2016 Baugruppen

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Wohnhäuser gemeinsam bauen:

GRUPPENARBEIT Bei Baugruppen bestimmen die künftigen Bewohner von der Fassade bis zur Steckdose alles selbst. Das ist eine Herausforderung, genauso wie das VON STEFAN TESCH gemeinschaftliche Wohnen, wenn das Haus fertig ist.

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urt Hofstetter hatte zwar eine schöne Wohnung im Fünften Bezirk Wiens, doch damit war er nicht glücklich. „Mir fehlte dort die gelebte Nachbarschaft“, klagt er. Vor vier Jahren traf er auf eine Architektin, die gerade Pläne für ein Baugruppenprojekt in der Seestadt Aspern entwarf. Hofstetter war von der Idee sofort begeistert. Doch an Wohnen im „JAspern“ war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu denken. „Als wir zur bereits ein Jahr bestehenden Gründungsgruppe gestoßen sind, war das grobe Konzept schon fertig. Nun galt es, weitere Interessenten für das Projekt zu gewinnen“, sagt Hofstetter. Mehr als 100 Bewerbungsge118

spräche folgten, bis die knapp 50 Personen umfassende Gemeinschaft aufgestellt war. Dies war notwendig, denn im Haus JAspern stehen die Wohnungen im Eigentum der Bewohner. Von ihnen flossen die finanziellen Mittel vor Grundstückskauf und Bau auf ein Treuhandkonto. „Danach gab es kein Aussteigen mehr“, schildert Hofstetter. Der Quadratmeterpreis für die Eigentumswohnungen lag bei 2.900 Euro. Initiator von JAspern war Fritz Oettl, selbst Architekt und Inhaber von Cofabric, einer Projektentwicklungsfirma für Baugruppen. Die ersten JAspern-Mitglieder rekrutierte er aus dem Freundeskreis, nachdem er sich im Alleingang für das Grundstück in Aspern

entschieden hat. „Das muss schon vor der Gruppenphase feststehen, sonst wird man sich nie einig“, warnt er. Mitstreiter zu finden gestaltete sich schwierig und so inserierte er in Zeitungen. Bedingung für den Erhalt einer Wohnbauförderung war zudem die Vergabe von einem Drittel der Wohnungen über das Wohnservice Wien. Das Problem dabei: „Uns wurden viele Leute geschickt, die gar keine Baugruppe wollten“, so Oettl.

Architekt als Koordinator Gebaut wurde schließlich ohne Bauträger, denn Architekt Oettl agierte als notwendiger Koordinator. In rund 30 Treffen legte er die Pläne und Konzepte GEWINN 7/8/16


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Foto: Michael Hetzmannseder

Kurt Hofstetter schätzt das Wohnen im Baugruppenprojekt „JAspern“, denn hier wird Nachbarschaft groß geschrieben

der Gruppe zur Abstimmung vor. „Die meisten Leute hatten ohnedies keine Zeit für große Änderungswünsche und wollten möglichst schnell zum Wohnen kommen“, erzählt Oettl. Zwar sei es naturgemäß zu kleinen Konflikten gekommen, doch der Prozess lief weitestgehend unkompliziert ab. Am meisten brachten sich die Bewohner ein, wenn es um die Raumaufteilung ihrer künftigen Wohnungen ging. „Die Vergabe der konkreten Wohnungen erfolgte nach den Prinzip ,first come, first served‘“, ergänzt Oettl. Heute, vier Jahre später, wohnt Kurt Hofstetter mit seiner Lebensgefährtin auf 104 Quadratmetern im JAspern und bereut den Schritt in die BauGEWINN 7/8/16

gruppe keinesfalls: „Das Gemeinschaftsleben funktioniert, denn wir verstehen uns untereinander im Haus sehr gut.“ Gleichzeitig gibt es keinerlei Zwänge, sich in die Gemeinschaft einzubringen. Das Haus hat neben einem Veranstaltungsraum im Erdgeschoß noch einen großen Aufenthaltsraum am Dach inklusive Garten mit Hochbeeten. „Dort trifft man sich gerne auf ein Glas Wein am Abend“, freut sich Hofstetter.

