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IT & INNOVATIONEN
Wenn Computer ohne menschliches Zutun vollautomatisch miteinander kommunizieren, nennt man das M2M („Machine to Machine“) – ein durchstartender Milliardenmarkt. M2M soll enorme Effizienzsteigerungen und Einsparungen in Prozessen sowie neue Geschäftsmodelle bringen. VON STEFAN TESCH
Das
INTERNET DINGE Machine to Machine („M2M“) Communikation
der
V
om Hundehalsband mit GPS- und SIM-KartenModul, das meldet, wo der Vierbeiner steckt, bis zum Auto, das mit Ampeln kommuniziert. Drucker, Getränkeautomaten, Kühlschränke etc., die ab einem gewissen Leerstand an den Zentralcomputer eine Meldung schicken und damit automatisierte Bestellvorgänge auslösen. Intelligente Stromzähler (Smart Meter), Flottenmanagement von Speditionen, überwachte Medikamenteneinnahme zu den Anwendungsfeldern – sogar eine Schuhsohle mit automatischer Sturzerkennung und folgender Alarmverständigung sind möglich. Schätzungen zufolge interagieren derzeit weltweit fünf Milliarden M2MGeräte per mobilem Internet vollau-
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tomatisch und ohne menschliches Zutun miteinander. In Österreich liegt der Umsatz mit M2M-Kommunikation bei rund 155 Millionen Euro, bis 2016 soll dieser rasant auf 526 Millionen Euro steigen (240 Prozent Steigerung). Knapp die Hälfte soll laut einer Prognose von T-Systems auf Lösungen im Bereich Fahrzeug-Telematik entfallen. M2M trägt viel Einsparungspotenzial und Effizienzsteigerung in sich. Das „Internet der Dinge“ gehört daher weltweit zu den Technologien mit den größten prognostizierten Wachstumschancen. Laut einer Forrester-Research-Studie soll es eine weltweite Umsatzsteigerung von derzeit 4,2 auf 17 Milliarden Dollar im Jahr 2016 geben. Bis 2020 sollen weltweit etwa 50 Milliarden Geräte miteinander vernetzt (allein in
Österreich könnten es zwei Milliarden sein), der M2M-Markt etwa 260 Milliarden Dollar groß sein. Die tragenden Branchen neben der Telekommunikation sind Energie, Gesundheit, Automobil, Fahrzeugtelematik, Transport, Logistik, Sicherheit, Industrieautomation und Unterhaltungselektronik. Hierzulande bieten etwa die M2M-Tochter der Telekom Austria Group, T-Systems Österreich, oder Kapsch End-to-End-Lösungen an. Sie verkaufen M2M vom Roll-out der Module bis zum Überwachungssystem für den laufenden Betrieb.
Kernelement Datenübertragung Die eingebauten SIM-Karten funken zwar viel und oft auch häufig, aber dafür sehr geringe Datenmengen (GPS-PoGEWINN 7/8/13
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Der Ersatz von Stromzählern durch Smart Meter ist bereits fix
CarSharing würde ohne M2MKommunikation gar nicht funktionieren
Auch in Fahrradleuchten werden künftig SIMKarten zu finden sein (hier eine A1-Lösung)
Foto: Siemens Pressebild, Daimler/MICHAEL ALSCHNER 2011, telekom austria, 2013, PaulFleet - istockphoto.com
Für manche eine Schreckensvision à la Terminator, die Kommunikation der Maschinen untereinander ist bereits Alltagsrealität – und ein Weltmarkt mit enormen wirtschaftlichen Möglichkeiten
sitionen, Temperaturdaten etc.). Netzkapazitätsprobleme sollte es dadurch keine geben, erklärt Bernd Liebscher, Geschäftsführer der 2011 gegründeten M2M-Tochter der Telekom Austria Group: „Fasst man alle Module zusammen, liegen wir bei unter einem Promille der Netzauslastung.“ Die Wertschöpfungskette enthält die Bausteine Maschine (meist mit Funkmodul), Übertragung und Applikation. Die Kommunikation findet zwischen der Maschine, etwa in Form eines Sensors, und der Applikation, etwa einer Alarmzentrale, statt. Hat ein M2MModul vor drei Jahren noch durchschnittlich 30 US-Dollar gekostet, so liegen die Preise jetzt bei unter fünf Dollar – Tendenz stark fallend. „M2M GEWINN 7/8/13
war früher exotisch, aber jetzt geht es in die Breite“, freut sich Liebscher ob billiger werdender Module. „Unternehmen erkennen nach und nach, wie sie M2M einsetzen könnten“, schießt er nach. „Die besten Kunden sind die, die es noch nicht wissen, dass sie Kunden werden“, mutmaßt Wolfgang Leindecker, Vizepräsident M2M und Public Transport bei Kapsch CarrierCom.
