediglich um Ja-/Nein-Fragen geht. Das führt nur zur Polarisierung und Lösungsfindungsprozesse werden außer acht gelassen“, warnt er. Stark polarisierende Themen, etwa das „Minarettverbot“ in der Schweiz, funktionieren seiner Meinung nach bei direkt demokratischen Instrumenten am besten. Da müsse man nicht viel erklären, damit die Leute verstehen, worum es geht. Zwar fördert das Social Web das Demokratieverständnis und jüngste Ereignisse (z. B. ACTA) zeigen auch, dass damit sehr wohl die Politik beeinflusst werden kann. Wenn es zu sehr auf Ja/Nein hinausläuft, sei es aber kontraproduktiv.

Direkte + indirekte Demokratie = Liquid Democracy Liquid Democracy ist eine Mischung aus direkter und indirekter Demokratie. Man kann entweder bei Entscheidungen selbst abstimmen oder für Themenbereiche Vertreter nominieren. Anwendung findet diese Form hierzulande innerhalb der Piratenpartei, wo 277 registrierte Mitglieder im System „LiquidFeedback“ über die Stoßrichtung der Partei mitbestimmen. Auf staatlicher Ebene dürfte Liquid Democracy noch lange ein Wunsch der Piraten bleiben. „In fünf bis zehn Jahren haben wir brauchbare Systeme und in 20 Jahren könnten sie dann alltagstauglich sein“, schätzt Lukas Daniel Klausner, Mitglied im Bundesvorstand der Piratenpartei Österreich. Mai 2013

E-Voting scheitert bisher an der Technik

Foto: Synaxon AG

Ja-/Nein-Fragen sind gefährlich

Frank Roebers, Synaxon: „Wir haben Liquid Feedback in der Hoffnung eingeführt, dass sich die Leute was zu sagen trauen.“

GEWINN

„Wahlbetrug ist immer möglich“, meint Parycek und schiebt die Skepsis gegenüber E-Voting auf die menschliche Urangst vor dem Versagen elektronischer Systeme. Dies zeigte unter anderem der gescheiterte Versuch, die ÖH-Wahlen 2009 sowohl mittels E-Voting als auch auf Papier durchzuführen. Zwei Jahre später hat der Verfassungsgerichtshof die Wahl für ungültig erklärt. Angeblich sei das fehlerfreie Funktionieren des Systems nicht überprüfbar gewesen. Auch Klausner meint: „Derzeit gibt es kein brauchbares E-Voting-System. Beim E-Voting ist es notwendig, die Stimme vom Abstimmenden zu trennen, aber trotzdem nachvollziehen zu können, wer schon abgestimmt hat“, skizziert Klausner die Problematik. 103


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