2015 Geschaeftslokale

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Wo früher eine Schneiderei war, lässt sich heute der Grafiker Michele Falchetto vom Treiben am Gehsteig inspirieren

Neues LEBEN für leere Geschäftslokale

Was kommt heraus, wenn man leerstehende Geschäftslokale und junge Unternehmer zusammenbringt? Günstige Gemeinschaftsbüros, Pop-up-Stores und sogar Hotelzimmer. Welches Potenzial in totgeglaubten Immobilien steckt und von VON STEFAN TESCH welchen Konzepten Immobilienbesitzer profitieren können.

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s ist das Freiheitsgefühl, das Michele Falchetto so sehr an seinem Arbeitsplatz liebt. Durch große Auslagenscheiben blickt er direkt auf den grünen Augarten in Wien. „Wenn mir danach ist, gehe ich einfach einen Schritt vor die Tür, um Luft zu schnappen“, schwärmt der Grafiker mit der Gatsby-Mütze. Er kann sich ein Büro in oberen Stockwerken nicht mehr vorstellen. „Hier ist es durch die Ausla-

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genfenster angenehm hell“ und die ebenerdige Lage kommt ihm bei großen Papierlieferungen zugute. Außerdem knüpft man viele Kontakte im Grätzel, „denn bald kennen einen alle, die regelmäßig vorbeigehen“. Als er in das Gassenlokal im 20. Bezirk eingezogen war, musste er erst mal die Patina abkratzen. Die frühere Schneiderwerkstatt und Taxizentrale war ziemlich heruntergekommen. Rund 5.000 Euro hat Falchetto in die

Renovierung investiert. Heute teilen sich vier Grafiker von „allesgrafik“ einen rund 50 Quadratmeter großen Hauptraum, dahinter gibt es noch zwei kleine Multifunktionsräume. Einer dient für Besprechungen, den anderen vermietet Falchetto gelegentlich um rund 300 Euro pro Monat an Journalisten oder Grafikerkollegen. Somit reduziert er die Gesamtmiete für das insgesamt 90 Quadratmeter große Lokal von knapp 800 auf 500 Euro netto. Hie GEWINN 5/15


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Foto: Stefan Tesch

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und da vermietet er noch einzelne Arbeitsplätze im Büro à 150 Euro monatlich. TIPP: Unter wko.at/wien/pool kann man Partner für Bürogemeinschaften suchen und damit Zimmer oder Arbeitsplätze untervermieten. Die Schattenseite der urbanen Gehsteigidylle: Bereits zweimal wurde eingebrochen. Das wertvollste Gut, Daten, liegt nicht ohne Grund auf Servern an externen Standorten.

Gassenlokale bei Ärzten gefragt Das Sterben kleiner Fachgeschäfte, Abwanderung des Handels aus kleineren Einkaufsstraßen und steigende Mieten haben in vielen Nebenlagen den Leerstand bei Geschäftslokalen deutlich erhöht. Doch seit einigen Jahren bemerkt GEWINN 5/15

man bei der Wirtschaftskammer einen gegenläufigen Trend. Allein in Wien ist die Zahl der Leerstände seit 2009 um 40 Prozent zurückgegangen. „Mittlerweile handelt es sich wieder um einen gesunden Leerstand“, erklärt Silvia Spendier, Leiterin des „ServiceCenter Geschäftslokale“ der Wirtschaftskammer Wien. Diese steht auch hinter der Plattform freielokale.at. Dort gibt es die Möglichkeit, kostenlos nach ebenerdigen Geschäftslokalen zu suchen, zu inserieren und Standortanalysen abzufragen. Die meisten freien Lokale gibt es derzeit in den Bezirken Landstraße und Floridsdorf. Knapp 500 Lokale befinden sich insgesamt im Verzeichnis, das entspricht – so Spendier – rund 70 bis 80 Prozent der Leerstände Wiens. Einen ähnlichen Service gibt

Was das Büro im Geschäftslokal kostet 90 m², Wien 6. Bezirk Nebenlage, Kosten pro Monat (brutto) Miete (7€/m²) Betriebskosten Strom & Gas Internet & Telefon Versicherung Summe

630,– 120,– 200,– 70,– 40,– 1.060,–

es bisher leider nur in Graz unter freielokale-graz.at. Dort sind aktuell 60 Gassenlokale gelistet. Von den jährlich etwa 3.000 Anfragen auf freielokale.at sucht ein Drittel Lokale für Gastronomiebetriebe, ein Viertel für den Handel, und je ein Zehntel entfallen auf Dienstleistungen und Büros. „Bei Büros gibt es derzeit einen 143


