2014 Tauschkreise

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GELD & BO¨ RSE TAUSCHKREISE

Alternativen zum Euro Vor der Inflation müssen sich die Mitglieder von Tauschkreisen nicht fürchten. Denn eine Stunde Rasenmähen ist jetzt und in der Zukunft gleich viel wert wie eine Stunde Buchhaltung. VON STEFAN TESCH

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argarete K. verlangt für ein Glas ihrer selbst eingekochten Marmelade eine halbe Stunde. Mit dieser halben Stunde bezahlt sie den, der ihr den nächsten Großeinkauf vom Supermarkt nach Hause transportiert. Dass bei diesem Geschäft kein einziger Euro fließt, liegt in der Natur von Tauschkreisen. Deren Mitglieder zahlen mit der Währung „Zeit“,

Auch Unternehmen tauschen

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Ein Drittel bis die Hälfte des Umsatzes dieses Tauschkreises werden von den 100 teilnehmenden Firmen in Vorarlberg generiert. Wer zum Beispiel in der Ortschaft Götzis zum Bäcker geht, kann dort mit Talenten zahlen. Eine Semmel kostet 4,2 Talente, ein kleiner Laib Schwarzbrot 20 und ein großer 38. Eine Unterschrift auf dem Kassabon genügt – Technikaffine können sogar via Smartphone-App zahlen. Der Bäcker gibt die Talente wiederum für Wareneinkauf und Personal aus. Unter den teilnehmenden Firmen befinden sich unter anderem Gasthäuser, Schneidereien, Bioläden, Unternehmensberater und Sportgeschäfte. Talente auf dem Firmenkonto sind aber nicht mit Euro vergleichbar. Daher „sollten die Firmen nicht mehr als 20 Prozent ihres Umsatzes in Talenten machen. Sonst kommt es zu Liquiditätsengpässen“, empfiehlt Jochum-Müller. In der Buchhaltung führt man Talente als Fremdwährung. Der vom Tauschkreis festgelegte Umrechnungsfaktor 100 Talente = zehn Euro basiert als Grundlage für die Versteuerung der Umsätze. Im Vorarlberger Kreis orientiert sich der Faktor anhand des Lebenserhaltungskostenindexes der Landesregierung. Bei der Einführung des Euro etwa lag er bei 100:13. Foto: ALLMENDA Social Business eG

Tauschkreise erleben europaweit regen Zustrom. Wer zum Beispiel in der Ortschaft Götzis zum Bäcker geht, kann dort mit Talenten zahlen

oder auch „Talente“ genannt. „Unser aller Lebenszeit ist gleich viel wert – egal ob Akademiker oder Arbeiter“, bringt es Elfriede Jahn, Obfrau des Talentetauschkreises Wien, auf den Punkt. So ein Tauschkreis dient nicht nur als eine Alternative zum EuroSystem, sondern krempelt das soziale Verständnis kräftig um. Gernot Jochum-Müller, Gründer des Kreises „Talente Vorarlberg“ und seines Zeichens die Tauschkreislegende Österreichs, formuliert es so: „Wer kein Geld hat, der kann in unserer Gesellschaft nicht mitmachen.“ Im Tauschkreis ist es aber anders: „Wer ein Talent hat, der ist auf Augenhöhe mit den anderen Mitgliedern.“ Unter Talent versteht man zum Beispiel Sockenstricken, Rasenmähen, Computerreparieren, Autowaschen, Babysitten – schlichtweg Zeit. Damit die Tauschgeschäfte flexibel sind, werden sowohl Dienstleistungen als auch Waren über ein Onlinezeit- bzw. Talentekonto abgerechnet. Wer seinen gebrauchten Fernseher verkauft, der bekommt vom Käufer die vereinbarte Summe über die Onlineplattform „überwiesen“. Feilschen um den