Miete oder Eigentum Hinsichtlich Eigentumsverhältnisse gibt es bei Baugruppen unterschiedliche Spielvarianten, Eigentum wie in JAspern ist eine davon. Beim Weiter-

verkauf der Wohnungen gibt es keine Einschränkungen. Die meisten Projekte sind mit einer Genossenschaft vergleichbar, denn in Häusern wie etwa dem ebenfalls in Aspern gelegenen Seestern mietet ein Verein die Immobilie und vergibt Nutzungsrechte an die Bewohner. Ebenso existieren Häuser (z. B. B.R.O.T., Gleis 21 – siehe Tabelle), bei denen das Bewohnerkollektiv in Form eines Vereins als Eigentümer auftritt. Die Mitglieder zahlen zusätzlich zur monatlichen Miete einen einmaligen Eigenmittelbeitrag, den sie beim Auszug teilweise wieder zurückerhalten. Im staatspreisgekrönten Wohnprojekt Wien sind das beispielsweise 570 Euro pro Quadratmeter plus 119


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Das Cohousingpomali zeigt, dass Baugruppen nicht nur in Großstädten funktionieren

Foto: Cohousing Pomali

3.000 Euro pro Erwachsenem. Die Miete liegt bei zehn Euro pro Quadratmeter. Im Seestern sind es 9,10 Euro plus 350 Euro Eigenmittelbeitrag pro Quadratmeter. Einige Häuser sind als Wohnheim deklariert, denn dadurch werden Gemeinschaftsflächen höher gefördert. „Bei Baugruppen geht es primär um die Gemeinschaft und das Zusammenleben, weniger um den Wertzuwachs einer Immobilie“, betont Gernot Tscherteu, Geschäftsführer von Realitylab. Seine Agentur ist in der Entwicklung partizipativer Wohnprojekte tätig und unterstützt Baugruppen bei der Grundstückssuche, Finanzierung, Wahl der Rechtsform und Moderation von Gruppenaktivitäten. Tscherteus jüngstes Baby ist das in Planung befindliche Gleis 21 am Wiener Hauptbahnhof. Dort haben die ÖBB vier Grundstücke über ein Bewerbungsverfahren vergeben. Dass Baugruppen derzeit hoch im Kurs stehen, zeigt das Interesse von 16 Bewerbern.

Wie eine Baugruppe startet

Foto: Architekturbüro Reinberg ZT GmbH.

Ein Gemeinschaftsgarten gehört bei vielen Baugruppen zum Konzept, wie hier im Wohnprojekt Wien

Initiativen für Gruppen können entweder von Agenturen, Bauträgern, Genossenschaften, Architekten oder Privatpersonen ausgehen. Anschließend folgt die Entwicklung des Konzepts in einer Kerngruppe. „Es ist nicht wichtig, aus wie vielen Personen eine Baugruppe in ihrer Anfangsphase besteht. Viel wichtiger ist, dass sie wissen, was sie wollen“, so Tscherteu, der zehn Personen als solide Basis nennt. Im Falle von Gleis 21 waren es zu Beginn 20 Personen, was rund einem Drittel der Bewohner entspricht. Zwischen erstem Treffen und Bewerbung um ein Grundstück lagen fünf Monate. Geplant wurde mit Bauträger und Architekt, der die Pläne mit der Gruppe erarbeitet hat. In der Nachbarschaft wird auch die Baugruppe „Bikes & Rails“ bauen. Eine Baugruppe kommt selten alleine. So stehen auch in der Seestadt Aspern gleich fünf nebeneinander, denn dort wollte die Stadt Wien den partizipativen Wohnbau fördern und

verkaufte ausgewählte Flächen nur an Baugruppen. Das erfolgte nicht ganz uneigennützig. „Baugruppen bringen Vorteile für ein Stadtentwicklungsgebiet, denn sie sorgen für Durchmischung von Wohnkonzepten“, so Tscherteu. Zudem kümmern sie sich darum, dass Erdgeschoßflächen nicht leer stehen. Im Seestern befindet sich etwa ein Coworking-Space, in JAspern ein Veranstaltungsraum, im Wohnprojekt Wien ein Greißler. Fast alle Baugruppen engagieren einen Bauträger, denn er trägt das Risiko und die Finanzierung während der Bauphase. Zwar erhöht das die Kosten, doch „das Sparpotenzial ist sehr gering, da Baugruppen meist durch einen ökologischen und hochwertigen Baustil ohnehin kostenintensiv bauen“, weiß Heinz Feldmann, Mitgründer der Baugruppe Wohnprojekt Wien. Das sieht auch Architekt und Baugruppen-Pionier Georg Reinberg ähnlich und gibt zu bedenken: „Wenn man Wohnbauförderung beziehen möchte, benötigt