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Monat rechnen (siehe dazu auch Musterrechnung: „Was ein Büro im Geschäftslokal kostet“). Je weiter entfernt vom Stadtzentrum das Gassenlokal, desto günstiger die Miete. Im 15. Bezirk sinkt sie sogar auf 3,60 bis sieben Euro pro Quadratmeter. Im Vergleich dazu kosten Büroflächen in Wien (mit einfachem Nutzungswert) durchschnittlich zehn Euro. In den Außenbezirken ist man daher in vielen Fällen mit einem Gassenlokal als Büroimmobilie günstiger dran. Spendier rät: „Gerade in Randlagen kann man mit Vermietern oft sehr günstige Mieten verhandeln.“ Günstige Mieten finden sich auch unter freielokale-graz.at. Für Foto: David Bock

starken Trend zu Erdgeschoßlokalen“, schildert Spendier. Auch Ärzte ziehe es besonders wegen der Barrierefreiheit aufs Gehsteigniveau. Ebenso erspart man sich Ärger mit Nachbarn, was bei stark frequentierten Praxen in den oberen Stockwerken häufig der Fall ist. Derzeit passiert in den Geschäftsstraßen

„Immobilieneigentümer sowie Mieter profitieren von der Vermittlung von Leerständen“, so Georg Flödl, Präsident des Verbandes der Immobilienwirtschaft

für einen Schreibtisch im 15. Wiener Bezirk mit 50 Euro pro Monat. Ein Schnäppchen im Vergleich zu herkömmlichen Gemeinschaftsbüros, sogenannten Co-Working-Spaces, wo er rund 250 Euro kostet. Wer mehr Platz benötigt, kann sich auch in abgetrennte Studios einmieten. Dort beträgt die Miete rund 6,50 Euro pro Quadratme-

Was ein Pop-up-Store kostet Kosten pro Monat Mariahilfer Straße Miete (30 m²) 15.000,– Arbeitskraft (30h/W.) 1.500,– Kassensystem 1.500,– Summe 18.000,– Lage: Wien

Für Pop-up-Stores kommen nur stark frequentierte Lagen in Frage. Dabei kann man auch in temporären Leerständen unterkommen

ein ebenerdiges Geschäftslokal im Stadtteil Wetzelsdorf zahlt man zum Beispiel sechs Euro pro Quadratmeter Altbau für Kreative plus rund 1,20 Euro Betriebskosten. In Besonders Unternehmer aus der Krea- einer Nebenlage im Stadtteil Jakomini tivbranche, also Grafiker, Architekten kommt ein 50-Quadratmeter-Lokal oder Designer, bevorzugen Gassenlo- immerhin auf 11,70 Euro pro Quadratkale als Büro bzw. Bürogemeinschaften. meter, in Waltendorf sind es 8,10 Euro. „Sie suchen bewusst Altbauten mit Charme, anstelle von Neubauten“, so Immobilienbesitzer profitieren Spendier. Bestehende Auslagen werden Temporäre Leerstände – darunter auch gleich für Werbezwecke verwendet. Ne- Erdgeschoßlokale – zu verwerten hat benlagen im Sechsten und Siebten Be- sich die im März gegründete private zirk sind am meisten gefragt. Die Preise Agentur „Nest“ zur Aufgabe gemacht. sind relativ niedrig und rangieren zwi- „In unserer einjährigen Testphase haben schen 5,60 und 9,90 Euro pro Quad- wir bereits 800 Anfragen bekommen“, ratmeter. Zum Vergleich: Büroflächen berichtet Agenturgründerin Angie bewegen sich in diesen Bezirken zwi- Schmied über das Marktpotenzial. schen 7,40 und 13,70 Euro. Inklusive Jungunternehmer sollen so zu günstiBetriebskosten, Energie und Internet gen Büros kommen, die häufig unter muss man für ein 90-Quadratmeter- der Hälfte des Marktpreises rangieren. Geschäftslokal in einer solchen Neben- Auch Bürogemeinschaften sind laut lage mit Kosten von gut 1.000 Euro pro Schmied möglich – so rechnet sie etwa ein sanfter Branchenwandel, „mehr Dienstleistungen kommen dazu“.

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Foto: Simon Rainsborough

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Josefstädter Straße 6.000,– 1.500,– 1.500,– 9.000,–

Quelle: Pop-It-Up

ter und liegt damit weit unter der Hälfte der üblichen Marktpreise, denn Strom, Internet und Versicherung sind inkludiert. Einziger Wermutstropfen: Bei günstigen Zwischennutzungen ist man stark vom Immobilieneigentümer abhängig, denn er kann den Leerstand theoretisch jederzeit beenden. Die Agentur soll diesen Sommer unter nest.agency online gehen. Seitens der Immobilienwirtschaft begrüßt man die Bekämpfung von Leerständen. Georg Flödl, Präsident des Verbandes der Immobilienwirtschaft: „So werden Flächen, die entweder zeitlich begrenzt auf dem Markt oder noch nicht entwickelt sind, in den Vermittlungsprozess gebracht. Es ist eine Win-Win-Situation für Makler, Vermieter und Mieter.“ Vor allem Vermieter profitieren davon, da sie bei schwer zu vermittelnden Immobilien durch die Zwischennutzung zumindest die GEWINN 5/15


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Betriebskosten abdecken können. Und Geschäftsstraßen werden durch die Belebung optisch wieder aufpoliert.

