2015 Kartonmöbel

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IT & INNOVATIONEN Kartonmöbel

Pappendeckel zum Draufsetzen

VON STEFAN TESCH

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er „Kleine Hinterberger“ wirkt unscheinbar, doch er gehört ganz und gar nicht zu den Schwächlingen. Obwohl er nur knapp vier Kilo wiegt, stemmt der Kartonhocker einen ausgewachsenen Menschen, ohne mit der Wimper zu zucken. Seine Teamkollegen sind unter anderem der Lehnstuhl „Lehner“, das Regal „Staudinger“ und das Schaukelpferd „Wipplinger“. Neun verschiedene Kartonmöbel gehen seit vergangenem Jahr unter der Marke Kurtl (steht für Karton, universal, recyclebar, trickreich, leistbar) im Onlineshop (kurtl.com) an den Start. Die beiden Masterminds dahinter: Wolfgang Gratt, Kunstuni-Absolvent, der schon seit vielen Jahren mit dem Werkstoff Karton experimentiert, und Christoph Außerwöger, ehemaliger Versicherungsagent, der sich bei Gratt mit dem Kartonvirus infiziert hat. 2013 gründeten sie die Kartonschmiede „papplab“. Dafür waren zu Beginn rund 100.000 Euro notwendig, um die ersten Produktentwicklungen, Onlineshop und Laserplotter zu finanzieren. Ermöglicht hat dies ein privater Investor. Im papplab schneiden die beiden Kartontüftler Modelle im Maßstab 1:5 mittels Laserplotter. Nach ausführli104

Fotos: Jungbrunnen

Das oberösterreichische „papplab“ stellt Möbel aus Karton her und spannt damit den Bogen zwischen Wegwerfkultur und Nachhaltigkeit.

sie aber stabil und belastbar sein, denn gerade bei Sessel kann mangelnde Tragkraft im Fiasko enden. Das setzt exzellente Kenntnisse über die Statik dieses Materials voraus. „Es dauert drei bis sechs Monate, bis eine Idee Serienreife erlangt“, überschlägt Außerwöger. Zum Einsatz kommt eine Materialmischung aus 80 Prozent recyceltem Altpapier plus 20 Prozent Frischholz. Seit der Gründung konnte papplab den Umsatz im darauffolgenden Jahr mit 70.000 Euro verzehnfachen, für heuer erwartet man 160.000 Euro (entspricht zirka 3.000 verkauften Möbelstücken). Knapp die Hälfte stammt aus Großaufträgen für Geschäftskunden, zum Beispiel 180 Messestände für die heurige „WearFair“, eine Linzer Messe für nachhaltigen Lebensstil. „Gerade im Messe- und Eventbereich sehen wir enorm großes Potenzial“, schildert Auchen Tests wandern die Pläne zur Pa- ßerwöger. Denn für kurzlebige Möbel pierfabrik, die am Fließband die Möbel ist das recyclebare Material geradezu produziert und verpackt. Besonders prädestiniert. Zudem lässt es sich bestolz ist Außerwöger auf die „100-pro- liebig bedrucken und somit für den zentige Wertschöpfung in Österreich“, Kunden individualisieren. Die zweite denn das papplab vergibt Aufträge an Hälfte generiert das papplab aus Prozwei heimische Produzenten. Versand jektaufträgen, wie etwa einem 1:1-Modell eines Dodge-Jeeps für das Linzer Christoph Nordico Museum oder Kartonfiguren Außerwöfür die Ars Electronica. ger sieht Den derzeit noch kleinsten Anteil für seine Möbel groam Umsatz – rund zehn Prozent – maßes Potenchen Privatkunden aus. Grund ist unter zial im anderem eine Skepsis gegenüber dem Messeund EventMaterial. „Hier müssen wir noch viel bereich Überzeugungsarbeit leisten und beweisen, dass unsere Produkte wirklich stabil sind“. Außerwöger denkt dabei an Produktvideos. Für 2016 prognostiziert Außerwöund Lagerung übernimmt ein externer Dienstleister, mit sozialem Mehrwert: ger papplabs Break-even. Aber über Dort sind Mitarbeiter mit psychosozia- dem Unternehmen hängt ein Damoklesschwert: Die Gefahr, nachgeahmt len Beeinträchtigungen angestellt. zu werden. Schon kleine Änderungen Falten und stecken statt kleben am Design und der Musterschutz würde Die größte Hürde bei der Produktent- nicht mehr greifen. papplabs Verteidiwicklung haben sich die beiden Kar- gungsstrategie: die Produktpalette um ton-Ingenieure selbst auferlegt: Für den weitere Sitzmöbel, Stehtische, Sofas, Zusammenbau sind nämlich keinerlei Esstische und sogar Betten zu erweitern. „Hilfsmittel“ wie Klebstoff oder Dübel Fraglich bleibt jedoch, wie viele Menerlaubt. Lediglich falten und stecken schen sich Kartonmöbel tatsächlich in sind zulässig. „Nur so sind unsere Pro- die eigenen vier Wände stellen wollen. dukte zu 100 Prozent recyclebar“, be- Ganz billig sind sie nicht. Ein Sessel tont Außerwöger. Gleichzeitig müssen mit Lehne kostet 66 Euro. GEWINN 6/15


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