regionale Tauschgruppen haben sich mittlerweile zu größeren Tauschkreisen zusammengeschlossen. In Ostösterreich agieren sogar vier Kreise unter dem Dach des Tauschkreise-Verbunds, dessen Mitgliederanzahl sich innerhalb der vergangenen zwei Jahre auf 1.400 verdoppelt hat. Der Verbund ermöglicht einen großen gemeinsamen Marktplatz in Form der Online-Plattform „Cyclos“. Derzeit findet man dort etwa 1.800 Inserate. Jährlich werden im Verbund bis zu 16.000 Stunden umgesetzt. In Vorarlberg beobachtet Jochum-Müller, dass soziale und regionale Beziehung einer der Hauptgründe sind, warum Menschen einem Tauschkreis beitreten. Der von ihm 1996 gegründete Tauschkreis umfasst knapp 2.000 Mitglieder, die jährlich drei Millionen „Talente“ umsetzen, das entspricht 30.000 Stunden (1 Stunde = 100 Talente).

Preis ist üblich. Ergänzend dazu gibt es in manchen Kreisen Zeitwertgutscheine in Form von Papier. Das vereinfacht den Zahlungsverkehr, etwa bei regelmäßig stattfindenden Tauschtreffen. 50 Alternativen zum Euro Tauschkreise erleben europaweit regen Zustrom. Mittlerweile gibt es in Österreich rund 50 davon. Einer der Pioniere ist Dietmar Mayr, der vor 20 Jahren den Tauschkreis Wienerwald ins Leben gerufen hat: „Menschen suchen Alternativen zum bestehenden Währungssystem.“ Kleine, TOP

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Foto: G. Jochum-Müller

Gerade im sozialen Bereich hat Zeit als Währung großes Zukunftspotenzial. Investiert man in jungen Jahren Zeit in die Altenpflege, so kann man dieses Guthaben dann einlösen, wenn man selbst betreut werden muss. Denn eine Stunde ist auch in 20 Jahren noch eine Stunde wert. Ähnlich funktioniert die in Oberösterreich etablierte Plattform „Zeitbank 55+“. Die ältere Generation organisiert Nachbarschaftshilfe innerhalb kleiner regionaler Vereine.

Ethisch-nachhaltige Geldanlage

„Doppelte“ Dividende ist kein Schlagwort

Regionales Geld

Zinsfreier Talentekredit Dass sich Unternehmen gerne dem Tauschkreis anschließen, hat mehrere Gründe. Das Talentesystem ermöglicht nämlich eine Form der zinsfreien Finanzierung, da man mit seinem Talentekonto ins Minus gehen kann – in manchen Fällen sogar bis zu 100.000 Talente (entspricht 10.000 Euro). Weiters fördert die regionale „Währung“ die Kundenbindung enorm. Jochum-Müller sieht einen Tauschkreis sogar als Schule für das Unternehmertum: „Jedes Mitglied ist ein Miniunternehmer. Man muss seine Waren oder Dienstleistungen auf dem Marktplatz anpreisen, verkaufen und abrechnen.“ Bisher entstanden durch den Kreis 25 Unternehmen, vorwiegend Zusammenschlüsse von Künstlern, die ihre Werke vermarkten. Für Umsätze durch Talentetausch gelten die gleichen Steuer- und Sozialversicherungsgrundlagen wie in der „Euro-Welt“. Für Private liegt die jährliche Lohnsteuerfreigrenze bei 730 Euro, also in den meisten Kreisen bei 7.300 Stunden. Dabei gilt der vom Tauschkreis vorgegebene Umrechnungsfaktor, sonst bemisst es das Finanzamt. Gewerbliche Nutzer unterliegen bis 30.000 Euro Jahresumsatz der Kleinunternehmerregelung und müssen keine Umsatzsteuer abführen.