Pop-up-Stores für Experimente

Foto: Barbara Nidetzky

Was heute ein leerstehendes Geschäftslokal ist, kann morgen ein florierendes Geschäft auf Zeit – ein Pop-up-Store – sein. David Bock organisiert mit seiner Agentur Pop It Up (popitup.at) Shops mit bewusst kurzen Laufzeiten. Manche

Für Pop-up-Stores eignen sich am besten saisonale oder besonders trendige Produkte, um die dann regelrecht ein Hype entsteht, wenn das Marketing entsprechende Vorarbeit geleistet hat. So macht ein Pop-up-Store für bunte Socken zwei Monate vor Weihnachten 80 Prozent des Jahresumsatzes. Und um Ausgaben für ein Geschäft außerhalb der umsatzstarken Zeit zu sparen, bricht das Geschäft einfach seine Zelte

Foto: Monika Nguyen

Auf aufwendige Einrichtung kann man in Pop-upStores – wie in diesem Fall bei Schuhen – verzichten. Viel mehr zählen präzise Planung, exaktes Timing und intensives Marketing

Früher eine Kunstgalerie, heute eine Suite für Abenteuerlustige. Die Urbanauts verwandeln leerstehende Gassenlokale in moderne Hotelzimmer

existieren nur wenige Wochenenden, andere bis zu mehreren Monaten. Eine interessante Möglichkeit, die aber nichts für wenig belebte Nebenlagen ist. „Ich bin ständig auf der Suche nach Erdgeschoßlokalen in stark frequentierter Lage“, schildert Bock. Besonders interessant sind auch temporäre Leerstände, etwa wenn Nachmieter gesucht werden oder umfangreiche Renovierungen einer Immobilie anstehen. Die ideale Shopgröße liegt zwischen 20 und 50 Quadratmetern. 146

für den Rest des Jahres ab und bastelt an der nächsten Idee. Die Agentur Pop It Up verdient entweder an der Umsatzbeteiligung oder einer monatlichen Fixgebühr. Bock versteht sich als umfassender Begleiter für Pop-up-Stores. „Wir betreuen gute Ideen vom Businessplan bis zum fertigen Store.“ Auch Personal, Kassen- und Warenwirtschaftssysteme stellt er zur Verfügung. Für Unternehmer bieten Pop-up-Stores die Möglichkeit, Konzepte und Produkte kurzfristig und ohne großes Risiko auszuprobieren. Das Un-

terfangen ist jedoch aufgrund der enorm hohen Mieten in stark frequentierten Lagen nicht ganz billig. Für einen kleinen Pop-up-Store in einer Toplage wie der Wiener Mariahilfer Straße kalkuliert Bock für einen Monat Kosten von 18.000 Euro inklusive Personal und Kassensystem (siehe auch: „Was ein Pop-up-Store kostet“). In etwas weniger guten Lagen muss man immer noch mit der Hälfte rechnen. Möchte man die Einrichtung des Lokals noch dazu grundlegend ändern, muss man grob noch einmal 2.000 Euro dazurechnen. TIPP: Unter freielokale.at kann man Standortanalysen für konkrete Adressen in Wien kostenlos abfragen: Passantenfrequenz, Informationen über Kaufkraft, Branchenmix, Soziodemografie sowie Mitbewerber vor Ort. Wartezeit: 14 Tage.

Vom Gehsteig ins Hotelbett Den wohl ausgefallensten Weg bestreiten die Urbanauts, denn sie bauen in ehemalige Gassenlokale schicke Hotelzimmer. Für den Umbau sind rund 40.000 Euro notwendig. Fünf solcher Streetlofts gibt es im Vierten Wiener Bezirk. An ihnen führt der Gehsteig vorbei. Durch Schalldämmung ist es drinnen aber überraschend ruhig, wie ein GEWINN-Lokalaugenschein ergab. Unternehmensgründerin Theresia Kohlmayr berichtet über die Klientel: „Bunt gemischt, aber vorwiegend Abenteurer, die etwas Neues ausprobieren wollen.“ Die Vorteile liegen auf der Hand: „Unsere Gäste logieren mitten in der Stadt und kommen – anders als in einem Hotelkomplex – mit den Wienern direkt in Kontakt.“ Frühstücken gehen die Gäste ins Kaffeehaus ums Eck, für das sie von den Urbanauts Gutscheine erhalten. „Wir beleben damit das Grätzel“, so Kohlmayr. Das Konzept der Urbanauts bewährt sich mittlerweile seit drei Jahren. Trotz der hohen Preise – ein Zimmer kostet rund 130 Euro pro Nacht – liegt die Buchungslage bei knapp 70 Prozent. Und Kohlmayr denkt bereits laut über Expansion ins Ausland nach. Ihr Büro befindet sich übrigens – wie könnte es anders sein – in einem Erdgeschoßlokal. GEWINN 5/15


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