„Die breiten Anwendungsfelder beginnen erst jetzt. Es fängt überall mit kleinen Pilotprojekten an, um das Einsparungspotenzial zu zeigen.“ M2M gibt es in der Industrietelematik schon seit mehr als 20 Jahren, aber damals waren es Einzellösungen. „Erst jetzt werden die Lösungen skalierbar und auf verschiedenste Fälle anwendbar“, so Leindecker. „Derzeit ist viel Bewegung auf dem Markt, es ist ein echter Hype.“ 109
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Foto: VW
Ab 2015 muss jeder Neuwagen ein E-CallSystem eingebaut haben. Und auch sonst wird es rund um den Verkehr sehr viele M2M-Lösungen geben. Bereits heute finden Versuche mit kommunizierenden Autos in Echtzeit statt, etwa am Wiener Handelskai
Einsparungen doppelt so hoch wie die Kosten „Wenn das Einsparungspotenzial doppelt so groß ist wie die Kosten, dann ist der Business Case interessant“, gibt Leindecker als Faustregel vor. Dies ist etwa bei Industrieautomation und Wartung häufig der Fall. Ein Getränkeautomatenbetreiber in Wien konnte durch die Einführung intelligenter Überwachung von Füllstand und Funktionstüchtigkeit seiner Automaten etwa 20 Prozent Wegzeit des Wartungspersonals reduzieren. Zudem verringern sich die Stehzeiten der Verkaufsautomaten und Preise können dynamisch angepasst werden. In Zahlen sieht das Rechenbeispiel von Liebscher so aus: Ein Verkaufsautomat ohne M2M-Technologie bringt monatlich etwa 350 Euro Ertrag, mit M2M schafft er knapp 430 Euro. Grund dafür sind 15 Prozent Reduktion von Wegzeiten für Wartungsarbeiten, die wiederum je drei Prozent bei Arbeitskräften, Einsatzplanung und Leerzeiten einsparen. Die einmaligen Ausstattungskosten mit einem M2M-Modul liegen bei 200 Euro, monatlich kostet dessen Betrieb und Wartung zwölf Euro. Da die Einführung eines Systems zum Management der Automaten mit 82.000 Euro zu Buche schlägt (plus monatlich 1.800 Euro für den laufenden Betrieb), amortisieren sich die Kosten der M2M-Lösung bei angenommenen 100 Automaten nach knapp zwei Jahren, ab 800 Automaten nach vier Monaten. Martin Katzer, Geschäftsführer TSystems Österreich, appelliert an die Kreativität: „M2M ist die Chance für neue Geschäftsmodelle.“ Das immer 110
beliebter werdende Car-Sharing etwa würde ohne diese Technologie gar nicht funktionieren. „Mindestens 30 Prozent Einsparung ist aber in allen Bereichen notwendig, damit neue Modelle funktionieren können“, ergänzt er.
Smart Metering als Milliardengeschäft Bis 2019 sollen in Österreich (gem. EURichtlinie zu Energieeffizienz und Energiedienstleistungen) 95 Prozent der Stromzähler durch Smart Meter ersetzt werden. Der stufenweise Ausbau wird 2015 beginnen. Mit diesen intelligenten Stromzählern lässt sich sowohl von Anbieter- als auch Kundenseite der Stromverbrauch in Echtzeit ablesen. Die Schlacht darum, wer künftig der bevorzugte Dienstleister der Energieversorger sein wird, hat schon begonnen. Schließlich geht es um 5,7 Millionen Smart Meters und bei Ausweitung des Systems um 1,4 Millionen Gaszähler. Das Marktpotenzial wird auf 2,5 bis drei Milliarden Euro geschätzt. Für den Kunden kommt es nicht unmittelbar zu finanziellen Vorteilen. Christian Schober, Geschäftsführer von Kapsch Smart Energy, vergleicht es aber mit einer Badezimmerwaage, auf die man sich täglich stellt: „Das Bewusstsein für die Verbrauchszahlen wird massiv gesteigert, und die Menschen werden nach Stromfressern suchen.“ Ein Testbetrieb mit 1.600 Haushalten in Friedrichshafen ergab, dass die Verbraucher knapp vier Prozent Stromkosten einsparten. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Studie von PwC aus dem Jahr 2010: Der Verbrauch über alle Kundengruppen –
Haushalte, Gewerbe, Industrie, Landwirtschaft – könne mit Smart-MeterTechnologie im Schnitt um rund 3,5 Prozent pro Jahr reduziert werden. Durch die sukzessive Einführung eines Smart Grids (intelligentes Stromnetz) in Kombination mit Smart Meters erwartet man in der Branche ein Einsparungspotenzial von zehn bis 40 Prozent bei den Netzbetreibern – ihnen bleibt der teure Netzausbau erspart. Punktuelle Spitzen können im Zusammenspiel mit intelligenten Trafostationen ohne dickere Leitungen abgefedert werden.