Ähnlich wie Tauschkreise funktionieren Komplementärwährungen. Seit 2008 gibt es in der Vorarlberger Gemeinde Langenegg ein lokales, Euro-gedecktes Geldsystem. Anders als im Tauschkreis tauscht man diese „Langenegger Talente“ gegen Euro und kann damit im Ort einkaufen. Mittlerweile tun dies drei Viertel der Bevölkerung Langeneggs und tauschen pro Jahr 170.000 Euro in die Komplementärwährung um. Durchschnittlich zirkuliert ein Schein viermal, bis er wieder in Euro zurückgetauscht wird. Die Quintessenz solch eines Systems: Das Geld bleibt regional gebunden, in diesem Fall sind es 600.000 Euro an Kaufkraft, die im Dorf bleibt. Als Wechselstellen fungieren Banken. Vorarlberg ist Österreichs Hochburg der alternativen Währungen. So zirkulieren dort rund 100.000 Euro an „VTalern“, die landesweit zirka 200 Geschäfte akzeptieren. Neukirchen an der Vöckla (Oberösterreich) kocht mit seiner Dorfwährung „NEUKI“ wiederum sein eigenes Süppchen. Alternative Währungen gibt es in Österreich unter anderem in Form von „Waldviertler“ und „Styrrion“. „Komplementäre Währungen haben nie die Absicht, den Euro zu stürzen. Unsere Gesellschaft wird aber in Zukunft unterschiedliche Zahlungsmittel verwenden“, prognostiziert Jochum-Müller. Miles and More sowie Sodexo sind mittlerweile etablierte Komplementärwährungen. Inflationsgeschützt sind sie jedoch nicht, Puristen bleiben also bei „Stunden“ und „Talenten“.

Zeitguthaben fürs Alter

Zeit gratis spenden

In Zukunft wird man mit alternativen Zahlungsmitteln vermutlich häufiger in Berührung kommen. „Das Interesse des öffentlichen Bereichs an Talentetauschsystemen steigt stark“, schildert Jochum-Müller. Ein Beispiel dafür ist das Zeit-Hilfs-Netz Steiermark, wo gegenseitige Hilfe innerhalb von Gemeinden in Stunden „abgerechnet“ wird.

Neben Geld auch Zeit für soziale und politische Projekte spenden kann man über die Crowdfunding-Plattform www.respect.net. Hier darf man sich allerdings keine konkrete Gegenleistung erwarten. Einen weitreichenderen Überblick über Möglichkeiten, sich ehrenamtlich in Österreich zu engagieren, findet man auf www.freiwilligenweb.at.

Gernot Jochum-Müller, Talente Vorarlberg: „Wer kein Geld hat, kann in unserer Gesellschaft nicht mitmachen. Im Tauschkreis ist es anders.“

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Mag. Michael Martinek, Vorstandsvorsitzender Bankhaus Schelhammer & Schattera AG

Die hohe Nachfrage institutioneller Investoren nach ethisch-nachhaltigen Anlagemöglichkeiten trägt in einem bedeutenden Ausmaß zum überproportionalen Wachstum des ethisch-nachhaltigen Anlagevolumens in Österreich bei. Das alleine schon ist das beste Argument, dass das immer wieder geäußerte Vorurteil, es gäbe dabei Renditenachteile, längst widerlegt ist. Denn selbstverständlich haben gerade Institutionelle bei den Renditen nichts zu verschenken. Im Gegenteil. Langzeitstudien belegen dies sehr deutlich. Die Studie „Nachhaltige Investments aus dem Blick der Wissenschaft: Leistungsversprechen und Realität“ vom „Research Center for Financial Services der Steinbeis-Hochschule Berlin“ vergleicht die Unterschiede in der Wertentwicklung nachhaltiger und traditioneller Kapitalanlagen, sowohl in Form einer Gesamtanalyse als auch einer Assetklassen-spezifischen Betrachtung. Auf Basis dieser Daten zeigt sich, dass nachhaltige Anlagen eine ähnliche Performancecharakteristik wie traditionelle Investments haben bzw. tendenziell sogar Vorteile bieten. Ein Grund mehr auch für private Anleger, sich für eine „doppelte“ Dividende zu entscheiden: Eine marktgerechte Rendite und das gute Gewissen, in ethisch einwandfreie Projekte zu investieren.

www.schelhammer.at


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