Baugruppen, die noch Bewohner suchen Name Standort Größe Status www. Bikes & Rails Wien, Hauptbahnhof 18 Wohnungen bezugsfertig Mitte 2018 bikesandrails.wordpress.com Grätzelmixer Wien, Hauptbahnhof 26–30 Wohnungen* bezugsfertig 2018 graetzelmixer.at Gleis 21 Wien, Hauptbahnhof 28 Wohnungen bezugsfertig 2018 gleis21.wien Seeparq Wien, Seestadt Aspern 50 Wohnungen mit Coworking-Space bezugsfertig Ende 2018 cofabric.at/coming-seeparq B.R.O.T. Aspern Wien, Seestadt Aspern noch 2 Wohnungen frei fertiggestellt 2015 brot-aspern.at Wildgarten Wien, Hetzendorf bis 5. 8. 2016 läuft ein Bewerbungsvserfahren für 3 Baufelder wildgarten.wien Wohnprojekt Hasendorf Hasendorf (NÖ) keine Angabe bezugsfertig 2017 wohnprojekt-hasendorf.at B.R.O.T. Pressbaum Pressbaum (NÖ) 22 Wohnungen bezugsfertig ab 2017 brot-pressbaum.at Campesina St. Veit/Triesting (NÖ) 16–19 Wohnungen dzt. Grundstückskauf (2.000 m2) wohnbund.at Kumpanei Graz (Stmk) 30 Wohnungen keine Angabe cumpane.com/ Koowo Purgstall (Stmk) 20–27 Wohnungen Baubeginn 2017 sp-arch.at/KOOWO Wohnprojekt gat.st/date/gemeinschaft St. Josef (Stmk) 40 Wohnungen keine Angabe Sankt Josef liches-wohnprojekt-st-josef Vernetzt Wohnen zw. Innsbruck u. Hall (Tirol) 40–80 Wohnungen auf Grundstückssuche vernetztwohnen.at *) Eigentumswohnungen

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Stand: Juni 2016; Auswahl

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Gelebte Gemeinschaft – auch nach der Fertigstellung Wie der Gemeinschaftsgedanke nach der Fertigstellung der Wohnungen fortgesetzt wird, zeigt das „Cohousing Pomali“ im niederösterreichischen Oberwölbling zwischen Sankt Pölten und Krems. 86 Bewohner teilen sich seit 2013 rund 600 Quadratmeter Gemeinschaftsfläche, darunter ein weitläufiges Gemeinschaftsgebäude mit Küche, Speisesaal und Werkstatt. „Hier in Pomali ist mein Wunsch in Erfüllung gegangen, mit Freunden zu wohnen und mit meinen Nachbarn tiefgehende Beziehungen zu pflegen“, erzählt Hemma Rüggen, die vor einem halben Jahr dort eingezogen ist. Gerade steht sie in der

Küche und bereitet einen Auflauf für ihre Mitbewohner zu, denn dreimal pro Woche gibt es hier Mahlzeiten, an denen jeder Pomali-Bewohner teilnehmen kann. „Wir teilen hier die gleichen Werte, ein nachhaltiges und ökologisch verantwortungsvolles Leben zu führen“, berichtet Rüggen. In Pomali existiert ebenso eine Lebensmittelkooperative (Food-Coop) sowie ein CarsharingPool. Freie Wohnungen gibt es derzeit nicht.

Foto: Wohnservice Wien Ges.m.b.H./Hertha Hurnaus

man einen Bauträger, bei freifinanzierten Formen geht es theoretisch auch ohne.“ Reinberg hat schon in den 1980er-Jahren eine Baugruppe in Purkersdorf gemacht. Heute betreut er das Projekt „Bikes & Rails“.

Wie man bei einer Baugruppe mitmacht

Von der Idee bis zur Fertigstellung gibt es zahlreiche Planungstreffen, bei denen sich die künftigen Nachbarn intensiv kennenlernen

Von Tirol bis Wien sind in Österreich aber bereits wieder einige neue Baugruppen-Projekte in Planung (siehe Tabelle „Baugruppen, die Bewohner suchen“). Für Interessenten werden üblicherweise Infoabende veranstaltet. Wer der Gruppe beitreten möchte, wird einem mehrstufigen Bewerbungsverfahren unterzogen. Grundsätzlich gilt: Je früher man zu einer Baugruppe stößt,

desto mehr kann man mitbestimmen. Neben der Kerngruppe existieren in der Planungsphase meist weitere, thematisch ausgerichtete Gruppen, etwa zu Architektur, Gemeinschaft und Finanzen. Bei der Wahl der Wohnungsgröße setzen viele auf kleinere Individualflächen, da sich ein Teil des Lebens in Gemeinschaftsräumen abspielt.


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