Verkehr ist M2M-hungrig Die EU schreibt vor, dass in jedem ab 2015 gebauten Neuwagen ein E-CallSystem eingebaut sein muss, das bei einem schweren Unfall automatisch einen Notruf absetzt und den Fahrzeugstandort übermittelt. In Österreich ist die UNIQA-Versicherung mit dem Crashsensor und Fahrzeugtracking namens SafeLine in der Vorreiterrolle. Derzeit sind rund 50.000 solche Module in Autos verbaut. Die Vorteile für den Versicherer: Gestohlene Autos können so leicht gefunden werden. 2012 wurden 26 von 30 gestohlenen Fahrzeugen wiedergefunden, heißt es von der UNIQA. Bei einem durchschnittlichen Listenpreis von 42.000 Euro eine effektive Maßnahme. „Professionelle M2M-Lösungen kosten zwischen 100 und 1.000 Euro pro Monat“, meint Leindecker. Kapsch bietet End-to-End-Lösungen an und verrechnet seine Dienste monatlich, „sodass Kunden von Beginn an einen Return on Investment genießen können“. In der Praxis ist das etwa das Monitoring von Straßenbahnen in Echtzeit. Sensoren messen ständig Innen- und Außentemperatur sowie die Anzahl der Passagiere in den Waggons. Aufgrund dieser Parameter steuert die Zentrale automatisch die Klimaanlage. Das Ergebnis: rund zehn Prozent Energieeinsparung. Das gleiche Einsparungspotenzial hat auch die intelligente Steuerung von Weichenheizungen. Am Monitoring von Eisenbahnwaggons forscht Kapsch gerade. Hier soll die EfGEWINN 7/8/13
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Bernd Liebscher, Telekom Austria M2M: „Die Unternehmen erkennen nach und nach, wie sie M2M einsetzen könnten.“
Wolfgang Leindecker, Kapsch CarrierCom: „Ist das Einsparungspotenzial doppelt so groß, wie die Kosten, ist der Business Case interessant.“
men von derzeit geschätzten vier auf fünf Milliarden Euro ansteigen. Solche Zahlen und der Trend, dass Menschen immer mehr in den eigenen vier Wänden alt werden möchten, drängt Bemühungen in Richtung AAL(Ambient Assisted Living-)Lösungen. Damit sollen pflegebedürftige Menschen etwa mittels Sturzsensoren, eHealth (z. B. Telemonitoring von Blutdruckwerten und die Überwachung der Medikamenteneinnahme) sowie elektronischen Kommunikationsmitteln unterstützt werden. Derzeit entsteht solch ein Pilotprojekt mit 50 betreuten Wohnungen im Burgenland. „Das große Geschäft mit der Gesundheit gibt es derzeit noch nicht“, resümiert Fritz und nennt zwei triftige Gründe: „Im Gesundheitsbereich ist der Benutzer meistens nicht der Zahler, und den großen Beweis, dass man Kosten einsparen kann, gibt es bislang noch nicht.“ Auch rechtliche sowie Haftungsfragen müssen noch geklärt werden. Die Kunden sind in der Regel nicht die Patienten selbst, sondern Krankenkassen oder der öffentliche Gesundheitsbereich. Dass M2M-Technologie im Gesundheitsbereich aber enorme Kosteneinsparung bringen kann, zeigen Praxiswerte des ELICARD-Systems Pläne im Gesundheitsbereich für Herzschwächepatienten. Dabei wer„Im Jahr 2020 wird jeder dritte Europäer den Blutdruckwerte sowie Körpergeälter als 65 sein“, stellt Michaela Fritz, wicht mittels NFC-fähiger (Near Field Leiterin des Health & Environment Communication) Geräte und einem Department des AIT (Austrian Institute Mobiltelefon an den Arzt übermittelt. of Technology), fest. Derzeit sind es et- Das Ergebnis: mehr als 50 Prozent wewa 17 Prozent. In Österreich sollen die niger Überweisungen für RoutinekonAusgaben für Betreuung in Pflegehei- trollen ins Krankenhaus sowie um rund GEWINN 7/8/13
Foto: krischanz.zeiller./AIT
Foto: t systems/Harald Humml
Foto: Telekom Austria
fizienz durch die Analyse von Stehzeiten und Laufleistung gesteigert werden. Noch in den Kinderschuhen steckt Car-to-Car-Kommunikation. Zwar läuft in Wien ein Projekt („Testfeld Telematik“), wo rund 15 Ampeln, etwa am Handelskai, ihre Schaltphasen an herannahende Autos preisgeben. Dadurch können Gefährte die Effizienz der StartStop-Technologie steigern. Die Kosten liegen bei rund 50 Euro pro Fahrzeug. Aber das ist nur der Anfang. „Gegen Ende dieses Jahrzehnts werden Autos mit Autos kommunizieren können. Jedes Auto ist dann ein Verkehrssensor“, prognostiziert Paul Forstreiter, Vizepräsident Swarco AG, dem weltgrößten Ampelhersteller, der auch am Projekt „Testfeld Telematik“ beteiligt ist. Profiteure werden Städte und Straßennetzbetreiber sein, die in solchen „Smart Cities“ den Verkehrsfluss in Spitzenzeiten oder bei Unfällen regulieren können. „Ihnen bleibt nämlich der Ausbau von Straßen großteils erspart“, ergänzt Forstreiter. Hier zeigen sich Parallelen mit dem erwähnten Smart Grid. Im Fuhrparkmanagement lassen sich beträchtliche Einsparungen erzielen. So konnten mit einem intelligenten Fuhrparktool bei T-Mobile und T-Systems in Österreich bis zu 40 Prozent an Fahrzeugkosten eingespart werden. Das Flottenmanagementsystem MAN TeleMatics von T-Systems ist in rund 7.500 MAN-Lkws verbaut, die bei etwa 1.000 Speditionen im Einsatz sind. Damit können Routen effizienter geplant, da Fahrzeugdaten laufend an die Zentrale sowie an Werkstätten übermittelt werden. Laut T-Systems soll so der Kraftstoffverbrauch um 20 Prozent verringert werden können. Bei Telekom Austria M2M blickt man auf Erfahrungswerte beim Lkw-Tracking zurück: Es sollen rund 30 Prozent bei derzeit eingesetzten Produkten sein.
Foto: Kapsch/Michael Inmann
IT & INNOVATIONEN Machine to Machine („M2M“) Communication
Martin Katzer, T-Systems: „Mindestens 30 Prozent Einsparung ist in allen Bereichen notwendig, damit neue Modelle funktionieren.“
Michaela Fritz, AIT: „Ein neuer Dienstleistungssektor wird aufkommen, den wir uns derzeit noch nicht vorstellen können.“
30 Prozent verkürzte Krankenhausaufenthalte. Die Möglichkeiten im Gesundheitsbereich sind enorm. Von der Notfallsuhr mit Sturzsensor bis zum intelligenten Asthmaspray, wo bei vermehrter Verwendung automatisch der Arzt informiert wird. Fritz: „Auch die Pharmafirmen werden einsteigen, weil sie Interesse haben, Wirkung und Einnahme ihrer Medikamente zu überwachen.“ Fitnesstracking-Apps, wie etwa Runtastic, sind die Vorboten für den Boom im Gesundheitsbereich. „Ein neuer Dienstleistungssektor wird aufkommen, den wir uns derzeit noch nicht vorstellen können“, vermutet Fritz. „Derzeit sind aber Akzeptanz und Usability noch die größten Hürden.“ Wer möchte schon mit einer riesigen Notfallsuhr am Handgelenk herumlaufen? Abseits der Altenpflege findet Home Automation auch Einzug in unsere Haushalte. So können derzeit Wien-Energie-Kunden für 2,50 Euro monatlich Heizung und Elektrogeräte in den eigenen vier Wänden via Smartphone-App steuern. M2M par excellence ist ein Fenstersensor, der beim Lüften eine Temperaturdrosselung an die Heizung sendet.
Problemfaktor Datenschutz Auch wenn der M2M-Technologie enorm hohes Potenzial vorhergesagt wird, ist Datenschutz zu recht ein wichtiger, aber trübender Faktor. Bislang ist nicht klar, wer jeweils Eigentümer generierter Datenmengen ist und wer aller darauf Zugriff haben wird. 111